2013


16. Jänner 2013:
Internetaktivisten, die sich selbst als Teil des internationalen Netzwerks Anonymous bezeichnen, greifen die Website des mexikanischen Verteidigungsministeriums (Sedena) an. Insgesamt drei Mal gelingt es ihnen, eine Videobotschaft auf die offizielle Homepage zu laden, welche jeweils über mehrere Minuten für die Besucher sichtbar ist. Das Video zeigt Bilder der Vereidigung Enrique Peña Nietos als Präsidenten am 1. Dezember, der diese begleitenden Krawalle sowie Szenen aus Charlie Chaplins Film "Der große Diktator". Dazu liest eine Stimme aus dem Off das "Zapatistische Manifest von Anonymous" vor, welches Teile der "Vierten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald" vom 1. Januar 1996 beinhaltet: "Wir kämpfen für Gerechtigkeit, und die schlechte Regierung füllt sich mit Kriminellen und Mördern. Wir kämpfen für den Frieden, und die schlechte Regierung antwortet mit Krieg und Zerstörung". Abgeschlossen wird die Botschaft durch die für Anonymous typischen Sätze: "Wir sind Anonymous. Wir sind Legion. Wir vergeben nicht. Erwartet uns!"Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die Internetpräsenz über andere Adressen umzuleiten, deaktiviern die Verantwortlichen die Website schließlich komplett. Neben dem Sedena werden auch die Websites der mexikanischen Marine und des Geheimdiensts CISEN Opfer von Cyberattacken.

17. - 20. Jänner 2013:
In der Gemeinde Capulálpam de Méndez in der Sierra Juárez (Oaxaca) findet das emxoamerikanische Treffen "Ja zum Leben, nein zum Bergbau" statt, bei dem 500 Delegierte aus 12 Ländern die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Bergbauindustrie in Zentral- und Nordamerika diskutieren und Erfahrungen über den Widerstand austauschen. Artikel

23. Jänner 2013:
Die Anführer autonomer regionaler Bauernorganisationen aus über 20 Bundesstaaten initiiern einen kollektiven Hungerstreik vor dem symbolträchtigen Denkmal des Unabhängigkeitsengels in Mexiko-Stadt. Damit beginnt eine neue Phase des Kampfes gegen die Aussaat von gentechnisch verändertem Mais in Mexiko. Entgegen den am Vortag mit der Stadtverwaltung getroffenen Vereinbarungen wurde ein direkter Zugang zu dem Monument durch ein massives Polizeiaufkommen verhindert. Alberto Gómez Flores, Sprecher des Dachverbandes der Autonomen Regionalen Bauernorganisationen (UNORCA): Es ist bezeichnend, dass den Bürgern der Zugang zu dem Monument verweigert wird, während der Staat Konzernen wie Monsanto, Du Pont und Pioneer Dienste erweist." Der Hungerstreik soll zugleich daran erinnern, dass täglich Millionen Mexikaner hungrig zu Bett gehen.

28. Jänner 2013:
Die Staatsanwaltschaft Guatemalas eröffnet mehr als 30 Jahre nach den Taten die Verhandlungen gegen den ehemaligen guatemaltekischen Diktator Ríos Montt und seinen Direktor des militärischen Geheimdienstes Rodríguez Sánchez wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Diktatur von Ríos Montt war laut UN Wahrheitsbericht eine der schlimmsten Zeiten des 36jährigen Bürgerkrieges. Es fanden mehr als 250 Massaker an der indigenen Bevölkerung statt, mehr als 25.000 Menschen starben.
Ríos Montt ist der erste zentralamerikanische Diktator, der sich vor Gericht für die Delikte Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss. Bis 2012 schaffte er es, einer Anklage aufgrund der während seiner 17monatigen Dikatur (März 1982 bis August 83) angeordneten Gräultaten zu entgehen. Der heutige Beschluss ist somit von transzendentaler Bedeutung und ein wichtiges Signal, nicht nur für die guatemaltekische Gesellschaft und die Überlebenden.

