Wählt die Würde,
nicht die Dummheit!

 

An das Volk von Mexiko,
An die Völker und Regierungen der Welt:

Brüder und Schwestern,

Angesichts des nächsten nationalen Wahlprozesses verkündet das CCRI-CG der EZLN:

Erstens: In Mexico gibt es einen Krieg. In den Bergen des mexikanischen Südostens, in den Staaten von Chiapas, Guerrero, Oaxaca, Hidalgo, Puebla, Veracruz, San Luis Potosi und in anderen Orten mit indigener Bevölkerung realisieren Zehntausende von Regierungssoldaten und Polizisten der verschiedensten Einheiten einen Ausrottungskrieg gegen die indigenen Völker von Mexico.
Tag für Tag häuft sich das tote oder eingesperrte indigene Blut. Zwischen dem Gefängnis und dem Grab entscheidet sich das Schicksal der originären Bevölkerung dieser Erde.
Die extreme Armut, die Verfolgung und die fehlende Anerkennung der indigenen Rechte haben nicht nur die Kontinuität des Widerstandes der zapatistischen Dörfer im Südosten von Mexico und der Guerillas der EPRI und EPR verursacht. Jetzt haben sich auch andere bewaffnete Gruppen den Forderungen nach Gerechtigkeit und Demokratie angeschlossen.
Obwohl von der Mehrzahl der Medien ignoriert, folgt dieser Krieg weiter seinem Kurs. Sein Ende hat nichts zu tun mit der Kapazität der Feuerkraft oder der Anzahl der Kämpfer, sondern mit der Erfüllung der gerechten Forderungen und der Eröffnung von Wegen der demokratischen Partizipation.
Im Staat von Chiapas gehen die bewaffneten Zusammenstöße weiter, die am 1. 1. 1994 begonnen wurden. Dessen ungeachtet, daß die EZLN ihre Bereitschaft zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes gezeigt hat, setzen Staats- und Bundesregierung ihre gewalttätigen Aktionen gegen die zapatistischen Gemeinden fort und verweigern die Erfüllung der Abkommen von San Andrés, zu denen sie sich vor 5 Jahren verpflichtet haben.

Zweitens: Im gegenwärtigen Wahlprozeß hat sich erwiesen, daß der Platz des Bürgers als Wähler nicht angesehen ist. An seine Stelle sind die Kommunikationsmedien getreten, besonders die elektronischen, welche die erste Geige spielen. Der willkürliche Gebrauch von "Meinungsumfragen", viele von ihnen ohne die geringste wissenschaftliche Genauigkeit erstellt, hat das Bürgervotum verdrängt. Heute ist es nicht wichtig, eine Wahl an den Urnen zu entscheiden, sondern sie in den Köpfen der gedruckten Presse und den Nachrichten des Radios und des Fernsehens zu gewinnen oder zu verlieren.
Der Bürger bildet seine Meinung nicht anhand der verschiedenen politischen Meinungen, sondern anhand der Massenmedien, sprich: anhand des Bildes, das diese von den politischen Vorschlägen präsentieren. Die "Moderne" hat für unser Land nicht den Wechsel zur Demokratie, zur Regierung des Volkes für das Volk und durch das Volk bedeutet. Die Ausübung der politischen Macht ist nicht von der politischen Klasse an die Bürger übergegangen, sondern an die Publizisten, Chefredaktionen, Kommentatoren und Moderatoren. (...)
Genau gesagt ist es dieses Szenario, in dem die Nation durch das "Rating" ersetzt ist, in dem der fundamentale Wahlstreit stattgefunden hat. Außer einigen ehrenvollen Ausnahmen haben die Präsidentschaftskandidaten ihre Kräfte (und ökonomischen Mittel) fast ausschließlich auf das Gebiet der Medien gerichtet. Außer den offensichtlichen Gewinnen haben die Medien eine politische Rolle bekommen, die ihre Aufgaben weit überschreitet - und vor allem ihre Fähigkeiten.
Es ist klar, daß die Möglichkeit für die politischen Parteien, ihre Positionen mit Hilfe der Medien darzustellen, ein großer Fortschritt in der Demokratisierung ist. Und es ist zu begrüßen, daß die Parteien das wahrnehmen. Das Problem ist, das nicht wenige Male die Übertragung nicht gerecht ist (die offizielle Partei überwiegt in Zeiten und Sternstunden), und es ist keine politische Position, die verbreitet wird, sondern man entscheidet sich für den Skandal, die Beleidigung, die Infamie oder den banalen Klatsch. Und außerdem ist es sehr häufig, daß der Kommentator sich zum Richter dessen, was er verbreitet, aufschwingt und "entscheidet", was und wie er informiert. (...) Es geht nicht darum, die Medien beiseite zu schaffen oder sie ruhig zu stellen, um die Ersetzung der bürgerlichen Entscheidung zu überwinden, sondern das Recht der Bürger und der politischen Organisationen auf Gerechtigkeit, Wahrheit, Ehrbarkeit und Verantwortlichkeit der Medien im politischen Umfeld zu etablieren. Der Bürger hat das Recht auf wahre, opportune und vollständige Information. Es gibt kein Gesetz, daß das garantiert, und keine Instanz, die das verteidigt oder seine Erfüllung überwacht. Heute, angesichts des aktuellen Wahlprozesses, wiederholen wir Zapatistas einen der Punkte unseres Kampfes: das Recht der Information und der Kultur.

