Teil 2:
Über zwei Mängel - und einige, die keine sind


Na gut, schön, ich bin zu nachsichtig mit den Spiegeln. Aber ich sage nicht, daß wir nur zwei Mängel, Irrtümer oder Fehler im ersten Arbeitsjahr der Caracoles und der Räte der Guten Regierung hatten. Es gibt statt dessen jedoch zwei Fehler in unserer politische Arbeit, die anscheinend noch immer bestehen (und die ganz eindeutig gegen unsere Prinzipien verstoßen): einerseits die Stellung der Frauen und andererseits die Beziehung zwischen der politisch-militärischen Struktur und den autonomen Regierungen.
Für jene, die mit den Caracoles oder den Räten der Guten Regierung in Kontakt gewesen sind, gibt es wahrscheinlich viel mehr Fehler. Einige davon sind auf die Dynamik des Widerstands zurückzuführen, während andere bereits - zumindest ansatzweise - gelöst werden. Und andere sind Fehler, die keine Fehler sind (sie sind Absicht).

Es gibt noch weitere Fehler, bei denen ich mir nicht ganz sicher bin, aber sie könnten etwas mit Krieg, Widerstand und der Notwendigkeit der Geheimhaltung zu tun haben. Oft kommen Menschen zu den Caracoles, versuchen, mit dem Rat der Guten Regierung zu sprechen und warten ziemlich lange Zeit, um zu sehen, ob sie empfangen werden oder nicht. Auch werden oft Fragen eingeschickt und nie beantwortet ("sie sollten zumindest antworten, daß sie nicht antworten werden", bittet die Zivilgesellschaft mit leisem Murren).
Das klingt vielleicht amüsant, aber für jemand der einen Ozean überqueren mußte (und das nicht metaphorisch), um unser Land zu erreichen, ist es nicht amüsant, nicht empfangen zu werden. Ich glaube, so "wird es hier gemacht", aber es wird bereits an einer Lösung gearbeitet. Es gibt jetzt ein Komitee, das - während der Rat der Guten Regierung ihre Arbeit verrichtet - alle Ankommenden empfängt (außer sie kommen von der Bundesregierung). Die "Empfangskomitees" (fast immer bestehend aus Mitglieder des CCRI) haben nicht in allen Caracoles auf dem gleichen Level gearbeitet, und mehr als nur eine Person aus der Zivilgesellschaft wurde warten gelassen. Aber glauben Sie mir, wir bemühen uns, daß dies nicht mehr passiert ... oder zumindest nicht mehr so oft.
Andererseits sollte man begreifen, daß wir eine Bewegung in Rebellion und Widerstand sind. Und wenn man die vielen Generationen hinzufügt, die hier das Opfer von Betrug und Verrat gewesen sind, ist das natürliche Mißtrauen vor neuen Besuchern verständlich, genau wie die Anfragen um Information und Referenzen, die dabei helfen festzustellen, ob der Neuankömmling mit guten oder schlechten Absichten kommt. Das was einige als bürokratische Tendenzen der JBG und der autonomen Räte betrachten, sind in Wahrheit das Produkt der Dynamik der Geplagten und Verfolgten.

Ein weiterer "Fehler", den die Zivilgesellschaften und insbesondere die Nichtregierungsorganisationen in den Gemeinden entdecken, ist kein Fehler.
Ich meine damit die Tatsache, daß die Mitglieder der Räte der Guten Regierung ständig wechseln. Nach "Rotationen" von acht bist 15 Tagen (je nach Region) wird der Rat ersetzt. Die Mitglieder kehren dann zu ihrer Arbeit in den autonomen Gemeinden zurück, und andere Autoritäten kommen, um die JBG zu besetzen.
"Während wir bereits mit einem Team verhandelten," sagen die Zivilgesellschaftler, "werden sie mit einem anderen ausgetauscht, und wir müssen ganz von vorne anfangen. Es gibt keine Kontinuität, weil in der einen Woche Abkommen mit einem Rat getroffen werden, und in der nächsten gibt es bereits einen anderen Rat". Einige gehen gar nicht erst ins Detail sondern erklären: "Die Räte der Guten Regierung sind ein Chaos."
Ein Mitglied des "Sicherheitskomitees" (ein CCRI-Team mit der Aufgabe, den JBG in jeder Region zu helfen) sagte mir: "Wir streiten uns viel, denn wenn einem Rat der Guten Regierung endlich klar ist, wie gearbeitet werden sollte, wird er von einem anderen ersetzt, und wir müssen dem neuen alles wieder ganz von vorne erklären. Und das ist nicht alles. Wenn alle autonomen Autoritäten einmal dran gewesen sind, fängt alles von vorne an."

Vielleicht gehe ich zu weit, aber die Wahrheit ist: So ist das geplant.
Selbstverständlich ist es nicht geplant, daß die Räte - um den Ausdruck der Zivilgesellschaftler zu benutzen - ein Chaos sind. Es ist geplant, daß die Arbeit der JBG unter den Mitgliedern aller autonomen Räte aller Regionen rotiert. Der Zweck ist, daß die Aufgabe des Regierens nicht ausschließlich einer Gruppe vorbehalten ist und es keine "professionellen" Anführer gibt, damit so viele Menschen wie möglich sie erlernen, und die Idee, daß das Regieren nur von "besonderen Menschen" ausgeführt werden kann, zurückgewiesen wird.
Fast zwangsläufig, sobald alle Mitglieder eines Autonomen Rates die Bedeutung des Guten Regierens gelernt haben, gibt es neue Wahlen in den Gemeinden, und alle Autoritäten werden gewechselt. Jene, die es bereits gelernt haben, kehren zu ihren Feldern zurück, und die neuen kommen rein ... und beginnen von vorne.
Eine gründliche Analyse wird zeigen, daß dies ein Prozeß ist, in dem ganze Dörfer lernen zu regieren.

Die Vorteile? Gut, einer davon ist, daß es so für eine Autorität schwieriger wird, zu weit zu gehen und, mit der Ausrede wie "kompliziert" das Regieren sei, die Gemeinden nicht über die Verwendung der Ressourcen oder das Treffen von Entscheidungen zu unterrichten. Je mehr Leute wissen, wie alles vonstatten geht, desto schwieriger wird es sein zu betrügen und zu lügen. Und die Regierten werden die Regierenden aufmerksamer im Auge behalten.
Es erschwert auch die Korruption. Wenn man es fertig bringt, ein JBG-Mitglied zu korrumpieren, wird man es mit allen autonomen Autoritäten tun müssen, oder mit allen Rotationen, denn ein "Deal" mit einem von ihnen wird nichts garantieren (Korruption erfordert auch "Kontinuität"). Sobald man alle Räte korrumpiert hat, wird man von vorne anfangen müssen, denn die Autoritäten wechseln, und jene mit der man etwas "ausgehandelt" hat, wird nicht länger arbeiten. Und so wird man praktisch alle Erwachsenen der zapatistischen Gemeinden korrumpieren müssen. Obwohl natürlich, so bald man das geschafft hat, werden ja die Kinder bereits herangewachsen sein, also muß man wieder...

Wir sind uns dessen bewußt, daß diese Methode es schwierig macht, einige Projekte auszuführen, aber aus Ausgleich haben wir eine Schule des Regierens, die auf lange Sicht gesehen eine neue Art Politik zu betreiben hervorbringen wird. Und zusätzlich hat dieser "Fehler" es uns erlaubt, jegliche mögliche Korruption unter den Autoritäten zu bekämpfen.
Es wird Zeit brauchen, ich weiß. Aber für jene, die wie die Zapatisten auf Jahrzehnte hinaus planen, sind ein paar Jahre nicht viel.

Ein weiterer "Fehler", der kein Fehler ist, ist es, wenn jemand manchmal zu den Räte der Guten Regierung kommt und um eine Unterstützungserklärung für eine Bewegung oder eine Organisation ersucht und diesem Gesuch wird dann nicht stattgegeben. Das liegt nicht daran, daß die Junta nicht daran interessiert ist zu unterstützen oder teilzunehmen. Es liegt einfach daran, daß diese Gesuche nicht zum Verantwortungsbereich der Räte der Guten Regierung gehören, da sie alle zapatistischen Völker betreffen und nicht nur die innerhalb der Jurisdiktion einer einzigen Junta, und die JBG können keine Repräsentationen übernehmen, die ihnen nicht gehören. Außerdem sind diese Anfragen oder Einladungen meistens an die EZLN gerichtet, aber die EZLN ist eine Sache und die Räte sind eine andere. Also regen Sie sich nicht auf, wir lernen.
Anders als man denken mag, sind diese Fehler, die wir zu verantworten haben, auch am schwersten zu lösen.

Ich sagte am Anfang des zweiten Teils dieses Videos, daß ein Mangel, denn wir schon seit langer Zeit mit uns herumschleppen, die Stellung der Frauen betrifft. Die Einbeziehung der Frauen in die Aufgaben der Organisation ist immer noch gering und in den autonomen Räte und den JBG praktisch nicht vorhanden.
Während der Prozentsatz der Frauenbeteiligung an den Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees zwischen 33% und 40% liegt, sind es in den autonomen Räte und den Räten der Guten Regierung durchschnittlich weniger als 1%. Frauen werden bei der Ernennung der Ejidobeauftragten und Bezirksagenten weiterhin ignoriert. Regierungsarbeit bleibt den Männern vorbehalten. Und nicht, daß wir an der Art "Frauenrechte" interessiert wären, die in den oberen Schichten so an der Mode sind, aber es gibt immer noch keine Räume für Frauen, die an der zapatistischen sozialen Basis beteiligt sind, die in Regierungspositionen reflektiert würden.
Und nicht nur das. Obwohl zapatistische Frauen im Widerstand eine fundamentale Rolle hatten und haben, besteht die Achtung ihrer Rechte in einigen Fällen nur aus Worten auf Papier. Die Gewalt in der Familie hat abgenommen, das ist wahr, aber mehr durch die Einschränkung des Alkoholverbrauchs, als durch eine neue Familien- und Geschlechterkultur.
Frauen sind auch immer noch eingeschränkt, an Aktivitäten teilzunehmen, die es erforderlich machen das Dorf zu verlassen. Es ist keine geschriebene oder eindeutige Regel, aber eine Frau, die ohne Ehemann oder Kinder reist, wird in ein schlechtes Licht gestellt. Und ich meine nicht die "extra zapatistischen" Aktivitäten, die schweren Beschränkungen unterliegen, die auch Männer betreffen. Ich meine damit Kurse und Treffen, organisiert von der EZLN, den JBG, den Autonomen Bezirken, den Frauenkooperativen und den Gemeinden selbst.
Es ist eine Schande, aber wir müssen ehrlich sein: wir können, was die Frauen angeht, immer noch keinen guten Bericht abgeben, was die Schaffung von Voraussetzungen für ihre Entwicklung betrifft, einer neuen Kultur, die ihre Fähigkeiten und Begabungen würdigt, die bisher nur Männern zugeschrieben wurden.
Auch wenn es uns klar ist, daß dies eine Weile dauern wird, hoffen wir eines Tages mit Zufriedenheit sagen zu können, daß wir die Störung zumindest dieses Aspekts der Welt zuwege gebracht haben.
Nur so, wird es sich gelohnt haben.

Wozu die EZLN in den Gemeinden und ihrem Autonomieprozeß tatsächlich beigetragen hat (sicherlich in einem schlechten Sinn), ist die Beziehung zwischen der politisch-militärischen Struktur und den Autonomen Zivilregierungen.
Die Idee war ursprünglich, daß die EZLN die Gemeinden bei der Errichtung ihrer Autonomie begleiten und unterstützen sollte. Diese Begleitung verwandelte sich jedoch manchmal in Verwaltung, Beratung in Anweisungen, und die Unterstützung in eine Behinderung.
Ich habe bereits früher darüber gesprochen, daß die hierarchische Pyramidenstruktur für die indigenen Gemeinden nicht charakteristisch ist. Die Tatsache, daß die EZLN eine politisch-militärische und geheime Organisation ist, korrumpiert immer noch Prozesse, die demokratisch sein sollten und müssen.
In einigen Räte und Caracoles entstand das Phänomen, daß CCRI-Kommandanten Entscheidungen trafen, die ihnen nicht zustanden, und sich in Problemen der Räte einmischten. "Gehorchend regieren" ist eine Tendenz, die weiterhin gegen Wände anrennt, die wir selbst errichtet haben.

Diese zwei Mängel bedürfen unserer besonderen Aufmerksamkeit und Gegenmaßnahmen. Wir können sie nicht auf die militärische Belagerung schieben oder den Widerstand, den Feind, den Neoliberalismus, die politischen Parteien, die Medien, oder die schlechte Laune, die uns am Morgen packt, wenn die Haut, die wir ersehnen, nicht da ist.

Nun gut. Ich habe mich so kurz wie möglich ausgedrückt, denn man muß seine Fehler ebenso kurz und bündig akzeptieren, wie man sich deren Lösung ausführlich widmen muß.
Vale. Salud und ich verstehe, daß Sie immer noch nicht verstehen. Deshalb begann ich mit "Geduld, die Tugend des Kriegers."

aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos


PS: Oder finden Sie uns vielleicht netter, wenn wir still sind? Nichts da, wir sagen, was wir denken und was wir fühlen. Und wie viele Personen und Organisationen können das von sich selbst behaupten?