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2009
Ende Dezember 2008 / Anfang Jänner 2009:
In den zapatistischen Gemeinden wird mit dem "Festival der würdigen Wut" der 15. Jahrestags des Aufstands gefeiert. Das zweiwöchige Festival hatte in Mexiko Stadt begonnen, war auf rebellischem Gebiet fortgesetzt worden und geht auf dem Gelände der CIDECI, der Universität der Erde in San Cristóbal, zu Ende.
Kleinbäuerliche und indigene soziale Bewegungen wie die weltweit operierende Organisation "Via Campesina" oder der "Nationale Indigene Kongreß" (CNI) aus Mexiko weisen auf die Notwendigkeit einer auf regionalen Produkten basierenden Ernährung der Menschen und der Abkehr von der exportorientierten Sachzwanglogik des Weltmarkts hin.
Sylvia Marcos, feministische Aktivistin aus Mexiko, hebt hervor, daß der Widerstand der in der EZLN organisierten Frauen erheblich dazu beigetragen hat, daß sich der urbane, akademische Feminismus und der der kämpfenden bäuerlich-indigenen Frauen einander annähern konnten.
Ein weiteres Thema des internationalen Treffens ist neben alternativen Formen von Kultur die Kritik an den herrschenden Medien und die Suche nach einem ethischen Journalismus "von unten für unten".
John Holloway, Soziologe und Autor des Buches ,Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen', betont die Notwendigkeit der Gesellschaften, sich aus ihrer Opferrolle im kapitalistischen System zu befreien, um deutlich zu machen, dass sie "nicht Opfer sondern Menschen sind. Es reicht! Wir werden nichts von niemandem erbitten, wir werden nicht auf die Zukunft hoffen, weil sie nicht einfach so kommt. [...] Wir werden auf eine andere Art leben, die sich weder dem Kapital anpasst noch den Anforderungen der kapitalistischen Produktion unterwirft. Nicht nur durch Demonstrationen, sondern indem wir eine andere Sache aufbauen und die Welt, die wir schaffen wollen, schon jetzt leben. Die ZapatistInnen kämpfen, während sie schon in der Welt leben, die sie erschaffen wollen und die weit über die Welt des Kapitalismus hinausgeht."
Darüber hinaus stellt er bei seiner Betrachtung der internationalen Finanzkrise dar, dass diese auf zwei Arten erklärt werden kann: "Die scheinbar offensichtlichste Erklärung ist, die Verantwortung für die Krise dem Kapitalismus zuzuschreiben und gleichzeitig [...] mehr Arbeitsplätze und Unterstützungsleistungen für die Armen zu fordern und für die Durchsetzung dieser Forderungen auf Führungspersönlichkeiten zurückzugreifen. Die andere Art und Weise mit der Krise umzugehen ist zu sagen, dass es so einfach nicht ist: Wir selbst tragen durch unsere Rebellion die Verantwortung für die Krise. Die Existenz des Kapitals ist abhängig von einer immer absoluteren Unterwerfung im Rahmen der damit einhergehenden entfremdeten Arbeitsverhältnisse. Und die momentane Krise resultiert aus den Wellen der Widerspenstigkeit und Gehorsamsverweigerung der letzten 40 Jahre."
Raúl Zibechi unterstreicht die Entstehung einer neuen Generation sozialer Bewegungen. Dies geschieht zur selben Zeit, in der die Regierungen an Einfluss und Legitimation verlieren, weil sie Versprechen gegenüber der Bevölkerung weder konkret ausgestalten noch umsetzen: "Jedes Mal, wenn ,los de abajo' ("die von unten") vorherrschende Formen der Dominanz brechen, treten andere, verfeinerte und mehr ausgearbeitete Dominanzstrukturen hervor."
