1994


1. - 12. Jänner 1994:
Am selben Tag, an dem der NAFTA-Vertrag (Freihandelsabkommen zwischen der USA, Kanada und Mexico) in Kraft tritt, besetzen mehr als vierhundert Männer und Frauen der EZLN in den frühen Morgenstunden die Bezirkshauptorte San Cristóbal de las Casas, Ocosingo, Altamirano, Las Margaritas, Oxchuc, Huixtán, Abasolo, Chanal und Larráinzar im Bundesstaat Chiapas in Südosten Mexikos. Sie fordern die Wahrung der Rechte der indigenen Ureinwohner, den Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und eine tiefgreifende Demokratisierung der Gesellschaft. Einer ihrer Kommandanten berichtet der Bevölkerung von der Gefangennahme des Gouverneurs von Chiapas, von der Verteilung erbeuteter Lebensmittel und Medikamente, der Befreiung von Gefangenen aus den örtlichen Gefängnissen und von in Gemeindehäusern versteckten Waffen.
Am ersten Tag scheint die Bundesarmee wie gelähmt - danach kommt es zu Bombarierungen indianischer Dörfer durch Kampfflugzeuge und Massakern an eingekreisten zapatistischen Truppen und der Zivilbevölkerung.
Zunächst macht die Regierung unter Präsident Salinas neben mexikanischen Aufrührern eine ausländische Gruppe für die Rebellion verantwortlich, muß aber bald zur Kenntnis nehmen, daß die Indígenas selbst zu den Waffen griffen und in weiten Teilen der Bevölkerung große Unterstützung finden.
Großdemonstration in Mexico City und weltweite Proteste gegen den Armee-Einsatz. Am 12. Jänner beugt sich die Regierung dem Druck und erklärt einen Waffenstillstand.

14. Jänner 1994:
Bischof Samuel Ruiz wird von beiden Seiten als Vermittler anerkannt.

16. Jänner 1994:
Präsident Salinas stellt ein Amnestiegesetz für EZLN-Mitglieder vor, die bereit sind, ihre Waffen abzugeben. Die EZLN reagiert mit einem Kommuniqué mit dem Titel "Wer muß um Verzeihung bitten, und wer kann sie gewähren?"

Februar 1994:
Friedensgespräche und Verhandlungen zwischen der Regierung durch den Friedensbeauftragten Manuel Camacho und der EZLN unter der Vermittlung von Samuel Ruiz, Bischof von San Cristóbal. Die EZLN legt einen 34-Punkte-Katalog mit ihren Forderungen vor. Die Regierung macht daraufhin zwar materielle Zugeständnisse, geht jedoch nicht auf Demokratisierungsvorschläge ein. Die EZLN zieht sich zur Beratung der Ergebnisse durch die Dorfgemeinden in den Urwald zurück.
Mehr als hundert Campesino- und Indianerorganisationen schließen sich zu einem Bündnis (CEOIC) zusammen, um für das Recht auf Land zu kämpfen. In den folgenden Wochen und Monaten entwickelt sich eine beispiellose Landbesetzerbewegung, die bis zu 400 Ländereien besetzt hält.

16. Februar 1994:
Freilassung des entführten Ex-Gouverneurs von Chiapas, Absalón Castellanos. Die ursprüngliche Strafe wird umgewandelt und Castellanos dazu verurteilt "bis ans Ende seiner Tage mit der Schande zu leben, von denjenigen Vergebung und Güte erfahren zu haben, die er so lange Zeit erniedrigt, verschleppt, vertrieben, beraubt und ermordet hat" .

23. März 1994:
In Tijuana wird der PRI-Präsidentschaftskandidat Luis Donaldo Colosio erschossen. Die Version des verrückten Einzeltäters glaubt kaum jemand, alle Anzeichen deuten auf interne Machkämpfe der Regierugnspartei als Motiv hin. Ersatzkandidat wird der ehemalige Bildungsminister Ernesto Zedillo.

4. Juni 1994:
Drei junge Tzeltal-Indianerinnen werden durch Angehörige der Streitkräfte vergewaltigt und mißhandelt - bis heute wurde keinem der beteiligten Soldaten der Prozeß gemacht.

10. Juni 1994:
Die EZLN teilt mit, dass sich die Basis mit großer Mehrheit, nämlich 98%, gegen das Abkommen mit der Regierung entschieden habe.

13. Juni 1994:
Die "Karawane der Karawanen" - ein Solidaritätskonvoi aus nicht-staatlichen Organisationen und studentischen Initiativen des ganzen Landes - durchbricht zum erstenmal den militärischen Absperrgürtel und bringt der EZLN gespendete Lebensmittel, Bücher und Medikamente.

6. - 9. August 1994:
Die EZLN lädt zum ersten Treffen des "Nationalen Demokratischen Konvents" in das neu errichtete "Auguascaliente" nahe der Gemeinde Guadalupe Tepeyac. Mehr als 6.000 Teilnehmer der zivilen Gesellschaft beraten über die Demokratisierung des Landes.

21. August 1994:
Nach massivem Wahlbetrug verkündet die PRI ihren Kandidaten Ernesto Zedillo als Sieger der Präsidentschaftswahlen in Mexico.

10. Oktober 1994:
Wegen zunehmenden Truppenbewegungen der Bundesarmee, verstärkten Flügen der Luftwaffe über Zapatistengebiet und Provokationen durch militärische Stoßtrupps gibt die EZLN den endgültigen Abbruch der Gespräche mit der Regierung bekannt.

12. Oktober 1994:
Anlässlich des 500. Jahrestages der Entdeckung Amerikas gibt es zahlreiche Demonstrationen und Protestaktionen. Die CEOIC ruft zur Gründung "autonomer Territorien" in Chiapas auf. Über 30 von insgesamt 110 Bezirken in Chiapas folgen dem Aufruf und erklären ihre politische Autonomie. Eine Gegenregierung unter dem "Gouverneur in Rebellion" Amado Avendaño wird aufgestellt.

4. - 5. November 1994:
Zweites Treffen des Nationalen Demokratischen Konvents in San Cristóbal de las Casas mit 1.500 Teilnehmern.

17. November 1994:
Subcomandante Insurgente Marcos erhält bei einer indianischen Zeremonie den Oberbefehl über die zapatistischen Truppen.

8. Dezember 1994:
Gleichzeitig mit dem von der PRI eingesetzten Gouverneur für Chiapas tritt auch der Oppositionskandidat Amado Avendaño sein Amt an - die befürchteten Zusammenstöße bleiben zunächst aus. Beginn der "rebellischen Volksregierung" mit Sitz in San Cristobal. Die hinter Avendaño stehende Demokratische Staatsversammlung des chiapanekischen Volkes (AEDEPCH) erklärt 58 Gemeindebezirke einschließlich des Territoriums der EZLN "zum friedlichen aufständischen Gebiet".

19. Dezember 1994:
Die Zapatisten durchbrechen zum erstenmal seit Jänner den Belagerungsring und besetzen am frühen Morgen für einige Stunden 38 Landkreiszentren. In den vorangegangenen 10 Tagen haben mehr als tausend Kämpfer der EZLN den Absperrgürtel der Bundesarmee unbemerkt durchbrochen. Als das Militär dort einrückt, ziehen sie sich zurück. Es kommt zu keinen bewaffneten Zusammenstößen.