2001


Jahresbeginn 2001:

Zapatistische Mobilisierungen erreichen den Rückzug der mexikanischen Bundesarmee aus zwei ihrer 259 Positionen. Nach der Räumung des umstrittenen Militärcamps von Amador Hernandez am 22. Dezember, gegen das die Dorfbevölkerung seit der militärischen Besetzung im August '99 täglich demonstriert hatte, protestierten am 31. Dezember frühmorgens 700 zum Teil vermummte Zapatistas gegen das Militärcamp von Jolnachoj. Die 200 dort stationierten Soldaten wurden zum unverzüglichen Abzug aufgefordert. Nach einer halbstündigen Kundgebung in angespannter Atmosphäre zogen die Demonstrierenden in das fünf Minuten entfernte Aguascalientes Oventic ab, um dort die Feiern zum siebenjährigen Jubiläum des zapatistischen Aufstandes zu beginnen. Kurz darauf packten die Soldaten ihre Sachen und zogen ab - anscheinend auf direkten Befehl des neuen Präsidenten Fox, der eine Konfrontation mit den Demonstrierenden vermeiden wollte.

Die Freilassung der zapatistischen Gefangenen, ebenfalls eine Vorbedingung der EZLN, kommt langsam voran. Am 30. Dezember wurden 16 freigelassen, aber weitere 85 Gefangene warten auf das Resultat der Haftüberprüfung, die der neue chiapanekische Gouverneur Pablo Salazar angeordnet hat.
Im nationalen Parlament wird das erste Abkommen über indigene Rechte und Kultur in den folgenden Wochen diskutiert werden. Die Erfüllung dieses Abkommens von San Andrés ist der dritte Punkt für die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen. Zur selben Zeit veröffentlicht der Nationale Sicherheitsrat der USA, eine Abteilung des CIA, seinen Bericht "Globale Tendenzen 2015". Nach Einschätzung des CIA steht Lateinamerika einer neuen Bedrohung gegenüber: den indigenen Widerstandsbewegungen: "Diese Bewegungen haben großen Zuwachs zu verzeichnen. Erleichtert wird dies durch transnationale Netzwerke von Aktivisten, die für die Rechte der Indígenas eintreten, durch internationale, gut finanzierte Menschenrechts und Ökologiegruppen". Außerdem sagen die Experten voraus, daß sichdie "Spannungen im Gebiet von Mexiko bis über die Amazonas-Region verschärfen werden". Bereits 1999 hatte das chilenische Militärinstitut "Zentrum für militärische Studien und Untersuchungen" (Centro de Estudios e Investigaciones Militares) einen ähnlichen Bericht namens "Der Konflikt mit den Mapuches und seine Auswirkungen auf die nationale Sicherheit" herausgegeben. Der aktive Widerstand der Mapuches gegen große internationale Konzerne, welche den Indigenen ihr Land rauben und ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstören, hat sich in ein Thema der nationalen Sicherheit verwandelt.

5. Januar 2001:
Im Militärlager Roberto Barrios scheinen die Soldaten von Roberto Barrios auf alles vorbereitet zu sein, außer auf einen Abzug aus diesem Stützpunkt, der im Februar 1996 eingerichtet wurde und weniger als einen Kilometer vom Aguascalientes der EZLN entfernt liegt. Ein doppelter Zaun aus Stacheldraht wurde um das gesamte Militärgelände von Roberto Barrios errichtet: Er schützt die Einrichtungen, verhindert das Eintreten fremder Personen und kennzeichnet das Gebiet, das von der mexikanischen Armee besetzt wird. Nach den Ereignissen von Jolnachoj, wo unbewaffnete Demonstranten die Armee zum Rückzug gezwungen hatten, wurde er zusätzlich verstärkt.
Die Befehlshaber der Militäreinrichtung verweisen auf den Präsidenten: "Der Befehl lautet zu bleiben, zu halten und sich nicht zurückzuziehen", versicherte General Lopez. Pedro, EZLN-Sympathisant meint, daß Präsident Fox die Mexikaner betrügt, wenn er sagt, daß diese Kontrollpunkte nicht länger existierten: "Sehen Sie, hier sind sie, sie überwachen weiter alle Zapatisten, fotografieren die Fremden, und unsere Fahrzeuge werden angehalten und durchsucht, so wie immer. Nichts hat sich verändert."

