Der Marsch der indigenen Würde


Am 24. Februar, sieben Jahre nach dem denkwürdigen 1. Januar 1994 wurde San Cristobal erneut von den Zapatistas eingenommen: Diesmal durch eine nächtliche Demonstration von 20.000 größtenteils vermummten Indígenas, die ihre 24 Delegierten feierlich verabschiedeten. Trotz Drohungen aus reaktionären Kreisen verlief die Reise der 40 Busse sowie die Kundgebungen in verschiedenen Orten der südlichen Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca, Veracruz, Puebla, Tlaxcala, Hidalgo, Querétaro und Guanajuato ohne größere Zwischenfälle.
Auf einer 2000 km langen Reise, die dreizehn Tage dauerte, durchquerte der "Marsch für die indigene Würde" zwölf Bundesstaaten. Die Delegierten der EZLN führten an die 80 Kundgebungen vor aufmerksamem Publikum durch und erhielten als Signal des Respekts Dutzende traditioneller "Befehlsstäbe" von indigenen Völkern.

Am 4. März machten die EZLN-Delegierten im kleinen Ort Nurio im Bundesstaat Michoacán Halt, um am dritten "Nationalen Indigenen Kongreß" (CNI) teilzunehmen. Die Delegierten von 42 indigenen Völkern beschlossen an diesem Kongreß, daß sie die Initiative der COCOPA zu "Indigenen Rechten und Kultur" unterstützen und auf deren Durchsetzung im Parlament drängen werden. Sie erteilten der EZLN das Mandat, im Namen der indigenen Völker vor dem Bundeskongreß zu sprechen. Sie beschlossen ebenfalls, daß der CNI zukünftig immer durch eine indigene Frau und einen indigenen Mann gemeinsam repräsentiert werden soll. Die indigene Bewegung Mexikos erlebte in Michoacán eine ihrer größten Momente der Organisierung und des Widerstandes. Für den Fall, daß die COCOPA-Initiative nicht angenommen würde, beschloß der CNI flächendeckende Aktionen nach dem Beispiel der CONAIE von Ecuador, die die Infrastruktur des Landes lahmlegen würden.

Als sich die Karawane am 6. März erneut auf den Weg machte, war sie beträchtlich angewachsen, denn der CNI hatte seinen Delegierten den Auftrag gegeben, die Zapatistas in die Hauptstadt zu begleiten. Die Karawane legte in den folgenden Tagen denselben Weg zurück, den Emiliano Zapata vor fast neunzig Jahren wählte, als er Mexiko Stadt eroberte. Am 11. März nahm eine Viertelmillion Menschen den Zocalo ein, um die EZLN-Delegation bei ihrer Ankunft im Herzen des Landes zu begrüßen. Marcos wiederholte die zentrale Friedensbotschaft der EZLN: "Rebellen sind wir, Rebellen werden wir bleiben, aber wir möchten dies mit euch allen zusammen sein, ohne Krieg".

Somit war die Karawane am Reiseziel angelangt, hatte jedoch das politische Ziel des Auftrittes im Bundesparlament noch nicht erreicht: Die Mehrheit der ParlamentarierInnen lehnte es ab, die vermummten Guerillachefs in ihren heiligen Hallen sprechen zu lassen. Am 13. März erhielt die Delegation der EZLN und des CNI einen anonymen Brief ohne Briefkopf und Unterschrift zugestellt, in welchem sie an ein Treffen mit ParlamentarierInnen eingeladen wurden. Es war die Rede von einer gewöhnlichen Sitzung mit 10 Kongressabgeordneten, 10 SenatorInnen und den Mitgliedern der COCOPA. Die Delegationen der EZLN und des CNI lehnten den "demütigenden und unwürdigen" Vorschlag eines inoffiziellen Treffens ab und beharrten darauf, vor der Abgeordnetenkammer sprechen zu wollen. Sie forderten die ParlamentarierInnen auf, sich nicht zum Spielball des Präsidenten zu machen, sondern sich ihrer historischen Rolle in der Anerkennung der indigenen Rechte bewußt zu werden.

Am 24. März antwortete die EZLN mit der Stimme des Comandante Zebedeo auf einen Brief, den Fox an Marcos geschickt hatte. Fox sprach in diesem Brief Marcos mit "Du" an und forderte ihn auf, mit ihm zusammen das Indígena-Problem zu lösen. Zebedeo stellte klar, daß keine Basis für Vertraulichkeiten vorhanden sei, indem er Fox eröffnete, daß der Brief an die Comandancia weitergeleitet worden sei, denn sie, nicht Subcomandante Marcos, sei die politische Führung der EZLN.

Der mehrstündige Auftritt vor dem Parlament am 28. März wurde von den großen Fernsehstationen live übertragen. Doch die Tribüne betrat nicht, wie von den Medien erwartet, Subcomandante Marcos, sondern Comandanta Esther. Sie verlas die Hauptbotschaft der EZLN. "Mein Name ist Esther, aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich bin eine Zapatistin, aber auch das ist in diesem Augenblick unwichtig. Ich bin eine indigene Frau. Und das ist das einzige, was zählt im Moment".