Teil 4:
Vier Verunglimpfungen


Es gab und gibt noch andere, aber in der Hauptsache waren es vier Verunglimpfungen, die von den rechten Intellektuellen, Richtern, Gesetzgebern und Staatsbeamten, gegen die Abkommen von San Andrés, die COCOPA-Gesetzesvorlage und die Umsetzung dieser Abkommen durch die zapatistischen indigenen Gemeinden mit der Gründung der Caracoles und den Räten der Guten Regierung im August 2003 gehißt wurden.

Wie moderne Wahrsager prophezeiten sie damals den Zerfall des mexikanischen Staates, die Erschaffung eines Staates innerhalb eines anderen Staates "für" Marcos (so lautete im August 2003 die Hauptschlagzeile einer Tageszeitung, die Ahumada gehört und paradoxerweise "El Independiente" heißt), eine Zunahme der internen Gemeindekonflikte und die Verletzung der individuellen Menschenrechte durch die Ausübung kollektiver Rechte.
Nach diesem Szenario bereitete die EZLN eine politisch-militärische Offensive vor, die einen Angriff auf die Baracken der Bundesarmee im Bezirkshauptort von San Andrés beinhaltete. Sie schrien Alarm, und die Armee, die Luftwaffe, die Marine und die PFP wurden in Alarmzustand versetzt, Waffen wurden hervorgeholt genauso wie Haftbefehle, Polizeioperationen und Geld für den Kauf von Schweigen und Worten.
Sie gaben Erklärungen ab, denen sie Minuten später selbst widersprachen, und dann widersprachen sie sich noch einmal (ganz gleich, was über andere gesagt werden könne, ungeschlagener Champion dabei war und bleibt Santiago Creel). Gerüchte getarnt als Geheimdienstberichte und Geheimdienstberichte getarnt als Gerüchte wurden hysterisch ausgetauscht. In dieser Zeit stand der mexikanische Südosten nur wenige Worte davor, wieder einmal (wie schon 1994, 1995 und 1998) zu einem Kriegsschauplatz zu werden.

Aber dann gab es da jemanden, von oben, aber von außen, der sagte, nein, es handle sich dabei um eine politische Initiative, keine militärische, und es sei nichts anderes als die praktische Umsetzung dessen, was die Bundesregierung mit der EZLN im Februar 1996 vereinbart hatte, nur eben sieben Jahre später.
Jemand anderes empfahl, den Dingen ihren Gang nehmen zu lassen, auf das Scheitern zu warten und das "ich hab's ja gesagt" vorzubereiten, gleichzeitig mit dem militärischen Vorstoß auf die zapatistischen Positionen.

Was ich jetzt erzähle, trug sich in den Monaten Juli bis August letzten Jahres in den Kabinettsitzungen der Vicente Fox Regierung tatsächlich zu:
Offensichtlich entschieden sie sich, auf unser Scheitern zu warten. Und wie immer, wenn sie eine politische oder militärische Einschätzung über uns machen, lagen sie falsch.
Nicht nur blieb unser Scheitern aus: Zusätzlich zu der beträchtlichen Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Gemeinden haben wir nun auch praktische Argumente, um die Verunglimpfungen zu widerlegen, die die Basis für die Zurückweisung des COCOPA-Gesetzes geliefert haben.


Zerfall des Staates?

Vor einigen Jahren argumentierte ein Mitglied des obersten nationalen Gerichtshofes, jener Institution, die den Mächtigen ihre Straflosigkeit sichert (aber in schriftlicher Form, gespickt mit juristischen Ausdrücken), seine Ablehnung der verfassungsrechtlichen Anerkennung der indigenen Rechte folgendermaßen: "Der Mexikanische Staat wird zerfallen, es wird viele Länder in einem Land geben, und es wird überall individuelle Gesetze geben. Kurzum, das Land wird balkanisiert werden."
Man könnte denken, er sprach über den Drogenhandel und dessen Verbindungen zu Staatsbeamten und Richtern, aber nein, er sprach über die Ratsamkeit, die Existenz der mexikanischen indigenen Völker, das heißt, ihre kollektiven Rechte anzuerkennen.

Mit der Gründung der Caracoles und den Räte der Guten Regierung, beschlossen die Zapatisten die Abkommen von San Andrés umzusetzen und durch Taten zu demonstrieren, daß wir Teil Mexikos sein wollten (dem wir nicht angehören konnten, ohne aufzuhören zu sein, was wir sind).