Ende Jänner 2013:
Mehr als 10.000 Katholiken sammeln sich in San Cristóbal zu einem Pilgermarsch, um an den zweiten Jahrestag des Todes von Samuel Ruiz García, dem ehemaligen Bischof von San Cristóbal (1960-2000), zu erinnern. Sie begrüssen den Schweigemarsch der EZLN als "unmissverständliches Zeichen ihres Willens für den Frieden", kritisieren den von der mexikanischen Bundesregierung angekündigten "Kreuzzug gegen den Hunger" und zwei geplante Staudämme im Hochland von Chiapas. Bereits bei früheren Gelegenheiten hatten die katholischen Basisaktivisten Pilgermärsche in San Cristóbal durchgeführt, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Februar 2013:
Erneute Auseinandersetzungen in der Gemeinde Álvaro Obregón (Oaxaca) zwischen Polizei und mehrheitlich indigenen Einwohnern, die sich dem Bau eines Windparks widersetzen. Während insgesamt drei gewaltsamen Konfrontationen versuchen Einheiten der mexikanischen Bundespolizei, sich Zugang zum kommunalem Land des 7.000-Einwohner-Dorfes zu verschaffen, wovon sie von mehreren hundert Gemeindemitgliedern abgehalten werden.
Seit einem Jahr verfolgt die Firma "Mareña Renovables" das Ziel, hier den größten Windpark Lateinamerikas zu bauen. Die Gegner des Industrieprojektes befürchten bei dessen Bau fatale ökologische Auswirkungen auf die angrenzenden Lagunen.
Inzwischen gibt es einen richterlich angeordneten Baustopp wegen des Verdachts auf Bestechung lokaler Politiker bzw. die Drohung von Mareña Renovable die angekündigten Investitionen in Höhe von 700 Millionen US-Dollar zurückzuziehen, " falls die mexikanische Regierung nicht Recht und Ordnung geltend mache" (Aufsichtsrat-Vorsitzender Jonathan Davis). Daraufhin kam es zu erneuten Morddrohungen gegen eines der bekanntesten Mitglieder des Widerstands, den Grundschullehrer und Gewerkschaftsaktivisten Rodrigo Flor Peñaloza, der die Gemeinde mittlerweise verlassen hat.

Februar 2013:
Ein neuer, 176-seitiger Bericht von Human Rights Watch dokumentiert knapp 250 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen aus der Amtszeit von Calderón, an denen staatliche Sicherheitskräfte beteiligt waren. Die gekidnapten Personen wurden nicht selten "zur weiteren Verwendung" an Mitglieder von Dorgenkartellen ausgeliefert.
Bericht auf Englisch / Bericht auf Spanisch

21. Februar 2013:
Human Rights Watch präsentiert den Sicherheitsbericht "Mexico’s Disappeared: The Enduring Cost of a Crisis Ignored". Der Bericht dokumentiert während der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Felipe Calderón von 2006 bis 2012 fast 250 Fälle vermisster Personen, in 149 Fällen mit überzeugenden Beweisen dafür, dass diese Personen unter staatlicher Beteiligung gewaltsam verschleppt worden waren. Beteiligt waren sämtliche Bereiche der Sicherheitskräfte: Armee, Marine, föderale und lokale Polizei. Teilweise waren die Verbrechen genau geplant und koordiniert, teilweise handelte es sich um Zusammenarbeit staatlicher Akteure mit organisierten Banden. In keinem der dokumentierten Fälle wurden die für die Verschleppungen verantwortlichen Personen verurteilt.
Die Dunkelziffer der verübten Verbrechen ist um einiges höher: Selbst Staatsanwaltschaft und Innenministerium gehen von 25.000 Menschen aus, die in den letzten 6 Jahren "verschwunden" sind.
Human Rights Watch fordert daher:
- eine umfassende und fehlerfreie nationale Datenbank über verschwundene Personen und nicht identifizierte menschliche Überreste aufzubauen;
- die Militärjustiz zu reformieren, damit mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen, darunter das Verschwindenlassen von Zivilisten durch Soldaten, untersucht und strafrechtlich im Rahmen eines zivilen Verfahrens verfolgt werden;
- die Definition des Verschwindenlassens in den Bundes- und Landesgesetzen zu reformieren, damit die diesbezüglichen Gesetze einheitlich sind und im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards stehen;
- eine Präsidentenverfügung zu erlassen, die vorschreibt, dass alle Inhaftierten unverzüglich der Staatsanwaltschaft vorgeführt werden müssen und unter keinen Umständen zu militärischen Anlagen, Polizeistationen oder illegalen Haftanstalten gebracht werden dürfen.
Das erzwungene Verschwindenlassenist nach internationalem Recht ein "fortlaufendes" Verbrechen: Es ist andauernd und fügt den Familien des Opfers solange weiterhin Leid zu, wie das Schicksal der vermissten Person unbekannt ist. "Das Verschwindenlassen mag zwar während Calderóns Präsidentschaft begonnen haben, es endet jedoch nicht mit seiner Amtszeit", so Vivanco, Direktor der Lateinamerika-Abteilung von Human Rights Watch: "Tausende werden noch vermisst. Soldaten und Polizisten verheimlichen die Wahrheit über diese Schicksale. Und die Familien der Opfer leiden weiter, nicht wissend, wie es ihren Angehörigen ergeht."

26. Februar 2013:
Nach einem Bericht der Nationalen Kommission für Menschenrechte (CNDH) sind seit dem Jahr 2000 13 JournalistInnen verschwunden, 76 wurden ermordet. "Oft werden sie grausam verstümmelt. Die Behörden gehen den Morden selten nach, kaum ein Täter wird bestraft", schreibt Reporter ohne Grenzen. Dazu kommen 33 bewaffnete Angriffe auf Medieneinrichtungen, sei es mit schweren Feuerwaffen oder explosivem Material. Unklar ist, in wie vielen Fällen das organisierte Verbrechen oder der mexikanische Staat selbst verantwortlich sind.
Bezüglich der Opfer des "Drogenkriegs" der Regierung Calderon (2006 – 2012) gibt es unterschiedliche Zahlen: Die Regierung selbst spricht von 47.500, Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong von 70.000 Toten, während die regierungsunabhängige NGO Líbera von 116.000 Toten berichtet.

März 2013:
Die Zapatistas kündigen an, sich in nächster Zeit ganz auf die Vorbereitungen und die Durchführung eines Schulprojektes konzentrieren, mit dem auch ein neuer Prozess des Austauschs zwischen der EZLN und anderen politischen Bewegungen und Organisationen initiiert werden soll. Im August diesen Jahres die sogenannte zapatistische "Kleine Schule" für die der Bewegung nahe stehende Gruppen und Einzelpersonen eröffnet wird. In allen fünf Caracoles werden indigene Basisaktivisten als Lehrer in Schulklassen von ihren Erfahrungen des zapatistischen Autonomieprojekts aus den letzten Jahren berichten. Die Kommunikation und die Diskussion rund um das Thema der Kleinen Schule wird fortan der neu ernannte Subcomandante Moisés übernehmen. Der Tzeltal-Indigene kämpft bereits seit 1983 in den Reihen der Zapatisten und hat die Funktion des "Rektors" inne. Obwohl sich die Guerilla fast ausschließlich aus Indigenen zusammensetzt, ist er der erste mit dem Rang eines Subcomandanten.

