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Teil 1:
Eine Felseninsel
Im Schutz des Regens wandert Lichtschatten in Spiralen und zeichnet mit seinen Schritten ein Caracol. Kommt er? Geht er? Schwer zu sagen. Es scheint, als würde er mit jemandem sprechen oder jemandem schreiben, der nicht hier ist. Wir werden sehen… Das Fest ist vorbei. Obwohl noch ein wenig Gedränge herrscht, verabschieden sich die Musiker.
Morgen wird wieder sein wie es in diesem Monat immer ist: Zwischendurch die Sonne, die sich nur so weit hervorbewegt um zu sehen, was wir tun, während Wolken und Regen plötzlich über uns herfallen und die Welt wie eine kleine Kugel verhüllen.
Aber es dauert noch, bis die Sonne in ihrem Pyjama aus Wolken aufgehen wird und diese ihre Wehmut und Seufzer über die Schatten und Lichter von unten vergießen.
Das Fest endet stückweise, als würde es sich befreien, als würde der Lärm (das Blabla der Musik im Schlamm) das "wer lebt" geben und die Stille schweigend "ich bin" sagen.
Ebenfalls stückweise entzünden sich die Grillen. Wartest du, so laß deine Taille noch für einen Moment in meinen Armen Schau dir die Unordnung der verstreuten Sterne an, den Himmel, der sich das schattengebräunte Gesicht wäscht, den lichtzwinkernden Mond zwischen den Sternen.
Hörst du? Nur mehr das Sägemehl der Nacht, ein Tropfen Wasser, der mit erheblicher Verzögerung die Blechdächer erreicht, ein Hund, der das Echo seines Bellens mit der Hilfe anderer vortäuscht. Komm, gehen wir erneut, laß uns diesen Anblick festhalten! Öffne die Seele, sieh, was sichtbar und was unsichtbar ist!
Schon erscheinen die ersten Buchstaben. Man würde vermuten, daß nun eine Leinwand auftauchen sollte, etwas mit Bild und Ton und Fernbedienung. Man würde es vermuten, aber nein… Statt Leinwand und Fernbedienung erscheint eine Karte, auf der steht: "Das Intergalaktische Zapatistische Fernsehen präsentiert … ein gaaaaaanz spezielles Video".
Lichtschatten wechselt die Karte mit einer anderen, auf der nun in kursiven Buchstaben steht: "Nicht magelnde Technologie ist für die Abwesenheit von Bild und Ton in diesem Video verantwortlich, sondern etwas, daß sich "Technologie des Widerstands" nennt."
Mmh, also ein Video ohne Bild und Ton … Von nun an, wird das "alternative Video" auf einander folgenden Karten mit verschiedenen Schriftarten, -größen und -farben präsentiert werden. Machen Sie sich damit vertraut, wo und wie Sie können, und lesen Sie!
Es war einmal vor langer Zeit …
ein Land namens Mexiko
Wahrscheinlich werden es künftige Generationen an Mexikanern (dank einer kriminellen Reform des höheren Bildungssystems) nicht mehr wissen, aber die kulturelle Legende, die dem Staat Mexiko zugrunde liegt, kannte keine Mestizen. Sie hatte weder mit der brutalen spanischen Eroberung zu tun, noch mit den offenen oder versteckten Invasionskriegen der imperialistischen Dummheit mit ihren verschiedenen Namen im Lauf der Geschichte: USA, Frankreich, England, Deutschland.
Noch weniger mit der törichten Verordnung (jedem Regierungswechsel) des Endes der Geschichte durch einen Namen: Augustin von Iturbide, Antonio López von Santa Anna, Maximilian von Habsburg, Carlos Salinas de Gortari (oder "ich heiße, wie ich heiße, aber man kennt mich als den Höhepunkt der Zeit" - ein Name, der ihm verliehen wurde).
Nein, der historische, kulturelle und symbolische Bezugspunkt dieser Nation kommt von ihren Ureinwohnern: Auf einer Felseninsel verzehrt ein auf einem Kaktus sitzender Adler eine Schlange. Dieses Bild wurde zum Wappen, zur Flagge, zum Synonoym, kollektiven Spiegel und kulturellen Anker der Mexikaner vom 19. bis zum anbrechenden 21. Jahrhundert.