Ein Jahr nach der Gründung der Caracoles und der Räte zerfällt das Land tatsächlich, aber nicht aufgrund der indigenen Autonomie. Es zerfällt aufgrund eines echten internen Krieges, durch die rücksichtslose Vernichtung seiner Grundpfeiler: der Souveränität über seine Ressourcen, der Sozialpolitik und der nationalen Wirtschaft. Diese drei Fundamente - die unter anderem in den Sezessions- und imperialen Kriegen vernichtet wurden - werden nun von den drei Staatsgewalten torpediert.
Souveränität über das Erdöl und die Energieerzeugung, um ein Beispiel zu geben, ist eins der Ziele der Verfassungsreformen, die nun vom Kongreß auf ihre Verabschiedung warten.
Sozialpolitik (oder der soziale Wohlstandsstaat) ist ein Witz geworden: Die zuständigen Institutionen sind nichts anderes als Ämter für Mildtätigkeit und Almosen, und die Errungenschaften der Arbeiter werden durch Geheimabkommen gestrichen, begleitet von lautstarken Medienkampagnen (der IMSS-Fall, um einen aktuellen Fall zu zitieren).
Die nationale Wirtschaft ist bereits seit längerer Zeit keine mehr und hat sich in die "Prostitution" des Überlebens verwandelt. Die nationale Produktionskapazität ist ein Haufen industriellen Schrotts und Nostalgie, das Geschäft wird durch große, transnationale Konzerne monopolisiert, die Banken sind übersättigt mit Auslandskapital, und das Auf und Ab finanzieller Spekulationen wird von globalen, nicht nationalen Variablen bestimmt.

Übersetzt heißt das: weniger und instabilere Arbeitsplätze, mehr Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung; hohe Preise; niedrige Einkommen; was wir produzieren können, wird importiert, die Produktion ist für den globalen Markt bestimmt - von dem wir nur eine makrowirtschaftliche Variable sind - und nicht für den eigenen Verbrauch. Armut beeinträchtigt nun nicht nur Arbeiter, sondern auch kleine und mittlere Geschäftsleute, und die mexikanischen Millionäre sind nun weniger, aber reicher.
Kurzum, die Bundesregierung hat sich ihrer Pflichten entledigt, der Nationalstaat taumelt, und der Knüppel kommt von oben, nicht von unten.
Es gibt ein Wort für so tiefgehende Veränderungen wie die, die unser Land erleidet, wenn sie von oben erzwungen werden, unter Mißachtung jeglicher Art von Zustimmung oder Konsultierung der Unteren: Man nennt das Konterrevolution.

Das einzige, das noch bleibt, ist eine Neugründung der Nation. Mit einem neuen sozialen Vertrag, einer neuen Verfassung, einer neuen politischen Klasse und einer neuen Art von Politik. Kurz gesagt, ein Kampfprogramm wird vonnöten sein, von unten errichtet, basierend auf der wahren nationalen Agenda und nicht auf jener, die von Politikern und Medien gefördert wird.
Was uns anbetrifft, wie aus diesem und dem folgenden Abschnitt ersichtlich werden wird, hat nichts, was von den Räten der Guten Regierung und den Zapatistischen Autonomen Bezirken in Rebellion unternommen wurde, zum Zerfall des Nationalstaates beigetragen.


Ein Staat in einem Staat?

Wer gut herrscht, sollte für alle herrschen, nicht nur für die, die mit ihm sympathisieren oder seiner Organisation angehören, nicht nur für die gleicher Rasse, Kultur, Hautfarbe oder Sprache.
Im zapatistischen Konzept ist der Kampf für die Einbeziehung des einen nicht der Kampf für den Ausschluß des anderen. Wenn die Existenz der Mestizen nicht das Verschwinden der Indígenas bedeutet, dann bedeutet unsere Anerkennung als das, was wir sind, auch nicht die Verneinung derer, die nicht so sind wie wir. Und das gilt für die Indígenas und für die Zapatisten.
Die Räte der Guten Regierung sind der Beweis dafür, daß der Zapatismus weder versucht, die Welt, in der wir leben, zu dominieren, noch sie gemäß seiner Ideen und Lebensart zu homogenisieren
Die JBG wurden erschaffen, um allen zu dienen, Zapatisten, Nicht-Zapatisten und sogar Anti-Zapatisten. Sie wurden erschaffen, um zwischen Autoritäten und Bürgern bzw. zwischen den Autoritäten verschiedener Gebiete und Hierarchien zu vermitteln. Das haben sie getan und werden es auch weiterhin tun. Vor einem Jahr, auf der Geburtsfeier der Caracoles und Räte, offerierte Comandante David Respekt für alle, die uns respektieren würden. Dieses Versprechen halten wir.

