Wir fügen uns dem Befehl der zivilen Gesellschaft
 

Zum ersten Mal nach der Offensive der Bundesarmee im Februar 1995 tauchte Subcomandante Marcos Ende September wieder in der Öffentlichkeit auf - in dem kleinen Dorf "La Realidad" im Lacandonen-Urwald. Dort dankte er zusammen mit weiteren Mitgliedern des CCRI der Zivilgesellschaft für ihren Einsatz, insbesondere bei der landesweiten Befragung, die die EZLN anregte. Das folgende Interview erfolgte nach einem Treffen der Zapatistenführung mit der Parlamentskommission COCOPA.
 

Hier in "La Realidad wurde der Dialog der EZLN mit der Zivilgesellschaft betont. Auf die Regierung setzen die Zapatisten wenig. Wie kann die Regierung Vertrauen bei der EZLN schaffen?

Niemand von ihnen ist fähig, sich selbst das zu garantieren, was sie versprechen. Wer hat Luis Donaldo Colosio das Leben garantiert, der Kandidat der Staatspartei war? Wer wird Tacho das Leben garantieren? Was für ein Vertrauen kann die EZLN oder können die Gemeinden der EZLN haben, daß die Regierung ihre Probleme löst, wenn sie nicht einmal in der Lage ist, die eigenen Probleme zu lösen.
Wir sind mit dieser Vorgeschichte zu den Gesprächen gekommen. Außerdem haben wir am eigenen Leib erfahren, daß die Grundlage der Gespräche von San Andrés der Verrat vom 9. Februar ist. Wir setzen uns zu einem Dialog mit einem Feind zusammen, von dem wir wissen, er hat uns schon einmal verraten, es ist logisch, daß wir erwarten, daß es sich wiederholt.
Es gibt überhaupt kein Vertrauen. Sie widersprechen ihrem Regierungschef, der doch eigentlich ihr Befehlsgeber ist. Zedillo sagt, die EZLN soll beim Nationalen Dialog mitmachen, Bernal sagt, Nein, Nein, das stimmt nicht, das hat er nicht gesagt und Chauffyet meint, doch, das hat er gesagt. Und es handelt sich um drei von derselben Mannschaft: der Innenminister, der Abgesandte des Innenministeriums und der Chef des Innenministeriums, d.h. der Präsident.

Vertrauen gibt es durch Tatsachen. Sie oder Zedillo können erklären: wir sind für Entspannung, wir wollen eine Verhandlungslösung. Aber bei den Tatsachen gibt es nichts. Bei den Tatsachen geht die Militarisierung, die Verfolgung weiter, geht diese Dummheit der Regierungsdelegation weiter, die meint, die Verhandlung müsse Erniedrigung sein. Also eine Kapitulation.

Erklärungen begegnen wir mit dem 9. Februar. Als ich am 15. Januar mit [dem damaligen Innenminister] Esteban Moctezuma sprach, erhielt ich einen Brief von Ernesto Zedillo, wo er sagte, meine Verpflichtung ist die mit dem Frieden, diese Leute haben meine Vertretungsvollmacht. Am 15. Januar! Am 9. Februar erklärt uns dieser Mann den Krieg, bezeichnet uns als Terroristen und Gesetzesübertreter. Er müßte Zeichen geben, die er bisher nicht gegeben hat.

Was gibt es zu dem Treffen mit den Mitgliedern der COCOPA zu sagen?