Drittens: (...) In Mexico ist der Präsidentialismus zu einer schweren Bürde und zu einem Hindernis für die Demokratie geworden. Obwohl wir in den letzten 70 Jahren keinen Präsidenten hatten, der nicht von der offiziellen Partei gewesen wäre, bedeutet die mögliche Ankunft der Opposition auf dem Präsidentensessel keinen "Wechsel zur Demokratie", wenn die Macht weiterhin auf eine Person konzentriert bleibt, und wenn die Mächte, die beauftragt sind, Gesetze zu erlassen und Gerechtigkeit zu schaffen, dekorative Elemente sind, die alle drei oder sechs Jahre erneuert werden. (...) Eine autonome legislative Macht und eine unabhängige Macht der Exekutive sind in einer Demokratie unentbehrlich. Dennoch sind die Kampagnen der Abgeordneten und Senatoren nicht aufgefallen. Die natürliche Leidenschaft, auf den Kampf um die Präsidentschaft zu setzen, hat es erreicht, einen in der nun endenden Periode bereits gesehenen Fortschritt zu verbergen: eine legislative Macht im Kampf um ihre Unabhängigkeit und Autonomie. (...) Hoffen wir, daß die nächste legislative Macht, die in diesen Wahlen so vergessen wurde, ihre Arbeit nicht angebunden an Verpflich-tungen mit ihren Parteien oder der gewählten Exekutive erfüllt, sondern gemeinsam mit den Mexikanern, den Wählern oder Gegnern ihrer Kandidatur, die mexikanische Nation bilden, die Gesetze machen sollte.
Heute, angesichts des aktuellen Wahlprozesses, sprechen wir Zapatistas uns für ein authentisches Gleichgewicht der Mächte aus. Nicht nur in der Ausübung ihrer Funktionen, auch im Kampf für die Sitze. Es ist genauso wichtig, die Vorschläge und Positionen der Kandidaten für die Präsidentschaft der Republik zu kennen, wie die derjenigen, die Abgeordnete und Senatoren werden wollen. Das Ende des Präsidentialismus ist Bedingung für die Demokratie in Mexico.

Viertens: Der aktuelle nationale Wahlprozeß ist nicht gerecht gewesen. Von der Seite der PRI und ihres Kandidaten ist der gesamte Regierungsapparat mobilisiert worden. Der Kauf von Stimmen, der Zwang, die Beförderung, die Bedrohung und Massenmedien sind eingesetzt worden, um die Durchsetzung des Kandidaten der PRI, Francisco Labastida, zu unterstützen.
Einige dieser Ungleichheiten sind von nationalen und internationalen BeobachterInnen, Nicht-Regierungsorganisationen, politischen Parteien der Opposition und durch die ehrbare Presse aufgedeckt worden. Heute, angesichts des aktuellen Wahlprozesses, erklären wir Zapatistas, das es sich nicht um eine Wahl von BürgerInnen angesichts von politischen Vorschlägen und denen, die sie vertreten, handelt, sondern um eine Wahl des Staates, wo die Opposition nicht nur der offiziellen Partei die Stirn bieten muß, sondern dem gesamten Apparat des Staates Mexico. Keine Wahl unter solchen Bedingungen kann als "demokratisch" eingestuft werden.

