Teil 7:
Sieben Tage auf zapatistischem Gebiet


MONTAG im Caracol von Morelia:

Wir trafen die Campamentistas F und W, die hier im Caracol IV waren; sie erzählten, sie hätten in den Tagen hier viel gelernt, und daß sie in ihre Länder, nach Spanien und Italien, zurückkehren würden, um dort zu kämpfen; sie tragen die Blume des Wortes und des Kollektivs.
Dreizehn Lehrer, Kollegen aus verschiedenen Bezirken, trafen sich hier im Caracol IV, wo sie übten die Konsonanten zu unterrichten: L - CH - B - K - N - R - W - X - Y. Dies waren die Buchstaben, die studiert wurden, um natürliche und künstliche Objekte, Worte und Erklärungen einzuführen, um die Silben jedes Buchstabens zu identifizieren. Das nächste Treffen wurde für den 20. und 21. im Bezirk Miguel Hidalgo angesetzt.
Drei Compañeros begaben sich als Komitee zum Bezirk Che Guevara, um die Probleme zu untersuchen, die in diesem Bezirk durch den Anbau von Marijuana entstanden waren, um zu sehen, ob das nicht möglicherweise am Schauplatz der Vorfälle im Ort (Ortsname) geschehen war. Zwei Compañeros wurden wegen dieser Provokation im Bezirksgefängnis von Guevara festgenommen, um für ihre Fehler zu zahlen. Die Compañeros nahmen das Geschehen mit der Videokamera auf, sie werden das Video dem Rat vorlegen. Die Autoritäten dieses Bezirkes werden einen Erlaß für das Erscheinen der Festgenommenen vor Gericht aufstellen und eine Kopie an den Rat der Guten Regierung senden. Die Festgenommenen tragen die entstandenen Ausgaben des Komitees in Höhe von 600 Pesos.
Wir trafen Señor I aus Algerien, der in Begleitung eines Solidaritätskomitees aus Frankreich vorbeikam, um für uns Couscous zu kochen.

DIENSTAG im Caracol Roberto Barrios:
Wir trafen Schwester N aus der Schweiz von der Organisation Z, die eine Spende von 57.790 Pesos für die bedürftigen Gemeinden in der nördlichen Zone überbrachte, das sind 6.229 Pesos für jeden der 10. Bezirke. Die Rechnung stimmt nicht ganz, weil wir noch hinzugefügt haben, was ein Bruder aus DF gegeben hat, und dann stimmt es wieder.
Treffen des Komitees, um das Logo des Autos zu besprechen und seinen Namen "Resistenter Mais" auf Chol, 'P'atal ba ixim' und auf Tzeltal, 'Tulan ixim' zu übersetzen. Die Assistenten aus Semilla del Sol brachten zwei Wörterbücher, zwei Weltkugeln und eine Weltkarte mit.
Wir trafen uns mit Brüdern von einer zapatistischen Solidaritätsorganisation aus Japan, die ein Wandbild malen möchte. Ein Brief bezüglich des Projektes für neun Apotheken, drei Gesundheitshäuser, Training und eine Ambulanz wurde an die Organisation aus Holland geschrieben.