Und so halten die Räte der Guten Regierung einen respektvollen Kontakt zu verschiedenen sozialen Organisationen, zu vielen der offiziellen Bezirksregierungen, mit denen die Autonomien das Gebiet teilen, und in einigen Fällen mit der Staatsregierung. Empfehlungen werden getauscht, und sie versuchen Probleme durch Dialog zu lösen.
Anders als die Bundesregierung, deren "Beauftragter" dem Ziel ergeben ist, das Lächerliche zu tun, während er öffentliche Mittel betreut und Presseerklärungen darüber abgibt, hat es die Staatsregierung vorgezogen, sich nicht auf eine Medienkampagne (hinsichtlich des Zapatismus) einzulassen, sondern Signale zu geben und geduldig zu warten. Wohl wissend, daß die Ziele des Zapatismus nicht lokal, sondern bundesweit sind, beschloß die Regierung von Chiapas, nicht Teil des Problems zu sein, sondern zu versuchen, ein Teil der Lösung zu sein.
Während sich Don Luis H. Alvarez von ein paar geschickten Trickbetrügern ködern läßt, die ihm einreden, sie hätten Kontakt zur EZLN, sein Geld ausnehmen und ihn von einem Ort zum anderen schleppen, mit dem Versprechen, er würde dort den "einen da" (Marcos) treffen, und er erfolglos versucht, eine PAN-"Campesino-Front" zu errichten, indem er Baumaterialien und Solarzellen verteilt, hat die Staatsregierung einen echten Kommunikationsdraht zu den zapatistischen Gemeinden.
Nebenbei bemerkt: wir haben nichts dagegen, daß die Fox Regierung das Gehalt des selbst-bezeichneten "Friedensbeauftragten" zahlt, aber wir denken, sie sollten seine Aufgaben neu definieren: statt ihn dafür zu bezahlen, den Dialog mit den Zapatisten zu suchen (was er nicht tut), sollten sie ihn dafür bezahlen, daß er die Kosten der Anti-Zapatisten trägt.

Die Räte der Guten Regierung vermittelten gemeinsam mit der Staatsregierung von Chiapas im Fall der Geisel, die von dem CIOAC in Las Margaritas festgehalten wurden, für die Entschädigung der Opfer von Zinacantán, für die Entschädigung der Campesinos, die vom Bau eines Straßenabschnittes in der Tzeltal-Selva-Region betroffen waren, bei dem Problem der "Fahrradtaxis" an der Küste von Chiapas und vielleicht auch noch in einem anderen Fall, der mir im Augenblick gerade entfällt. Beim Durchsehen der einzelnen Berichte jedes Rates werden Sie feststellen, daß nichts versteckt wird. Im Großen und Ganzen bemühte man sich kontinuierlich darum, Konfrontationen unter den Indígenas zu vermeiden.
Gegenwärtig werden Gespräche geführt bezüglich der kürzlich erfolgten Ermordung eines Compañero der Unterstützungsbasis in Polhó und der Vergewaltigung eines 11 Jahre alten Mädchens in Chilón.

Respekt ist Anerkennung, und die Räte der Guten Regierung erkennen die Existenz und Jurisdiktion der Staatsregierung und der offiziellen Bezirke ebenso an wie in den meisten Fällen die der offiziellen Bezirksbehörden, und die Staatsregierung erkennt die Existenz und Jurisdiktion der JBG an. Die Räte der Guten Regierung erkennen auch die Existenz und Legitimität anderer Organisationen an. Sie respektieren und sie fordern Respekt.
Nur auf diese Weise, mit Respekt, können Vereinbarungen getroffen und ausgeführt werden.

Es hat eine Weile gedauert, aber jetzt wissen nicht-zapatistische und anti-zapatistische Personen und Organisationen, daß sie zu den JBG kommen können, um mit jeder Art von Problemen fertigzuwerden, daß sie nicht festgehalten werden (die JBG sind Institutionen des Dialoges, nicht der Bestrafung), daß ihr Fall ausgewertet und Gerechtigkeit geschaffen wird. Wenn jemand möchte, daß irgendetwas bestraft wird, gehen sie zu einem offiziellen Gericht, aber wenn jemand eine Lösung durch Dialog und Abkommen will, wenden sie sich an die Räte der Guten Regierung.