Wir haben ihnen den selben Vorschlag erklärt, den wir am 29. 9. der Zivilgesellschaft vorgetragen haben. Welche Art Dialog wir wollen. Daß wir nicht daran interessiert sind, mit den politischen Parteien und der Regierung zu diskutieren, denn dafür ist San Andrés da. Wir wollen mit der Zivilgesellschaft reden. Darum haben wir sie gebeten, ob sie diesen Weg öffnen könnten. Sie haben zugesagt, einen Vorschlag von uns zu überprüfen, den wir machen werden.
Aber ich kann sagen, daß die Stimmung gut war, wie es schon die Kommandanten Tacho und David eklärt haben. Da war nicht diese Beziehung des Mißtrauens, das es gibt, wenn Du Dich mit jemand zusammensetzt, von dem Du weißt, er will dir nichts Gutes. Wir wissen ganz genau, daß die COCOPA nicht die EZLN ist und auch nicht die CONAI [Nationale Vermittlungskommission unter Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz]. Aber wir hatten nicht das Gefühl, mit jemanden zu diskutieren, der uns verraten wird. Bis jetzt zumindest noch nicht. So war es fast wie ein Plausch, wie ein Gespräch, wenn auch nichts konkretes vertieft wurde. Tatsächlich sind wir nicht viel vorwärtsgekommen, es war nur eine Art Entspannung zwischen ihnen und uns, denn vorher gab es Konfrontationen.
Beispielsweise unsere Bewertung über ihre Beteiligung im Dialogprozeß und ihre Bewertung über unsere Positionen. Ein Treffen sozusagen, wo wir gegenseitig anerkannt haben, welche Stellung der andere im Friedensprozeß einnehmen soll. Das ist das Fundament eines Dialogs, die Position anzuerkennen, die der andere einnimmt. Dabei sind wir vorangekommen. Die Rolle der CONAI war dabei sehr wichtig. Wir wußten nicht, wie wichtig es wirklich wäre, mit der COCOPA zu sprechen. Die CONAI insistierte und erreichte das Treffen. Vielleicht haben wir keine spektakulären Abkommen getroffen, die eine große Nachricht hätten sein können. Aber beide Seiten sind mit dem Gefühl auseinander gegangen, daß wir gesprochen haben, daß wir sprechen können - mit Vertrauen bis jetzt. Das ist so unsere Bewertung.

Aus der landesweiten Befragung geht hervor, daß die EZLN eine politische Kraft werden soll. Wie könnte diese politische Kraft aussehen, welche Transformation bringt sie mit sich? Welche Beziehung gibt es mit dem Vorschlag eines nationalen Dialogtisches?

Wir haben bisher nur eine erste Bewertung gemacht. Man muß sehen, wie es in den einzelnen Bundesstaaten war, wie die Tendenzen der Antworten in den verschiedenen sozialen Gruppen waren. Denn die Mehrheit der Leute oder die Leute, die an der Befragung teilgenommen haben, will uns auch Politik machen sehen. Ich weiß noch nicht, ob ausschließlich Politik, aber sie wollen uns außer als Bewaffnete oder Maskierte auch Politik auf nationaler Ebene machen sehen.
Wie? Das ist eine Antwort, die wir geben müssen. Uns fehlen unserer Einschätzung nach noch Elemente, um zu entscheiden: hier geht es lang. Das haben wir noch nicht klar. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen den Fragen vier und fünf ziehen. Die Prozentzahlen liegen sehr nah zusammen. Die Meinung ist sehr gespalten, ob wir [eine politische Kraft] alleine oder mit anderen zusammen sein sollen. Um das lösen zu können, müssen wir mehr sprechen, mehr diskutieren, mehr zuhören. Wir haben genau deswegen diese Initiative des nationalen Dialogs eröffnet, um dieses dringende Problemen jetzt gemeinsam zu lösen.
Wo wollen wir die politische Kraft, Ihr und wir? Nicht mehr länger die Zapatisten auf der einen Seite, die Zivilgesellschaft auf der anderen. Sondern eine zivile Bewegung, in diesem Fall zivil- bewaffnet wie die EZLN und zivil-pazifistisch wie die Zivilgesellschaft, die den Weg einer politischen Organisation finden will. Dabei beide wissend, daß wir nicht das wollen, was es schon gibt. Wir wollen etwas Neues. Wir sind uns einig, was wir nicht wollen, aber wissen noch nicht, was wir wollen. Das muß das Ergebnis dieses nationalen Dialogs sein. Deswegen schlagen wir vor, daß ein Diskussionsthema die Schaffung einer neuen politischen Kraft ist. Aber wir fügen bereits jetzt hinzu, sie muß sich auf die EZLN stützen.

Schließt die EZLN mit dieser neuen politischen Phase den bewaffneten Weg aus, um die Ziele des Kampfes, die sie am 1. Januar 1994 erklärt hat, zu erreichen?

