2012


1. Jänner 2012:
Die EZLN feiert den 18. Jahrestag des Aufstands. In San Cristóbal lädt die "Universität der Erde" zum "II. Internationalen Seminar: Planet Erde - antisystemische Bewegungen". Vier Tage diskutieren Intellektuelle und soziale AktivistInnen aus Mexiko, Nord- und Lateinamerika über die aktuellen Herausforderungen für emanzipatorische Kräfte weltweit.
Alle Redner unterstreichen, dass viele antisystemische Bewegungen durch das besondere zapatistische Politikverständnis inspiriert worden sind. Hervorgehoben wird dabei der undogmatische, stets fragende Charakter der Bewegung sowie die Ablehnung der Übernahme der Staatsmacht zugunsten einer radikalen Demokratisierung von unten.
Einigkeit herrschte darüber, trotz aller Schwierigkeiten und Unterschiede die Selbstorganisation voranzutreiben, nicht nur gegen Kapitalismus, auch gegen Patriarchat, Rassismus und Umweltzerstörung. Dazu ist es notwendig, eine klare antikapitalistische Position zu beziehen, sich deutlich vom Parteiensystem zu trennen und das Politikmachen wieder in die Gesellschaft zurückzuholen. Was nach den vielen Reflexionen, Analysen und Vorschlägen weiter zu diskutieren bleibt, ist die Frage, wie eine effektivere Organisierung der ausgegrenzten Mehrheiten vorangebracht werden kann, ohne in orthodoxe Muster zu verfallen, die sich immer wieder als äußerst anfällig für Spaltung, Repression und Korruption erwiesen haben.

Anfang Juni 2012:
Lehrer_innen der Sektion 40 der Lehrergewerkschaft besetzen den Zocalo (Hauptplatz) von Tuxtla Gutierrez, um gegen Änderungen im Schulsystem zu protestieren und die Freilassung des Lehrers Alberto Patishtán Gomez zu erreichen. Alberto Patishtan ist seit 12 Jahren als politischer Gefangener inhaftiert, seit seiner Beteiligung an einem Hungerstreik Ende 2011 wurde er in ein 2000 Kilometer entferntes Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat Sinola verlegt.

1. Juli 2012:
Die Präsidentschaftswahlen enden mit einem Sieg des PRI-Kandidaten Enrique Peña Nieto mit 38,2% vor Andrés Manuel López Obrador (PRD) mit 31,7% und Josefina Vázquez Mota (PAN) mit 25,4%. Die bisherige Regierungspartei wurde also regelrecht abgestraft. Die PRD ist wieder einmal schwer verärgert über den üblichen Wahlbetrug (überhöhte Wahlkampfausgaben, Stimmenkauf, Drohungen, Einschüchterungen, etc.) und erreicht eine Neuauszählung von etwas mehr als der Hälfte der Stimmen. Die Kommunisten, die sich nicht an den Wahlen beteiligten, bezeichnen die Wahl als Farce zur Legitimation der bevorstehenden wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen zu Lasten der Bevölkerung und rufen zum Widerstand auf.
In Chiapas erhält Manuel Velasco Coello von der PVEM (Grüne Partei in enger Zusammenarbeit mit der PRI) 66% der Stimmen und kündigt Pläne zur Wiederaufforstung und zur "Rettung der Bodenschätze" an, hinter denen sich wahrscheinlich eine neue Offensive gegen die Zapatistas versteckt.

20. Juli 2012:
Laut Angaben von Wissenschaftlern gibt es in Mexiko 125 Konflikte aufgrund verschiedener Megaprojekte, die die Umwelt zerstören und u.a. die Lebensräume sowie damit die Existenzgrundlage indigener Völker bedrohen. Einige Beispiele: Durch das Land der Yaqui in Sonora wird ein Kanal geführt, im Siedlungsgebiet der Huicholes finden sich drei Bergbauprojekte, neun Bergbaulizenzen wurden in Naturreservaten vergeben, und eine neue Autobahn von Lerma nach Tres Marías in Zentralmexiko gefährdet das Biosphärenreservat Gran Bosque de Agua, das 35 Millionen Menschen mit Wasser versorgt. Weitere Konflikte gibt es um neun geplante Staudämme sowie vier touristische Großprojekte, je eines davon auf Nahua-Gebiet in Michoacán und im heiligen Land der Huicholes in Nayarit. Vorgesehen sind außerdem große Anlagen für die Bauindustrie (Zement, Asphalt) und die Schweinemast. Gegen alle Projekte regt sich Widerstand in der Bevölkerung, die sich sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene organisiert.

3. August 2012:
Sechs ranghohen Offizieren des mexikanischen Militärs wird Zusammenarbeit mit dem Drogenkartell der Brüder Beltrán-Leyva vorgeworfen. Unter den Angeklagten sind der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Tomás Angeles Dauahare, sowie weitere drei Generäle. Es ist das erste Verfahren gegen ranghohe Militärs wegen Drogenhandels unter Präsident Felipe Calderón und ein herber Schlag für dessen Strategie, die im Wesentlichen auf dem Einsatz der Streitkräfte beruht. Die Polizei gilt als völlig infiltriert und wird deshalb kaum in Antidrogen-Operationen eingesetzt.

Mitte August 2012:
In Spanien wird Rafael Humberto Celaya, von Beruf Anwalt, zusammen mit drei weiteren Personen, darunter einem mutmaßlichen Cousin des Drogenbosses Joaquín "El Chapo" Guzmán, festgenommen. Sie sollen vorgehabt haben, für Guzmáns Sinaloa-Kartell eine Operationsbasis in Spanien aufzubauen. Auf seiner Facebook-Seite lächelt Celaya gemeinsam mit dem kommenden Präsidenten Mexikos, Enrique Peña Nieto in die Kamera. Celaya war von Peña Nieto zum Wahlkoordinator in San Luis Río Colorado ernannt worden und galt als aussichtsreicher Anwärter auf einen Parlamentssitz. Sein Neffe Victor Hugo Celaya ist ein einflussreicher Politiker in San Luis Río Colorado. Der künftige Präsident streitet die offensichtliche Verbindung zur Drogenmafia natürlich ab.

10. August 2012:
Pfarrer Alejandro Solalinde muss sich auf Befehl des Bischofs aus der von ihm im Jahr 2007 aufgebauten Herberge für gestrandete Migranten in Ixtepec / Oaxaca zurückziehen. Solalinde erhielt wegen seines Engagements wiederholt Todesdrohungen. Im Mai ging er für zwei Monate ins freiwillige Exil und besuchte verschiedene europäische Länder. Jetzt wirft Bischof Campos dem Priester vor, er suche zu sehr die Öffentlichkeit. Solalinde sieht einen anderen Grund: Die Kirche gebe "dem Druck des organisierten Verbrechens und einiger Politiker" nach. Er selbst werde dem Befehl des Bischofs natürlich gehorchen, jedoch bei der Kirche kündigen und die MigrantInnen aus dem Laienstand heraus unterstützen.

August 2012:
80 Prozent der sieben Millionen in Mexiko registrierten indigenen Landbevölkerung leben in Armut, mehr als 40 Prozent sind laut einer Studie des mexikanischen Nationalrats für die Bewertung der sozialen Entwicklung von einer extremen Ernährungskrise betroffen. Die Nahrungsunterversorgung sei auf "den Auschluss und die Ausgrenzung" der indigenen Gemeinschaften und die steigenden Preise für Lebensmittel (seit 2005 um 45 Prozent) zurückzuführen. Ramón Gardea, Vertreter der Bauernorganisation Frente Organizado de Campesinos Indígenas prangerte im Januar dieses Jahres den Tod von 50 Rarámuris an, die Selbstmord begangen hatten, nachdem es ihnen nicht gelungen war, Nahrungsmittel für sich und ihre Kinder zu beschaffen.

6. September 2012:
In den Gemeinden Comandante Abel und Unión Hidalgo erscheinen schwer bewaffnete Paramilitärs, feuern Schüsse ab, verwüsten Felder, zerstören Gemeinschaftseinrichtungen und vertreiben etwa 70 zapatistische Familien. Die Täter unterhalten direkte Verbindungen zu Paramilitärs, die unter dem zynischen Namen "Paz y Justicia" (Frieden und Gerechtigkeit) bereits Ende der 90er Jahre für Tod und Vertreibung verantwortlich waren. Die Geflüchteten leiden unter Krankheiten, Mangelernährung und Traumatisierung infolge der Angriffe. Die Zapatisten beschuldigen den Innenminister des Bundesstaates Chiapas, Noé Castañon, die Angriffe verantwortet zu haben. Bereits kurz nach dem Landraub trafen Polizeifahrzeuge mit Baumaterial ein, um ein Camp zum Schutz der Invasoren zu errichten. Paramilitärs und Polizei sollen die Vertriebenen an der Rückkehr in ihre Gemeinden hindern.

19. September 2012:
Ein LKW der mexikanischen Armee mit zehn bewaffneten Soldaten fährt in den Morgenstunden vor das Gebäude der CIDECI – Universität der Erde in San Cristóbal de las Casas und veranstaltet Patrouillengänge mit den Waffen in den Händen und einer demonstrativ bedrohlichen Haltung. Im Gebäude findet zur gleichen Zeit ein Treffen für Nachhaltige Landwirtschaft und Nahrungssouveränität statt. Das CIDECI wurde bereits bei anderen Gelegenheiten von der mexikanischen Regierung bedroht.

5. Oktober 2012:
Die pazifistische Organisation Las Abejas (Die Bienen) aus dem zentralen Hochland meldet, dass auch die paramilitärische Gruppe Mascara Roja (Rote Maske), die 1997 ein Massaker an 45 Menschen begangen hatte, wieder aktiv wird und die Opposition terrorisiert. Las Abejas weisen der Regierung von Chiapas unter Gouverneur Juan Sabines und der Bundesregierung unter Felipe Calderón die Verantwortung für die Gewaltakte zu.

16. Oktober 2012:
Dramatische Ereignisse in Michoacan: Polizeiüberfall auf drei Schulen auf direkte Anweisung vom Gouverneur des Bundesstaates Michoacan (Fausto Vallejo) und Präsident Felipe Calderón als "Antwort" auf die Forderungen der SchülerInnen nach besserer öffentlicher Bildung und besseren ländlichen Lebensbedingungen. Laut Regierungsangaben wurden 200 SchülerInnen festgenommen. Aus Cherán allein wird die Verhaftung von 120 SchülerInnen und 20 Eltern vermeldet. Von den anderen Gemeinden ist unklar, wieviel tatsächlich betroffen sind.
Als Reaktion haben die SchülerInnen, autonomen Gemeindeautoritäten, Gemeindemitglieder und LehrerInnen der Nationalen Lehrergewerkschaft (CNTE) 60 Straßenblockaden errichtet. Eine Autokarawane sozialer Organisationen ist auf dem Weg zur Schule in Tiripetío, mit dem Ziel, die Schule zurück zu gewinnen. Die CNTE LehrerInnen haben einen Streik auf unbestimmte Dauer ausgerufen. In anderen Teilen des Landes haben die Planungen zur Protesten und Solidaritätsbekundungen begonnen.

2. November 2012:
Das UN-Komitee gegen Folter drückt der mexikanischen Regierung gegenüber seine Besorgnis über die Praxis der Folter in dem mittelamerikanischen Land aus. Die Vertreter der Vereinten Nationen kritisieren insbesondere den Einsatz der Armee in Aufgaben der öffentlichen Sicherheit sowie "das Phänomen der gravierenden Strafosigkeit", in welcher die Folterdelikte stattfinden. Einen Bericht der mexikanischen Regierung über Fortschritte beim Folter kontrastierten sogenannte shadow reports, welche 80 Menschenrechtsorganisationen verfasst hatten. Einerseits werden darin Fälle von Folter im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Mafia und den Drogenhandel denunziert, andererseits auch die Folter von politischen Gefangenen, unter anderem in Guerrero und Oaxaca. Die Statistiken über die Praxis der Folter in Mexiko sind besorgniserregend: Unter der Regierung von Felipe Calderón haben sich die angezeigten Fälle von Folter mindestens verfünffacht. Die nationale Ombudsstelle für Menschenrechte hat in den letzten zehn Jahren 7.000 Beschwerden wegen Folter oder unmenschlicher Behandlung entgegengenommen - wobei zu bedenken ist, dass die Dunkelziffer hoch ist, da nur rund zehn Prozent der Gefolterten es auch wagen, Anzeige zu erstatten. Die Staatsanwaltschaft hat im selben Zeitraum 72 Verfahren gegen Behördenvertreter wegen Verdacht auf Folter eröffnet. Keines der Verfahren führte zu einer Verurteilung.