Am Morgen des dritten Tages des ,Ersten weltweiten Festivals der würdigen Wut' werden die Stimmen der Menschen gehört, die von Repression in Mexiko betroffen waren und sind. Diese Repressionen sind, so Bárbara Zamora, "ein von der Macht organisierter Akt, um mit Gewalt die politischen und sozialen Aktionen sowie die Verteidigung der Ressourcen und Ländereien der Gemeinden aufzuhalten und zu bestrafen".
Für die politischen Gefangenen ist jeder Tag im Gefängnis "unbeschreiblich": nicht nur wegen der entwürdigenden Tatsache, wegen der Verteidigung ihres Landes eingesperrt zu sein, sondern auch wegen der Qual, getrennt von ihren Familien und Kindern zu sein, die jedes Mal, wenn sie sie besuchen, unzähligen Demütigungen ausgesetzt sind. "Aber sie genauso wie wir müssen den Kampf fortsetzen" erklären die politischen Gefangenen: "Wir geben uns nicht auf, unter Genossen teilen wir unsere Wut und tiefe Verärgerung. Die Macht hat uns erschüttert: an einem Tag Vertreibung und am anderen Tag Mord, Folter und Schläge. Sie tun so, als ob wir nicht atmen, als ob wir nicht unser Recht ausüben, zu denken und als ob wir uns der Paranoia und der Angst unterwerfen".
Xaureme Candelario, Führungspersönlichkeit der Huichol aus der Gemeinde Santa Catarina in Jalisco, klagt in seinem Redebeitrag die bundesstaatliche Regierung von Emilio González (PAN) an. Mit Hilfe der Nationalen Kommission für die Entwicklung der Indigenen Völker (Comisión Nacional para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas) wird beabsichtigt, die Gemeinden, die sich dem Bau einer Strasse widersetzen, zu spalten. Dies geschieht durch Angebote für Baumaterialien und Gemeindeprojekte im Wert von 50 Millionen Pesos.
Bei dem Treffen tritt nach einem Jahr medialer Abwesenheit auch Subcomandante Marcos, Sprecher und Militärkommandeur der EZLN, wieder auf, der die Gelegenheit nutzt, die politische Situation und die Politik der EZLN und weiterer außerparlamentarischer Gruppen aus dem direkten Umfeld zu erläutern. Marcos ruft die anwesenden Aktivisten dazu auf, trotz aller Differenzen einen parteiunabhängigen linken Kampf "gegen den Kapitalismus und für die Menschheit" zu führen. Gleichzeitig bittet er die Anwesenden, nicht nach einer Homogenisierung der sozialen Bewegungen zu streben: "Machen wir aus unserer Stärke keine Schwäche. Daß wir so viele und so verschieden sind, wird uns erlauben, die sich nähernde Katastrophe zu überleben und etwas Neues aufzubauen".
Anfang Jänner 2009:
In der ersten Januarhälfte kommt es zu drei Auseinandersetzungen zwischen Zapatistas und anderen Bauernorganisationen. Zwei Dutzend Personen werden dabei verletzt. Die Konflikte eskalieren insbesondere um die Kontrolle über "ökotouristische" Tourismusattraktionen. Die Aktionen der Zapatistas begannen nach dem Massaker von Chinkultik vom 3. Oktober, wo sechs (nicht-zapatistische) Dorfbewohner nach der Räumung einer besetzten archäologischen Stätte von der Polizei ermordet wurden. Auch der Zugang zu den Ruinen von Palenque wird Anfang Januar für ein paar Stunden von Zapatistas besetzt.
11. Jänner 2009:
Der APPO-Aktivist Ruben Valencia Nunez wird am Weg zum politisch-kulturellem Zentrum "CASOTA" im Zentrum von Oaxaca Stadt von drei Angreifern schwer verletzt. Ruben erleidet mehrere Stichwunden im Hals- und Gesichtsbereich. Dieser Angriff stellt nur die Spitze des Eisberges da und folgt einer langen Reihe von Aggressionen, Einschüchterungen und Verhaftungen gegen Genossen aus den sozialen Bewegungen in den letzten Monaten. Er demonstriert die autoritäre und illegale Strategie des Staates und den Beginn einer neuen, gefährlichen Form von staatlicher Repression, ausgeführt von paramilitärischer Polizei, Paramilitärs und Verbrechern im Dienst der schlechten Regierung von Ulizes Ruiz Ortiz im Stil des schmutzigen Krieges.