Der Legende nach wurde Technotitlán an jener Stelle gegründet, an der dieses Zeichen gesehen wurde. Der Gott Huitzilopochtli (auch "blauer Himmel" genannt und durch eine Sonne dargestellt) hatte Copil besiegt. Das Herz des Besiegten wurde ausgesät und verwandelte sich in den Kaktus.
Die Ureinwohner und Erbauer von Aztlán (dem "Sitz der Reiher") wurden als "Azteken" bekannt, und dieser Name wurde im Lauf der Zeit zu einem Synonym für "Mexikaner", so daß uns diese Symbole heute, während das 20. Jahrhundert in seine ersten Jahre stolpert, daran erinnern, daß Mexiko auf einer Insel gegründet wurde. Und (wie immer in seiner Geschichte) auf einer Insel trifft Mexiko heute auf einen neuen Versuch der Zerstörung, nun unter dem Vorwand der "Modernisierung".
Wie in jedem Krieg greift der Mächtige zuerst zwei Ziele an: die Wahrheit … und die Geschichtsschreibung.
Ein schneller Überblick über die vorrangigen Bilder des "nationalen Lebens", wie sie durch die Massenmedien (vor allem das Fernsehen) vermittelt werden, erzeugt ein Gefühl des Chaos und des Unrechts. Der Kalender zeigt die Mitte des Jahres 2004, aber die Programminhalte scheinen manchmal aus dem 19. Jahrhunderts und dann wieder aus dem Jahr 2006 zu stammen.
Der Unterschied zwischen der Rechten und der Linken ist, daß die einen auf Videos erscheinen, die anderen nicht.
Einige Erkenntnisse aus dem Fall Ahumada: Nicht nur die theatralischen Qualitäten der Führer der PRD wurden bestätigt, auch ihr Provinzialismus reihte sich ein, um das Privatflugzeug der größten Betrüger zu besteigen, ihre Dekadenz grenzte fast schon an Kunst (PRIistas und PANistas machten sich über Strumpfbänder, Taschen – jene aus Plastik und jene an den Sakkos – und Aktenkoffer lustig, als gäbe es nicht, so sagen sie, elektronisches Geld und Bankkonten auf den Kaiman-Inseln) genauso wie ihre unfehlbare Idee, den Skandal durch einen noch größeren zu vertuschen (zweifellos ein Komplott, um sich vor den Medien reinzuwaschen).
Ahumada verdanken wir den Blick auf eine Regierung, die den Skandal in den Medien einem Gerichtsverfahren vorzieht, den Blick auf die wahre (zwergenhafte) Größe des "dynamischen Duos" (Creel und Derbez) und die Fahrlässigkeit, mit der der mexikanische Staat seine Regierung in eine internationale Krise mit der kubanischen Regierung führt.
Aber das Wichtigste: Der Fall Ahumada war lediglich ein kleiner Abriß des großen Unterfangens, mit dem die politische Klasse die Geschichtsschreibung zerstört: 2006 wird zum längsten Jahr der Geschichte werden, beginnend mit Jänner 2004.
Weder das Streben nach Gerechtigkeit noch die Suche nach Wahrheit ließen die Machenschaften des Carlos Ahumada, "Fernsehstar aus Berufung" (Monsiváis dixit) ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Ziel war, dem öffentlichen Bild von López Obrador zu schaden. Ginge es nur um Korruption, stünden sie den offenen und geheimen Intrigen der PRI um nichts nach. Im so genannten Fall "Pemexgate" gibt es eine Unmenge an Beweisen, nur das Video fehlt.
Für den schmutzigen Krieg von Díaz Ordaz / Echeverría / López Portillo / De la Madrid / Salinas de Gortari / Zedillo sind die Beweise überwältigend, aber die Gerechtigkeit verjährte innerhalb von drei Stunden.
Die Wahlbetrüge sind eine Tatsache, dennoch gibt es keinen Knast für jene auf der Anklagebank. Die Korruption, die sich zur Regierung machte, verfügt über legale Sicherheiten, doch diese eignen sich kaum als Wahlslogans.
Und die PAN streitet um ihren Platz im Programm. Die Geschichten mit "Vamos México", der Staatlichen Lotterie und die Umleitung öffentlicher Gelder waren, so erklären sie hastig, ein Fehler ihrer PR-Leute und ein Problem der "schlechten Presse".