März / April 2013:
In zahlreichen Bundesstaaten kommt es erneut zu Zusammenstößen zwischen Bürgerwehren und Vertretern der staatlichen Sicherheitskräfte sowie des organisierten Verbrechens gekommen, vor allem in Guerrero, wo seit Januar eine Welle von Neugründungen der so genannten Gemeinde-Polizei zu beobachten ist. Alleine über die Osterfeiertage informierten sieben Gemeinden darüber, dass sie neue Bürgerwehren gegründet haben.
In der Nähe von Acapulco setzten Selbstverteidigungsgruppen mehrere mutmaßliche Entführer fest, nachdem Nachbarn in dem Ort Xaltianguis zwei Fahrzeuge mit etwa zehn bewaffneten Personen beobachtet und um Hilfe gebeten hatten. Daraufhin mobilisierte die "kommunitäre Polizei" bis zu 400 Personen, lieferte sich ein längeres Feuergefecht mit den Verdächtigen und beschlagnahmten mehrere Fahrzeuge, zahlreiche Waffen, Munition und Uniformen. Zwei der "Festgenommenen" wurden anschließend den Behörden übergeben.
Im Bundesstaat Tabasco bekannte sich die Gruppe "Vereinigt gegen das Verbrechen" dazu, fünf mutmaßliche Mitglieder der Mafiagruppe Los Zetas erschossen zu haben. "Raus mit allen, die die Gesellschaft vergiften und auch mit den Polizisten, die dieses Übel decken", erklärten die anonymen Täter ihre Motive.
In Michoacán setzten Selbstverteidigungsgruppen über 40 Militärs für mehrere Stunden fest, die versucht hatten, die örtliche Bürgerwehr aufzulösen.
In Guerrero besetzten Mitglieder einer Gemeinde-Polizei die Kleinstadt Tierra Colorada und "verhafteten" den dortigen Polizeichef sowie 18 seiner Mitarbeiter, nachdem zuvor in der Nachbarschaft ein Kommandant der Selbstverteidigungsgruppen ermordet worden war. Bericht
Bei einem Besuch in Mexiko-Stadt erklärte unterdessen ein Sprecher der Regionalen Koordinierung der Gemeindeautoritäten (CRAC) im Bundesstaat Guerrero, Eliseo Villar Castillo, die staatliche Sicherheitspolitik für gescheitert und rief die Bürger des Landes auf, sich ihrer Bürgerbewegung anzuschließen. "Dort wo es keine kommunitäre Polizei gibt, gehen die Erpressungen, Entführungen und Morde weiter. Die Regierung ist nicht in der Lage, die Situation zu kontrollieren, weil ihre Sicherheitskräfte mit dem organisierten Verbrechen konspirieren", so Eliseo Villar Castillo.

3. April 2013:
Zusammenstößen zwischen Polizisten und Gegnern eines Windparkprojektes fordern in Playa Vicente, Oaxaca 32 verletzte Polizisten – zwei davon schwer – und elf verletzte Anwohner. Zur Eskalation kam es als Polizeikräfte versuchten, sieben Fahrzeuge und Baumaschinen, welche von lokalen Windparkgegnern besetzt wurden, den Eigentümern zurückzugeben. Die Gegner des geplanten Windparkprojekts argumentieren, dass die Gemeindeländereien widerrechtlich privatisiert und dem spanischen Unternehmen Gas Natural Fenosa verpachtet wurden. Seit dem 25. Februar versperren sie deshalb den Konstrukteuren des drittgrößten Windparks Lateinamerikas den Zugang zur Meereslagune südlich es Ortes Juchitán.
In den Tagen zuvor hatte die Gewalt gegen die Aktivisten gegen die Windparks und auch gegen Journalisten massiv zugenommen: Der Radioreporter Filiberto Vicente Aquino vom Gemeinderadio in Santa María Xadani und Mariano López, der Sprecher der "Versammlung von Juchitán" erhielten Morddrohungen. Mehrere Journalisten und zahlreiche Aktivisten in San Mateo del Mar wurden illegal festgehalten. Das in Juchitán ansässige Gemeinderadio Totopo wurde von Bewaffneten gestürmt, die Computer und Sendeanlage entwendeten und den Strom unterbrachen.

10. April 2013:
Zum 94. Todestag von Emiliano Zapata erlebt der Bundesstaat Guerrero eine der größten Demonstrationen der jüngeren Geschichte erlebt: 60.000 Personen demonstrieren in der Regionalhauptstadt Chilpancingo gegen die Strukturreform im Schulwesen, die von den drei großen Parteien im mexikanischen Parlament und der Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto ohne Konsultation der Lehrerschaft durchgesetzt wurden. Im Anschluss an den "Megamarsch" geben die sozialen Organisationen die Bildung des Aktionsbündnis Volksbewegung Guerreros (Movimiento Popular de Guerrero, MPG) bekannt. Regierung und Medien reagieren äußerst nervös, insbesondere seit Anfang der Woche eine Gruppe von 50 Dorfpolizisten der autonomen Gemeindepolizei friedlich, aber mit ihren Flinten bewaffnet an einer Demonstration in Chilpancingo teilnahmen.
Auch in Guerrero kam es zu Demonstrationen gegen die Bildungsreform und zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen protestierenden Lehrern und der Polizei, nachdem rund 1.500 Polizeikräfte begannen, die Blockade der Autobahn zwischen Mexiko-Stadt und Acapulco gewaltsam aufzulösen. Dabei wurden fünf Lehrer festgenommen, und es kam zu insgesamt 14 Verletzungen auf beiden Seiten.

24. April 2013:
Juan Vázquez wird von Unbekannten mit sechs Schüssen in seinem Haus in San Sebastián Bachajón regelrecht hingerichtet. Vázquez war seit Jahren als Aktivist im Umfeld der EZLN aktiv und engagierte sich als Unterstützer der "Sechsten Deklaration aus dem Lakandonischen Regenwald" für eine zivile, außerparlamentarische Neuordnung der mexikanischen Gesellschaft gegen Rassismus, Kapitalismus, Sexismus und Naturzerstörung. Vázquez genoß den Respekt diverser Gemeinden seiner Heimatregion und kämpfte auf friedliche Weise gegen zerstörerische Entwicklungsprojekte.
Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas fordert eine schnelle Aufklärung des Mordes an Vázquez und erinnert daran, daß immer wieder indigene Aktivisten Opfer von Gewaltverbrechen werden.
Die Bewohnerinnen und Bewohner von Bachajón kündigen an, daß ihr Widerstand gegen die neoliberalen Projekte weitergehen wird.

17. Mai 2013:
Einen Tag vor den offiziellen Feiern zum Muttertag, die in Mexiko am 10. Mai stattfinden, treten acht Mütter und ein Vater von Verschwundenen in einen unbefristeten Hungerstreik. Nach einer Demonstration von circa 200 Müttern im Zentrum von Mexiko-Stadt betonen die ganz in Weiß gekleideten Frauen, dass sie nichts zu feiern hätten, solange sie nicht wüssten, wo ihre Töchter und Söhne seien. Über ihren Mündern befinden sich weiße Taschentücher mit der Frage "Wo sind sie?"
Seit Beginn des sogenannten Drogenkrieges vor über sechs Jahren, der mit der Amtseinführung Felipe Calderóns ins Präsidentenamt zusammenfällt, wird nicht nur von über 70.000 Toten ausgegangen. Ein im Februar aufgrund öffentlichen Drucks erschienener Bericht der Abteilung für juristische Angelegenheiten und Menschenrechte spricht im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg von 26.121 offiziell als "verschwunden" geltenden Personen. In vielen der bekannten Fälle kann von einer direkten Verwicklung von Polizei, Armee oder anderen staatlichen Organen ausgegangen werden.

Anfang Juli 2013:
Die Regierung von Chiapas verzögert zum zweiten Mal innerhalb einer Woche die Freilassung von neun indigenen Häftlingen, Anhänger der 6. Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald, deren Freilassungspapiere bereits unterzeichnet sind: Rosario Díaz Méndez, Pedro López Jiménez, Juan Collazo Jiménez, Juan Díaz López, Rosa López Díaz, Alfredo López Jiménez, Juan López González and Benjamín López Díaz aus dem Gefängnis Nr. 5 und Enrique Gómez Hernández, aus dem Gefängnis Nr. 14, El Amate,  der zum Zweck der Freilassung ins Gefängnis Nr. 5 überstellt worden war.
Alle waren auf der Grundlage von falschen Beschuldigungen und unter Folter erpressten Geständnissen mit bis zu 30 Jahren Haft verurteilt worden.
Nicht freigelassen wird Alberto Patishtán Gómez, seit 13 Jahren in Haft, zu 60 Jahren Haft verurteilt. Ein weiterer politischer Gefangener, Alejandro Díaz Sántiz, zu 29 Jahren verurteilt, von denen er inzwischen 14 Jahre abgesessen hat, muss ebenfalls im Gefängnis bleiben.