31. Jänner 2009:
Der politische Gefangene Abraham Ramírez Vásquez wird von einem schwer bewaffneten Polizeitrupp aus dem Gefängnis in Pochutla, Oaxaca, mitgenommen und taucht erst zwei Tage später im Gefängnis von Miahuatlán wieder auf. Abraham ist führendes Mitglied des Comité por la Defensa de los Derechos Indígenas en Xanica (CODEDI-Xanica) - einer dörflichen Organisation zur Verteidigung der
indigenen Rechte und befindet sich seit Jänner 2005 in Haft.
Damals war er zusammen mit Noel und Juventino Garcia Crúz bei der Verrichtung einer Gemeinschaftsarbeit in seinem Dorf von einem Polizeitrupp angeschossen und wegen angeblichem Mord an einem Polizisten, Entführung und schwerer Körperverletzung verhaftet worden. Trotz eindeutig entlastender Beweise befinden sich die drei CODEDI-Mitglieder seitdem in Untersuchungshaft, d.h. seit nunmehr über vier Jahren.
4. Februar 2009:
Ein Gutachten des Obersten Gerichtshofs stellt schwere Rechtsverletzungen bei der Polizeiaktion in Atenco fest: Der Einsatz der Staatsgewalt war disproportioniert, ineffizient und unverantwortlich. Er erfolgte "auf exzessive, disproportionierte, ineffiziente, unprofessionelle und nachlässige Weise"
Das Vorgehen der Behörden, so heißt es weiter, hat ein negatives Ergebnis, "da es Misstrauen gegen den Staat und Angst vor den Polizeibehörden schürt [.], die ihrerseits einen fruchtbaren Boden für Unsicherheit, Ungerechtigkeit und Straflosigkeit bereiten. Denn wer kein Vertrauen in seine Polizei und Institutionen der öffentlichen Sicherheit hat, wird auch nicht bereit sein, Verbrechen anzuzeigen, und noch viel weniger mit den Behörden zusammenarbeiten, um diese zu verhindern oder aufzuklären".
Weiterhin wird gewarnt: "Es nützt nichts, dass unser Land die Menschenrechte in Gesetzen, Staatsverträgen und Diskursen anerkennt, wenn diese in der Realität verletzt werden - in diesem Fall von Staatsbeamten - und diese Verletzungen, auch wenn sie nicht auf institutionellen Befehl erfolgt sind, ungestraft bleiben und die Opfer keine Gerechtigkeit erhalten".
In einer Aussendung kommentiert die FPDT (Volksfront zur Verteidigung des Landes) das Urteil folgendermassen:
"Bei den schweren Menschenrechtsverletzungen hat es sich nicht um die Tat einzelner Polizisten gehandelt, sondern um eine repressive Aktion im Rahmen einer Staatsstrategie. Das Gerichtsurteil dient somit dazu, die Einrichtung eines Polizeistaates zu legitimieren, wie es in dem wiederholten Einsatz der mexikanischen Armee und der Polizeikräfte in dem so genannten Krieg gegen das Verbrechen zu sehen ist, sowie in der Konfrontation mit den sozialen Bewegungen, bei der Strategien der Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden, um die Bevölkerung zu kontrollieren und zu versuchen, Organisationen wie die Volksfront zur Verteidigung des Landes in Atenco zu vernichten. Mit diesem Urteil wird bestätigt, dass es sich bei der Repression um nichts anderes handelt als um eine Bestrafung der Bevölkerung von Atenco, als eine Bestrafung für unseren Kampf für Land, Gerechtigkeit und Freiheit. [...]
Dieses Gerichtsurteil zeigt die Nutzlosigkeit dieses Regierungsorgans und die beschränkte reflexive Fähigkeit seiner Richter."