Zu ihrem großen Bedauern streiten sich die drei großen Parteien Mexikos um die Vorherrschaft bei den Skandalen mit nicht geringerem Eifer als zuvor um die Stimmen.
Anscheinend tut ihnen niemand den Gefallen, sie darauf hinzuweisen, aber die Krise des mexikanischen Staates ist auch und vor allem eine Krise der politischen Klasse. Wenn der Wahlkampf von 2006 nicht aus nationalem Interesse auf 2004 voverlegt wurde, dann liegt es daran, daß das Wort "früh aufstehen" nicht nur auf ungeschickten Pressekonferenzen abgewandelt wird.
Der Unterschied zwischen der Vergangenheit und der Zukunft ist, daß erstere bereits bei der Beichte war
Wenn der Kampf um die Macht uns manchmal Jahre nach vorne schiebt, so erfüllt die real existierende Rechte ihre Pflicht und wirft uns Jahrzehnte und Jahrhunderte zurück. Als Meisterin der Doppelmoral gibt die Rechte vor, die mexikanische Gesellschaft in ein neues Wertesystem einzuführen, dem statt der Einbeziehung die Spaltung zugrundeliegt, die Philosophie der Fernsehnovellen an Stelle der wissenschaftlichen Erkenntnis, die Intoleranz an Stelle des Respekts vor dem anderen, der Rassismus an Stelle menschlicher Werte, Almosen statt Gerechtigkeit, verschlossene Türen statt allgemeiner Freiheit, Heuchelei statt Ehrlichkeit. Zusammengefaßt: das Mittelalter, aber mit Internet und hoch aufgelösten Fernsehbildschirmen.
Wenn jemand denkt, die Rechte hätte sich nur das Kulturelle als Aufgabenbereich vorgenommen und dabei lediglich Niederlagen eingefahren (jedes Ereignis und jede Veranstaltung, gegen die sich die bekennende Rechte querlegt, hat den Erfolg so gut wie sicher) oder daß sie nur in der PAN und den reaktionären Hierarchien der katholischen Kirche zu finden sei, bleibt weiter naiv… und verantwortungslos…
Von den "Legionären Christi" und "Yunque" bis hin zu "Opus Dei" und "Provida" gibt sich die Rechte nicht damit zufrieden "Herz und Seele" zu erobern. Sie greift nach den Räumen der Macht, formt und schult paramilitärische Gruppen und besetzt (manchmal zynisch, manchmal verdeckt) Schaltstellen in Politik, Wirtschaft, Medien und im sozialen Bereich. Kurz gesagt: Die Rechte wächst, vermehrt sich und stirbt nicht. Und nicht nur das.
Mit Unterstützung dieses Opportunisten im Rampenlicht, Juan Ramón de la Fuente, dem Rektor der UNAM (und zukünftigen Präsidentschaftskandidaten), wird auch die universitäre Rechte wiederbelebt. Die (der PRD und damit der vermeintlich Linken angehörige) regionale Staatsanwaltschaft, die in ihren medialen Auftritten mit "Selbstmorden" um sich wirft, als wären es Presseberichte, mußte sich gehörig anstrengen, um nach dem Mord an Noel Pavel González die blutbeschmierten Hände der rechtsextremen Gruppe "Yunque" zu verbergen.
Gemeinsam mit Pavel und seiner Familie warten auch Digna Ochoa und ihre Angehörigen. Ernüchtert stoßen sie auf das, was viele verschweigen: die Kunst, eine Lüge als juristische Wahrheit zu präsentieren.
Betrachtet man die Handlungen der Regierenden, so sieht man, daß, wenn die Parteien einst um den Platz in der "Mitte" kämpften, sie heute ganz unverschämt darum streiten, sich möglichst weit rechts zu positionieren. Und natürlich teilen sie außer der Korruptionsanfälligkeit und dem Autoritarismus auch noch etwas: den Medienkult.
Der Unterschied zwischen Demokratie und einer Meinungsumfrage besteht in… in… in… gibt es einen Unterschied?
Die politischen Veränderungen im Mexiko des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts können am besten durch die Beziehung zwischen der Regierung und den Massenmedien beschrieben werden. In der "goldenen" Ära der PRI (die "Vormoderne", wie sie manche nennen) herrschte die damals einzige Partei.
Die "Moderne" brachte den Medien eine Veränderung: sie nahm sie in die Regierung auf. In kurzer Zeit stieg die Bedeutung der Medien gewaltig an und bald übernahmen sie die politische Macht.
