Übergriffe in Zinancantán
Die Demonstranten begingen nicht nur den 85. Jahrestag der Ermordung von General Emiliano Zapata im Jahr 1919, sie waren auch gekommen, um zapatistische Familien zu unterstützen, die aufgrund ihrer politischen Haltung seit Monaten von der Trinkwasserversorgung ihrer Gemeinde abgeschnitten sind. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich die DemonstrantInnen bereits auf dem Rückweg in ihre Dörfer. Am Vormittag waren über 5000 Frauen und Männer,
mit schwarzen Wollmützen vermummt, in einer Kolonne von ca. 200 Fahrzeugen
vor das Rathaus der betreffenden Gemeinde, Zinacantán, gefahren,
und hatten dort eine Erklärung verlesen. Darin forderten sie den
Bürgermeister von Zinacantán und seine Anhänger auf,
den zapatistischen Sympathisanten nicht aus parteipolitischen Gründen
den Zugang zum lebensnotwendigen Nass zu verwehren. Als die Fahrzeugkolonne sich auf den Rückweg machte,
wurde ihr plötzlich von einer kleinen Gruppe Männer, offenbar
Paramilitärs der PRD, mit einer Barrikade aus Felsbrocken der Weg
abgeschnitten. Etwa eine dreiviertel Stunde verharrten die tausenden Zapatisten
auf der Stelle und warteten ab, ob die Blockierer, bei denen auch zwei
Streifenwagen der örtlichen Gemeindepolizei eingetroffen waren, sich
eines Besseren besinnen würden. Während der hintere Teil des Zugs versuchte, angesichts
dieser Eskalation mehr schlecht als recht hinter den Fahrzeugen Deckung
zu finden, musste die Spitze der Kolonne noch weitere Hindernisse beseitigen,
die ihr den Weg versperrten. So waren noch drei dicke Bäume gefällt
und quer über die Strasse gelegt worden. Sie wurden von den EZLN-AnhängerInnen
mithilfe von Motorsägen weggeräumt. Unterdessen berichten lokale BeobachterInnen, dass die in Jechvó zurückgebliebenen zapatistischen BewohnerInnen einer akuten Bedrohung durch die Paramilitärs der PRD ausgesetzt sind. Sie sollen sich in einem Haus versammelt und verbarrikadiert haben, während die Angreifer das von der Karawane gelieferte Wasser auskippten und mehrere Häuser zerstörten. Die Landesregierung von Chiapas veröffentlichte noch am selben Tag eine Erklärung, in der sie die Gewalt verurteilte und ankündigte, man würde keine weiteren Vorkomnisse dulden. Der Konflikt um die Wasserzufuhr in Zinacantán ist Teil einer "Strategie der Spannung" seitens der mexikanischen Armee und Teile der Regierung, welche sich in den letzten Wochen insbesondere in den Altos, der Region von und um San Cristóbal, manifestierte: In den autonomen Bezirken Lucio Cabañas, Miguel Hidalgo und 17 de Noviembre wurden mehrere Zapatistas verhaftet; nahe Oventik gab es zahlreiche Überfälle; in 16 de Febrero wurden zwei Zapatistas ermordet; in San Juan Cancúc sind zapatistische Familien von Vertreibung bedroht; in Chanal, Aldama, Santiago El Pinar und Magdalenas, alles ebenfalls Bezirke der Altos, sind vermehrte Aktivitäten der Bundesarmee unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung zu verzeichnen. Wie ein Mitarbeiter von CIEPAC meinte, sind diese Nadelstiche dazu da, um "das zapatistische Gebiet mit Verbrechen zu kontaminieren, welche es erlauben, die moralische Autorität der Zapatistas und ihrer "Räte der Guten Regierung" zu untergraben und auszuhöhlen." Bisher konnte die gut organisierte zapatistische Basis der Region den Provokationen ausweichen oder den lokalen Machthabern ihre eigene Stärke entgegensetzen. Die Angriffe auf die wenigen zapatistischen Familien in Zinacantán sind ein weiteres Beispiel dafür, dass die zapatistische Basis an ihren angeblich oder tatsächlich schwächsten Punkten attackiert wird. Die zapatistische Solidarität aus zwanzig weiteren Bezirken des Hochlandes hat bisher die Vertreibung der Familien von Zinacantán verhindert. Doch die Ereignisse dieses Wochenendes verheissen nichts Gutes.
Augenzeugenbericht eines Menschenrechtsbeobachters
"also vielleicht nur noch ein paar details dazu, und zwar war ich mitsamt meiner wg zufaellig bei der demo dabei, bei der ausser bellinghausen (der uns auch darueber informiert hatte) und noch 3 anderen keine weiteren teilnehmer der sociedad civil waren, da es schliesslich eher eine ueberraschungsaktion sein sollte. als die schiessereien losgingen wurde es uns echt anders und wir koennen bezeugen, dass sich die zapas auf keinerlei provokation/ aggression eingelassen haben. als es eindeutig gefaehrlich wurde, sind wir in einen wagen gefluechtet, in dem vor angst weinende frauen und kinder versteckt wurden, das war echt alles so unglaublich! irgendwie sind wir aus dem chaos rausgekommen, eingedeckt von steinen und schüssen, die aus beiden seiten des waldes kamen. gegen 19 uhr wurden wir in der naehe von san cris rausgelassen, komischerweise wurde nirgendwo polizei gesichtet. im gegenteil: ein polizeiwagen hatte vorher den weg versperrt so dass die karawane nicht weiterkam und zwischen stein-barrikaden der prd'ler und polizeipatrouille eingeschlossen war. die ganze nacht dann gab es unzaehlige gerüchte über tote und compas die festgehalten wurden. wir haben morgens noch wasser zum angeblichen versammlungsort gebracht, wo aber niemand mehr war. mehrere hunderte compas, die nicht mehr zurueck in ihre dörfer können, sind in einem zentrum hier in san cris untergebracht, es herrscht dringend bedarf an essen! heute dann hat eine kommission versch. orgas und unabh. einzelpersonen (wir waren so 20 bis 30) eine von der polizei (!!) begleitete karawane organisiert, um mehr informationen in den gemeinde zu sammeln. dort war allerdings alles extrem ruhig, erschreckend ruhig. die prd'ler hielten eine reunion ab, die von ca. 100 polizisten bewacht wurde, wir haben die zerstörten häuser der compas besucht und versucht herauszufinden, wohin sie geflohen sind. anscheindend ist das mittlerweile auch bekannt, man weiß aber noch nicht, wie's ihnen geht. es handelt sich dabei wohl um fast 70 familien aus jech boo, 25 aus ambo bajo und weitere 20 aus ambo alto."
Weiterer Bericht einer Menschenrechtsbeobachterin
"Der Fall Zinacantán ist nicht untypisch.
Indigene Traditionen beinhalten gewisse cargos (unbezahlte Dienste an
der Gemeinde) sowie cooperaciones (eine Art lokaler Steuern). Wir finden
dieses sowohl innerhalb der zapatistischen Autonomie, als auch in anderen
indigenen Gemeinden. Es ist eigentlich eine logische Form des Zusammenlebens.
Oft wird es aber auch von lokalen Machthabern genutzt, um persönlich
zu profitieren (Korruption und Kazikentum). Kaziken haben auf lokaler
Ebene wirtschaftliche, politische, oft auch religiöse und militärische
Macht. Oft kommt es zu Machtkämpfen untereinander, sie benutzen Religion
und politische Parteien für persönliche Interessen. Zinacantán
scheint ein Beispiel zu sein. Vor einem Jahr gab es Tote im Kampf zwischen
den politischen Parteien PRD und PRI. |