Ende Februar 2009:
Die Zapatistas denunzieren neue Überflüge und eine Militäraktion in den Altos von Chiapas, unweit von San Andres Larrainzar, die unter dem Vorwand von Anti-Drogen-Operationen durchgeführt werden. "Man sieht ganz klar, die Regierung hat den Plan, Krieg gegen uns zu führen", so die ZapatistInnen. "Wenn die Armee kommt und die Marihuanapflanzen der Paramilitärs sucht, dann reißen sie immer nur die größten Pflanzen aus, lassen den Rest aber stehen. Sie kommen, um selbst zu ernten. Sie wissen genau, wohin sie gehen müssen, wem welches Grundstück gehört. Diejenigen, die wirklich Marihuana anbauen, bleiben auf freiem Fuß", beschreibt das Kommuniqué der Guten Regierung die Abläufe vor Ort.
4. März 2009:
Marcelino Coache wird in Oaxaca von Personen in Polizeiuniform entführt und gefoltert (Marcelino ist Gewerkschafter und ehemaliger Sprecher der APPO und war sechs Monate in Haft). Tage darauf wird Marcelinos Sohn auf der Straße bedroht und verfolgt. Weitere Übergriffe gibt es auch von Seiten des Militärs: So wird ein Bauer bei einer Kontrolle ins Koma geprügelt, ein Händler an der Küste stundenlang gefoltert.
22. März 2009:
Rund 1'500 Polizisten versuchen vergeblich, eine nächtliche Razzia im Großgefängnis El Amate durchzuführen, müssen wegen der massiven Gegenwehr der Gefängnisinsassen aber wieder abziehen. Am Tag darauf beginnen acht indigene Gefangene einen Hungerstreik. Sie sind in den Campesinobewegungen OCEZ und MOCRI organisiert. Ebenfalls wird die Freiheit des Lehrers Alberto Patishtán Gómez gefordert, der seit 2000 wegen mehrfachen Polizistenmordes sitzt, obwohl er ein klares Alibi hat und aus Rache lokaler Politiker eingekerkert wurde. Früher der PRI angehörig, ist der Tzotzil im Gefängnis zu einem Mitglied der politischen Gefangenengruppe "Voz de El Amate" geworden.
23. März 2009:
Die beiden ehemaligen ERPI-Guerilleros Gloria Arenas Agis und Jacobo Silva Nogales - heute Angehörige der "anderen Kampagne" - sollen weiter in Haft bleiben. Gloria und Jacobo befinden sich wegen "Rebellion" seit neun Jahren in Haft und haben diese Strafe nun eigentlich abgesessen. Anstatt der Freilassung droht die Regierung Calderón nun jedoch mit einer neuerlichen Anklage wegen "illegaler Assoziation".
24. März 2009:
In Guerrero findet eine breite Demo gegen Menschenrechtsverletzungen und Verleumdungen durch die Regierung statt. In den letzten Wochen wurden mindestens sechs Personen vom Militär zum Verschwinden gebracht, darunter ein einfacher Arbeiter aus Tlapa, der seit dem 7. Februar verschwunden ist. In einem anderen Militärüberfall wurden fünf Personen entführt, unter anderem ein Minderjähriger. Die "Koalition der sozialen Bewegungen und Organisationen" denunziert, dass die Verteidigung der Menschenrechte eine Aktivität mit hohem Risiko ist. Unsicherheit, Mafiagewalt und Militarisierung "sind Indikatoren dafür, dass die dunkelste Epoche zurückkehrt: der schmutzige Krieg". Die US-Regierung stellt weitere 185 Millionen Dollar bereit, um im Rahmen des "Plan Mérida" Militär- und Polizeihilfe an Mexiko zu leisten, meist über US-Firmen. "Präsident Barack Obama bewundert den Mut und die Entschlossenheit seines Amtskollegen Calderón in der Konfrontation und Zerstörung der Drogenkartelle. Wir stehen Schulter an Schulter mit ihm in diesem Kampf", tönt es aus dem Weißen Haus.