Heute, in der "Postmoderne", sind sie es, die regieren. Die Politiker sind nichts weiter als ein verlorener Haufen, nicht nur den Regeln des Spektakels unterworfen, sondern auch den Themen, die von Fernsehen, Radio und Schriftpresse (in dieser Reihenfolge) vorgegeben werden.
Es ist offensichtlich: Die nationale Tagesordnung (was wichtig und dringend ist, wie Probleme angegangen werden sollen, mit welchen Mitteln, in welcher Reihenfolge und Geschwindigkeit - also die Liste der wichtigsten Probleme des Landes) wird nicht mehr in den exklusiven Kreisen der politischen Klasse (wie bisher) entschieden und schon gar nicht unten, von den Menschen selbst (wie es sein sollte, aber noch nie war), sondern in den Führungsgremien der Medienkonzerne.
Befand sich die Presse bisher in den Fesseln eines autoritären politischen Systems, so existiert heute, durch die sozialen Kämpfe und die Verdienste der Journalisten selbst, eine relative Freiheit (die so heftig attackiert wird, daß Journalismus eigentlich als Beruf mit "höchstem Risiko" eingestuft werden müßte), sich Themen, an die früher nicht einmal gedacht werden durfte, mit Kreativität, kritischem Geist, Genie und Tiefe anzunähern (auch wenn das nicht häufig geschieht).
Es ist wichtig, dem engagierten Journalismus (ja, es gibt ihn!) zu danken, daß er nicht zögert, sich den Herrschenden durch eine Kurzmeldung, eine Reportage oder einen Bericht entgegenzustellen. Dennoch hat dieser engagierte Journalismus, als seine Bedeutung und moralische Autorität stieg, den Blick der Mächtigen angezogen.
Mit mehr oder weniger gut durchdachten Schmeicheleien versuchten die Politiker, sie in ihren Bann zu ziehen. Doch im Unterschied zu den Politikern sind die Journalisten keine Idioten und bemerkten bald, daß die Politiker nicht die leiseste Ahnung von dem hatten, was um sie herum tatsächlich geschah.
Wir finden hier die einen, die sich schon seit längerer Zeit an der Macht halten, und die anderen, die sich ihren Platz an der Spitze eben erst erkämpften. Es sind diese letzteren, die sich selbst zu "Sprechern der Gesellschaft" ernennen.
Die "öffentliche Meinung" ist die Verkleidung, in der einige Medien ihre speziellen und allgemeinen Ansichten tauchen, als wären sie selbst das Volk. Allmählich haben die Nachrichtenschreiber und Kommentatoren die Demokratie (die Herrschaft durch und für das Volk) und sogar den Wahlprozeß ersetzt.
Bald werden die öffentlich gewählten Ämter durch Publikumswertungen und nicht durch Wahlen besetzt werden (statt des Kuchens, der Getränke und der Mützen oder T-Shirts der vormodernen Transportmittel wird der Umfragebogen heute 40 mal (!) gedruckt, um an der Verlosung einer Führung im Zirkus von San Lázaro teilzunehmen).
Das ist kein perverser Akt – eine ganze Menge an Journalisten, politischen Kommentatoren und Kolumnisten sind ehrliche Menschen, mit kritischem Blick und ernster Besorgnis angesichts der sozialen Probleme.
Aus einem gewissen Grund gewinnen sie den Respekt der Fernsehzuschauer, Radiohörer und Zeitungsleser. Aber sie sind nicht einmal Journalisten, ihr Blick entspricht dem einer kleinen privilegierten Gruppe, und sie nähern sich dem Problem von außen … und von oben. In einer Situation, in der die Regierung nicht regiert, zwingt seine wachsende Bedeutung den Journalisten dazu, auf einer feinen Linie zwischen Ethik und Zynismus zu balanzieren. Wer kann das noch auseinanderhalten?
Das durchsichtige Papier der Journalisten wurde von den Medienmonopolen beschlagnahmt. Die Meinungsumfragen der Medien, von Journalisten durchgeführt, nicht von Werbungsanzeigen, stehen im Dienst des politischen Marketing, vor allem in Zeiten des Wahlkampfs (und heute ist das ganze Jahr über Wahlkampf, auch wenn es gar keine Wahlen gibt).