Nein. Die EZLN besteht nur darauf, einen Weg auszuprobieren, solange uns jemand das in der Form sagt: Versuch es noch mal. Als sie uns sagten: Versucht es, im Januar [1994], mit der Feuerpause; Versucht es, im August, als die Wahlen waren und versucht es, im Januar [1995], als das Treffen mit Esteban Moctezuma anberaumt wurde. Versucht auszuhalten, als es den Verrat im Februar gab. Jetzt sagen sie uns, versucht es erneut.
Vielleicht ist es der falsche Weg, vielleicht geht es woanders her. Das muß nicht notwendigerweise der bewaffnete Weg sein. Das heißt, wenn es nicht der legale Kampf ist, so muß es deswegen nicht unbedingt der bewaffnete Kampf sein. Wir müssen es ausprobieren. Wir können keinen Krieg gegen diejenigen führen, die wir vertreten wollen.
Wenn wir als Armee für die landesweite Befreiung sind, also das ganze Land befreien wollen, können wir nicht Krieg gegen das Land führen. Das mindeste, was wir machen können ist, die Leute zu fragen. Die Frage der Waffen[abgabe] wird deswegen nicht diskutiert, denn die Waffen erfüllen im Fall der EZLN und im Fall Chiapas eine Funktion der Selbstverteidigung. Ich habe, was die Geschichte der EZLN angeht, sehr darauf bestanden, das sie als bewaffnete Organisation zur Selbstverteidigung entsteht. Wegen der Weißen Garden und all dem. Wir mußten uns bewaffnen, um uns zu verteidigen.
Der Krieg vom 1. Januar 1994 war ein Krieg, der aussagt: ich bin verzweifelt, hier bin ich. Ich hab also die Schnauze voll  und setze alles auf eine Karte. Das hat die EZLN gemacht. Sie ist hier, eingeschlossen und wieder eingeschlossen und sie öffnet sich.
Wir behalten die Waffen und gestehen den Zweifel zu, ob der bewaffnete Weg der richtige ist. Wir haben von Anfang an akzeptiert, daß es nicht DER Weg ist, sondern Teil des Weges.
Das ist einer der Aspekte, die nötig waren. Was wir akzeptieren könnten, ist, daß dieser Teil vielleicht schon vorbei ist. Vielleicht auch nicht. Aber das hängt nicht von uns ab. Sonst würden wir die Erleuchtung für uns in Anspruch nehmen. Dann würden wir sagen: Gut, ich interpretiere die Realität erstmal auf eine Art und dann sagt sie mir: kämpfe. Wir sagen: Warum fragen wir nicht die Realität, was sie denkt. Wenn sie antwortet, dann können wir entscheiden. Wir sind immer noch zwischen dem Ja und Nein, ob der bewaffnete Kampf ein Teil des Befreiungskampfes ist. Aber ich habe den Eindruck, daß der bewaffnete Kampf mit den Waffen gleichgesetzt wird.
Es ist nicht das Gleiche, den bewaffneten Kampf zu führen, um die Macht zu übernehmen, oder bewaffnet zu sein, um zu überleben. Die EZLN ist derzeit bewaffnet, um zu überleben. Praktisch seit dem 2. Januar 1994 besteht die Funktion der Waffen für die EZLN darin, zu sagen, hier bin ich, und zu überleben. Das heißt: damit sie uns nicht fertigmachen können.
Und sieh Dir an, bis zu welchem Punkt das richtig war. Wenn Du die aktuelle Situation der nationalen Politik analysierst, dann spricht die Regierung mit niemandem. Die einzige Kraft, mit der die Regierung spricht, diskutiert und verhandeln will, ist klandestin, bewaffnet und illegal. Es gibt andere Organisationen, die nicht bewaffnet sind, nicht klandestin, nicht illegal, und größer als die EZLN und die Regierung will nicht mit ihnen sprechen. Zum Beispiel "El Barzón", die Bewegung der Ruta-100, die zivile Widerstandsbewegung in Tabasco.
Welche Botschaft gibt es also für die Leute? Die Regierung spricht nur mit dem, der sich in Waffen erhebt. Mit mir, der keine Waffen hat, spricht sie nicht. Wer schickt eine Kriegserklärung: Die EZLN oder die Regierung? Wir denken, sie.

Könnte sich San Andrés nach dem 15. Oktober, den Parlaments- und Kommunalwahlen in Chiapas, erneut festfahren?

