1995


10. Jänner 1995:
In fünf Regierungsbezirken von Chiapas werden Rathäuser von unabhängigen Campesinoorganisationen besetzt. Bei Auseinandersetzungen kommt es zu sieben Toten auf Seiten der Campesinos.

3. - 5. Februar 1995:
Das dritte Treffen des Nationalen Demokratischen Konvents findet in Queretaro mit mehr als 4.000 TeilnehmerInnen statt. Erste Schritte zu einer "Bewegung der nationalen Befreiung" werden eingeleitet, die die Zivilgesellschaft mobilisieren und die politische Initiative zur Demokratisierung Mexikos übernehmen soll.

9. Februar 1995:
Fernsehansprache von Zedillo, in der er die angebliche bürgerliche Identität von fünf Zapatisten-Führern enthüllt: Demnach sei Marcos als Rafael Sebastian Guillón Vicente als Sohn einer gutbürgerlichen Familie 1957 in Tampico / Tamaulipas geboren, habe ein Jesuitenkolleg besucht und später in Mexiko Stadt und Paris Soziologie und Kommunikationswissenschaften studiert. Tausende von Soldaten und Polizisten werden ausgeschickt, um diese "Rädelsführer" zu verhaften. Auch Mitglieder der Gegenregierung Avendaño werden nun mit Haftbefehl gesucht. Landesweit werden ca. 30 Menschen festgenommen. Einzelne Ortschaften werden bombardiert.
In Mexiko-Stadt bekunden mehr als 100.000 Menschen ihre Solidarität mit den Aufständischen in Chiapas. Innerhalb einer Woche kommt es zu weiteren drei Großdemonstrationen mit mehreren hunderttausend Teilnehmern und unzähligen kleineren Protestaktionen sowie internationalen Solidaritätsbekundungen.
Die zapatistischen Einheiten ziehen sich in das unzugängliche Innere des Urwaldes zurück. Zehntausende Zivilisten der indianischen Gemeinden fliehen mit ihnen. Aufgrund dieser Taktik kommt es nur zu ganz wenig kleinen Gefechten, eine größere Konfrontation zwischen den beiden Armeen bleibt aus.

19. Februar 1995:
Die Nationale Versöhnungskommission CONAI unter Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz legt einen Friedensplan für die Aufnahme des Dialogs zwischen den Aufständischen und der Regierung vor. Mitglieder einer "Bürgerfront" (Viehzüchter und Großgrundbesitzer) greifen gewalttätig die Kathedrale des Bischofs Ruiz in San Cristóbal an und fordern seinen Rücktritt.

Februar 1995:
Die Flüchtlinge im lakandonischen Urwald sind von Hunger und Krankheiten bedroht. Die EZLN fordert den Abzug der Armee vor der Aufnahme von Friedensverhandlungen. Die internationale Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" teilt mit, es werde ihr nicht erlaubt, Medikamente für die Bevölkerung nach Chiapas zu bringen. Die US-Organisation "Pastoren für den Frieden" erklärt, das Militär plündere die Indios aus und zerstöre Hütten und Felder, vernichte Saatgut und raube Haushaltsgegenstände.

März 1995:
Mehrere Großdemonstrationen zwingen Zedillo, das "Gesetz über Dialog, Versöhnung und gerechten Frieden in Chiapas" zu erlassen. Es besagt, daß für die Dauer der Verhandlungen sämtliche Militäraktionen gegen die EZLN und die von ihr kontrollierten Gebiete eingestellt werden. Erste Dörfer beginnen unter dem Einfluß der Zapatisten mit der Organisation autonomer Gemeinderäte. Sie nennen sich selbst "Gemeinschaften im Widerstand" und erkennen die offizielle Regierung nicht an.

24. März - 2. April 1995:
Die internationale Karawane "Para Todos Todo" (Für alle alles) bringt 180 t Hilfsgüter nach Chiapas. Ende März organisiert sich eine Pilgerdemonstration von 20.000 Menschen zur Unterstützung von Bischof Samuel Ruiz.

April 1995:
Beginn einer weiteren Verhandlungsrunde zwischen der EZLN und der Regierung.
Etwa die Hälfte der geflüchteten Indio-Gemeinschaften sind in ihre (zerstörten) Dörfer zurückgekehrt und erleiden die Repression der immer noch in unmittelbarer Nähe postierten Militäreinheiten.

10. April 1995:
Im Zuge einer Demonstration in Mexiko-Stadt, die sich gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung richtet und Solidarität mit der EZLN bekundet, erinnern mehrere zehntausend Arbeiter und Bauern an die Ermordung des mexikanischen Revolutionsführers Emiliano Zapata vor 76 Jahren. In der chiapanekischen Ortschaft Las Margaritas besetzen Hunderte von indianischen Bauern mehrere öffentliche Gebäude und einen lokalen Rundfunksender.