So ersetzt das Bild in der Werbung die politischen Grundsätze und Programme, wird zum entscheidenden Faktor und "kleidet" eine ganze Partei mit dem Gewand ihres "populärsten" Vertreters (wie die PAN mit Fox, die PRD mit López Obrador und die PRI mit… die PRI… na gut, da wird sich schon noch jemand finden).
Zusammenfassend: Der Unterschied zwischen der "Vormoderne" und der "Postmoderne" liegt darin, daß früher die Politiker jemand hatten, der ihre Reden für sie schrieb, während sie heute jemand haben, der ihre Werbespots dreht.
Dennoch könnte der Schulterschluß zwischen den Medien und der politischen Klasse tödlich sein … für die Medien. Im Rausch ihrer privilegierten Nähe zur politischen Macht wird diese zum einzigen Ziel für die Journalisten und sie vergessen auf ihre sozialen Aufgaben.
Die Zeit ist nicht fern, in der die Nachrichten nur mehr von anderen Journalisten gehsehen, gehört und gelesen werden (ich muß Ihnen leider mitteilen, daß die Politiker keine Nachrichten sehen, hören oder lesen – die haben jemand, der das für sie tut und ihnen eine Zusammenfassung schreibt). Wie die Politiker auf die Regierten verzichten, so verzichten die Medien auf ihr Publikum. Sich im Spiegel des jeweils anderen erkennend beglückwünschen sie sich gegenseitig und rufen sich zu: "Wie wichtig wir doch sind!"
Der Unterschied zwischen den progressiven und den faschistischen Medien ist ebenso groß wie die Unterscheidung zwischen ich, meine, mir, mich, …
Die Demonstration gegen das Verbrechen, welche von vielen als "historisch" bezeichnet wird (auch wenn sie nur wenige Tage der Ehre behielt, denn Durazos Rücktritt machte sie, wie wir Journalisten sagen, zu einer "inneren Angelegenheit"), rief eine Art Debatte (in Wahrheit handelte es sich wohl eher um einen angeregten Austausch von Bezeichnungen) um die Rolle der Medien hervor.
Nach der Drohung eines Volksaufstands gegen den ganz offensichtlich ungerechten, willkürlichen und illegalen Übergriff gegen López Obrador schrien die PRD und ihre Gefolgsleute voller Entrüstung auf als sie von der Ankündigung des so genannten "Marsch des Schweigens" erfuhren. Dies umso mehr nachdem die Demonstration erfolgreich verlief, gemessen an der Teilnehmerzahl … der wohlhabenden Klasse. So lange Zeit hatten sie diese Bevölkerungsschicht umworben (Giuliani, die "zweiten Stöcke", das historische Zentrum von Mexiko Stadt, der urbane Höhepunkt in Sante Fe, dem "Houston" im Westen der Stadt) und plötzlich protestieren diese Undankbaren gegen die Unsicherheit.
Die Demonstration wird durchgeführt, und die Rechte, immer bereit, das einzunehmen, was von den Linken verlassen wird, springt auf (vergeblich, wie sich später herausstellt). Die Medien versammeln sich. Tatsächlich wurde auch die Mehrheit der Teilnehmer durch Fernsehen, Radio und Presse angelockt. Manche Medien nehmen an diesem Kraftakt gegen López Obrador teil, um ihn zu "bändigen", andere nur, um dabei zu sein und richten ihren Protest an die bundesstaatlichen, regionalen und lokalen Regierungen.
Ein Großteil der Demonstranten gehörte zur mexikanischen Oberschicht (die angrenzenden Straßen der Reforma und dem Centro Histórico waren voll mit Autos mit wartenden Chauffeuren und gelangweilten Leibwächtern, dutzenden geparkten Autobussen aus exklusiven Privatschulen, Luxusrestaurants, die vor, während und nach der Demonstration überfüllt waren; wie mir jemand erzählte: "Es war wie in einem riesigen Supermarkt, aber voller Dummheit".
Natürlich gab es auch diese speziell mexikanische Tradition der organisierten Teilnehmerlisten (die Abteilungsleiter der Einkaufszentren "rieten" ihren Angestellten dazu, an der Demonstration teilzunehmen). Die Forderungen aber hatten mit einer rechten Mobilisierung wenig gemeinsam. Sie demonstrierten weder gegen die Enteignung von Wirtschaftsbetrieben, gegen die Luxussteuer oder gegen Gesetze, die die Industrie dazu zwingen, ihren Arbeitern gerechte Löhne zu zahlen, noch gegen die Erdöllieferungen an Kuba oder um die "rote" Regierung zu stürzen.