7. April 2009:
In Tuxtla Gutiérrez werden fünf Männer (Mitglieder der Bauernorganisation MOCRI-CNPA-MN) festgenommen, nachdem sie eine Protestaktion vor dem örtlichen Gefängnis organisieren, in dem ihre Familienangehörigen aufgrund falscher Anschuldigungen festgehalten werden. Die Polizei durchsucht auch die Büros der Organisation und beschlagnahmt Computer, Dateien und Akten, Büromaterial und Geld. Während der Haft werden sie geschlagen, brutal an den Haaren gezogen und bedroht.
8. April 2009:
Im Gefängnis von El Amate kreuzigen sich zwei Häftlinge aus Protest gegen Folterungen während ihres Verhörs. Die beiden Männer binden einander auf Holzkreuze, die sie in der Gefängniswerkstatt gezimmert haben, lassen sich Nägel durch die Hände treiben und erst am Abend von Mitgefangenen wieder losbinden.
Die beiden gehören zu einer Gruppe von 23 Mitgliedern einer Landwirte-Gewerkschaft, die seit zwei Wochen für ihre Freilassung und die Wiederaufnahme ihres Falls demonstrieren. Sie wurden gefoltert, um ihnen Mordgeständnisse abzuringen. Eine Woche davor hatten sich bereits vier der Häftlinge die Lippen zugenäht, acht weitere befinden sich seit zwei Wochen im Hungerstreik.
14. April 2009:
Sechs Männer der zapatistischen Gemeinschaft aus San Sebastián Bachajón im Verwaltungsbezirk Chilón werden in Ocosingo festgenommen, als sie gerade Einkäufe tätigen, in die Hafteinrichtung "Quinta Pitiquito" gebracht, gefoltert und gezwungen, Erklärungen zu unterschreiben, die sie nicht verstanden.
15. April 2009:
Nachdem noch zwei weitere Campesinos der Anderen Kampagne festgenommen werden, organisieren über 100 Aktivisten und Familienangehörige eine Straßenblockade auf der vielbefahrenen Landstraße zwischen Ocosingo und Palenque an der Kreuzung, die zu Agua Azul führt. Die Aktivisten verlangen eine Abgabe und informieren die Autofahrer über den Hintergrund ihrer Blockade.
17. April 2009:
800 Polizisten marschieren auf, woraufhin die Blockade freiwillig aufgelöst wird. Trotzdem greift die Polizei die Demonstranten an, zerstört das kleine Kassenhäuschen der oppositionellen Bauern und entwendet neben Dokumenten und Kleidung 115.000 Pesos; ein enormer Betrag für die bitterarmen Campesinos der Region.
In rund 20 Tageszeitungen werden von der Regierung gleichlautende Artikel veröffentlicht, die die Bauern der "Anderen Kampagne" als gewalttätige Kriminelle abstempeln. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas und zahlreiche Gruppen der "Anderen Kampagne" betrachten die Repression als gefährliche Provokation gegen die EZLN und ihr Umfeld und fordern die sofortige Freilassung der Gefangenen.
Hintergrund des Konfliktes sind Versuche, immer mehr bäuerliches Gemeinschaftsland zu privatisieren, um den lukrativen Tourismus in dieser Region auf Kosten der indigenen Gemeinden auszubauen.
11. Juni 2009:
Eine Delegation von mexikanischen Menschenrechtsorganisationen denunziert die sich rapide verschlechternde Menschenrechtslage in Mexiko in der 11. Sitzung des UNO-Menschenrechtsrates. Insbesondere werden willkürliche Verhaftungen, Folter und das Verschwindenlassen von AktivistInnen in den Staaten Guerrero und Oaxaca angeklagt. Diese Repression finde zudem mit einer institutionalisierten Straflosigkeit statt, die insbesondere auch das Militärs geniesse.
20. & 21. Juni 2009:
327 Delegierte aus 13 verschiedenen Ländern Lateinamerikas sowie BeobachterInnen aus Europa nehmen im Caracol von Morelia am "1. Treffen gegen die Straflosigkeit" teil. Sie kritisieren die staatlichen Justizsysteme als Instrument der kapitalistischen Herrschaftsklasse und betonen die autonome Organisierung von unten.
Bericht vom 1. Treffen gegen die Straflosigkeit
Mitte Juni 2009:
Der Menschrechtsaktivist Diego Cadenas Gordillo, Leiter des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba), wird mehrere Tage lang von Männern in Autos mit getönten Scheiben und ohne Nummernschilder verfolgt und fotografiert.
MenschenrechtsaktivistInnen, denen man auf diese Weise folgte, wurden schon häufig Opfer von Angriffen. Übergriffe werden nur halbherzig untersucht, das übliche Ergebnis solcher Untersuchungen ist Straffreiheit.
5. Juli 2009:
Bei den Parlamentswahlen erleiden PAN (28%) und PRD (12%) ein Debakel. Gewinner sind die PRI (37%) und die rechtskonservativen Grünen, die gemeinsam die absolute Mehrheit der Sitze erringen.
Die ungültigen Stimmen verdoppeln sich auf 6% (in Mexiko Stadt sogar mehr als 10%). Fast 60% der WählerInnen gehen gleich gar nicht zur Wahl.
10. Juli 2009:
Im südmexikanischen Bundesstaat Campeche werden fünf Aktivistinnen und Aktivisten der "Anderen Kampagne", die an der friedlichen Bewegung gegen die überteuerten Stromgebühren teilnehmen, gewaltsam festgenommen. Die Bewegung beteuert, dass die angeblichen Vergehen von der staatlichen Föderalen Kommission für Elektrizität (CFE) "fabriziert" wurden und die Festnahmen daher völlig illegitim sind. Zudem gibt es Haftbefehle gegen über 20 weitere Aktivistinnen und Aktivisten, insgesamt könnten 250 Personen von juristischer Verfolgung betroffen sein. Aus Perspektive der sozialen Bewegungen stellt die aktuelle Repression seitens der Regierung einen Versuch dar, die rasch anwachsende Bewegung einzuschüchtern und zurückzudrängen.
21. Juli 2009:
In Mitzitón eröffnen Vermummte aus einem Wagen heraus das Feuer auf die ansässigen Ejido-Bewohner. Der Tzotzil-Campesino Aurelio Díaz Hernandez wird angefahren und getötet, fünf weitere Indígenas werden schwer verletzt. Die Angreifer gehören der "Armee Gottes" an, die von Pastoren der Kirche "Alas de Águila" geleitet wird.
Sie begreifen sich als "Soldaten", deren Pflicht es ist, "das Wort Gottes zu verkünden". Zu ihren Uniformen gehören grüne Militärkappen mit Rangabzeichen, Tarnhosen und Kampfstiefel. Sie führen Militärübungen durch, studieren die Heilige Schrift und stehen in enger Verbindung mit der PRD.
Bereits in den 80er Jahren wurden in Chamula etwa 30.000 Indígenas durch Kaziken vertrieben, deren Katholizismus den Alkoholkonsum als Teil des Gottesdienstes und die obligatorische PRI-Parteizugehörigkeit beinhaltete. Es gab blutige Morde, verwüstete Gehöfte und niedergebrannte Kirchen.
Hintergrundartikel
13. August 2009:
Rund zwölf Jahre nach dem Massaker von Acteal werden 20 mutmaßliche Täter aus dem Gefängnis entlassen.
Im ersten Prozess habe es juristische Fehler gegeben, urteilt das Oberste Gericht.
Vertreter der Indígenas kritisieren die Entscheidung und warnen vor einem Wiederaufflammen der Gewalt. Die Paramilitärs seien durch das Urteil gestärkt worden, sagt Sebastian Perez Vazquez, Sprecher der "Las Abejas": "Die Überlebenden sind sehr enttäuscht und empört über die Freilassung der Paramilitärs, denn sie alle sind uns als Täter bekannt."
