Low Intensity Warfare


Seit 1994 intensiviert die mexikanische Regierung mit Unterstützung des Pentagons den "Krieg niederer Intensität" ("low intensity warfare") gegen die zapatistische Bewegung. Diese Art schmutzigen Krieges hält sich an keine internationalen Abmachungen, benutzt alle Mittel zur Schwächung der Guerilla und zur Dezimierung ihrer zivilen Unterstützungsbasis: Einschüchterungen, Diffamierungen, Verhaftungen, Attentate, Vergewaltigungen, Massaker durch Paramilitärs und die mexikanische Bundesarmee sind die Waffen, mit denen die Oligarchie ihre Macht verteidigt und die Interessen der transnationalen Konzerne garantieren will.

Die EZLN weigert sich bis heute, diese Aufforderung zum offenen Bürgerkrieg anzunehmen und setzt nach wie vor auf einen breiten gesellschaftlichen Dialog mit dem Ziel, eine politische Umwälzung im Sinne einer Dezentralisierung und Demokratisierung des Landes Mexiko zu erreichen - die einzige Grundlage für eine indigene Autonomie und einen gerechten und würdigen Frieden.


Es folgt eine ausführliche Analyse, die verdeutlichen soll, was "Krieg niedriger Intensität" eigentlich bedeutet:



Die roten Punkte zeigen die Armee- Lager in Chiapas vor dem Friedensvertrag von 1995, in dem sich Armee und Regierung dazu verpflichteten, keine neuen militärischen Stützpunkte zu errichten. Die grünen Punkte zeigen jene Militärstellungen, die seither dennoch errichtet wurden.


DER VERSTECKTE KRIEG

Als Teilnehmer bei den Brigaden, welche die Vertriebenen bei der Kaffee-Ernte begleiten, und als internationaler Beobachter in den Konfliktzonen von Chiapas mußte ich gemeinsam mit meinen beiden Compañeras aus Mexiko und Argentinien verschiedene Dinge beobachten, die unsere Aufmerksamkeit erregten. Nach mehreren Interviews und Nachforschungen im Internet ergab sich ein Bild einer neuen Strategie der Aufstandsbekämpfung, welches sich leider auch durch aktuelle Geschehnisse bestätigte.
Während unseres Aufenthalts in Acteal konnten wir immer wieder Truppen mit schwarzen Uniformen und gestrickten Hüten beobachten, die die Fahrzeuge der blau uniformierten Polizei verwendeten oder mit diesen gemischt auftraten. Sie schmückten sich mit dem Namen "Die Falken" und haben ihren Stützpunkt im Dorf Canolal eingerichtet, das traurige Berühmtheit erlangt hat, weil von dort einige der Mörder des Massakers von Acteal stammen und das mittlerweile nur mehr von Paramilitärs bewohnt wird. Letzten November wurden sogar die nichtmilitanten Regierungsanhänger vertrieben - wahrscheinlich damit die "Falken" in Ruhe ihre Aktionen vorbereiten können. Ihren Stützpunkt nennen sie die "Höhle des Falken" und diese ist mit internationalen Militärabzeichen und einer Hakenkreuzfahne geschmückt. Schließlich wurde von Vertriebenen des Dorfes geschildert, daß ihre ehemaligen Nachbarn inzwischen schwarze Uniformen tragen und bewaffnet sind. Beim Versuch, ihren Kaffee zu ernten, wurden die Vertriebenen mit Waffen bedroht, und mußten mit leeren Händen in die Flüchtlingslager zurückkehren.

Wer sind also die "Falken", die offensichtlich die indigene Dorfbevölkerung zu paramilitärischen Truppen ausbildet, und welche Strategie steckt dahinter? Schon seit Beginn der Conquista gibt es Widerstand und Aufstände der indigenen Bevölkerung von Chiapas, genauso wie seither regelmäßig Massaker an ihr stattfinden. Das letzte große Massaker mit 45 Toten fand am 22. 12. 1997 im Flüchtlingslager von Acteal statt, wo kurz vorher die Angehörigen der religiös-pazifistischen Bewegung "Las Abejas - Die Bienen" eintrafen.
Die mexikanische Regierung war seit dem Aufstand der EZLN mit einer starken nationalen und internationalen Solidaritätsbewegung konfrontiert. Große Sektoren der Zivilgesellschaft, die den Neoliberalismus bekämpfen, unterstützten die Zapatisten und forderten lautstark die Einhaltung der Menschenrechte und die Erfüllung nationaler und internationaler Verträge, die von der mexikanischen Regierung bereits unterzeichnet worden waren, darunter die Verträge von San Andrés, in denen die Rechte auf Selbstbestimmung der Indigenen Mexikos festgelegt wurden.
Gleichzeitig aber gingen das Morden und die Militarisierung in Chiapas weiter. Die drei Hauptforderungen an die mexikanische Regierung waren daher: die Entmilitarisierung von Chiapas, die Entwaffnung der paramilitärischen Truppen, und die Einhaltung der Verträge von San Andrés. Durch das Massaker von Acteal erreichte Präsident Zedillo auf zynische Art und Weise, daß als vierte Forderungen die Bestrafung der Paramilitärs hinzugefügt wurde. Und er erfüllte sie sogar, indem er nicht nur die Mörder, sondern sogar einige der uniformierten Regierungsagenten für wenige Jahre hinter Gitter steckte.
Dem Massaker ging eine Spezialausbildung von Militärs und Polizei durch US-amerikanische und französische Spezialisten im Bundesstaat Oaxaca voraus. Dort wurden außerdem Polizeifrauentruppen ausgebildet, welche sich 1998 an den Überfällen auf einige autonome Zentren der Zapatisten beteiligten.
Die Unterstützungsbasis der Zapatisten in den Dörfern hat nämlich bei den Übergriffen durch Militär oder Polizei die Frauen an vorderste Front gegen die Uniformierten gestellt. Bei diesen Überfällen, die als "gemischte Operation" bezeichnet wurde, tauchten auch zum ersten Mal Gruppen wie die "Falken" auf. Sie gehören einer Einheit an, die sich "Fuerza y Reacción - Kraft und Reaktion" nennt und als schnelle Eingreiftruppe oder Überfallkommando versteht. Bei Aktionen, wie gegen die autonomen Zentren der Zapatisten gingen sie mit äußerster Brutalität und Professionalität vor, Verhaftete wurden später als bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichen ihren Dörfern übergeben.

Im Herbst 1998 entwarf die Regierung einen neuen Plan für "Nationale Sicherheit", und für die Zivilgesellschaft Mexikos verschlimmerte sich abermals die Situation. In Chiapas wurde eine Art Geheimdienst eingeführt, die "Sistema 066", und auf nationaler Ebene eine neue Polizeieinheit die PFP (Präventive Polizei) gegründet. Mittels Funk beschaffen sich die lokalen Regierungsbehörden aus den Dörfern alle notwendigen Informationen und geben sie dann an die Zentrale der "Sistema 066" weiter. Dort werden die Informationen verarbeitet und dienen dem vielleicht wichtigsten Teil der Aufstandsbekämpfung: der Spaltung der Dörfer. Der Zapatistischen Befreiungsarmee soll so die Basis genommen und durch innere Konflikte der Widerstand der Dörfer gebrochen werden.
Zahlreiche Dörfer haben dem Druck ständig drohender militärischer Übergriffe nicht standgehalten, und sich in der Hoffnung auf ein Ende der Übergriffe mit der Regierung arrangiert. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. In der Nähe dieser Dörfer haben sich Militärbasen niedergelassen, und Vergewaltigungen sowie die Prostitution indigener Frauen sind unter anderem die Folgen.

Eine andere Strategie ist, durch "sanften Druck" die Dörfer zu spalten oder vorhandene Spaltungen voranzutreiben. Von der Regierung kontrollierte NGOs bevorzugen z.B. bei humanitären Projekten einen bestimmten Teil der Bevölkerung. Zusätzlich gibt es Umweltschutzorganisationen wie den WWF (World Wildlife Fund) oder "Conservation International", die die Vertreibung der indigenen Dörfer aus dem Lakandonischen Urwald fordern und von Flächenbränden, die auf Satellitenaufnahmen nur in der Nähe von Militärcamps auszumachen sind, und von Flächenrodungen sprechen, die an anderen Stellen von großen Holzschlägerfirmen durchgeführt werden. Die Zapatisten ihrerseits haben übrigens sogar ein eigenes Gesetz zum wirkungsvollen Schutz des Waldes eingeführt, und die Brandbekämpfung funktioniert erfahrungsgemäß nur dort, wo die Dörfer nicht gespalten sind.
Kurz bevor ich aus Chiapas abgereist bin, ist die PFP in einer anderen Region von Chiapas angekommen, nämlich im Hochland in der Nähe von Acteal. Vier Männer mit den oben erwähnten schwarzen Uniformen haben einen Kaffeetransport überfallen und dabei mit Maschinengewehren drei Menschen getötet. Der Mord wird jetzt den Zapatisten in die Schuhe geschoben, und obwohl die Regierung von einem normalen Überfall spricht hat sie unter dem Vorwand, die zivilen bewaffneten Gruppen zu entwaffnen 500 Mitglieder der PFP zusammen mit Militär und Sicherheitspolizei in das Gebiet verlegt. Diese Truppen haben seither das zapatistische Flüchtlingslager Polhó umstellt, in dem seit 1997 12.000 Vertriebene der zivilen Basis der Zapatisten leben.
Trotz der trostlosen Aussichten, die sich einem angesichts dieser Situation auftun, kann man auch einen Hoffnungsschimmer erblicken: der Widerstand der Zapatisten ist ungebrochen und die internationale Solidarität ist weit davon entfernt sich zurückzuziehen, im Gegenteil sie wird stärker.

Dieser Artikel basiert auf den gemeinsamen Recherchen einer argentinischen Friedensbeobachterin, einer mexikanischen Aktivistin, die Flüchtlinge bei ihren Ernteversuchen in den Heimatgemeinden begleitet, und Manfred von der Mexiko-Plattform Österreich.