9. Jänner 2001:
Etwa 69 ehemalige Spitzel, die für die PRI in Chiapas als Mitarbeiter der "Koordination für Information und Politische Analyse" tätig waren, wurden am 4. Jänner bei der Eliminierung des alten Überwachungsapparates durch den neuen Gouverneur Pablo Salazar Mediguchia entlassen. Aus Protest gegen ihre Entlassung verkaufen sie ein Interview an eine Tageszeitung und erzählen, daß die Koordination etwa 90 Mitarbeiter hatte: Vier Rezeptionisten, acht Analytiker zur Informationsauswertung, mehr als 50 "Ermittler" in allen Regionen des Staates und 12 "Sammler", die die täglichen Berichte abfingen. 251 Dossiers mit je mehr als 200 Seiten Umfang bezeugen das Ausmaß dieser Tätigkeit.
Bereits 1993 leiteten diese aus den Gemeinden angeworbenen Agenten Informationen über die Bewegungen bewaffneter Gruppen in Las Margaritas und Ocosingo an die Regierung weiter, die diesen jedoch keine Beachtung schenkte. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die ständige Beschattung von Bischof Samuel Ruiz. Sie infiltrierten sämtliche politische und landwirtschaftliche Organisationen und autonome Gemeinderegierungen und führten detaillierte Berichte über diese Aktivitäten: "Wir erfaßten alles: Märsche, Todesfälle, Konferenzen, interne politische Bewegungen jeder Gemeinde, Wahlergebnisse, einfach alles", erzählt ein ehemaliger Ermittler. Als Stichprobe seines Könnens legt ein anderer Informationen über Subcomandante Marcos' Privatleben vor.

10. Jänner 2001:
Mehr als 20 der 53 "geräumten" Militärbefestigungen in den Gemeinden von Ocosingo, Palenque und Las Margaritas sind in ihre Stützpunkte zurückgekehrt. Die Bewohner der autonomen Gemeinden berichten über erneute Belästigungen und Schikanen der Militärs. Das Schicksal der zwei "verhafteten" Zapatisten der Kooperative "Tierra y Libertad" ist nicht bekannt, in der Gemeinde Primero de Enero wurden die Bewohner von Jawaltón von einer Gruppe Soldaten in Zivilkleidung bedroht. Die Soldaten vergiften das Wasser des Flusses mit Asuntol, einem Desinfektionsmittel für Rinder, und streuen Marijuanasamen auf die Kaffeefelder. In Roberto Barrios werden nachts Militärübungen durchgeführt und Schüsse in Richtung der zapatistischen Gemeinden abgefeuert.
Der Oberbefehlshaber des VII. militärischen Distriktes gibt bekannt, daß sich seit Jänner bereits 500 Soldaten aus Chiapas zurückgezogen hätten, daß die Armee aber weiterhin bleiben würde, um andere wichtige Pflichten "außer" der Bekämpfung der EZLN wahrzunehmen, die da wären: die Bekämpfung des Drogenhandels, der Grenzschutz und der liebevolle Schutz des Naturschutzgebietes von Montes Azules, um die illegale Abholzung zu unterbinden.
Am selben Tag wird die Militärbasis in Cuxulja im Glanzlicht der Öffentlichkeit geräumt. 20 lateinamerikanische Botschafter klatschen gehorsam Beifall. Friedensbotschafter Alvarez strahlt: "Die Regierung spricht nicht mit Worten, sondern Taten". Die Schau stehlen aber die fast tausend zapatistischen Demonstranten, die sich versammelt haben, um gegen die wirkliche Situation zu protestieren. In einem Kommuniqué denunzieren sie die Lügen der Regierung und erinnern daran, daß sie sich nicht gegen die PRI erhoben haben, sondern gegen das System, das sie erniedrigt und dem Vergessen preisgibt. Der Krieg gegen das Vergessen wird weitergehen, bis die Indígenas in Mexiko anerkannt und nie wieder vergessen werden. Es wird keinen Dialog geben, solange die Regierung nicht bewiesen hat, daß sie zumindest die drei Minimalforderungen ehrenhaft erfüllen kann. Ob die Botschafter sich nicht mal den wahren Stand der Militarisierung aus der Nähe ansehen wollten? Antwort: "Das ist im Programm nicht vorgesehen."
Fox verkündet seine Teilnahme am Wirtschaftsgipfel in Davos. Eine großangelegte Medienkampagne soll das Image Mexikos vor den europäischen Partner verbessern.

