2004
1. Jänner 2004:
Die EZLN feiert gemeinsam mit Unterstützungsgruppen auf der ganzen Welt den 10. Jahrestag seit Beginn des Aufstands. Paramilitärs drohen mit neuer Gewalt, während die "Räte der Guten Regierung" immer stärker auch von Nicht-Zapatisten anerkannt werden.
14. Jänner 2004:
Rund 1.500 PolizistInnen stürmen Tlalnepantla (südlich von Mexico City, Bundesstaat Morelos) und lösen die autonome Regierung auf, die den "offiziellen" Bürgermeister Lías Osorio für abgesetzt erklärt hatte, auf. Ein Mensch wird bei dem brutalen Einsatz getötet, unzählige verletzt, viele sind seither verschwunden oder wurden inhaftiert, während der größte Teil der Bevölkerung in die nahegelegenen Berge oder in die benachbarten Dörfer flüchtete. ausführlicher text
24. Jänner 2004:
Mehr als 600 Campesinos werden durch die Polizei von den Grundstücken Los Cerros und Los Cerritos in Suchiate, nahe der Grenze zu Guatemala, vertrieben, die sie seit 11 Jahren besetzt hielten. Regierungsminister Rubén Velázquez López erklärt: "Diese Regierung wird keine weitern Landbesetzungen dulden, sie wird sich aber durch die Einhaltung der Menschenrechte während den Zwangsräumungen außerordentlich hervortun."
In Nuevo San Rafael, einem Flüchtlingsdorf in den Montes Azules, werden 23 Häuser niedergebrannt (praktisch das komplette Dorf) und sämtliche BewohnerInnen vertrieben. MenschenrechtsbeobachterInnen werden von der Militärpolizei nicht in die Gemeinde gelassen.
Auch im Ejido Emiliano Zapata werden Übergriffe durch staatliche Einheiten befürchtet.
denuncia des menschenrechtszentrums frayba
30. Jänner 2004:
Die BewohnerInnen von San Isidro kündigen wie viele der rund 40 weiteren Gemeinden in den Montes Azules an, ihr Land, falls es notwendig sein sollte, mit Blut zu verteidigen.
bericht aus san isidro
Luis Gabriel Sanchez, Sprecher der Kommission für Ökologie und der Grünen Partei, fordert die Ausweisung aller internationalen Beobachter, die "ihr Touristenvisum dazu mißbrauchen, die Guerilla zu unterstützen." Inzwischen steigt die Zahl der Militärpatrouillen in der Gegend dramatisch an. MenschenrechtsbeobachterInnen befürchten eine bevorstehende Räumung und bitten um internationale Aufmerksamkeit.
16. Februar 2004:
Die Summe der von EmigrantInnen (hauptsächlich aus den USA) heimgeschickten Gelder macht nach Angaben der mexikanischen Zentralbank mehr als 13 Milliarden Dollar aus und ist damit nach dem Export von Erdöl die wichtigste Devisenquelle. 77% dieses Geldes werden für den Kauf von Grundnahrungsmitteln verwendet.
März 2004:
Das regierungstreue Zentrum für Forschung und soziale Sicherheit (CISEN - Centro de Investigación y Seguridad Nacional) berichtet, daß die EZLN in den vergangenen vier Monaten die Camps zur "militärischen Schulung" von 8 auf 20 und die Zahl der MilizionärInnen von 700 auf über 2.000 erhöht habe.
José Luis Solís Cortés, Komissar der Präventiven Bundespolizei (PFP) in Chiapas, fügt hinzu, daß man ebenfalls wisse, daß eine "zapatistische Polizei" geschaffen wurde, die "mit Knüppeln" ihre Funktion zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Zone erfüllt.
Weitere - ebenso altbekannte wie offensichtlich falsche - Vorwürfe des Drogenhandels und der Schlepperei sollen anscheinend eine neue "Bedrohung" Mexikos durch die Zapatistas in den bürgerlichen Medien vermitteln.
Die Lokalregierung von Chiapas unter Pablo Salazar bezeichnet diese Spekalutationen als unverantwortlich und fügt hinzu: "Weder die Situation noch die bekannten Bedingungen für alle bekannten politischen AkteurInnen, Organisationen und Kommunikationsmedien haben sich verändert. Man stellt keinerlei Anzeichen militärischer Art fest, im Gegenteil, die EZLN beschäftigt sich mit Formen politischer Organisierung, die sie im August 2003 öffentlich präsentierte, bekannt als die Juntas der Guten Regierung ".
Nach den politischen Erfolgen der Zapatistas vom vergangenen Jahr - v.a. der De-facto-Autonomie in ihren Gebieten - scheint sich die Regierung in Zugzwang zu sehen und versucht, durch den Aufbau von Bedrohungsszenarien mögliche Angriffe gegen die EZLN legitimieren zu können und die weithin anerkannte moralische Integrität der Zapatistas zu beschädigen.
Propaganda-Aktivitäten wie diese sind seit 1994 Teil der Aufstandsbekämpfung, die die Eliten Mexikos immer wieder vorantreiben. Dieser sogenannte "Krieg der niederen Intensität" besteht aus Militäreinsatz, Unterstützung paramilitärischer Gruppen, erheblichen Geldzuwendungen an rebellische Gemeinden, um sie zu "bekehren" und zu spalten, sowie aus massiver Desinformation und wird hohen mexikanischen Offizieren an US-amerikanischen Militärschulen gelehrt.
Stellungnahme der Zapatisten (Rat der Guten Regierung in Francisco Gómez)
April 2004:
Das Internationale Rote Kreuz kündigt an, Chiapas innerhalb der nächsten drei Monate zu verlassen und seine Bemühungen anderen Bevölkerungen zu widmen, die wie in Kolumbien und Irak unter den Zerstörungen kriegerischer Konflikte leiden.
10. April 2004:
4.000 Zapatistas werden in Zinacantán nahe Oventik von Mitgliedern der PRD mit Steinwürfen, Feuerwerkskörpern und Schußwaffen angegriffen, als sie von einer Demonstration zur Unterstützung von rund 70 zapatistischen Familien zurückkehren, denen vom PRD-Bürgermeister die Wasserzufuhr abgestellt wurde. Es ist der schwerste Angriff auf die Anhänger des zapatistischen Befreiungsheers EZLN seit Jahren (20 Verletzte, 2 Schwerverletzte).
Hintergründe und Augenzeugenberichte
Stellungnahme des Rats der Guten Regierung
Protestbrief
19. April 2004:
Pável Gónzalez, Aktivist im Streik der UNAM und der Kooperative Smaliyel, wird in Mexiko-Stadt entführt, gefoltert, vergewaltigt und ermordet.
ausführlicher Bericht / Stellungnahme einer Aktivistin
25. April 2004:
101 indigene Familien kehren unter dem Schutz von MenschenrechtsbeobachterInnen, dem Rat der Guten Regierung von Oventik und EZLN-VertreterInnen in ihre zerstörten Häuser in Zinacantán zurück.
17. Mai 2004:
Die Grüne Ökologische Partei (PVEM) fordert die Räumung der zapatistischen Dörfer in Montes Azules und die Ausweisung von "Unruhe stiftenden Ausländern".
Am selben Tag verkündet das Ministerium für soziale Entwicklung ein gemeinsames Projekt der EU und der mexikanischen Regierung in Höhe von 31 Millionen €, mit denen "die nachhaltige Entwicklung der Selva Lacandona" gefördert werden soll.
siehe: Krieg niedriger Intensität
7. Juni 2004:
Eduardo Vázquez Álvaro, Indígena-Aktivist und Mitglied der zapatistischen Gefangenenorganisation "Die Stimme des Cerro Hueco", wird im Stadtzentrum von Chilón ermordet. Fünf Männer aus zwei Autos verletzen Eduardo zunächst mit Schußwaffen und Macheten und überrollen schließlich seinen leblosen Körper.
Hunderte Zapatistas und SympathisantInnen beschuldigen am nächsten Tag in einer Großdemonstration lokale Großgrundbesitzer und Kaziken, als Drahtzieher für den Mord verantwortlich zu sein. Polizei- und Militäreinheiten, die durch die Ortschaft patroullieren wollen, müssen sich unter einem Steinhagel der Demonstrierenden zurückziehen.
Juli 2004:
Verstärkte Repression gegen die AktivistInnen des CIPO-RFM in Oaxaca: Nach gewaltsamen Übergriffen am 10. Juli in Cruz Huatulco durch PRIistas und Polizeieinheiten wird Edgar Torija Pérez in Etla am 11. Juli beim Plakatieren überrascht und durch Messerstiche tödlich verwundet. Einen Tag darauf werden mehrere CIPO-AktivistInnen in Santa Cruz
Hutulco durch PRIistas verletzt und Pedro Cruz Salazar (beide CIPO-Aktivisten) in Yocunicuca (Gemeinde Yosonotu) durch Paramilitärs aus Santa Lucía Monteverde ermordet. Am Tag darauf tauchen die Mörder erneut in der indigenen Gemeinde auf, feuern um sich und drohen mit weiteren Anschlägen.
Als Reaktion darauf stürmen am 15. Juli mehr als 1.000 Indígenas Oaxaca-Stadt mit brennenden Fackeln mehrere öffentliche Gebäude in Tlaxiaco, Nochixtlán, Etla, Ixtlán und Oaxaca. Die Besetzungen verlaufen friedlich, phantasievoll und entschlossen. Lediglich dem Obersten Gerichtshof gelingt es, rechtzeitig die Eingangstüren zu verschließen, und so genügen sich die DemonstrantInnen damit, das Gebäude zu umzingeln.
Die Aufforderung zum Dialog wird jedoch von sämtlichen Regierungsvertretern ignoriert, daher schließen sich die portestierenden Indígenas den Mahnwachen an mehreren öffentlichen Plätzen in der Stadt an, die seit dem 20. April ausharren und Gerechtigkeit und ein Ende der Repression fordern.
6. August 2004:
Das Ya-Basta-Netz demonstriert in Berlin gegen die Repression in Mexiko.
9. August 2004:
6.000 Menschen feiern in Oventik ebenso wie in den anderen Caracoles das einjährige Bestehen der Räte der Guten Regierung mit feurigen Reden, Musik, Tanz und Basketballturnieren.
Subcomandante Marcos präsentiert eine ebenso ausführliche wie selbstkritische Bilanz:
Ein gelesenes Video
September 2004:
Um die Verteidigung ihres Wassers zu sichern, gründen Mazahua-Frauen im Bundesstatt Mexiko ein zapatistisches Frauenheer. ausführlicherer Text
Oktober 2004:
In Absprache mit dem Rat der Guten Regierung in La Realidad verlassen die zapatistischen Familien von San Isidro ihr Dorf in den Montes Azules als Flüchtlinge, um der Konfrontation mit den Behörden auszuweichen und sich näher am Caracol der Region anzusiedeln. Der Rat der Guten Regierung wiederholt jedoch die Warnung, daß jede Zerstörung der Natur und Ausbeutung der Ressourcen auf entschiedenen Widerstand der Indígenas stoßen werde. Die Zivilgesellschaft wird dringend gebeten, die Flüchtlinge zu unterstützen, die damit ihre gesamte Lebensgrundlage erneut verloren haben.
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