Wir haben darauf hingewiesen und dies der CONAI gesagt, daß darin das große Problem liegt. Es tauchen weiterhin befremdliche Elemente auf in San Andrés, die alles wieder blockieren können. So wie die Haltung der COCOPA ihn in Gang brachte, so kann das Panorama eines Nachwahlkonfliktes augenscheinlich Probleme für San Andrés mit sich bringen.
Das kann zum Bruch oder wieder in die Sackgasse führen. So kann es in San Andrés Abkommen geben, die überhaupt keine Wirkung haben. Man kann mit zwei Kräften klarkommen, die zusammenstießen, in diesem Fall die Regierung und die EZLN, und da gibt es 15 andere Kräfte die nichts haben,  keine CONAI, oder COCOPA.

Würdest Du nach San Andrés gehen?

Was soll ich da? Da sind Comandante Tacho, David, Zebedeo, usw. Die können das alleine. Vielleicht könnte ich in irgendeinem Moment dort erscheinen, wenn es passend sein sollte.

Warum bist Du gerade jetzt wieder aufgetaucht?

Die Wahrheit ist, ich habe mich verlaufen. Ich war auf dem Weg woanders hin. Dann kam ich hier vorbei, schnell ein Kommuniqué, wir improvisierten und so war das (allgemeines Gelächter von Marcos und der Presse). Na gut, es war nicht diese lauwarme Wärme des Kamerareflektors im Gesicht. Wir dachten, es wäre der angemessene Moment, wieder mit den Medien ins Gespräch zu kommen, mit der Zivilgesellschaft, um diese Sache mit dem Dialog vorzuschlagen.
Wir sagten uns, wir müssen uns sehen lassen, wir können nicht auf der Ebene der Kommuniqués bleiben. Die Compañeros meinten, sie müßten sich auf die Dialogsache mit dem Thema Indígena konzentrieren, also sagten sie: mach Dich fein, zieh Dich um, wasch Dich und geh. Und wirklich, ich hab mich vertan, war auf dem Weg nach Guatemala.

Was machen die zapatistischen Truppen jetzt. Trainieren sie weiter? Sind sie in Alarmbereitschaft? Wie überleben sie in den Bergen?

Die Truppe macht das, was sie die zehn Jahre vor dem 1. Januar 1994 gemacht hat. Sie befindet sich in ihren Stellungen in den Bergen und überlebt als Guerilla. Sie wartet, in diesem Fall auf die Verteidigung. Sie kann nicht auf die Offensive warten, denn der Hinweis, den sie von der Gesellschaft erhält, besagt, keine Offensive zu machen, den Krieg nicht zu beginnen. Sie kann sich aber auch nicht ausliefern und sterben, also muß sie sich vorbereiten, sich zu verteidigen.
Es ist eine Etappe, die wir zehn Jahre durchgemacht haben, es kostet uns keine Arbeit, jetzt so weiterzumachen. Was wir [früher] nicht wußten war, wie in die Städte hinabsteigen, aber leben in den Bergen, das ist unsere Spezialität. Wir überleben mit der Hilfe der Berge, was der Berg uns gibt und was die Leute in den Bergen uns geben. Als Guerilla eben. Das Kampftraining in den Bergen. Kleine Einheiten, Hinterhalte, große Bewegungsfähigkeit, großes Mißtrauen, große Wachsamkeit. Man muß in Form bleiben, wie Ihr sagt. Um in dem Terrain zu kämpfen, in dem Du Dich befindest. In diesem Fall in dem Berg, wie wir vorher lernen mußten, in der Stadt zu kämpfen.
Aber der Unterschied ist, für die Stadt mußt Du das in wenig Zeit lernen und dies hier jetzt haben wir viele Jahre lang gemacht. In militärischer Hinsicht sind wir für eine neue Konfrontation vorbereitet. Politisch nicht für offensive militärische Aktionen.
Denn der Hinweis lautet: Macht das nicht! Den gibt uns die Gesellschaft mit der landesweiten Befragung. Das nimmt uns politische Möglichkeiten für offensive Aktionen, obwohl wir sie militärisch haben. Wir respektieren die Stellungen, die die Bundesarmee hat und halten unsere Stellungen.