Vielleicht ist er gestorben ... vielleicht aber auch nicht
Kommunique der EZLN Es könnte sein, daß Don Amado wirklich gestorben ist, und daß das, was ich hörte, nicht das Geräusch eines gebrochenen Zweiges gewesen ist, wenn der April um die Ecke des Kalenders geht, um in das nächste Jahr zu kommen, sondern die Nachricht seines Todes. Aber wenn es ein gebrochener Zweig war, den ich gehört habe, dann könnte ich denken, daß Don Amado vielleicht nicht gestorben ist, und daß er nur um diese Ecke gegangen ist, und daß, obwohl wir ihn jetzt nicht mehr sehen, er im nächsten Jahr wieder erscheinen wird. Wir lernten Don Amado zuerst kennen, und sahen ihn erst später. Als wir uns versteckend zeigten, sahen wir ihn. Es war der Morgen des 1. Januars 1994. Er kam an mit einem Schal, seiner Brille, einer Art Mantel oder Jacke (ich kann mich nicht genau erinnern) und einem kleinen Notizbuch. Er stellte einige Fragen. Schrieb etwas auf. Ich fragte: "Don Amado?". Ich erinnere mich nicht ob er geantwortet hat. Er sprach kaum. Aber sein Blick sah viele Dinge. In diesem Blick lag nicht das Todesurteil, das uns viele in diesen ersten Stunden so großzügig erteilten. Darin lag weder Verurteilung noch Beipflichtung. In seinem Blick, da war etwas, als ob ... als ob er versuchte zu verstehen. Jedes Mal, wenn ich ihm wieder begegnete, hatte er immer noch diesen Blick. Der Versuch zu verstehen ist eine Art von Respekt. Ja, Don Amado respektierte uns. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Oder tut es noch immer. Denn es könnte sein, daß er gestorben ist. Aber vielleicht auch nicht. Danach, nach den Nachrichten des gebrochenen Zweiges, zog sich die Nacht in die Länge wie sonst selten. Als ob sie länger wurde, nicht um sich zu strecken, sondern um alle Ecken zu erreichen, auch jene, die in uns selbst sind. Don Antonio näherte sich, einen Hammer und eine Machete in der Hand, betrachtete den Trümmerhaufen und sagte, "dieses kleine Haus war schon alt, und alles, was jetzt davon bleibt, ist Geschichte, diese Zeit des Ausharrens und Kämpfens." Der Alte Antonio nahm das Feuerzeug, das ich ihm anbot, um seine Zigarette anzuzünden und sprach weiter: "So ist es, wenn man stirbt, dann bleibt nichts übrig, nur die Geschichte dessen, was man getan und was man nicht getan hat ... die Zeit jedes einzelnen." Wenn er wirklich gestorben ist, dann hat uns Don Amado ohne dieses Haus gelassen, und alles, was uns bleibt, ist seine Geschichte. Aber Don Amado hatte, oder hat, ein Problem, an dem nicht jeder leidet. Anstatt eines Herzens hatte er ein Haus, manchmal getarnt als Zeitung im Gefüge der Zeit oder als Blatt, als Schattenregierung oder als Geschichtenerzähler. Man sagte mir, daß Don Amado gestorben ist. Das könnte sein. Oder vielleicht nicht, vielleicht ist er nicht gestorben. Ich frage mich. Vielleicht hat sein Herz, das heißt sein Haus, jetzt kein Dach für uns, oder sieht uns nicht durch das Fenster zu, vielleicht treten wir nicht durch seine Tür oder sitzen an seinem Tisch, während draußen der Regen ist, die Kälte, die Sonne, die Wolken. Oder vielleicht ist er auch nicht gestorben, und hinter dieser Ecke steht sein Haus, das heißt sein Herz, immer noch, mit dem Radau, den einige "Leben" nennen. Die Wahrheit ist, daß ich einfach nicht weiß, ob er gestorben ist oder nicht, aber ich weiß, daß seine Geschichte, seine Zeit, hier mit uns ist, mit jenen, die sein Haus betreten haben, weil er uns seine Tür geöffnet hat, und das tat er, ja, weil er es wollte. Weil einige Herzen so groß sind, daß sie nur schlagen, wenn sie mit anderen zusammen sind. Deshalb habe ich heute Morgen nur einen abgebrochenen Zweig vom Boden aufgelesen und neben meine Hütte aufgepflanzt. Nicht, weil ich glaube, er könnte Wurzeln schlagen, sondern weil es ein Zeichen ist, damit Don Amado weiß, wenn er um diese Ecke kommt, daß er hier bei uns ein Herz hat, das wie wir hier sagen, ein "Haus" ist. Vale, Don Amado. Salud und willkommen. aus den Bergen des mexikanischen Südostens Wie eine unvollendete Umarmung, so verbleiben wir fürs erste... als ob die Stille wartet ... hören Sie es? * * * Kommunique des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees Generalkommando der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung An die Familie und Freunde von Dom Amado Avendano Figueroa
Don Amado war ein aufmerksames und respektvolles Ohr für das Leid der Indígenas von Chiapas, auch vor dem Beginn des Krieges gegen das Vergessen. Zusammen mit Doña Concepción Villafuerte und mit den Mitarbeitern der Tageszeitung "Tiempo" hörte er zu, als die meisten taub, und sah, als viele blind waren. Deshalb wählten wir beim öffentlichen Beginn unseres Aufstandes seine Zeitung zum Medium, durch das unser Wort bekannt werden sollte. Nicht weil er oder seine Mitarbeiter mit uns einverstanden waren. Sondern weil sie einverstanden waren, die Wahrheit zu berichten. Später kandidierte Don Amado für das Amt des Staatsgouverneurs von Chiapas. Sein Sieg wurde ihm durch Wahlbetrug geraubt, aber er blieb in Rebellion, und in dieser Zeit erarbeitete er den Entwurf einer neuen Staatsverfassung für Chiapas, die gleiche, die wir angenommen haben. Während und nach seiner Amtszeit verfolgte er den zapatistischen Kampf mit Respekt und Aufmerksamkeit. Mit dem Dahinscheiden von Don Amado verliert Mexiko einen bedeutenden Kämpfer, Chiapas einen seiner besten Söhnen, die indigenen Völker verlieren einen Bruder und die Zapatisten einen Freund. An Don Amado ... ein langes Leben! aus den Bergen des mexikanischen Südostens *) "El Tiempo" - die Zeit - war der Name der lokalen unabhängigen Zeitung von Don Amado Avendano, das erste Presseorgan, das die Zapatistischen Kommuniques abdruckte. Das Wortspiel von Zeit und Tiempo, das Marcos während des ganzen Kommuniques beibehält, ist auf deutsch nur schwer wiederzugeben. |