Mehr Konflikte?

Die Tätigkeit der JBG fängt bereits an, in den autonomen und offiziellen Bezirken Wirkung zu zeigen. Es wird bei sozialen Problemen zwischen Gruppen, Gemeinden und Organisationen immer seltener zu Gewalt oder zu Geiselnahmen gegriffen und immer öfter zum Dialog. In vielen Fällen hat sich gezeigt, daß es sich gar nicht um Konfrontationen zwischen Organisationen handelte, sondern um individuelle Probleme, die als organisatorische ausgegeben wurden.
Unser wichtigstes Gut ist unser Wort. Darauf wurde die moralische Autorität aufgebaut, die Autorität einer Bewegung die nicht ohne Rückschläge nach einem neuen Weg sucht, um Politik zu betreiben. Vorher nahm man es als gegeben hin, daß jeder erfolgte Angriff einen politischen Hintergrund hätte, die Anzeige wurde ausgefertigt und Demonstrationen veranstaltet. Nun findet zuerst eine Untersuchung statt, um herauszufinden, ob etwas aus politischen Gründen verübt wurde oder ein Verbrechen war.
Um dies zu bewerkstelligen, halten die JBG über das Ministerium für Indigene Völker eine Kommunikationsleitung mit der Staatsregierung von Chiapas aufrecht. Wenn ein Angriff gegen Zapatisten stattfindet und kein Kontakt mit den Angreifern zustande kommt, um den Grund für das Problem festzustellen und zu versuchen, eine Einigung durch Dialog zu erzielen, raten die Räte der Guten Regierung der autonomen Autorität, eine Untersuchung zu starten.
Gleichzeitig reichen sie die Einzelheiten des Falles an die Staatsbeamten weiter. Es wird nicht zu Anzeigen, Demonstrationen oder Vergeltungsmaßnahmen gegriffen, solange keine Klarheit über die Sache herrscht.
Wenn die Angelegenheit nicht politisch, sondern kriminell ist, warten sie eine angemessene Zeit ab, um der staatlichen Gerechtigkeit Gelegenheit zu geben durchzugreifen. Wenn sie es nicht tut, dann tritt die zapatistische Gerechtigkeit in Aktion.
In den Fällen, die wir bisher präsentiert haben, arbeitete das Gerichtssystem der Regierung von Chiapas mit bemerkenswerter Langsamkeit und Ineffizienz. Wie es scheint, ist der Justizapparat von Chiapas nur dann prompt zur Sache, wenn es darum geht, die politischen Feinde der Staatsregierung zu bestrafen. Im Fall der Beamten von Zinacantán, deren Vergehen flagrant und dokumentiert war, beschränkte sich die Staatsregierung darauf, bei der Entschädigung der Betroffenen zu helfen. Was die Schuldzuweisung und gesetzliche Ahndung der Verantwortlichen angeht, ist bisher noch nichts geschehen.
Und im Fall von Chilón, wo ein 11-jähriges Mädchen im Kontext einer Konfrontation zwischen Zapatisten und Nicht-Zapatisten vergewaltigt wurde, sind die Meinungsverschiedenheiten über die Ursprünge der Konfrontation ausgeräumt worden, alle Informationen über die Vergewaltiger (einschließlich der medizinischen Analyse, die die Vergewaltigung des Mädchens bestätigt) sind bereits an die zuständigen Behörden übergeben worden ... und bisher nichts (zumindest bis zum Tag, an dem ich dies schreibe). Die Vergewaltiger laufen immer noch frei herum, obwohl sie nicht die Unterstützung ihrer Organisation haben (die sich von dem Vorfall distanzierte).

Es muß jedoch gesagt werden, daß die schlimmsten diesjährigen Angriffe gegen Zapatisten nicht durch die Bundesarmee verübt wurden und auch nicht von der Öffentlichen Sicherheitspolizei (was die Paramilitärs anbetrifft, werden die möglichen politischen Ursachen im Fall des ermordeten Compañeros in Polhó gegenwärtig untersucht).
Paradoxerweise kamen die schlimmsten Probleme und Angriffe dieses Jahres von Organisationen und Regierungen, die mit der PRD affiliiert sind: dem offiziellen CIOAC der Region Las Margaritas, und dem offiziellen Präsidentenbüro des Bezirkes von Zinacantán (PRD). In beiden Fällen erlitten Zapatisten Angriffe. In Las Margaritas wurden Compañeros gekidnappt, und in Zinacantán wurde eine friedliche Demonstration mit Schußwaffen angegriffen.