19. April 1995:
Einen Tag vor den angesetzten Friedensgesprächen zwischen der EZLN und der Regierung demonstrieren Tausende Indígenas ihre Solidarität mit den Zapatisten in San Andrés Larrainzar. Die Regierung spricht von einem Propaganda-Aufmarsch und verzögert den Verhandlungsbeginn um zwei Tage.

28. April 1995:
Soldaten und Polizeikräfte räumen gewalttätig die besetzten Kaffeeplantagen Liquidámbar und Prusia. Die Fincas waren vor neun Monaten von den Plantagenarbeitern und Mitgliedern der Unión Campesina Popular Francisco Villa besetzt worden.

1. Mai 1995:
Mehrere hunderttausend Menschen demonstrieren in der weltweit größten 1. Mai-Demonstration gegen die Regierungspolitik, für Solidarität mit den Zapatisten, für die Freilassung der politischen Gefangenen und für die Beschäftigten der Ruta-100. 1,9 Millionen Mexikaner verloren seit Inkrafttreten des NAFTA-Abkommens im Januar '94 ihren Job. In dieser Zeit kam es zu 50% Reallohnverlust, 66.000 Mexikaner versuchen jedes Monat aufgrund ihrer Armut in die USA zu fliehen.

Ende Mai 1995:
Mehrere hundert Menschen versuchen, das Parlamentsgebäude in Tuxtla Gutiérrez zu stürmen. Bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei werden neun Menschen verletzt. Im Ministerium für soziale Entwicklung des Staates Chiapas in Mexiko-Stadt nimmt die Polizei 90 Indio-Bauern fest, die Kredite beantragen wollten. Im südmexikanischen Bundesstaat Tabasco werden zwei Politiker der PRD ermordet. Seit 1988 sind damit schon mehr als 320 Mitglieder und Anhänger dieser linksgerichteten Partei ermordet worden.

18. Juni 1995:
In Mexiko-Stadt reißt die Serie von Morden im Umfeld der Affäre um die städtischen Busbetriebe Ruta-100 nicht ab. Der ehemalige Bundesrichter Uscanga wird erschossen. Er hatte sich geweigert, Haftbefehle gegen Gewerkschaftsführer der SUTAUR zu unterzeichnen, hatte öffentlich Korruption angeprangert und bei den Ermittlungen zur Pleite von Ruta-100 von massiver Einmischung übergeordneter Justizvertreter gesprochen. Nach Schließung der Busbetriebe war bereits deren Leiter Moreno erschossen worden, danach ein Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft.
Die Verwaltung der Hauptstadt Mexikos hatte im April das öffentliche Personentransportunternehmen Ruta-100 für bankrott erklärt und 14.000 Arbeiter fristlose gekündigt, um die dortige Gewerkschaftsorganisation zu zerschlagen. Daraufhin war es zu massiven Protestaktionen gekommen. Abfindungszahlungen und Neueinstellung in einer neuen privaten Transportgesellschaft wurden von den Arbeitern einhellig abgelehnt.

19. Juni 1995:
In Aguas Blancas im Bundesstaat Guerrero werden 17 organisierte Campesinos von Sicherheitskräften in einen Hinterhalt gelockt und massakriert. Die Polizisten feuern auf zwei Kleinlaster, in denen sich 60 Mitglieder der Bauernvereinigung Organisación Campesina de la Sierra Sur (OCSS) befinden, die auf dem Weg zu einer Demonstration waren. Aufgebrachte Landarbeiter zünden daraufhin das nahegelegene Rathaus der Stadt Coyuca de Benftez an und forderten den Rücktritt des Gouverneurs des Staates Guerrero. Rücktritte und Entlassungen von untergeordneten Beamten folgen. Die Hintergründe, insbesondere die politische Verantwortung für die durch eine Videoaufnahme an die Öffentlichkeit gelangten Geschehnisse, bleiben ungeklärt. Innerhalb von 10 Tagen werden in Guerrero 36 Menschen ermordet.

8. August 1995:
Großdemonstration von fast 200.000 Menschen vor dem Nationalpalast in Mexico City anläßlich des ersten Jahrestags des ersten Nationalen Demokratischen Konvents in der Selva Lacandona.

August 1995:
1,3 Millionen Menschen nehmen an der ersten "Nationalen Befragung für den Frieden und die Demokratie" teil.

4. September 1995:
Die Menschenrechtsorganisation "Fray Bartolomé de las Casas" beschuldigt Angehörige der Polizei von Chiapas und Anhänger der regierenden PRI in der Ortschaft Nuevo Limar 15 Häuser von Mitgliedern der Oppositionspartei PRD niedergebrannt und 25 Geiseln genommen zu haben.

Ende Dezember 1995:
In vier neuen Aquascalientes feiern die Zapatisten mit Teilen der sympathisierenden Zivilgesellschaft den zweiten Jahrestag des Beginns des Aufstandes. Unterstützungsgruppen richten in der Hauptstadt und in der nördlichen Grenzstadt Tijuana zwei weitere "Aquascalientes" ein.