MITTWOCH im Caracol von La Garrucha:
Compañero Benito, aus dem Dorf X im Bezirk Francisco Gómez stellte sich vor. Die Angelegenheit: ein Streit um Holz mit ARIC-Oficial. Aufgrund dieses Holzproblems hatten die Frauen eine Auseinandersetzung in der Kirche, ein Mann von ARIC schlug eine zapatistische Frau; ein Basis-Compañero hatte auch eine Konfrontation mit einem Artemio von ARIC-Oficial. Während dieses Kampfes, zog sich eine "PRIista" Frau vor allen Anwesenden aus, um zu sehen, ob sie jemand vergewaltigen würde. Das führte zu keinen größeren Probleme, und der Compa Benito rechnete nicht damit, daß dieser Anführer am Tag des letzten Treffens erscheinen würde.
Señor B und Señor A stellten sich vor. Die Angelegenheit: ein Bericht über das zurückgehaltene Taxi. Der Koordinator des regionalen Transportwesens von Ocosingo sagte, das beschlagnahmte Taxi könnte wieder mitgenommen werden, aber sie müßten ein Papier unterzeichnen, mit dem sie sich verpflichteten, das Taxi nicht mehr zur Arbeit einzusetzen. Die JBG sendete ein weiteres offizielles Schreiben an den Koordinator und den Delegierten der Staatsregierung, um sie zu ersuchen, das Taxi sofort freizugeben, denn wenn sie ehrliche Arbeit nicht respektierten, werden die Menschen zu Verbrechern oder Politikern, oder die Armen werden sich zusammentun und einen bewaffneten Aufstand machen, wie die Zapatisten am 1. Januar 1994, und dann würden sie ihre Arbeit als Taxifahrer respektieren.
Personen von der PRD-Organisation in Ocosingo stellten sich bei der JBG vor, um den Diebstahl von neun Pferden, vier Satteln und einer Kettensäge zu melden. Die JBG leitete die Untersuchung weiter an den Autonomen Zapatistischen Bezirk in Rebellion Francisco Gómez, und als sie die Diebe ausfindig machten, wendeten sie sich an die Besitzer, um ihnen ihre Tiere und ihre Sachen zurückzugeben. Sie nahmen das Geld, das ihnen für die Sachen angeboten wurden, nicht an und sagten den Dieben, sie sollten nie wieder stehlen oder sie würden ins Gefängnis gehen.
Señora Tránsita stellte sich der JBG vor; die Angelegenheit betraf einen Streit mit den Unterstützungsbasen in einem Viertel von Ocosingo um ein Grundstück von 8 x 15 Hektar befreites Land. Die JBG ersuchte sie um die Urkunden für das Land, und sie antwortete sie hätte keine Besitzdokumente. Die JBG untersuchte das, und es stellte sich heraus, daß das Land von jemandem verkauft worden war, der nicht der Besitzer war, und deswegen zerstörten die Compas und die übrigen Bewohner des Viertels das Haus, und sie schrieb vier Klagen an das Ministerium, drei an die Unterstützungsbasen und eine an den Delegierten des Viertels, der kein Compa ist. Nach verschiedenen Verhandlungen, schlug die JBG vor, daß das Land und die Materialien zurückerstattet sollten, wenn die vier Klagen zurückgezogen würden. Ihre Sachen wurden bereits zurückerstattet, aber sie hat eine der Klagen nicht zurückgezogen, jene gegen den Delegierten, der kein Compa ist, weil er schlechte Dinge über sie herumerzählt hätte. Die JBG bestand darauf, daß die Vereinbarung eingehalten werden, ganz gleich was der Delegierte gesagt habe oder nicht. Die Erfüllung der Vereinbarung steht immer noch aus.
Die Autoritäten der Gemeinde X sprachen vor, um das Problem einer Vergewaltigung und einer Konfrontation wegen einem Landkonflikt zu lösen, und sie erhielten drei Vorschläge, die sie als Autoritäten unterzeichneten:
1. Das Problem der Vergewaltigung wird von den offiziellen Behörden übernommen werden.
2. Die Vertriebenen sollen an ihren Heimatort zurückkehren. 3. Alle Probleme sollen durch eine friedliche Einigung gelöst werden.
Von 21 Fällen wurden 16 gelöst, vier stehen in der Schwebe, und ein Fall wurde nicht gelöst.

DONNERSTAG im Caracol von Oventik:
Ofelia kam mit dem Doktor, um Erlaubnis einzuholen, einige Öfen zu demonstrieren, die kein Feuerholz verbrauchten, und wir erteilten die Erlaubnis.
Einige Leute kamen vom Magazin Rebeldía und der FZLN um Geld von einer Kampagne namens "20 und 10 - Das Feuer und das Wort" zu überbringen, das für die Räte der Guten Regierung bestimmt ist und von der EZLN geschickt wurde, um unter allen Räten gleichmäßig aufgeteilt zu werden. Die Jugend für Alternativen Widerstand aus DF kam ebenfalls aus dem gleichen Grund.
Wir trafen die Leute von Enlace bezüglich des Projektes für Zementblockherstellung in Polhó.
Die Autonomie von San Andres Sakamchen ersuchte darum 10.000 Pesos ausleihen zu dürfen, um die Autos der Bezirksregierung reparieren zu können.
Wir trafen uns mit den Menschen, die sich um die Bedürfnisse der Vertriebenen von Zinacantán kümmern: von CIEPAC, von DESMI, aus Deutschland, aus Granada, von den "Ärzten für die Welt", vom "Zivilen Gemeindeverband", von den Fußballspielern der Mannschaft "Milan International", aus den Vereinigten Staaten und von Einzelpersonen. Insgesamt kamen 616.302,26 Pesos zusammen.

