Volksaufstand in Oaxaca
"Nicht ein Toter mehr!"


Am 1. November fand eine Protestkundgebung von ca. 200 Personen vor der mexikanischen Botschaft in Berlin statt. Die Demonstranten bekundeten ihre Solidarität mit der Bevölkerung Oaxacas, mit den Lehrern und der Volksversammlung von Oaxaca (APPO). Mexikaner, Deutsche, Lateinamerikaner und Menschen anderer Nationalität, die in Berlin leben, verlangten den sofortigen Rücktritt des Gouverneurs von Oaxaca, Ulises Ruiz, und den sofortigen Abzug der Polizei, des Militärs und der paramilitärischen Gruppen aus Oaxaca. Die Anwesenden verurteilten die konstanten Menschenrechtsverletzungen, die in Oaxaca durch die mexikanische Regierung, die Regierung von Oaxaca und paramilitärische Schlägerbanden, die mit der Regierung Ulises Ruiz verbunden sind, begangen werden.

Mit Kerzen, Transparenten, Blumen und Särgen, die die Worte "Menschenrechte", "Gerechtigkeit" und "Demokratie" trugen und mit Puppen, die ermordete Lehrer und Bauern darstellten, erinnerten die Anwesenden am Totentag, día de los muertos, an die Toten der Bewegung für ein gerechteres und demokratischeres Oaxaca und Mexiko. In Reden wurde die sofortige Freilassung der Verschwundenen in Oaxaca und Freiheit für alle politischen Gefangenen verlangt. Aber die Protestkundgebung erinnerte nicht nur an die Toten des Konflikts in Oaxaca, sondern auch an die zahlreichen Toten, die durch die Gewalt und die Ignoranz des mexikanischen Staates an anderen Orten verursacht wurden: In Chiapas, in Atenco und in Ciudad Juárez mit seinen Hunderten von vergewaltigten und ermordeten Frauen.

Die Teilnehmer der Protestkundgebung brachten ihre Wut und ihren Schmerz über den Terror und die Gewalt, die die Bevölkerung Oaxacas erleiden muss, zum Ausdruck und sie riefen ein um das andere Mal: "Oaxaca hör, Berlin ist mit dir!" – "Ulises Ruiz raus aus Oaxaca!" – "Oaxaca ist keine Militärbasis, Armee raus aus Oaxaca!" – "Wir wollen keine Repression, wir wollen Lösungen!"

Als sich für einige Sekunden die Türen der mexikanischen Botschaft öffneten, gelang es einigen Demonstranten, in das Innere der Botschaft zu gelangen. Die Berliner Polizei reagierte mit Schlägen, Schubsereien und Angriffen auf die Protestierenden. Nachdem sich die Situation etwas später kurzfristig beruhigt hatte, konnte erreicht werden, dass zwei Teilnehmer der Protestkundgebung in die Botschaft gelassen wurden, um dem mexikanischen Gesandten Dr. Miguel Angel Padilla Acosta und dem Kulturbeauftragten Jose Manuel Cuevas eine Protestnote zu überreichen (Text s. weiter unten).

Währenddessen blockierten die restlichen Kundgebungsteilnehmer spontan die große Hauptstraße, die vor der mexikanischen Botschaft vorbei führt. Auf den Transparenten, mit denen kurzzeitig der Verkehr gestoppt wurde, war zu lesen: "Stoppt die Repression – Solidarität mit Oaxaca, Atenco und Chiapas" – "Mörderische Regierung – Armee raus aus Oaxaca – es lebe die Bewegung von Oaxaca" – "Stoppt die politischen Morden in Oaxaca". Als die Kundgebung nach ca. 3 Stunden von den Kundgebungsteilnehmern aufgelöst wurde und sich die Leute gemeinsam zurückziehen wollten, nahm die Polizei auf einmal zwei Personen fest, die sie u.a. beschuldigt, die Eingangstür der mexikanischen Botschaft mit "blutigen Handabdrücken" aus roter Farbe verziert zu haben. Als die Umstehenden den Festgenommenen zur Hilfe eilen wollten, wurden sie erneut von der Polizei geschlagen und mit Pfefferspray besprüht. Die zwei Festgenommenen wurden weggefahren, ein Anwalt kümmert sich um ihren Fall.

Text der überreichten Protestnote:

Herrn Botschafter Jorge Castro-Valle Kuehne
Mexikanische Botschaft in Deutschland
Klingelhöferstr. 3
10785 Berlin

                                                                       Berlin, 1. November 2006

Angesichts der Schwere der politischen Krise im Bundesstaat Oaxaca, in dem die mexikanische Regierung sich dazu entschieden hat, mit polizeilichen und militärischen Mitteln einen politischen Konflikt zu lösen, protestieren wir heute, um unsere Entrüstung über diese staatliche Gewaltanwendung auszudrücken. Wir lehnen die Menschenrechtsverletzungen, die die bewaffneten Sicherheitskräfte ihrer Regierung begehen, schärfstens ab.

Wir betrachten es als einen großen Widerspruch an, dass ihre Regierung ihre "tiefe Verpflichtung gegenüber der Einhaltung der Menschenrechte" bekundet und dass andererseits diese Menschenrechte in Oaxaca systematisch verletzt und ihre Garantien ausgesetzt wird. Wir alle kennen die Konsequenzen und die Verantwortlichen für dieses Vorgehen, auch wenn die Regierung Fox die Verantwortung dafür nicht übernehmen will.

Bis heute, Herr Botschafter, gibt es mindestens 13 Tote, 60 Verhaftete und eine große Anzahl von Verschwundenen. Der Dialog mit der APPO wird von ihrer Seite aus blockiert und in der oaxaquenischen Gesellschaft wird ein Klima von Terror und Gewalt gesät. Welche demokratische und den rechtlichen Grundfreiheiten und Garantien auf individuelle Unversehrtheit verpflichtete Regierung kann zulassen, dass in solch einer Art, wie es gerade in Oaxaca passiert, Morde an der Bevölkerung Oaxacas ungesühnt passieren und die Mörder ungestraft frei herumlaufen können?

Wir, ein Solidaritätskomitee mit der Bevölkerung Oaxacas, das Deutsche, Mexikaner und Menschen anderer Nationalitäten, die in Deutschland leben, vereinigt, fordern nachdrücklich:

Den sofortigen Rückzug der Polizei, des Militärs und der Paramilitärs aus den Konfliktzonen des Bundesstaates Oaxaca Den sofortigen Rücktritt des korrupten Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz Die Wiederaufnahme des politischen Dialogs mit den sozialen Organisationen Oaxacas Das Eingehen auf die Forderungen der Lehrerschaft im Streik, die verbesserte Arbeitsbedingungen fordern Das sofortige Einhalten der internationalen Menschenrechtsabkommen, die die mexikanische Regierung unterzeichnet hat Die sofortige und bedingungslose Wiederherstellung der zivilen Grundrechte und Grundfreiheiten und die Aufhebung des Belagerungszustandes, dem die Bevölkerung Oaxacas unterworfen ist

Letztlich erwarten wir, wenn Sie über moralische Integrität verfügen, dass Sie alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um unseren Protest Ihrer Regierung bekannt zu machen, damit die politische Gewalt in Oaxaca ein Ende findet. Wir bitten Sie zudem um eine öffentliche Antwort auf unsere Forderungen. Nehmen Sie zur Kenntniss, dass derzeit die einzige vermeintliche Legitimität, auf die sich die Regierung Mexikos stützt, auf der Anwendung von Gewalt beruht.

 Solidaritätskomitee mit der Bevölkerung Oaxacas