2. Dezember 2012:
Der Amtsantritt des neuen mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto wird von tausenden Menschen mit Sprechchören begrüsst, die ein "Mexiko ohne PRI" fordern. In Straßenschlachten mit der Polizei werden nach Angaben des Roten Kreuzes mindestens 76 Menschen verletzt, mehr als 100 Personen werden festgenommen.

21. Dezember 2012:
Über 40.000 Mitglieder der zapatistischen Unterstützungsbasen marschieren in völligem Schweigen in fünf Städten von Chiapas (Ocosingo, San Cristóbal de las Casas, Palenque, Altamirano und Las Margaritas) ein. Dies ist die größte Mobilisierung der Organisation seit dem bewaffneten Aufstand der EZLN am 1. Januar 1994. An einem Tag, an dem viele das Ende der Welt erwarteten, vollführen die Gemeinden der Unterstützungsbasis der EZLN mit verhüllten Gesichtern eine machtvolle Demonstration von Stärke und Disziplin und trotzen auch dem anhaltenden Nieselregen, der die Mobilisierungen an den verschiedenen Orten den ganzen Morgen lang begleitet.  Geschickt darin schnell aufzutauchen, verschwinden die indigenen Rebellen genauso geordnet und still, wie sie am Morgen in diesen Städten erschienen.

video 1

video 2

22. Dezember 2012:
15 Jahre nach dem Massaker von Acteal, bei dem am 22. Dezember 1997 45 Angehörige der Gruppe "Las Abejas" ermordet wurden, betonen Angehörige der damals betroffenen indigenen Gemeinde, dass die eigentlichen Verantwortlichen des Massakers, das im Kontext der staatlichen Aufstandsbekämpfung zu betrachten sei, nie für ihre Tat belangt wurden. Sie fordern eine bedingungslose Aufklärung und ein Ende der Straflosigkeit. Sie gedenken auch Manuel Vazquez Luna, einer der wenigen Überlebenden des Massakers, der im November dieses Jahres mit 28 Jahren an einem Gehirntumor verstarb. Zur Zeit befinden sich "Las Abejas" in erhöhter Alarmbereitschaft. Seit August 2009 wurden im Rahmen einer Begnadigungsoffensive 50 der 87 verurteilten Paramilitärs aus den Gefängnissen entlassen und sind in ihre Gemeinden zurückgekehrt, die sich in unmittelbarer Nähe zum Ort des Massakers befinden.

Ende Dezember 2012:
Der Konflikt um ein Mega-Windkraftprojekt des Konsortiums Mareña Renovables in San Dionisio del Mar an der Küste Oaxacas eskaliert. Die lokalen Behörden erzwingen durch den Einsatz von Polizei und bewaffneten Zivilisten die formale Zustimmungzu diesem Projekt.
Die Bauerlaubnis war bereits zu Jahresbeginn erteilt worden - allerdings gegen eine Bestechungssumme von 20 Millionen Pesos - und hatte damals zur Abwahl des korrupten Gemeindepräsidenten geführt. Im Verlauf des Jahres verhinderte die oppositionelle Bevölkerung den Baubeginn nach Auseinandersetzungen mit der Polizei, verteidigte das besetzte Regierungsgebäude von San Dionisio und erreichte die richterliche Suspendierung des Projektes, da die Ikoots-Indigenen nicht befragt worden waren. Seither intensivierten die Presse, Unternehmerverbände sowie die Regierung Oaxacas eine Medienkampagne gegen die Dorfbewohner. mehr Infos

29. & 30. Dezember 2012:
Die EZLN kündigt eine Reihe von zivilen und gewaltfreien Initiativen an, um "gemeinsam mit anderen indigenen Völkern Mexikos und ganz Amerikas Widerstand leisten und von links unten zu kämpfen". Die Zapatistas wenden sich an jene sozialen Bewegungen, "die noch ihre Überzeugungen behalten haben und bereit sind, eine linke Alternative jenseits des bestehenden Systems zu schaffen."
Ausserdem antwortet Marcos der mexikanischen Regierung, die die Zapatistas bittet, ihnen Zeit zu geben, sie kennenzulernen.

Comunicado 1: Hier sind wir und mit uns eine andere Form der Politik

Comunicado 2: Wir kennen Sie nicht?

Kommentar: Sie waren nie wirklich weg

Kommentar: Die schweigenden Worte der Zapatisten