Kommentare

"Die jüngsten Kommuniques der EZLN haben Unruhe und Spekulationen auf nationaler und internationaler Ebene geweckt. Es gibt nicht wenige Belege für eine Besorgnis ob des Roten Alarms, den die Zapatistas wegen der Durchführung einer internen Befragung verordnet haben, um über die nächsten Schritte ihres Kampfes zu entscheiden. Die Solidaritätskollektive, Organisationen und Personen aus Frankreich, Deutschland, Argentinien, Uruguay, Venezuela, Österreich, Kolumbien, Spanien, Italien, USA und vielen weiteren Teilen der Welt sind voller Erwartung und haben für sich [ebenfalls] einen Alarmzustand erklärt.
Menschenrechtsorganisationen aus Europa, zusammengeschlossen im Ya-Basta-Netz, haben darauf gedrängt, die Vorgänge in Chiapas aus der Nähe zu beobachten, Spekulationen zu vermeiden und sich auf die Informationen zu beziehen, die von den Akteuren bekanntgegeben werden. Italienische Kollektive und Organisationen, darunter die Zeitschrift Carta, Inter Mailand und das Kollektiv Maribel, weisen darauf hin, dass sie seit Beginn des Roten Alarms "äußerst aufmerksam sind, angesichts dessen, was passieren kann. Wir würden gerne nach Chiapas kommen, um unsere Solidarität möglichst nahe zu bringen und nicht nur auf virtueller Ebene". Und sie fordern von der mexikanischen Regierung öffentliche und transparente Informationen, die die Bewegungen der mexikanischen Armee erklären.
In Madrid fordern das "Centro de Documentación Zapatista", die "Comisión de Solidaridad con Chiapas de la CGT", die "Plataforma de Solidaridad con Chiapas, Oaxaca y Guatemala" und das "Red de Apoyo Zapatista" vom Verteidigungsministerium und der Präsidentschaft "davon Abstand zu nehmen, den Kampf gegen den Drogenhandel als Mittel gegen die Zapatistas zu instrumentalisieren", wobei sie den geographischen Fehler öffentlich machten, der bei den jüngsten Operationen gegen den Drogenhandel in Chiapas vorgekommen war. Bis jetzt hat dies nur die Präsidentschaft verwirklicht, nicht die Armee.
Es gibt weitere Erklärungen und Solidaritätsbriefe aus vielen Teilen der Welt. In La Garriga, Barcelona, gibt es dieser Tage ein zapatistisches Fest, bei dem die jüngsten Ereignisse in den rebellischen Gemeinden von Chiapas das zentrale Thema sind. Alle teilen die Idee, weiter in Alarmbereitschaft zu sein, während die Zapatistas ihre interne Befragung durchführen, damit es keine Provokationen der Bundesregierung und der Armee gibt, und haben die Gewissheit, dass es die Zivilgesellschaft sein wird, die als erste über die Entscheidung der rebellischen Dörfer informiert ist. Und außerdem: Warum sollte man spekulieren oder versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen, was die Zapatistas mit Klarheit skizzieren?
Die bisher verbreiteten Kommuniqués lassen keinen Zweifel. Sie bereiten keinerlei militärische Offensive vor und werden die Ergebnisse der internen Befragung in einigen Tagen bekanntgeben. Sie verabschieden sich auch nicht, obwohl sie den Raum lassen, damit sich der- oder diejenige, die sie beim Aufbau des nächsten Schrittes nicht begleiten will, von ihnen verabschieden kann.
Die zapatistischen Texte sind weder ausschließend noch verzichten sie auf die Leute. Das zapatistische Wort ist Atem, Hoffnung, Konsequenz und Aktion... Man muss nur warten können."

Gloria Muñoz Ramírez


Der mexikanische Schriftsteller und Intellektuelle Carlos Montemayor spricht in einem Interview in der Tageszeitung "La Jornada" von einer "Vorwarnung" der EZLN " für einen bevorstehenden Gewaltausbruch" in Chiapas "wo sich in den letzten 5 Jahren der Regierung Foxs die Spannung erhöht hat und die paramilitärischen Strukturen unter dem Schutzmantel der Bundes- und Regionalregierungen und dem mexikanischen Bundesheer fortbestehen." Das Ausrufen der Alarmstufe Rot ist "unter keinen Umständen als die Absicht eines unilateralen Angriffs der EZLN zu deuten, im Gegenteil, sie kündigen vorzeitige Pläne für Verteidigungsaktionen einer eventuellen Gewaltaktion institutioneller Kräfte an (...) Die soziale Reaktion auf einen solchen Aufruf sollte nicht nur der absolute Widerstand gegen die militärische und paramilitärische Gewalt sein, sondern eine erneute Anerkennung der friedvollen, rechtlichen und sozialen Essenz der Räte der guten Regierung." (La Jornada, 21. Juni 2005).

Luis Hernandez Navarro schreibt in der linken mexikanischen Tageszeitung "La Jornada": "Der Zapatismus hat es verstanden, Geduld zu üben, aber die Geduld kennt Grenzen. Der Zapatismus war behutsam, aber Bedachtsamkeit darf nicht mit Handlungsunfähigkeit verwechselt werden. Der Zapatismus war umsichtig, aber die Beherrschung kann nicht darin bestehen, daß man stoisch jede Art von Aggression erträgt."
Und in Anspielung an die unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit, die das angekündigte Spiel zwischen einer Auswahl der EZLN und des FC Mailand erregte, schließt Navarro: "Die Partie wurde wieder aufgenommen. Hoffen wir, daß es nicht zu spät ist, daß das Wort – das von oben so absichtlich ignoriert wurde – noch gehört wird."

Wie Hermann Bellinghausen in der "La Jornada" vom 22. Juni berichtet, erfolgt der zapatistische Rote Alarm in einem Kontext von kürzlich erfolgten, schweren Truppenbewegungen und nachweislich falschen Behauptungen des Verteidigungsministeriums, laut denen angebliche Marihuanafelder auf zapatistischem Gebiet entdeckt worden wären.
Wie Bellinghausen zeigt, scheint der Verteidigungsminister sehr verwirrt zu sein, wenn es um die Geographie von Chiapas geht: In den neulich erfolgten Presseerklärungen bezüglich ihren Anti- Drogen Operationen, führte das SEDENA (Ministerium für Nationale Verteidigung) die Namen dreier offizieller Bezirke auf, die innerhalb des rebellischen indigenen Gebietes liegen, aber sogar den Angaben der Armee zufolge nicht Teil der "Konfliktzone" sind oder unter "zapatistischem Einfluß" stehen.
Tatsächlich liegen die Dörfer von Tapilula, Pueblo Nuevo Solistahuacán und Rayón (die drei Orte, an denen Marihuanapflanzungen gefunden wurden) außerhalb der großen Schranke, die von der Bundesarmee seit 1995 rund um das indigene Gebiet von Chiapas aufrechterhalten wird. Darüber hinaus liegen diese Bezirke nicht einmal im Hochlandgebiet (Los Altos) wie die Presseerklärung des SEDENA, nur Stunden nachdem die EZLN den Roten Alarm ausgerufen hatte, behauptet hatte. Die geographische Ungenauigkeit war so offensichtlich, daß die Staatsregierung von Chiapas gestern den Irrtum des Militärs berichtigen musste. Nein, sagte sie, diese Orte befinden sich nicht in Los Altos.
Das Beunruhigende ist, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß das Verteidigungsministerium einen ehrlichen Fehler gemacht hat. Diese Dörfer liegen so weit außerhalb der zapatistischen Einflußzonen, daß es keinen Raum für Irrtümer offen lässt.
Bellinghausen berichtete in den letzten 12 Jahren der zapatistischen Geschichte wiederholt, wie ehemalige Regierungen auf frischer Tat ertappt wurden, als sie Drogen in der Nähe von zapatistischen Gemeinden pflanzten oder Video-Spezialeffekte einsetzten, um das Verbrennen einiger Drogenernten in die Nähe zapatistischer Orte rücken zu lassen.

Mehr als 1.000 Soldaten der mexikanischen Bundesarmee erreichten am 26. Juni den Militärstützpunk der 31. Militärzone in Rancho Nuevo, 10 Kilometer von San Cristóbal entfernt. Inoffizielle Quellen berichten, dass gegen Mittag Soldaten des 2. Bataillon der Kampf-Ingenieure ankamen, aus der Region von Chicoasén, im Zentrum des Staates, wo die Einheit ihren Stützpunkt hat. Später trafen Einheiten der Motorisierten Kavallerie ein, aus Tapachula an der Küste von Chiapas, nahe der Grenze zu Guatemala. Zusammen befinden sich nun rund 1500 zusätzliche Soldaten in der Zone.