FREITAG im Caracol von La Realidad:
Eine Dame aus Ciudad de Carmen, Campeche, kam, um uns einen Streit vorzutragen, den sie mit einem Herren aus der Stadt Comitán hat. Er versprach ihr, er würde einen Hypothekenkredit für sie aushandeln und als Garantie für die Vereinbarung sollte sie ihre Hausdokumente der Bank schicken. Es stellte sich heraus, daß das Geld nicht geliefert wurde, und daher forderte sie die Dokumente von der Bank zurück. Sie gaben sie nicht zurück, weil das Geld in der Tat an den Agenten ausbezahlt worden war, aber nicht an sie. Die JBG riet ihr, es wäre besser, sich an eine Menschenrechtsorganisation zu wenden, weil die Angelegenheit eine Verletzung ihrer Rechte betraf. Sie empfahlen ihr Frayba. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir nicht, ob sie dorthin gegangen ist oder nicht.
Die Personen in Solidarität, die die Turbine in La Realidad gebaut haben, kamen um zu sehen, wie sie funktionierte, und kamen wieder, um sich mit der JBG zu unterhalten.
Personen in Solidarität kamen aus Australien, um über die Autonomie und das gehorchende Regieren zu lernen. Wie erklärten es ihnen ausführlich, und sie schienen sehr erstaunt, und sagten, sie würden die Botschaft in ihr Land tragen und verbreiten. Auch aus Argentinien, Frankreich, Kanada und Polen kamen Menschen, um über die Autonomie zu lernen.
Leute aus dem Baskenland kamen, um sich über die Projekte zu unterrichten, die sie unterstützen. Sie gingen zufrieden, weil sie sahen, daß die Vereinbarungen eingehalten werden.
Studenten von der UNAM, der UPN und der Poli kamen, um zu reden, damit wir ihnen erklärten, was das gehorchende Regieren ist und über die Autonomie.

SAMSTAG in einem zapatistischen Dorf:
Ich kam mit Rolando an, um Doña Julia hallo zu sagen. Ich betrat ihr Haus – Wohnzimmer – Esszimmer – Küche - Schlafzimmer. Sie schenkte mir Kaffee ein. Sie unterhielt sich mit mir. Über ihre Kinder, ihre Enkelkinder, ihre Urenkel, über damals, als sie den Soldaten begegnete und "Ich starrte ihnen direkt in die Augen, genau so (und sie hob ihre weißen Augenbrauen) und ich sagte ihnen: 'Nur zu, zieht eure Waffen und erschießt mich, nur zu', aber sie taten es nicht, und wenn sie es getan hätten, dann könnte ich Ihnen das jetzt nicht erzählen."
Sie erzählte weiter, von damals, als ihr Sohn sich davongestohlen hatte, um Tostadas zu den Aufständischen in den Bergen zu bringen, vom Treffen der Gemeinden, als sie für den Krieg abstimmten, als alle in die Stadt zogen, um zu kämpfen und der Widerstand begann und die Autonomie und die Caracoles gegründet wurden.
Ich war gerade dabei, meine Pfeife und meinen Tabak herauszuholen, als sie plötzlich abbrach und mich fragte: "Kommen Sie, um mit dem Sup zu sprechen?" Ich sah mich nach Rolando um, der sich am Schnurbart kratzte um sein Lachen zu verbergen. Ich ließ meine Pfeife und meinen Tabak im Rucksack steckten. "Ja," sagte ich ihr, "ach, wenn Sie ihn sehen, grüßen Sie ihn von mir und geben Sie ihm meinen Segen. Weiß der Teufel, wo er ist, denn er ist seit Tagen nicht mehr gekommen", sagte sie, und sie gab uns ein paar Tamales mit, "für den Sup". Wir verabschiedeten uns.
Sobald wir auf der Weide waren sagte ich zu Rolando: "Wenn Du jetzt lachst, kommst Du nie wieder hierher." "Natürlich, wir werden alle sterben", sagte er lachend und ging voraus. Sobald er in sicherer Entfernung war, schrie er mir zu: "Vergiß nicht, den Sup zu grüßen!" Jetzt, in der Hütte der Comandancia, betrachte ich mich selbst in dem kleinen Spiegel und sage mir immer wieder und wieder: "Wir sind nicht mehr die, die wir mal waren ", und ich seufze. Was sonst kann ich tun?

SONNTAG irgendwo in den Bergen des mexikanischen Südostens:

Dämmerung. Ich traf Moy, der auch nicht schlafen kann. Die Truppen haben sich schon vor einiger Zeit zur Ruhe zurückgezogen. Nur der Schatten der diensthabenden Wache zeichnet sich ab. Moy und ich reden über die Toten, unsere Toten. Ich sage ihm, daß sie alle besser waren als ich, daß Eleazar uns jetzt verlassen hat und es noch so aussah, als könnte Eleazar noch gerettet werden, und dann starb er plötzlich. Denn der Tod hier kommt niemals langsam, er taucht mit einem Knall auf, und man bleibt nur zurück, ohne seine Schritte zu sehen, und man denkt, es wäre besser gewesen, wenn ein anderer genommen worden wäre, und nicht gerade er, der Tote.
Eleazar war besser als ich, genau wie Pedro, und Hugo, und Fredy, und Alvaro und all die Namen, die ich für mich behalte, denn wozu sollte man Tode vermachen? Eleazar, der auch im Bett noch stramm stehen und militärisch grüßen wollte und der am Morgen um Musik bat. Moy sagt mir, mein Gesicht sei feucht. Er macht Anstalten, mir die Tropfen vom Gesicht zu wischen, und ich sage: "Es ist der Regen." Moy zündet sich eine Zigarette an, ich meine Pfeife. Der Himmel über uns, betrübt von so vielen Sternen, weint nicht, er blickt nur in den dunklen Spiegel des Mondes.


Echtheitszertifikat

Das Vorhergegangene vollständig gesagt, gesehen und gehört, nicht im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten und mehr oder weniger im Besitz meiner Körperlichen, bestätige ich, daß alles, was in diesem "sehr andersartigen" Video gezeigt wurde und was ich über die zapatistischen Gemeinden erzählt habe, wahr ist, nachprüfbar und gegebenenfalls verwerflich. Das einzige, was auf Fantasie oder Vorstellungskraft beruht, bezieht sich auf die Existenz des Verfassers, denn bekanntlich sind Geister nichts anderes als ebendieses, bis - ich weiß nicht, wer das sagte - wir sterben um zu leben. Ich schwöre.

Dieses Video wurde aus dem südöstlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas im vierten Jahr des 21. Jahrhunderts, 20 Jahre nach der Geburt und 10 seit dem Beginn, während der August dahinschmachtet und die Hoffnung das Land, das uns umfängt, schmerzt (weil Bush der ganzen Welt Schmerzen zufügt) in der gesamten Galaxis ausgestrahlt.

Achtung: Dieses Video hat kein Copyright und kann in seiner Gesamtheit oder teilweise reproduziert werden, wann auch immer, sooft auch immer, und mit wem auch immer das erwünscht wird. Wenn Sie also aufmerksam zuhören und konsistent arbeiten, könnten Sie ins Gefängnis kommen, aber der Verleiher dieses Videos, der wie schon gesagt, das Zapatistische Intergalaktische Fernsehsystem ist, übernimmt diesbezüglich keine Verantwortung.

Vale. Salud und was fehlt, fehlt, wenn man es braucht.

aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos