2024


19. Jänner 2024:
Die bewaffnete Gruppierung ORCAO überfällt die Bewohner:innen des kleinen zapatistischen Dorfes La Resistencia in der Gemeinde Ocosingo. 28 Personen fliehen, darunter zehn Kinder. Die autonome Grundschule 15 Häuser aus Blech und Holz werden zerstört, Schulbücher verbrannt und ein Dorfladen ausgeraubt.
Zwischen der BAEZLN (Unterstützungsbasis der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung) und der Orcao schwelt seit Jahren ein Konflikt um ein Stück Land, das die beiden Organisationen im Zuge des Aufstands von 1994 gemeinsam besetzten. Im Jahr 2001 akzeptierte die Orcao die Regierungsprogramme der Landprivatisierung, während ihre zapatistischen Nachbar:innen eine Parzellierung des ehemaligen Großgrundbesitzes verweigerten und weiterhin auf der Fortführung von kollektiver Landwirtschaft bestehen. 2020 sind in der Ortschaft Cuxuljá zwei Lagerhallen der BAEZLN ausgeraubt und anschließend niedergebrannt worden. Seither kam es durch Angriffe der Orcao auf die Zapatistas immer wieder zu Vertreibungen, Entführungen und Verletzten.

11. und 12. Februar 2024:
Erneuter Angriff der ORCAO auf die zapatistische autonome Gemeinde Moises y Gandhi im offiziellen Landkreis Ocosingo. Aus 150 Metern Entfernung werden mehr als 100 Schüsse aus hochkalibrigen Waffen abgegeben.
 
14. Februar 2024:
Das mexikanische UN-Menschenrechtsbüro bestätigt, dass Aktionen des Organisierten Verbrechens im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas seit Juni 2021 zur gewaltsamen Vertreibungen von über 20.000 Menschen in der chiapanekischen grenzregion zu Guatemala geführt haben. Zu der von Drogenbanden ausgeübten Gewalt gehören Morde, Verschwindenlassen, Schutzgelderpressung, Zwangsrekrutierung und die allgemeine Kontrolle über das Gebiet.
Mehrere Menschenrechtsorganisationen betonen in einer gemeinsamen Erklärung, die Kämpfe der Organisierten Kriminalität in diesem Gebiet hätten das Ausmaß eines bewaffneten Konflikts. Dazu gehören regelmäßige Gefechte, der Einsatz von Sprengsätzen und bewaffneten Drohnen sowie das Anzünden von Fahrzeugen und Straßenblockaden und die Zwangsrekrutierung von Minderjährigen. Die lokale Bevölkerung werde dazu gezwungen, an Kundgebungen, Blockaden und Auseinandersetzungen zu Gunsten einer der konkurrierenden Banden teilzunehmen.
Ein Schlüsselelement der territorialen Herrschaft sei die Kontrolle über Güter und natürliche Ressourcen. Die über 300 zivilgesellschaftlichen Organisationen warnen, die Organisierte Kriminalität habe sich im Gesundheitswesen, in Regierungsbehörden, der Müllverwertung, Lebensmittelversorgung, in Bildungseinrichtungen bis hin zu Freizeitveranstaltungen eingenistet.

Juli 2024:
Der Bandenkrieg im Grenzgebiet zu Guatemala eskaliert weiter. Die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen der organisierten Kriminalität um die Vorherrschaft in der strategisch wichtigen Region haben sich auf alle 14 Gemeinden der Regionen Frailesca (250.000 Einwohner) und Fronteriza (400.000 Einwohner) ausgeweitet.
Menschenrechtsorganisationen berichten von bewaffneten Zusammenstößen, Straßenblockaden, Zerstörung der Telephon- und Stromleitungen, Zwangsrekrutierungen und Hinrichtungen.
Die mexikanische Regierung spielt die Eskalation der Gewalt in Chiapas wiederholt herunter, und Präsident Andrés Manuel López Obrador bezeichnet Menschenrechtsorganisationen sogar als Regierungsgegner, die gezielt Falschinformationen verbreiten würden. Versuche des Militärs, in die umkämpften Gebiete vorzudringen, scheitern häufig an Blockaden durch Zivilisten, zu denen diese von Mafiagruppen gezwungen werden.

August 2024:
Die zivilgesellschaftliche Organisation "Abejas de Acteal" errichtet ein Friedenscamp im Dorf Nuevo Yibeljoj in der Gemeinde Chenalhó zur Aufnahme von Vertriebenen, die vor Gruppen des organisierten Verbrechens fliehen. Am selben Ort wurde im Jahr 2000 nach paramilitärischen Angriffen ein Flüchtlingslager errichtet. Heute seien die Gemeinden mit der "überbordenden und absurden Gewalt" der kriminellen Gruppierungen konfrontiert, kritisieren die Abejas. Die während der Bekämpfung des zapatistischen Aufstands in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gegründeten Paramilitärs wurden nie entwaffnet. Heute sind in der Region oft dieselben Familien nun in den Mafiagruppierungen aktiv.

Seit Mitte Juli verschärft sich die Krise der Gewalt in der Region Los Altos unweit von San Cristóbal de Las Casas. Schießereien und Fluchtbewegungen sind an der Tagesordnung. Die 212 Einwohner der Gemeinde San José El Carmen in der Gemeinde Pantelhó mussten am vergangenen Sonntag ihre Häuser verlassen. Ende Juli wurden 800 Frauen, Kinder und Männer aus der Gemeinde La Esperanza im benachbarten Chenalhó vertrieben. Kurz zuvor traf dasselbe Schicksal die 108 Einwohner von Tzanembolom, ebenfalls in Chenalhó.
Laut den Flüchtlingen terrorisiert die bewaffnete Gruppierung "Los Herrera" die Region. Diese herrschte in Pantelhó während 20 Jahren mit Gewalt und in völliger Straflosigkeit, bis im Sommer 2021 eine Selbstverteidigungsgruppe namens "El Machete" sie aus der Gemeinde vertrieb. Seither regiert in Pantelhó ein in einer Vollversammlung aller 85 Dörfer gewählter Rat.

Tausend bewaffnete Jugendliche, darunter Dutzende von Frauen, bilden eine Selbstverteidigungsgruppe in Chenalhó, um sich gegen Angriffe des organisierten Verbrechens zu wehren. Die Jugendlichen geben sich als ehemalige Mitglieder der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) aus: "Heute organisieren wir uns und greifen zu den Waffen, um die Bevölkerung von Chenalhó und die Selbstverteidigungsgruppen von El Machete zu unterstützen. Wir werden keine weiteren Attentate, Morddrohungen und Überfälle zulassen. Wir werden uns um unsere Gebiete und unser Volk kümmern. [...] Die Welle der Gewalt durch diese kriminellen Gruppen betrifft zunehmend die gesamte Bevölkerung von Chenaló. Die drei Regierungsebenen haben nichts dagegen unternommen, sie sind nicht gegen sie vorgegangen. Die kriminelle Gruppe Los Herrera, Fracción Tzanembolom, hat diese Verbrechen an unschuldigen Menschen begangen, sie haben in diesem Jahr und in den vergangenen Jahren bereits viele Menschen getötet, und sie werden weiterhin Menschen töten. Sie wurden für das Blutvergießen so vieler Toter nicht zur Rechenschaft gezogen, und wir wollen kein weiteres Massaker wie in Acteal im Jahr 1997".

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