Menschenrechtsvertreter bezeichnen den Entscheid des höchsten Gerichtes als Schritt von der "unperfekten Justiz hin zur perfekten Straflosigkeit".
Gleichzeitig wird die offizielle Darstellung des Massakers von Acteal durch ein nun bekannt gewordenes Telegramm des US-Büros des Verteidigungsattachés in Mexiko an den Verteidigungsnachrichtendienst der USA (Defense Intelligence Agency - DIA) vom 4. Mai 1999 widerlegt. Diesem Telegramm ist zu entnehmen, dass die mexikanische Armee bereits Mitte 1994 vom Präsidenten autorisiert wurde, lokale indigene Gruppen zu bewaffnen und gegen die EZLN einzusetzen. Ein Netzwerk von Geheimdienstagenten wurde eingerichtet, um indigene Gemeinden zu infiltrieren und Informationen über zapatistische "Sympathisanten" zu sammeln. Diese Teams bildeten die Paramilitärs aus, sicherten ihnen aber auch Schutz vor Verhaftungen durch Polizei und militärische Einheiten in der Region.
Das DIA-Telegramm eröffnet zuvor unbekannte Details über die Zusammensetzung und Arbeitsweise dieser Teams, die "hauptsächlich aus jungen Offizieren ... sowie aus einigen ausgesuchten Feldwebeln, die die Dialekte der Region beherrschten," bestanden und "aus drei bis vier Personen zusammengesetzt waren, die bestimmten Gemeinden zugeordnet wurden, um sie für einen Zeitraum von drei bis vier Monaten zu bespitzeln." Danach wurden sie in andere Gemeinden in Chiapas versetzt.
8. September 2009:
Der Rat der Guten Regierung von La Realidad stellt sich hinter die Companeros von Che Guevara, die von regierungstreuen Gruppen mit der Räumung bedroht und gewaltsam angegriffen werden: "Wir werden unser Land verteidigen!"
18. September 2009:
Etwa 60 Männer und Frauen (Mitglieder der regierungsnahen "Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte - OPDDIC") attackieren den Anwalt Ricardo Lagunes mit Steinen, Stöcken und Schusswaffen, als dieser sich nach einer Besprechung in der Gemeinde Jotolá auf den Heimweg machen will. Der Anwalt, der für das international renommierte Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas arbeitet, wird schwer zusammengeschlagen, kann jedoch fliehen, da ihm die Gemeindemitglieder zu Hilfe eilen. Bei der Befreiungsaktion schossen die Paramilitärs in die Menge und treffen den Tzeltal-Indigenen Carmen Aguilar Gómez aus San Sebastian Bachajón in den Oberschenkel.
Der Menschenrechtsanwalt Lagunes hatte sich in Jotolá aufgehalten, um mit den dort lebenden oppositionellen Kleinbäuerinnen und -bauern die juristische Situation zweier inhaftierter Dorfbewohner zu erörtern. Hintergrund der Auseinandersetzungen sind Landstreitigkeiten und umstrittene Entwicklungsprojekte in der Region. Sowohl die chiapanekische als auch die mexikanische Bundesregierung fördern Monokulturen, Autobahnen und Tourismusprojekte in Zusammenarbeit mit multinationalen Konzernen, ohne die jeweils betroffenen Gemeinden zu konsultieren.
10. Oktober 2009:
Präsident Calderón löst die staatseigene "Zentrale Licht- und Stromgesellschaft" (LFC) auf, entlässt über 41.000 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und schafft so de facto die Gewerkschaft der Mexikanischen Elektrizitätsarbeiter (SME) ab – angeblich wegen "zu teurem" Gesamtarbeitsvertrag, ineffizientem Service sowie Uneinigkeit über die Wahl des Gewerkschaftsbosses. Kurz nach Mitternacht wurden 91 der 103 Installationen der LFC von Truppen und Bundespolizei besetzt. Diese Gewerkschaft galt als eine der unabhängigsten und streitbarsten in ganz Mexiko.