Wenige Meter von der Abzweigung zu den Wasserfällen von Agua Azul führen hunderte von Tseltal-Frauen und Männer eine "informative" Straßenblockade durch, bei der sie mit Megafon und Flyer über ihre Forderungen nach Freilassung von Alberto Patishtán, Antonio Estrada und Miguel Demeza informieren. Alle zwei Stunden wird die Blockade geöffnet, um Autos und Busse durchzulassen.

Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas macht die Belästigung seiner MitarbeiterInnen öffentlich: Während ihrer Dokumentation zu Opfern der Polizeirepression (MitarbeiterInnen von FrayBa wollten zwei Personen interviewen, die während der Polizeirepression verletzt worden waren) wurden sie von Sicherheitsagenten und Angehörigen des ISSSTE (Institut für Sicherheit und Soziale Dienste von Staatsbediensteten) behindert. Wenige Tage später konnten ein Arzt und Kooperationspartner von FrayBa zusammen mit einer Ärztin die geplante Untersuchung des Gesundheitszustandes von Antonio Estrada Estrada aus San Sebastián Bachajon nicht durchführen. Antonio ist seit nahezu zwei Jahren inhaftiert, Anhänger der 6. Deklaration und wird als politischer Gefangener betrachtet.
22. Jul 2013, amerika21.de

In San Cristóbal des las Casas fordern vertriebene pro-zapatistische Familien aus der Gemeinde Banavil von der mexikanischen Regierung eine Lösung ihrer prekären Situation und die Bestrafung der Mörder ihres Angehörigen Alonso López Luna. Die vier Tseltal-Familien wurden am 4. Dezember 2011 bei einem  Angriff von 50 bewaffneten Mitgliedern der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) vertrieben und leben seither als Flüchtlinge in San Cristóbal. Bei dem Überfall wurden über sieben Familienmitglieder verletzt, Alonso López Luna verschwand. 20 Tage später wurde sein rechter Arm im Grenzgebiet zwischen Mercedes und Banavil wiedergefunden. Die Entführer und mutmaßlichen Mörder werden bis heute strafrechtlich nicht verfolgt.

Im westmexikanischen Bundesstaat Michoacán kommen fünf Menschen bei einem Angriff auf Mitglieder einer Bürgerwehr ums Leben. Bewaffnete Männer hatten vor dem Rathaus der Ortschaft Los Reyes das Feuer auf die Gruppe eröffnet. Im Kampf gegen das pseudo-religiöse Drogenkartell "Caballeros Templarios" hatten die Bewohner zahlreicher Dörfer in Michoacán zu den Waffen gegriffen und Bürgerwehren gegründet.

Im Landkreis Chenalho, Chiapas kommt es zu Übergriffen auf Zapatista-Unterstützer des Ejidos Puebla. Eine evangelikanische Dorfautorität, Cruz Gómez, hatte über Lautsprecher verkündet, dass das Trinkwasser vergiftet worden sei (was sich später als Lüge erwies) und die drei Tzotziles Mariano Méndez Mendez und seine Söhne Luciano Méndez Hernández and Mauricio Mendez Hernández als Täter beschuldigt.

28. August 2013:
Rosa Medina Moreno, Mitglied der Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra (FPDT), wird unter fingierten Vorwänden festgenommen.

August / September 2013:
Tausende streikende Lehrer blockieren im August unter anderem die Zufahrtsstrasse zum Flughafen in Mexiko-Stadt, das Abgeordnetenhaus und den Senat. Im Süden des Landes legten 70.000 Lehrer ihre Arbeit nieder. Für mehr als eine Million Schüler fiel der Unterricht zum Beginn des Schuljahres am Montag aus. Sie protestieren gegen die Bildungsreform der Regierung.
Ein massives Polizeiaufgebot räumt im September den von streikenden Lehrern besetzten Hauptlatz von Mexiko-Stadt. Hunderte Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen, Wasserwerfern und Tränengas gehen gewaltsam gegen die Demonstranten vor, die sich hartnäckig einer umstrittenen Bildungsreform der Regierung widersetzen. Ihre Protestcamps auf dem Zocalo-Platz waren drei Wochen zuvor errichtet worden und sollten nach dem Willen der Staatsführung vor den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag geräumt werden.
Allein im September mehmen sogar Regierungsberichten zufolge allein in Mexiko Stadt 982.000 Menschen an knapp 700 angemeldeten Demonstrationen teil. Menschenrechtsorganisationen kritisieren den verstärkten Einsatz von Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcken, die sich häufenden willkürlichen Festnahmen und den Einsatz von Zivilpolizisten, um Gewalttaten zu inszenieren, die "die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit des brutalen Vorgehens der Polizei überzeugen sollen".