Der offizielle CIOAC der Region Las Margaritas (ich unterscheide deshalb, weil mit dem CIOAC in anderen Bezirken Abkommen geschlossen wurden und gegenseitiger Respekt herrscht) will nur seinen korrupten Status innerhalb des Bezirkes aufrechterhalten und seinen Führern weiterhin die Unterstützung der offiziellen Behörden sichern.
In Zinacantán, plante und verübte die PRD Regierung einen Hinterhalt, in dem mehrere Zapatisten Schußwunden davontrugen. Mit der "Video-Krise" konfrontiert, verharrte die nationale PRD in komplizenhaftem Schweigen und leitete erst vor kurzem ein Verfahren zum Ausschluß des Bezirkspräsidenten aus der PRD ein. In gehobenen PRD-Kreisen heißt es, dies sei der Preis gewesen, denn die Zapatisten zahlen mußten, weil sie bei den Wahlen ihre Partei nicht unterstützten.
Ist das die Plattform, mit der sie 2006 in ganz Mexiko werben werden? Prügel und Gewehrkugeln für alle, die die PRD nicht bedingungslos unterstützen? Nur eine Frage.

Andere Organisationen, mit denen wir verstritten waren und sind - und mit denen die Dinge bisher nach einer Logik gehandhabt wurden wie "wir haben ein Problem, ich greife mir einen von deinen, du greifst dir einen von meinen, wir tauschen sie aus, und das Problem bleibt bestehen" (oder "treib 'ne große Menge Leute zusammen, ich hole andere, wir verprügeln uns gegenseitig, und das Problem bleibt bestehen") - versuchen nun zu reden, die Versionen beider Seiten in Erfahrung zu bringen, eine Einigung zu erzielen. Genau so, ohne Konfrontationen oder gegenseitige Entführungen. Auf diese Weise wurden Probleme mit Organisationen gelöst wie ORCAO, ARIC-Independiente, ARIC-PRI, dem CNC und vielen anderen im Operations- und Einflußgebiet der Räte.
Anders als in den vorherigen Jahren gingen die Konflikte zwischen Gemeinden und Organisationen in den Gebieten der Räte der Guten Regierung zurück, und die Verbrechensrate und Straflosigkeit wurden reduziert. Verbrechen werden gelöst, nicht nur bestraft. Wenn Sie mir nicht glauben, konsultieren sie die Berichte in den Tageszeitungen, Gerichten, öffentlichen Ämtern, in Gefängnissen, Krankenhäusern und Friedhöfen! Vergleichen Sie vorher und nachher und ziehen Sie ihre eigenen Schlüsse!


Gerechtigkeit à la mode?

Eine gute Regierung versucht nicht, jenen Straflosigkeit zu sichern, die mit ihr sympathisieren, und sie ist auch nicht dazu da, um jene mit abweichenden Vorstellungen und Haltungen zu bestrafen. Anders gesagt, sie sollte nicht handeln wie die Bundesregierung, die Verbrechern Straflosigkeit zusichert, weil sie der PAN angehören (wie zum Beispiel Estrada Cajigal) oder weil der PRI ein Handel eingegangen ist (Luis Echeverría, beispielsweise), und versucht, einen Gegner zu bestrafen (López Obrador) und ihn von den Wahlen 2006 auszuschließen.

Die Gesetze, die in den zapatistischen Bezirken in Rebellion in Kraft sind, stehen nicht im Widerspruch zu den Justizelementen der Staats- und Bundessysteme, aber in vielen Fällen vervollständigen sie diese.
Ich sagte, daß gutes Regieren nicht dazu da ist, den eigenen Leuten Straflosigkeit zu sichern und die anderen zu bestrafen.
Als ein Beispiel und Illustration halte ich hier eine Kopie des offiziellen Schreibens des Autonomen Bezirksgerichtshofs von San Juan de La Libertad, Chiapas, ausgestellt am 19. August 2004, gerichtet an die konstitutionelle Regierung des Bundesstaates Chiapas, mit einer Kopie an den Bezirkspräsidenten und den Bezirksgerichtshof von Chalchihuitlán. Der Text dient als Argument (ich folge der Originalfassung):

"C. Fulano, EZLN Unterstützungsbasis, 17 Jahre alt, aus Jolik'alum, Bezirk Chalchihuitlán, Chiapas, wurde am 14. August dieses Jahres den autonomen Autoritäten und den Behörden des Bezirksgerichtshofes von den lokalen Behörden dieser Gemeinde vorgeführt, unter Anklage am 13. August dieses Jahres ein Vergehen verübt zu haben. Als C. Zutano von der Nationalen Aktionspartei (PAN) sein Haus verließ, um auf dem Markt von Joliontic Einkäufe zu tätigen, begegnete er auf dem Rückweg diesem Jugendlichen, Fulano, im Dickicht versteckt, bewaffnet mit einem Einschußgewehr Kaliber 22, mit dem er versuchte, auf C. Zutano aus einer Distanz von 5 Meter zu schießen, aber die Waffe war nicht mehr verwendbar.
Beim Erscheinen vor den autonomen Bezirksrichtern erklärte der Jugendliche Fulano, die Provokation sei vom Ankläger C. Zutano selbst verursacht worden, da dieser 300 Kaffeestauden abgeschnitten hätte, die dem Jugendlichen Fulano gehörten, der daraufhin ein Jahr lang wütend gewesen sei. Die autonomen Richter stufen die Tat von C. Fulano als schweres Vergehen gegen die revolutionäre zapatistische Ordnung und Disziplin ein. Wir bestätigen seine umgehende Festnahme, da Informationen vorhanden sind, um die Elemente einer solchen Straftat zu bestätigen. Zur Zeit der Festnahme des Schuldigen jedoch entzog sich der Ankläger C. Zutano den Bezirksrichtern und weigerte sich, über die Wurzel dieser Angelegenheit auszusagen, als ob ihm der Vorfall zu Lasten gelegt würde. Die autonomen Autoritäten sind in der Lage, jede Art von Angelegenheit oder Ordnungsdelikte zu lösen. Gegenwärtig büßt C. Fulano seine Strafe durch Freiheitsentzug ab C. Fulanos Waffe befindet sich im Besitz der autonomen Autoritäten von San Juan de la Libertad. Die Waffe ist in einem schlechten Zustand, da sie nicht richtig funktioniert, und wird zerstört werden."


Kollektive Rechte gegen individuelle Rechte?

Ich denke es gibt Studien, oder es wird sie geben, die demonstrieren, daß es keinen Widerspruch zwischen der Anerkennung beider Rechte gibt. Wir sprechen nun davon, was wir in der Realität sehen, und über das, was wir ausüben, und wir sind offen für jeden, der nachweisen möchte, ob die Ausübung unserer Rechte als indigene Völker gegen irgendein individuelles Recht verstößt.
Kollektive Rechte (sowie die Entscheidung über Nutzen und Gebrauch der natürlichen Ressourcen) stehen nicht nur in keinem Widerspruch zu den individuellen Rechten, sondern gestatten diesen auch, sich auf alle zu erstrecken und nicht nur auf ein paar wenige.
Wie man aus dem Teil über die erzielten Fortschritte ersehen wird, hat es auf zapatistischem Gebiet keine Zunahme von Verstößen gegen die individuellen Menschenrechte gegeben. Was tatsächlich zugenommen hat, sind bessere Lebensbedingungen. Das Recht auf Leben wird respektiert, genauso wie das Recht auf Religion, auf politische Zugehörigkeit, auf Freiheit, auf Unschuldsvermutung, auf Widerspruch, auf das Anderssein, auf die freie Wahl der Mutterschaft.

Dieses Jahr haben wir Zapatisten beschlossen, anstatt uns auf eine gesetzliche Diskussion einzulassen, in Taten zu demonstrieren, daß die Fahne der Anerkennung der indigenen Rechte, gehißt von den mexikanischen Indígenas und vielen anderen mit ihnen, keine der Gefahren in sich birgt, die man gegen sie vorgebracht hat.
Der Zerfall des mexikanischen Volkes schreitet nicht auf zapatistischem Gebiet fort. Ganz im Gegenteil, was hier erschaffen wird, ist eine Chance für dessen Wiederaufbau.


aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos