Tlalnepantla – Autonomie, Repression und Solidarität

Am 14. Jänner 2004 wurde Tlalnepantla (südlich von Mexico City, Bundesstaat Morelos) von rund 1.500 PolizistInnen gestürmt. Die Einheiten der Polizei gingen auf brutalste Art und Weise gegen die BewohnerInnen des Dorfes vor, ein Mensch wurde dabei getötet und unzählige verletzt.
Viele sind seit der Erstürmung verschwunden, 19 BewohnerInnen wurden inhaftiert und der größte Teil der Bevölkerung flüchtete in die nahegelegenen Berge oder in die benachbarten Dörfer. Die Ordnungskräfte halten Tlalnepantla noch immer besetzt und verhindern somit die Rückkehr der BewohnerInnen. Im Moment (25. Jänner) befinden sich nur die Polizeieinheiten und einige PRI-loyale BewohnerInnen im Dorf.

Diese blutige Repression ist die Antwort des Staates auf die Auseinandersetzungen in Tlalnepantla in den letzten Monaten. Begonnen hat alles damit, daß bei den Wahlen am 6. Juli 2003 der Kandidat der PRI Elias Osorio als Bürgermeister durchgesetzt hätte werden sollen. Traditionellerweise werden die RepräsentantInnen des Dorfes im Zuge einer direkten Wahl in einer Vollversammlung aller Erwachsenen gewählt, wie es in vielen indigenen Gemeinden üblich ist.
Die von der Regierung organisierte Wahl wurde von den meisten BewohnerInnen boykottiert, und somit konnte der PRI–Kandidat einen Sieg davontragen, obwohl er gerade mal von 10% der Wahlberechtigten "gewählt" wurde.
Der Großteil der BewohnerInnen, die auch im "Comité de Pueblos y Barrios" organisiert sind, wollte dieses autokratische Vorgehen, das von den Behörden des Bundesstaates unterstützt und gefördert wurde, und die Ignoranz gegenüber ihren traditionellen politischen Abläufen nicht akzeptieren. Am 1. November letzten Jahres wurde das Rathaus besetzt, um die Anerkennung des traditionellen Wahlvorgangs durchzusetzen und die Ablehnung der PRI–Verwaltung deutlich zu machen.

In den darauf folgenden Wochen wurde einerseits die Mobilisierung intensiviert, andrerseits fanden auch Gespräche mit der Regierung von Morelos statt. Am 26. November wurde eine Demonstration nach Cuernavaca zum Regierungssitz des Gouverneurs von Morelos organisiert. Sergio Estrada Cajigal verweigerte jedoch jedwede Gespräche mit den DemonstrantInnen, woraufhin als Zeichen des Protest in der Nähe von Chamilpa die "Autopista del Sol" für rund eine halbe Stunde blockiert wurde. Die Antwort des Gouverneurs bestand in Repression. Bei diesem Polizeieinsatz wurden zwei AktivistInnen schwer verletzt und einige Dutzend verhaftet. Die weiteren Verhandlungen im Dezember letzten Jahres brachten keine Lösung der Situation.
Am 11. Jänner 2004 wurden die Gespräche seitens der BewohnerInnen im Zuge einer Vollversammlung für beendet erklärt, und sie beschlossen, sich zukünftig durch einen "Concejo Popular Autónomo" (Unabhängiger Gemeinderat) selbst zu verwalten. In der dazu abgegebenen Erklärung wurde betont, daß sie damit bloß ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen würden, im besonderen die, die im Artikel 39 garantiert werden. (Der Artikel 39 enthält die bekannten Formulierungen bürgerlicher Verfassungen, daß alle Macht vom Volke ausgeht, und daß dieses das Recht hat die Regierungsform selbst zu wählen und gegebenenfalls zu verändern.) Das neugeschaffene Gremium nahm sofort die Arbeit auf, und kümmerte sich um die üblichen kommunalpolitischen Aufgaben (Wasserversorgung, usw.).

Die Antwort des Staates folgte dann am 14. Jänner. Gegen 23 Uhr griffen rund 1.500 schwerbewaffnete Ordnungskräfte (verschiedene Einheiten der Polizei und Eliteeinheiten) Tlalnepantla an. Den ersten Angriff konnten die BewohnerInnen noch abwehren. Schlußendlich waren sie jedoch gegen diese Übermacht chancenlos, und die Polizei, begleitet von Elias Osorio, dem PRI-Bürgermeister, konnte in die Stadt eindringen.

Ein Augenzeuge: "Die Stadt wurde durch einen bewaffneten Einfall der Staatspolizei mit circa 1.500 Aufstandsbekämpfungspolizisten gestürmt. Scharfschützen wurden auf Gebäuden postiert, ein Kugelregen ging auf die Menschen nieder, die das Rathaus für eine unabhängige Stadt besetzt hielten, und wenigstens ein Mensch wurden getötet. Viele Leute wurden geschlagen und rannten aus der Stadt in die Berge. Im Moment werden sie mit Hubschraubern und Polizeihunden durch den Wald gehetzt, und die ganze Stadt ist sozusagen in einem Belagerungszustand."

Ein Aktivist wurde im Zuge der Erstürmung getötet, es gab zahllose Verletzte, viele wurden inhaftiert und viele sind seit diesem Tag verschwunden. Der Großteil der Bevölkerung versuchte in der Folge, in die benachbarten Dörfer oder in die nahegelegenen Wälder zu fliehen.
Im Moment gleicht Tlalnepantla noch immer einer Geisterstadt. Die Polizei hält alle Eingänge zur Stadt besetzt und läßt nur die wenigen PRI–loyalen BewohnerInnen passieren. Alle anderen, die sich in den letzten Monaten an der sozialen Bewegung beteiligt haben, droht die Verhaftung, wenn sie versuchen würden in ihr Dorf zurückzukehren.

Es habe Hinweise darauf gegeben, daß hinter den Aktivisten eine Guerilla-Gruppe stehe, rechtfertigte der Politiker der Partei der Nationalen Aktion (PAN) Estrada Cajigal nachträglich den Einsatz. Allerdings mußte Mexikos Innenminister Santiago Creel wenig später einräumen, daß es keinerlei Beweise für die Existenz einer bewaffneten Organisation gebe. Auch gegen eine auf den Einsatz folgende Solidaritätsdemonstration ging die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas vor. Im Rahmen dieser Demonstration wurde ein Deutscher festgenommen und sofort abgeschoben. Die Begründung: der Artikel 33 der mexikanischen Verfassung, nach dem es Ausländern untersagt ist, sich in innenpolitische Angelegenheiten Mexikos einzumischen.

Nach Angaben des mexikanischen Menschenrechtsdachverbandes "Todos los Derechos para Todos" ist dies die erste Abschiebung eines Deutschen seit Beginn der Amtszeit des konservativ-liberalen Präsidenten Vicente Fox im Jahr 2000. Auf der Suche nach einer "Gruppe von Revoltierenden", die angeblich einen Aufstand geplant hätten, um in die Gemeinde einzudringen, liefen am vergangenen Wochenende (24. Januar) Justizbeamte aus Morelos in der Delegation Milpa Alta des angrenzenden Bundesstaates Mexiko-Stadt ein.
Nach Milpa Alta waren etwa 250 Menschen aus Tlalnepantla geflüchtet. Auch bei diesem Einsatz mußten wieder Verbindungen zu vermeintlichen gewalttätigen Gruppen als Rechtfertigung herhalten: Die "Gruppe der Revoltierenden" werde, so ließen die Beamten wissen, von dem militanten ehemaligen Streikkomitee CGH der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt (UNAM) und den Rebellen aus San Salvador Atenco unterstützt. San Salvador Atenco gilt als "Hochburg der Radikalen", seit die Bürger des Dorfes im Jahr 2002 den Bau eines Flughafens auf ihren Boden verhindern konnten.

In Mexiko bildete sich in den letzten Tagen eine erste Solidaritätsbewegung für Tlalnepantla. Erste Solidaritätsveranstaltungen wurden organisiert, mehr werden folgen. Tlalnepantla braucht Solidarität, nicht nur hier in Mexiko, sondern weltweit, damit die Initiatoren des Massakers vom 14. Jänner zur Verantwortung gezogen werden, alle politischen Gefangenen frei kommen, die Menschen in ihr Dorf zurückkehren können und die Art und Weise, wie die Kommunalregierung von Tlalnepantla aussieht, von den BewohnerInnen bestimmt wird, und von niemand anderen.

 

Die Erkärung der Aufständigen im spanischen Original:

Pronunciamiento del Concejo Popular Autónomo
y la Comisión de Barrios y Pueblos de Tlalnepantla
en el exilio 19 de enero, 2004

A los pueblos indígenas de México y de Morelos
A la opinión publica nacional e internacional
Al Sr. Presidente Vicente Fox Quezada
Hermanos y hermanas

Nosotros, pueblos originarios de la región tlahuica de Morelos y, con base al sistema normativo de usos y costumbres aceptado y aplicado desde la fundación del estado morelense, como órganos de autoridad legítimamente elegidos por nuestra comunidad, acudimos hoy a la sede de los poderes de la nación a decir nuestra palabra:
Después de cinco días de estar en un éxodo obligado que nos ha llevado a vivir en un exilio doloroso que a la fecha nos ha impedido ubicar a todas y todos hermanos de nuestra comunidad tlalnepantlense. Ante la especulación de que nuestro movimiento está vinculado a grupos armados que definen la dirección de nuestra lucha nosotros desmentimos categóricamente esta aseveración difamante e irresponsable.
Queremos denunciar ante ustedes la serie de anomalías y atropellos que hemos sufrido como pueblo. Como ustedes saben el gobierno estatal y federal han violentado nuestra dignidad como pueblo indígena mandando a un grupo de fuerzas represivas del estado a detener, golpear, catear nuestras casas -sin ninguna orden de autoridad violentando asi el estado de derecho que dice el gobierno respetar-, y asesinar a los miembros de nuestro movimiento provocando el desplazamiento de hombres, mujeres y niños que se han exiliado, en las cercanías por el trato inhumano del gobernador Estrada Cajigal, mismo que mantiene y que viene agravando el conflicto rompiendo asi con el tejido social, armonía y paz de nuestra comunidad generando con esto una profunda ingobernabilidad en nuestro Estado.

Durante los días 14 y 15 de enero la gente que logró escapar por el bosque para llegar a otros pueblos hermanos, durante el trayecto fueron perseguidos por elementos policíacos por tierra y aire con el firme propósito de matarlos; esto no fue una persecución, fue una cacería de hombres, mujeres, ancianos y niños indefensos; hechos que pueden testificar compañeros y compañeras que vivieron estos acontecimientos. Vale la pena todo el dolor de ancianos, niños y mujeres solo por la miopía política de nuestro gobernador, ante la inoperancia e incapacidad ante la autodeterminación de un pueblo maduro y propositivo que definió su futuro de manera colectiva.
Estos hechos además han detenido totalmente nuestra sobrevivencia como pueblo poniendo en riesgo nuestra producción agrícola que es la base de nuestro sustento económico y social. En este momento tenemos conocimiento que un grupo de gente cercana a Elías Osorio "el supuesto presidente electo procedente del partido revolucionario institucional" está robando nuestra producción. La ocupación policiaca ha paralizado la vida cotidiana, las escuelas están cerradas, las mujeres no pueden desempeñar su vida doméstica, los hombres han abandonado el campo. Y nadie puede salir a la calle.

En estos momentos esta prácticamente abandonado y desierto el pueblo de Tlalnepantla ya que los nativos tenemos temor a la represión, no apoyamos a Elías Osorio presidente municipal impuesto y que atenta contra la autodeterminación que tenemos reconocido como pueblo indígena en la propia Constitución federal. Ante esta grave violación de derechos humanos y colectivos el pueblo indígena de Tlalnepantla estamos en pie de lucha hasta que se dé respuesta a nuestras peticiones que son justas, legítimas y legales.
El pueblo de Tlalnepantla y Morelos estamos cansados de vivir bajo el mandato represor de Sergio Estrada Cajigal ya que es la enésima vez que actua de esta manera.

En virtud de lo anteriormente expuesto: El pueblo de Tlalnepantla reitera su disposición de diálogo por ello hacemos un formal emplazamiento al presidente Vicente Fox para promover a la brevedad posible una mesa de diálogo y atender estos puntos tan urgentes para la solución del conflicto:
1. - Respeto a la libre determinación de nuestro pueblo
2. - Respeto a la dignidad e integridad física y mental de nuestra persona y de toda la comunidad.
3. - Retiro inmediato de los cuerpos policíacos
4. - Pedimos el apoyo de la sociedad civil organizada a que nos sigan acompañando y expresamente convocamos una misión de observación integrada por intelectuales, líderes de opinión y movimientos sociales y pueblos indígenas para que podamos ubicar los efectos de la ocupación policial en la comunidad de Tlalnepantla.
5.- Justicia y libertad incondicional para los presos políticos.
6.- Respeto y reconocimiento a nuestra autonomía.
7.- Exigimos juicio político y penal al gobernador por las acciones represivas en contra de nuestra comunidad.
8.- Exigimos alto total a la represión, al hostigamiento, a la persecución y cacería de nuestra gente en lucha. Públicamente hacemos responsable al gobierno de la República de la violencia que en un futuro suceda, debido a que las instancias locales han sido agotadas.

Concejo Popular Autónomo y de la Comisión
de Barrios y Pueblos de Tlalnepantla, Morelos
conpopautonomo@hotmail.com