Sie demonstrierten, weil sie unter der Kriminalität leiden. Es war nicht ausdrücklich der Pöbel, aber wer sonst? Überfallen, verfolgen und morden sie ihrer Schönheit wegen?
Jahrelang hatte die PRD die Straßen gefürchtet. Jede Demonstration, die nicht den Gefallen der Partei oder ihren Führern fand, wurde mit Mißtrauen betrachtet. Sie verteufelten die Studentendemos der UNAM von 1999 (weil sie sie nicht anführten), verbrachten viele Jahre damit, soziale Bewegungen zu zerstören, und schließlich gingen jene auf die Straße, die sie so lange zu umschmeicheln versucht hatten: Jene, deren Leben mit Besitz und Möglichkeiten erfüllt ist.
Die Medien waren die ersten, die vom Erfolg der Aktion überrascht waren. "Televisa" fiel nichts besseres ein, als einen runden Tisch zum Thema "Und was kommt nach der Demo?" zu veranstalten und drei Arschlöcher (Fernández de Cevallos, Jackson y Ortega) einzuladen, die sich darauf einigten, das Problem der Unsicherheit in den Griff zu bekommen. Von Leuten, die in den Führungsgremien einer Partei sitzen, etwas zu erwarten, ist wie an UFOs zu glauben!
Die Medien haben die Regierung von Mexiko Stadt öfters angegriffen. Die Videos um Fall Ahumada und die Berichte über die Unsicherheit sind nur zwei Beispiele. Der "Marsch des Schweigens" diente dazu, den Zorn zu schüren. Von hier bis zur Einschätzung der Medien, vor allem "Televisa", als "die schwarze Hand des Faschismus", fehlte nur noch ein kleiner Schritt … und den gingen sie ohne zu zögern.
Die aufmerksame Lektüre einiger Medien läßt Vergleiche zu: "Crónica", die "Lieblingszeitung" von López Obrador, verlangt seit Jahren das, was heute die PRI fordert: Daß man nicht über die Medien miteinander streitet, sondern über den Gerichtsweg. "Reforma", ein weiteres Medium, das von AMLO sehr "geschätzt" wird, berichtete über die Korruption des gesamten politischen Spektrums, nicht nur innerhalb der PRD. "El Universal" verfügt über eine Reihe von ehrenhaften Reportern und Kommentatoren. "La Jornada" bleibt ihrer Überzeugung (seit 20 Jahren) treu und ist die meistgelesene Zeitung im Internet.
"Televisa" folgte in den Tagen nach dem Marsch und berichtete in ihren Nachrichtensendungen ausführlich von der Stellungnahme López Obradors gegen den Verkauf von Banamex und Bancomer.
Wochen später untersuchten Reporter von "Televisa" die Umleitung von Geldmitteln, die eigentlich zur AIDS-Bekämpfung vorgesehen gewesen waren, an die rechtsgerichtete Organisation "Provida" und dokumentierten geheime Abtreibungen in den Spitälern dieser Organisation, die vorgibt, gegen Abtreibungen zu kämpfen. Es gibt mehr Beispiele als hier Platz ist.
In einem weiteren Extremfall zeigte "Televisa" einen vulgären und geschmacklosen Beitrag über die Hochzeit der Journalistin Letizia mit einem Mitglied der spanischen Königsfamilie (mir fällt der Name jetzt leider nicht ein, vielleicht später am Klo …) unter Verwendung von Geldern, die eigentlich den Opfern des Anschlags vom 11. März zugute kommen hätten sollen. Oder sie folgten dem Märchen der mexikanischen Luftwaffe, die behauptete, UFOs gesehen zu haben.
In einer ihrer Seifenopern erfanden sie dann diese gefährliche Mode, Armut mit Kriminalität gleichzusetzen. Straßenhändler und Scheibenputzer wurden so dargestellt, als wären die meisten von ihnen oder alle Entführer und Kriminelle. Wie um den Empfang zu bestätigen, richtet Herr Ebrard (der, wenn ich mich richtig erinnere, Polizeichef der "Stadt der Hoffnung" ist) heute all seine Anstrengungen auf die Verfolgung und Bestrafung von Armut. So schreitet man von der Bekämpfung der Kriminalität weiter zum Kampf gegen die Armen … und versucht wieder einmal, sich bei bestimmten Leuten beliebt zu machen.
So scheint weder das eine noch das andere zu stimmen. Weder "Televisa" noch andere Medien sind der Beginn des Faschismus in Mexiko, wie die PRD behauptet. Schon gar nicht sind sie die medialen und sozialen "Vorkämpfer der Demokratisierung", wie sich ihre Schreiberlinge und Programmgestalter gern selbst bezeichnen.
Auf die gleiche Weise überlegt die Regierung unter López Orbador auf der einen Seite, jene mit geringerem Einkommen durch soziale und kulturelle Programme zu unterstützen, und geht auf der anderen Seite mit autoritären Mitteln gegen Arme vor, die an den von nordamerikanischen und britischen Truppen besetzten Irak erinnern.
So machen es sich beide Seiten bequem und beharren auf der Gleichsetzung von Armut und Verbrechen - ein Thema, das von Medien und Politik gleichermaßen gern breitgetreten wird. Tag für Tag folgen Skandale in Politik und Finanzwelt, die keinerlei Sanktion nach sich ziehen. Es wird nicht mehr darüber gesprochen, ob eine Tat moralisch verwerflich war, sondern lediglich ob sie gesetzlich erlaubt war oder nicht.
Die mexikanische Justiz und mit ihr der gesamte Staat versinkt in einem Sumpf der Fäulnis, in dem Gesetze selbst für die größten Verbrechen bürgen. Entführung und Repression (wie sie z.B. Echeverría vertritt), Betrug (wie jener der staatlichen Lotterie), Umleitung von öffentlichen Geldern (wie jener der PAN an "Provida"), versteckter Diebstahl gesetzlicher Vereinbarungen (wie jener gegen die Arbeiter von "Seguro Social") und alles, was sich sonst noch in den aktuellen Programmen findet, werden gedeckt durch die "Herrschaft der Gesetze", doch hinter Gedankenlosigkeit wächst der soziale Unmut.
Und im Hintergrund dieser Ereignisse beginnt hinter der medialen Tagesordnung eine andere hervorzutreten, jene der Zerstörung des mexikanischen Staates …
Eine neue Programmatik?
Abseits dieser Programmatik gibt es Menschen, Kollektive, Gruppen und Dörfer die hinter dieser vorgeblichen "nationalen Agenda" jene andere entdecken, die reale, die letztlich in der Zerstörung des mexikanischen Staates als Nation besteht. Sie wissen, daß die rasende und unerbittliche Auflösung des Nationalstaats, ausgeführt von einer politischen Klasse ohne Berufung oder Schamgefühl (und in nicht wenigen Fällen unterstützt von einigen Medien und dem kompletten Justizsystem), zu einem Chaos und Alptraum führen würde, mit dem nicht einmal ihr Hauptabendprogramm voller Terror und Spannung mithalten könnte.
Als würde sie im Meer des Neoliberalismus schwimmen, versinkt die mexikanische Nation jedes Mal tiefer und erinnert immer weniger an sich selbst und immer mehr an nichts. Das Land, dessen Gründungsgeschichte auf eine Felseninsel inmitten einer Bucht zurückgeht, bewegt sich in Gewässern, die nicht die seinen sind.
Aber es gibt Mexikaner und Mexikanerinnen, die Widerstand leisten. Nicht ohne Schwierigkeiten und mit allen Rückschlägen und Ernüchterungen, die die Aufgabe mit sich bringt, errichten sie kleine Freiräume, Inseln, auf denen man träumen, kämpfen und arbeiten kann. Inseln, auf denen Mexiko morgen wieder Mexiko sein wird, vielleicht etwas besser, vielleicht etwas schöner, aber Mexiko.
Wir werden von einer dieser Inseln im Widerstand, weder der besten noch der einzigen, und der Autonomie der zapatistischen indigenen Gemeinschaften erzählen.
Wir sprechen von den Caracoles und den Räten der guten Regierung [span.: Juntas de buen gobierno – JBG], von unseren Fehlern und dem, was wir erreicht haben, ohne andere Bilder als jene, die unsere Worte schaffen, und ohne andere Töne als jene, die uns das Gehör und das Herz jener verleihen, die ohne hier zu sein mit uns sind.
aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos
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