Fünftens: Trotz der überwältigenden und skandalösen Hilfe der Regierung bei der Kampagne der PRI ist die bürgerliche Unzufriedenheit jedes Mal beredter. Heute redet man davon, das es möglich ist, daß die PRI nicht die notwendigen Stimmen erhält, um den Präsidentensessel zu behalten, und daß der nächste Präsident von der Opposition sein könnte. Angesichts dieser Möglichkeit, hat man, abgesehen von materiellen Mitteln der besonderen Art, ein Argument mobilisiert: die Instabilität. Wie jedesmal vor einer neuen Wahlperiode regnet es von Seiten der Regierung und ihr nahen Kreisen Warnungen vor den Katastrophen, die über uns kommen würden, wenn eine Person, die nicht von der PRI ist, Präsident werden würde: Krieg, Abwertungen, Kapitalflucht, soziale Unzufriedenheit, Verteuerung, Konkurs, Arbeitslosigkeit, Chaos.
Um nicht weiter zu reden, müßte man sich nur an Zedillos Warnungen erinnern, was bei der Regierung einer anderen Partei als seiner eigenen alles passieren würde. Mit Zedillo passierte die Krise vom Dezember 1994, die Wiederaufnahme des Krieges im Südosten von Mexico, die Nichteinhaltung der Abkommen von San Andrés, die Morde von Aguas Blancas und El Charco im Staat von Guerrero, der Mord von Acteal, das Eindringen der PFP in die UNAM, der Tod von unzähligen Mexikanern in den Vereinigten Staaten, der Mord und die Erpressung von zentralamerikanischen Flüchtlingen, die Kapitalflucht, die Abwertung des Peso.
Wir haben auch erlitten: das Wachsen der sozialen Unzufriedenheit, die Zunahme der aktiven bewaffneten Gruppen, die Verteuerung der Grundnahrungsmittel, das Anwachsen der Arbeitslosigkeit, die Fobaproa-IPAB (Finanzskandal bei der Bankenprivatisierung), die massive Erpressung der kleinen und mittleren Betriebe, engere Verbindungen zwischen der organisierten Kriminalität und der Bundesregierung, die Straflosigkeit bei Wirtschaftskriminellen, die Einknastung von sozialen Kämpfern, die Militarisierung der indigenen Zonen, die Ausweitung des Drogenhandels, die Versuche der Privatisierung der Elektrizitäts- und der Ölindustrie sowie der höheren Bildung, die Ausweitung der Abhängigkeit vom Ausland - summa summarum: die Zerstörung von Mexico als unabhängiges und freies Land. Das einzig gute an der Regierungszeit des Herrn Zedillo ist, das sie fast beendet ist.
Heute, angesichts des aktuellen Wahlprozesses, erinnern wir Zapatistas daran, daß alle Katastrophen und menschlichen Tragödien während der Regierungszeit der PRI über uns hereingebrochen sind. Während mehr als 70 Jahren, in denen die PRI Mexico regiert hat, sind all die Katastrophen passiert, die nach ihrer Meinung nur passieren, wenn eine andere Partei regiert. Wir können uns schwerlich vorstellen, daß es mit der Opposition in der Regierung noch schlimmer sein könnte.

Sechstens: Allein die Möglichkeit, daß ein Kandidat der Opposition die Präsidentschaft erreichen könnte, hat Unsinn und Verzerrungen nicht nur in den regierenden Reihen provoziert. Angesichts des Fortschritts der Wahlchancen der Opposition ist in verschiedenen intellektuellen und politischen Sektoren die Idee des "nützlichen Wählens" aufgetaucht (oder seine freundliche Version: das "bedingte Wählen"). Im Konkreten hat die Möglichkeit, daß der Kandidat der PAN, Vicente Fox, eine entscheidende Anzahl von Stimmen erreichen könnte, eine wahre Offensive gegen den Kandidaten der PRD, Cuauthemoc Cardenas, hervorgerufen. Die Argumente für dieses politische Kunststück variieren in ihrer Komplexität, aber sie können wie folgt zusammengefaßt werden: Das wichtigste ist, die PRI rauszuwerfen. Fox hat die Möglichkeiten, das zu erreichen, aber er braucht Hilfe; Cardenas hat keine Möglichkeiten, ergo: Cardenas soll seine Unmöglichkeiten mit den Möglichkeiten von Fox zusammentun und so den Sieg über die PRI sichern.
Jene, die dieses vorschlagen, geben zu, daß die Wahlmöglichkeiten nicht mehr politisch sind und daß der Wähler nicht die Möglichkeit hat, die eine oder andere politische Macht zu unterstützen, je nachdem wie bzw. ob er sich mit ihr identifiziert. Der Verzicht von Cardenas auf den Wahlkampf für die Präsidentschaft und sein Anschluß an die Kampagne von Fox würde nicht nur den Verzicht einer Person bedeuten, sie würde auch das Verschwinden der politischen Meinung der Linken im Kampf um die Präsidentschaft bedeuten. (...) Wenn die Linke aus dem Wahlspektrum entfernt wird, sprich: ein friedlicher Weg des politischen Wechsels, welche Möglichkeit bleibt für Millionen von Mexikanern, die die Hoffnung und die Kraft auf einen grundlegenden sozialen Wechsel gesetzt haben? Die Enthaltung? Die Guerilla?
Es ist offensichtlich, daß die Herren Fox und Cardenas zwei verschiedene Projekte des Landes vertreten. Die Vorschläge des einen und des anderen haben den Rückhalt von Millionen von Mexikanern. Die Beurteilung darüber, welcher von beiden der Bessere ist, wird nicht mit der Anzahl der Stimmen getroffen, die sie bekommen, sondern an den Resultaten, die sie erzielen, wenn sie die Regierung erlangen sollten.

Der Kampf des Ingenieurs Cardenas ist mehr als der Kampf um einen Präsidentenstuhl. Er ist für Millionen von Mexikanern ein Argument dafür, daß man links sein und für den Wechsel kämpfen kann, ohne in die Illegalität, in den Untergrund oder den bewaffneten Kampf gehen zu müssen. Der Verzicht von Cardenas auf den Wahlkampf würde den Rückzug (zumindest den unmittelbaren) der parteiischen und institutionellen Linken aus dem friedlichen Wechsel durch Wahlen bedeuten.
Die Geschichte präsentiert früher oder später die Rechnungen. Diejenigen, die früher gefordert haben, daß die Zapatistas die PRD unterstützen sollen, "auch wenn sie politisch nicht überzeugt, ist sie doch immer noch besser als die PRI, und nicht für die PRD zu stimmen bedeutet, den Sieg der PRI zu unterstützen", stellen sich heute gegen das gleiche pragmatische Argument. Heute, wo sie sich selber sagen, daß "die Prinzipien das primäre sind", haben sie die Antwort auf die Frage "Warum stimmen die Zapatistas nicht für die PRD in Chiapas?".
Für die Zapatistas ist die Politik eine Frage von Prinzipien, nicht nur von Prinzipien, aber auch von Prinzipien. Welche als Prinzip den sozialen Wechsel und den zivilen und friedlichen Kampf befürworten, um ihn zu erreichen, müssen konsequent handeln, ohne Widrigkeiten und Konjunkturen zu beachten, wenn sie Legitimität in einem Mexiko von unten haben wollen.
Heute, angesichts des aktuellen Wahlprozesses, sprechen wir Zapatistas uns für den Respekt für diese Form des zivilen und friedlichen Kampfes aus und dafür, daß alle politischen Meinungen (die Rechte und die Linke, um geographische Begriffe zu benutzen) vertreten sind, in der Form, daß der Wähler sich wirklich zwischen ihnen entscheiden kann. Wir weisen das Argument des "nützlichen Wählens" zurück.

Siebtens: Das Bundesinstitut für Wahlen (IFE) wäre, abgesehen vom Organisieren der Wahlen, per Gesetz derjenige, der sagen würde, wer der Gewinner der kommenden Wahlen ist. Trotz der Lawine von Beschwerden der Opposition und Nicht-Regierungsorganisationen hat sich der Präsident der IFE beeilt zu versichern, daß es eine "saubere und transparente" Wahl wird. Er macht nicht nur vorgezogene Prophezeiungen, außerdem verlangt dieser Herr von den Kandidaten der Opposition und von den Wählern, daß wir ihm ein bedingungsloses Vertrauen für sein Verdikt geben und daß wir das Ergebnis einer Wahl akzeptieren, die noch gar nicht stattgefunden hat.
Eine Unmenge von Betrügereien sind bereits angelaufen, obwohl die Wahl noch nicht begonnen hat (Stimmenkauf, Bedingungen von Regierungsprogrammen, Ungleichheit in der Medienauswahl, Bedrohungen, Erpressungen etc.), und man sieht nicht, daß es die Kapazitäten gibt, die Wahlen zu überwachen und betrügerische Aktionen jenseits der Urnen zu vermeiden.
Man muß darauf hinweisen, das die IFE in einigen Fällen für Sachen benutzt wurde, die nichts mit ihrer Funktion zu tun haben. Eine große Zahl von Zapatistas verläßt sich nicht auf Wahlausweise. Und das, weil das Personal der IFE in Chiapas, das die Fotoüberwachung übernimmt, sich in einem Bündnis mit den Geheimdiensten befindet. Die Daten und Fotos zur Überwachung sind Erleichterungen für das Bundesheer, damit es mit der Hilfe von Informanten Zapatistas und ihre Dörfer identifizieren kann: Das IFE als Arm der Aufstandsbekämpfung.
Es ist unbestreitbar, daß die "Verbürgerlichung" der IFE ein Fortschritt ist und daß einige seiner Mitglieder einem starken Druck von Teilen der PRI ausgesetzt waren. Aber man kann niemanden bitten, die Resultate eines Prozesses zu akzeptieren, bevor dieser realisiert wurde, vor allem in einem Land wie Mexiko. (...)

Achtens: Für die Zapatistas erschöpft sich Demokratie sich nicht in der "gewählten Demokratie", aber die Wahl ist ein wichtiger Teil von ihr. Deshalb sind wir nicht gegen Wahlen. Wir beachten, daß die politischen Parteien eine Aufgabe zu erfüllen haben. (...)

Aber die Zeit der Wahl ist nicht die Zeit der Zapatistas. Nicht nur wegen unseres Seins ohne Gesicht und unseres bewaffneten Widerstandes, auch und vor allem wegen unseren Strebens, eine neue Form des "Politisch-seins" zu finden, die wenig bis gar nichts mit der aktuellen zu tun hat.

Wir wollen eine Politik finden, die von unten nach oben geht, eine, in der das "befehlend Gehorchen" mehr als eine Parole ist, eine, in der die Macht kein Gegenstand ist, eine, in der das "Referendum" und "Plebiszit" mehr als Wörter mit schwieriger Rechtschreibung sind, eine, in der ein Funktionär durch Volkswahl aus einem Amt entfernt werden kann. Von den politischen Parteien sagen wir, daß wir uns von keiner repräsentiert fühlen. Weder von der PRD noch der PAN, und schon gar nicht von der PRI.
An den Parteien kritisieren wir ihre Distanz zur Gesellschaft, ihre Existenz und Aktivität nur im Einverständnis mit dem Wahlkalender, den politischen Pragmatismus, der sich ausbreitet, die zynische Geschicklichkeit einiger ihrer Mitglieder, ihre Verachtung gegen das Verschiedene.
Demokratie ist, wenn die Mehrheit der Leute die Macht der Entscheidung über die Dinge hätte, die sie etwas angehen, unabhängig davon, wer gerade im Amt ist. Sie ist die Macht der Menschen zu genehmigen, wer in der Regierung ist, abhängig von seiner Befähigung, Ehrbarkeit und Leistungsfähigkeit.
In der zapatistischen Idee ist die Demokratie etwas, das sich von und mit allen konstruiert inklusive derer, die anders denken als wir. Die Demokratie ist die Ausübung der Macht für die Menschen, immer und überall. (...)

Neuntens: Hinsichtlich unseres Platzes in der nationalen Situation sagen wir, daß wir weiter auf die Erfüllung der Abkommen von San Andrés und auf klare Signale von dieser oder der nächsten Regierung warten, daß es eine ernsthafte Verpflichtung für eine friedliche Lösung des Krieges gibt. Solange die angemessenen Bedingungen nicht erfüllt sind, gibt es keine Verhandlung und keinen Dialog.
Wir wollen keine leeren Versprechungen oder daß man uns sagt, was es ist, was wir wollen oder was gut für uns ist. Wir sind auch nicht auf der Suche nach Beschäftigungen wie Polizisten oder Waldwächter. Wir wollen ein aufmerksames Ohr, ein wahres Wort und eine ernsthafte Verpflichtung zu einem Dialog, der den Krieg beendet.
Wenn, wie zu erwarten ist, die Regierung von Herrn Zedillo auf ihrem Krieg beharrt, auf die Nichterfüllung ihrer Versprechen, und so die Unverantwortlichkeit zur politischen Norm erhebt, dann erbt die kommende Regierung einen Krieg, den die Zapatistas am 1. Januar 1994 erklärt haben.
Angesichts dieses Krieges hat die neue Regierung nur zwei Möglichkeiten: Der Politik des Herrn Zedillo zu folgen und Lösungen lediglich zu simulieren, während man fortfährt zu militarisieren, zu verfolgen, zu töten und zu lügen. Oder die Bedingungen des Dialogs zu erfüllen, Zeichen von Ernsthaftigkeit und Verantwortlichkeit in der Erfüllung von Versprechen zu setzen und nicht nur den Krieg zu beenden, sondern auch den Forderungen der indigenen Völker von Mexiko nachzukommen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Diejenigen, die an der Macht gekommen, Möglichkeit einer "definitiven militärischen Lösung" befürworten, täuschen sich.

Die EZLN kann militärisch nicht vernichtet werden. Jede militärische Offensive gegen uns ist dazu bestimmt, nicht Stunden oder Tage zu dauern (wie man in den hohen militärischen Sphären annimmt), auch nicht Wochen, Monate oder Jahre, sie können es volle Dekaden versuchen, und die EZLN wird weiterhin - bewaffnet und maskiert - Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit fordern.
Wenn sich die neue Regierung für die "Gewalt der niedrigen Intensität" entscheidet, die Irreführung und den Betrug, wird sie sehen, wie die Zeit vergeht, ohne daß sich das Problem löst, und sie wird sehen, wie sie von den Zapatistas nur Verachtung und Mißtrauen erhält. Wenn sie sich für den Dialog entscheidet und die Erfüllung der Versprechungen, wird sie sehen, daß die Zapatistas ohne zu schwanken das gleiche tun werden, und daß in kurzer Zeit der würdige Friede eine Realität sein wird und nicht nur eine leere Phrase.
Es ist wichtig zu sagen, daß für den genannten Fall, daß die Regierung eine militärische Lösung versuchen würde (sei es der chirurgische Schlag, die teilweise oder totale Invasion der Gemeinden oder eine formierte militärische Aktion), sie auf Tausende von aufständischen Indígenas in Waffen treffen würde, im Krieg zu allem bereit, außer zur Kapitulation oder zur Niederlage.
Wir werden nicht sterben: Das individuelle oder kollektive Märtyrertum steht nicht auf der Tagesordnung der Zapatistas. Für den Frieden oder für den Krieg, die EZLN ist bereit. Die neue Regierung hat die Möglichkeit zu wählen.

Zehntens: Abschließend erklären wir, daß wir die Bundeswahlen vom 2. 7. 2000 nicht behindern werden, daß wir die Aufstellung der Wahlurnen in der zapatistischen Zone gestatten, daß von unserer Seite keine Sabotageakte gegen die Durchführung der Wahl, gegen IFE-Funktionäre oder gegen die Wähler stattfinden werden, daß wir nicht dazu aufrufen, für einen bestimmten Kandidaten oder seine Partei zu stimmen, daß die Unterstützungsbasen der Zapatistas aufgrund ihrer eigenen Überzeugung wählen (oder auch nicht) ohne vorgegebene Linie und ohne Sanktionen für ihre Entscheidung.
Wir rufen alle Mexikaner, die in den Wahlen die Möglichkeit des Kampfes sehen, dazu auf, auf diesem Gebiet, mit diesem Mittel zu kämpfen und ihre Stimme zu verteidigen.

Brüder und Schwestern: Diese Stunde ist nicht die Stunde der Zapatistas. Sie wird es eines Tages sein, wenn es Frieden und Respekt für die indigenen Völker gibt. Wenn die Demokratie über einen Wahlkalender hinausgeht. An diesem Tag ist Mexiko nicht nur für die Zapatistas demokratisch, aber auch für sie; an diesem Tag streiten wir nicht um einen Regierungsposten, sondern gehen an der Seite von Millionen von Frauen und Männern, die wie wir kämpfen für

Demokratie! Freiheit! Gerechtigkeit!

aus den Bergen des mexikanischen Südostens
für das CCRI-CG der EZLN