12. Jänner 2001:
Die zwei verschwundenen Zapatisten der Kooperative "Tierra y Libertad" seien nicht verschwunden, sondern verhaftet worden, wird offiziell erklärt. Ihnen wird zu Lasten gelegt, an einem geplanten Angriff beteiligt gewesen zu sein. Vier weitere zapatistische Gefangene werden freigelassen.
Fast 12.000 indigene EZLN-Sympathisanten fordern in San Cristóbal de las Casas die Erfüllung der drei Forderungen für die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen. In einer der größten Demonstrationen der letzten Jahre mahnen die rebellischen Indígenas: "Sieben Jahre nach unserem Aufstand gegen das Vergessen und dem Rassismus, nach sieben Jahren des Widerstandes und des Kampfes für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle, sagen wir Ihnen, daß der Krieg und der Tod in weiterhin unseren Dörfern leben, weil die Militarisierung und Paramilitarisierung bis heute weitergeht und keine unserer Forderungen erfüllt worden sind".

25. Februar - 28. März 2001:
Mit einer spektakulären Reise der EZLN-Führung nach Mexiko-Stadt wird die Umsetzung der 1996 beschlossenen Verträge von San Andrés gefordert. In einer Phase, in der die Regierung auf Propagandaoffensiven, Zermürbung durch scheinheilige Verhandlungen und militärische Repression setzt, wendet sich die EZLN mit diesem Marsch an die Zivilbevölkerung, um den demokratischen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Hunderttausende Menschen begrüßen die Delegation, die auf ihrem Weg durch die massive Anwesenheit in- und ausländischer Firedensbeobachter geschützt wird, immer wieder Halt in indigenen Dörfern macht und auch am "Nationalen Indigenen Kongreß" in Michiacan teilnimmt.
Den Abschluß der Reise bildet der Auftritt der zapatistischen Comandantes im mexikanischen Kongreß. Als erste Rednerin betont Comandanta Ester die dreifache Unterdrückung der indigenen Frauen.
Sämtliche Reden während des zapatistischen Marsches findet ihr auf der Homepage von Zapapres. Für eine genauere Beschreibung der Reise klickt auf Marsch der indigenen Würde.

19. April 2001:
Neues Massaker der Paramilitärs: Im Bezirk "Venustiano Carranza" überfällt die "Alianza San Bartolomé de Los Llanos" eine Gruppe Landarbeiter, die der BäuerInnenorganisation "OCEZ-Casa del Pueblo" nahestehen. Zwei Bauern können fliehen, acht werden ermordet.

April 2001:
Als Reaktion auf den zapatistischen Marsch verabschiedet die Regierung ein "Autonomiegesetz". Menschenrechtsgruppen, Indigener Kongreß und EZLN lehnen dieses Gesetz vehement ab, da es die Autonomie beschneidet, anstatt sie zu fördern. Der CNI kündigt an, mit der "Wiedergewinnung indigenen Landes" zu beginnen, angefangen mit 5.000 Hektar Land in Potosí Huasteca.
Stellungnahme des CNI.
Die EZLN wirft Fox Verrat und Täuschung vor, fordert die Umsetzung der Vereinbarungen von San Andrés anstatt "dieser Anerkennung der Rechte und Kultur der Großgrundbesitzer" und bricht sämtliche Gespräche mit der Regierung ab.

Mai 2001:
Weiterhin nimmt die Militärpräsenz in Chiapas zu. Die unter Medienrummel geräumten Kasernen und Stützpunkte sind wieder besetzt, Straßensperren und -kontrollen werden wieder errichtet. Neue Straßen sollen die Militärlager am Rande des Lakandonischen Urwalds miteinander verbinden und so den Belagerungsring rund um das zapatistische Gebiet zuschnüren.
In San Pedro de Michoacán beginnen die Einwohner von Guadalupe Tepeyac in aller Stille die Arbeiten zum Wiederaufbau der Gemeinde, aus der sie vor sechs Jahren von der Armee vertrieben wurden.

Juni 2001:
Zum erste Mal gibt das Militär zu, Spezialtruppen zur Aufstandsbekämpfung durch guatemaltekische Kaibiles ausbilden zu lassen, dies der Öffentlichkeit jedoch aufgrund des "schlechten Rufs" der Kaibiles verschwiegen zu haben. Die Kaibiles werden für unzählige Verbrechen gegen die Menschenrechte während des 30 Jahre dauernden Bürgerkriegs in ihrem Land verantwortlich gemacht.

Oktober 2001:
Bei den Regionalwahlen in Chiapas kommt es zu Stimmenthaltungen von knapp 60%. Beobachter berichten von massiven Wahlrechtsverletzungen, gefälschten und verschwundenen Stimmzetteln, Stimmenkauf und Manipulation. Das offizielle Ergebnis bestätigt die absolute Mehrheit der PRI bei leichten Zugewinnen für die Oppositionsparteien.

19. Oktober 2001:
Die Menschenrechtsanwältin Digna Ochoa wird ermordet.