16. Oktober 2009:
Laut einem Bericht des UN-Menschenrechtshochkommissariats (UNHCR) wurden in Mexiko im Zeitraum Januar 2006 bis August 2008 128 MenschenrechtlerInnen Zielscheibe von Gewalt.
29. Oktober 2009:
Gloria Arenas und Jacobo Silva Nogales (ehemalige Anführer der Guerilla ERPI) werden nach 10 Jahren Haft und jahrelangen intensiven, auch internationalen Protesten freigelassen.
Gloria und ihr Ehemann Jacobo wurden im Oktober 1999 intern verraten, fälschlicherweise für den Tod eines Unbeteiligten während eines Gefechts zwischen dem ERPI und der Bundesarmee verantwortlich gemacht und in der Haft schwer gefoltert. Die beiden definierten sich selber immer als politische Gefangene und sind heute in der von den Zapatistas initiierten Anderen Kampagne organisiert.
31. Oktober 2009:
Drei Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren werden in der Sierra Coyuca de Catalán ermordet. Die Burschen waren von ihrem Heimatort Puerto las Ollas aufgebrochen, um Dünger zu kaufen.
Hintergrund der Morde ist, dass lokale Kaziken gemeinsam mit den Drogenkartellen und dem Militär die illegale Abholzung der Sierra betreiben. Die Bevölkerung, welche sich gegen den Raubbau an der Natur organisierte, lebt heute eingeschlossen in ihren Dörfern, die Männer schlafen in den Wäldern aus Angst vor nächtlichen Angriffen, ausgesät wird nicht mehr.
14. November 2009:
In einem Strategiepapier der Generalstaatsanwaltschaft entwirft diese die Thesse eines breiten "staatsfeindlichen" Netzwerkes, in dessen Mittelpunkt der katholische Pfarrer Jesús Landín Garciá und José Manuel Hernández Martínez, Leiter der OCEZ-Carranza, stehen sollen. Landín, so der Bericht, soll "in den marginalisierten indigenen Zonen volle Akzeptanz genießen, aufgrund seines radikalen Charakters und seines Diskurses der Ablehnung der festgesetzten Ordnung und der Regierungsinstitutionen". Dazu kommen die üblichen schwachsinnigen Vorwürfe von "Drogenhandel und Menschenschmuggel", mit denen die kürzlich erfolgten polizeilichen und militärischen Aktionen, Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und Straßensperren in den Gemeinden von Carranza und den umliegenden Bezirken gerechtfertigt werden sollen, bei denen u.a. Martínez und andere soziale Aktivisten verhaftet und eingesperrt wurden.
17. November 2009:
Am 16. Jahrestag der Gründung der EZLN protestiert die Kirche von San Cristóbal gegen Verfolgung und Verleumdung von Seiten der Staatsregierung. Anhand der Erfahrungen in den Gemeinden erklären die Gesitlichen: "Der Grund der Verfolgung gegen die Kirche und die Gemeinden von Chiapas sind die Bergbaukonzessionen für ausländische Konzerne, um die unterirdischen Schätze auszubeuten." Weiters protestieren sie gegen die Einmischung von Polizeispitzeln bei Gottesdiensten.
18. November 2009:
In einem Interview nach zehn Jahren Isolationshaft erläutern die Ex-Guerrilleros der ERPI Jacobo Silva und Gloria Arenas ihre Sicht der mexikanischen Realität: Die sozialen Verhältnisse, die sie damals zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes bewogen haben, bestehen ihrer Ansicht nach unvermindert weiter und haben sich zunehmend verschlechtert. Deshalb setzt der mexikanische Staat auf eine repressive Strategie und hat sich mit dem organisierten Drogenhandel verbündet, um die unmittelbar bevorstehende soziale Explosion in Mexiko aufzuhalten.
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