Zusammenfassung der Vorfälle
vor dem Roten Alarm


Gestern morgen (20. Juni) erfuhren wir von Menschenrechtsbeobachtern über die Ausrufung des Roten Alarms durch die EZLN. Angesichts dieser Warnung wendete sich eine Brigade dieses Menschenrechtszentrums an das Caracol von Oventik in der Hochlandzone des Bundesstaates Chiapas.

Dort konnten wir bereits gegen 16 Uhr feststellen, was bald darauf durch eine offizielle Nachricht der EZLN öffentlich bekannt gegeben wurde: Das Caracol wurde evakuiert. Ein großes Schild an der Eingangstür verkündete "Geschlossen. Roter Alarm". In diesem Augenblick fand im Auditorium eine Versammlung statt, in der zwei Personen über den Alarm und den Evakuierungsbefehl informierten, der vom obersten Kommando erteilt worden war; die Beobachter wurden ersucht, abzureisen oder auf eigene Gefahr zu bleiben, da niemand hier sein würde, um sich mit ihnen zu befassen oder sie zu informieren. Es wurden weder Gründe noch Erklärungen vorgelegt: Wartet die Kommuniques in der Presse ab".

Danach reisten wir nach Chenal'hó, wo die Militärbasen der mexikanischen Armee von San Andrés Larráinzar, Chenal'hó, Yabteclum und Majomut halbverlassen waren: die Las Abejas befanden sich nicht in Alarmzustand.
Beobachtungen der Campamentistas zufolge, die aus den Gemeinden zurückkehrten, konnte ab 12 Uhr eine starke Konzentration von Militärtruppen und Ausrüstung an der Kreuzung von Cuxuljá, auf der Autobahn San Cristóbal - Ocosingo, Ausfahrt Altamirano, registriert werden.
Am Abend ereilte uns das Kommunique des SEDENA, in der behauptet wurde, sie hätten 44 Marihuanapflanzungen in der "zapatistischen Einflußzone" vernichtet: in Tapilula, Rayon und Pueblo Nuevo.

Angesichts dieser Vorfälle möchte das Menschenrechtszentrum auf folgende Vorgänge aufmerksam machen:

1. - Militärbewegungen:
In den letzten zwei Monaten sind Bewegungen der mexikanischen Armee registriert worden, die die größte Militärmobilisierung seit der Räumung der sieben Positionen darstellen, die von der EZLN in 2001 gefordert worden sind:
- El Calvario (Anfang Mai), im Tal von Perla, Einflußzone der paramilitärischen Gruppe Movimiento Revolucionario Antizapatista (Revolutionäre Antizapatistische Bewegung), die sich heute mit einer neuen Abkürzung als Organisation für den Schutz der Indigenen und Campesinorechte (OPDDIC) identifiziert.
- Bochil und El Escopetazo in Ixtapa (ca. 4. Mai). Bochil liegt unmittelbar an der Zone, in der die militärische Operation zur Drogenbekämpfung stattgefunden hat (Pueblo Nuevo, Tapilula und Rayón).
-Los Chorros (11. Mai), Wiege der Paramilitärs im Bezirk von Chenal'hó, in Los Altos, die für das Massaker von Acteal verantwortlich sind.
-Xo'yep (6. Juni), ebenfalls in Chenal'hó, in der Konfliktzone, in der sich die Flüchtlingscamps der vertriebenen Zapatisten befinden, die Opfer der Paramilitärs geworden sind.
- Suchiate und Huixtla (bekannt gegeben am 17. Juni) im Bundesstaat Chiapas, aber außerhalb der Konfliktzone.
Angesichts des offensichtlichen Informationsmangels seitens der politischen Autoritäten, kann diese Bewegung nur aus der Sicht der Militärlogik betrachtet werden: als eine taktische Repositionierung in einer laufenden Kriegskampagne, das heißt, die Armee zieht sich nicht zurück, sie wird reaktiviert.

2. - Verlautbarungen des SEDENA am 20. Juni:
Angesichts der Verlautbarung des SEDENA, mit der Behauptung es seien Marihuanapflanzungen in drei Bezirke innerhalb der EZLN Einflußzone vernichtet worden, müssen wir darauf hinweisen, daß obwohl es möglich ist, daß es in Tapilula, Rayón und Puebla Nueva eine Präsenz zapatistischer Unterstützungsbasen gibt, diese Präsenz in jedem Fall eine Minderheit darstellt und minimalen Einfluß hat. Die Korrelation der politischen und sozialen Kräfte in der Zone liegt in der Hand anderer Akteure, die eine stärkere Präsenz und Relevanz haben.
Es gibt uns Anlaß zur Sorge, daß Zivilbeamte wie Außenminister Luis Ernesto Derbez und einige Massenmedien versuchen, die Komponente des Drogenhandels mit dem Konflikt in Chiapas in Verbindung zu setzen, was eine Verzerrung der Tatsachen darstellt, viel mehr noch, wenn damit versucht wird, eine Eskalation der Gewalt zu rechtfertigen. Das SEDENA-Kommunique ist angesichts der fehlenden Erklärungen und der heute erschienenen Verlautbarung des Innenministeriums, tendenziös und gefährlich.

3.- Andere kürzlich erfolgte Vorfälle:
a.- Die Reaktivierung der mexikanischen Armee erfolgt zeitgleich mit der Einfrierung der Konten von Enlace Civil und der Filtration der BBV-Bancomer Funktionäre gegenüber den Massenmedien, über eine mögliche "Geldwäsche" durch die Konten der Organisation.
b. - Im Augenblick ist die Webseite der Zapatistischen Front der Nationalen Befreiung (EZLN) ausgeschaltet und nach Aussagen lokaler Reporter in San Cristóbal sind einige Telefone "außer Betrieb".
c. - Reaktivierung der paramilitärischen Übergriffe, besonders seitens Paz y Justicia, was letzte Woche die Vertreibung von 15 Familien aus der Gemeinde "Andrés Quintana Roo" im Bezirk Sabanilla bewirkte. Uns liegen ebenfalls Informationen über immer häufigere Treffen von Paz y Justicia in der nördlichen Zone des Bundesstaates vor.

Angesichts der eben dargelegten Vorfälle, fordert bzw. ersucht das Menschenrechtszentrum ...

... von Präsident Fox:
1.- Die umgehende Einstellung aller Militärbewegungen und die Rückkehr zu politischen Wegen.
2.- Eine öffentliche und transparente Information, die den Vormarsch der mexikanischen Armee erklärt.

... von den Konfliktparteien:
Absolute Achtung der internationalen humanitären Rechte, insbesondere den Schutz des Lebens und der physischen Integrität der Zivilbevölkerung.

... von den Massenmedien:
Die Vorfälle in Chiapas in den nächsten Tagen aufmerksam zu beobachten und Spekulationen zu vermeiden, die über jene Informationen hinausgehen, die von den Teilnehmern bekannt gegeben werden.

... von der Zivilgesellschaft:
Initiativen zu organisieren, um die Entspannung der Lage zu unterstützen und einer weiteren Eskalation der Gewalt vorzubeugen.

Menschenrechtszentrum Fray Bartolome de las Casas