Chronik
eines angekündigten Mordes


Am 19. Oktober 2001 wurde die bekannte Menschenrechts-Aktivistin Digna Ochoa in ihrem Anwaltsbüro in Mexiko Stadt ermordet. Mit zwei Schüssen aus einer halbautomatischen Waffe haben Unbekannte Digna Ochoa regelrecht hingerichtet. Wie die Gerichtsmediziner am 6. November mitteilten, wies der Körper von Digna Ochoa zudem klare Spuren von Folter auf. Die Täterschaft dieses politischen Mordes ist in Militärkreisen zu suchen.

Drohungen werden zu Taten
Ochoa verteidigte sowohl zapatistische Gefangene wie auch ökologisch engagierte Bauern aus Guerrero, die wegen ihres Einsatzes für den Erhalt von Wäldern zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die Anwältin Digna Ochoa arbeitete für das Menschenrechtszentrum Miguel Agustín ProDH und wurde seit 1995 immer massiver bedroht. Einen Tag nach der Ermordung hätte sie zwei Studenten in Untersuchungshaft besuchen wollen, denen die Mitgliedschaft in der Guerillagruppe FARP vorgeworfen wird. Im Sommer 1999 wurde Digna Ochoa entführt, im Oktober darauf überfielen sie Unbekannte zuhause, wo sie acht Stunden lang gefoltert und verhört wurde. Die Täter ließen sie an das Bett gefesselt zurück und öffneten die Gasleitung. Digna Ochoa gelang es, sich zu befreien.
Im August 2000 floh Digna Ochoa vor den massiven Morddrohungen in die USA und mußte ihre Anstellung im Menschenrechtszentrum ProDH aufgeben, nahm ihre Arbeit als Juristin in Mexiko Stadt aber dieses Jahr wieder auf und erhielt nur kurze Zeit nach ihrer Rückkehr neue Morddrohungen.
Die diversen Anzeigen wegen Morddrohungen und Entführung, die das Menschenrechtszentrum Miguel Agustín ProDH in den letzten Jahren einreichte, führten nie zu einer ernsthaften Untersuchung. Auch die Forderungen internationaler Organisationen (bspw. der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Amnesty International) nach effizientem Schutz für die bedrohten MenschenrechtlerInnen konnten die mexikanischen Untersuchungsbehörden nicht zum Handeln bewegen. Dies hat sich auch nach dem Amtsantritt von Vicente Fox vor bald einem Jahr nicht geändert. Jetzt ist es zu spät: Digna Ochoa ist tot.

Repression in Guerrero
Weniger als zwei Wochen vor ihrer Ermordung hatte Digna Ochoa mit Harald Ihmig, einem Verteter von FIAN (First Information Action Network) eine Reise in die Sierra de Petatlán im Bundesstaat Guerrero unternommen, um weitere Fälle von Drohungen seitens der Militärs gegen UmweltschützerInnen aufzuklären. Ochoa hatte sich 1998 der Verteidigung der zwei Campesinos Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera angenommen, die mit Wegblockaden gegen die illegale Abholzung der umliegenden Wälder protestiert hatten. Es gibt Anzeichen dafür, daß ein Zusammenhang zwischen dieser Reise und der Ermordung bestehen könnte. Wie die FIAN Dokumentation bestätigt, hatte Ochoa bei ihrem Aufenthalt in Guerrero illegale Aktionen des Militärs im Zusammenhang mit der Inhaftierung der zwei Ökobauern aufgedeckt.
Beim Besuch von La Noria, wo die Frau des Umweltaktivisten Pilar Martínez Pérez wohnt, der sich im Wald vor Militärs versteckt halten muß, hatte Ochoa versprochen, mehrere Klagen bezüglich illegaler Übergriffe des Militärs an die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) weiterzuleiten. Nur einen Tag nachdem die Anwältin abgereist war, wurden zwei der drei Häuser der Gemeinde von Soldaten verwüstet und geplündert. Neben Geld und Schmuck war auch eine Kopie des Beschwerdebriefs an die CIDH unauffindbar. Ein weiterer Vorfall ereignete sich wenige Tage später in Banco Nuevo, wo Militärs Digna Ochoa an einem Interview mit den ansässigen Bauern zu hindern versuchten. Ochoa und Ihmig konnten die Dokumentation dieser Vorfälle für FIAN fünf Tage vor der Ermordung fertigstellen. "Die Mörder gaben uns nicht viel Zeit, um die Ergebnisse des Besuchs auszuwerten", meinte Ihmig nachträglich.

Präsident Vicente Fox zieht sich aus der Affäre
Der mexikanische Präsident Vicente Fox hingegen ließ sich vier Tage Zeit, um auf die Ermordung Digna Ochoas zu reagieren. Sogar das US-State Department hatte den Mord noch vor dem mexikanischen Präsidenten verurteilt. Letzterer goß noch zusätzlich Öl ins Feuer, indem er die Tat als "einer von vielen Morden, die in Mexico City geschehen" bezeichnete und damit jegliche politische Motivation zu verschleiern versuchte. Zudem hält er daran fest, daß nicht die Bundesanwaltschaft für die Aufklärung des Mords zuständig sei, sondern der Stadtanwalt des sozialdemokratisch regierten Mexico-City, Bernardo Batiz. Auf diese Weise versucht der wendige Fox, sich im Fall Ochoa aus der Affäre zu ziehen.
Die Mörder von Digna Ochoa scheinen sich der Straffreiheit sicher zu sein: Am Tatort wurde ein Schreiben gefunden, in dem weitere Morddrohungen gegen MitarbeiterInnen des Menschenrechtszentrums Miguel Agustín ProDH ausgesprochen werden.

Das Ausland spricht sein Vertrauen aus

Daß solche bestialische Morde mit klarem politischem Motiv auch im Mexiko von heute geschehen, hat System: Der mexikanische Präsident Vicente Fox von der konservativen PAN hat zwar im Wahlkampf Justizreformen und eine Aufarbeitung von verschiedenen Massakern der Vergangenheit sowie des schmutzigen Krieges der Siebziger Jahre versprochen, doch es blieb bei bloßen Versprechen, und auch der Chiapas-Konflikt blieb ungelöst. Die Militärpräsenz in den indigenen Gemeinden Mexikos wird aufrechterhalten, mehrere Leute wurden dieses Jahr von Paramilitärs ermordet. Diese Beispiele und die Ermordung Digna Ochoas zeigen exemplarisch auf, daß sich die Menschenrechtssituation in Mexiko seit dem Amtsantritt von Fox nicht verbessert hat.
Leider hat diese Tatsache keine Konsequenzen für die internationalen Beziehungen Mexikos. Die Europäische Union, mit der Mexiko im Juni 2000 ein Freihandelsabkommen unterzeichnet hat, verurteilte den Mord. Doch es scheint, daß die unverbindlich gehaltene Formulierung der Präambel über Menschenrechte, nämlich daß "die Respektierung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien eine wichtige Voraussetzung darstellen", nicht verschärft wird. Die EU sprach gleichzeitig der mexikanischen Regierung ihr volles Vertrauen aus, daß "die Anstrengungen zur Verbesserung der Menschenrechte weitergeführt werden". Die Ermordung einer engagierten Kämpferin für die Menschenrechte und alle unaufgeklärten Fälle von Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit reichen also nicht aus, damit die Europäischen Union und die Schweizer Regierung ihre Haltung gegenüber der mexikanischen Regierung überdenken.

Rodolfo und Teodoro frei
Nach fast drei Jahren Haft wurden die Ökobauern Rodolfo Montiel und Teodoro Cabrera am 8. November 2001 freigelassen. Die Regierung Fox bestreitet den offensichtlichen Zusammenhang mit der Ermordung von Digna Ochoa drei Wochen früher. Die auf präsidiale Anordnung hin erfolgte Freilassung spricht die Bauernführer auch nicht vom Vorwurf des Drogenhandels frei, sondern reduzierte bloß die Strafe auf ein Maß, das die sofortige Freilassung ermöglichte. Die beiden Bauern, deren Anwältin Digna wahrscheinlich von rechten Militärkreisen ermordet wurde, können allerdings nicht wieder in die Region Petatlán in Guerrero zurückkehren: "Nach Guerrero zurückkehren, wo die Bundesarmee in den Wäldern ist, das wäre eine Rückkehr um zu sterben", meinte Rodolfo Montiel.
Es wird sich zeigen, ob die internationale Empörung über Digna Ochoas Ermordung nur ein Schrei ohne Echo sein wird oder ob Druck geschaffen werden kann, damit der Mord an Digna Ochoa aufgeklärt wird und die Täter bestraft werden. Die Ermordung von Digna Ochoa ist gleichzeitig eine Drohung an alle, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen. Bedrohung schafft ein Klima der Angst, worin sich schlecht kämpfen läßt. Oder wie es Subcomandante Marcos in einem offenen Kondolenzschreiben an die Angehörigen von Digna am 26. Oktober sagte: "Wenn soziale Kämpfer fallen, feiert die Macht, veranstaltet die brillantesten Galas und läßt einige Groschen fallen, damit ihre Almosen Gleichgültigkeit kaufen."