2. Oktober 2013:
Bei Demonstrationen von tausenden Studenten und Aktivisten sozialer Bewegungen in der mexikanischen Hauptstadt und an weiteren Orten des mittelamerikanischen Landes kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mit den Demonstrationen wird an das Massaker von Tlatelolco am 2. Oktober 1968 erinnert.
Augenzeugen berichten davon, dass Provokateure in die Veranstaltung geschleust wurden. Vertreter der seit Monaten streikenden Lehrer, die sich ebenfalls an der Veranstaltung beteiligten, sehen darin eine Aktion staatlicher Agenten, um die zunächst offensichtlich friedliche Demonstration entgleisen zu lassen. Es kommt zu zahlreichen Verletzungen und Festnahmen, darunter auch sieben Studenten, die zu den Besetzern der Direktion der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) gehören. Ihre Familienangehörigen wissen bislang nicht, wohin die Polizei die Verhafteten gebracht hat. Von offizieller Seite erhielten sie dazu keine Auskunft.
Weitere Auseinandersetzungen aus Anlass des Massaker-Jahrestags gibt es in den Bundesstaaten Oaxaca, Morelos und Michoacán.
Die Ereignisse spiegeln eine Zuspitzung der sozialen Konflikte in Mexiko wieder. Besonders die sogenannten Reformen der Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto im Bildungswesen, im Energiesektor und beim Steuersystem stoßen in der Bevölkerung auf immer mehr Widerstand. Zudem ist für viele Tausende nach den verheerenden Hurrikans der vergangenen Wochen jegliche Art staatlicher Hilfe ausgeblieben. Die Regierung steht in der Kritik, den Katastrophenschutz vernachlässigt und nicht rechtzeitig Unwetter-Warnungen herausgegeben zu haben.

14. Oktober 2013:
Demonstrierende Lehrer nehmen nach mehrwöchigen Protesten gegen die Bildungsreform der Regierung den Unterricht wieder auf. Der Disput um die Reform, nach der die Leistung von Lehrern stärker evaluiert, soziale Absicherungen gesenkt und das Bildungssystem teilweise privatisiert werden soll, dauert jedoch an.
Bei einer Abstimmung sprechen sich 61,8 Prozent der Lehrer dafür aus, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Ein Teil der streikenden Lehrer bleibt in Mexiko-Stadt, wo sie den Platz rund um das Denkmal der Revolution besetzt halten. Die Pädagogen, die in die Schulen zurückkehren, werden vor Ort weiter protestieren, um die Bildungsreformen rückgängig zu machen.
In den Bundesländern Morelos, Campeche und Veracruz besetzen Lehrkräfte den Zugang zu öffentlichen Gebäuden des Bildungsministeriums und blockieren Autobahnen. In Mérida werden die Protestierenden vor dem Rathaus in Cancún von der Bundespolizei mit Schlagstöcken, Tränengas und Gummigeschossen angegriffen.

30. Oktober:
Der Lehrer Alberto Patishtan, als politischer Gefangener zu 60 Jahren verurteilt, ist nach 13 Jahren unrechtmäßiger Haft endlich frei. Alberto hatte es abgelehnt, ein Gnadengesuch einzureichen, das für ihn einem Schuldeingeständnis gleichgekommen wäre, und statt dessen dafür gekämpft, seine Unschuld durch die Wiederaufnhame des Verfahrens festzustellen. Das hatten die Gerichte zuletzt in letzter Instanz verweigert. Durch die Reform des Strafrechts möglich gemacht, spricht Präsident Enrique Peña Nieto dennoch eine Begnadigung aus und entledigt sich damit eines ungemütlichen Problemfalls, der seit Jahren immer wieder zu nationalen und internationalen Protesten geführt hatte.