Die Schreibfeder
kann auch ein Schwert sein

Der Kampf gegen die Globalisierung
ist eine Frage des Überlebens


Guten Morgen, guten Tag und guten Abend.
Mein Name ist Marcos, Subcomandante Insurgente Marcos. Man hat mich eingeladen, einige Worte an das Forum in Verteidigung der Menschlichkeit zu richten. Ich bedanke mich für die Einladung, muß Sie jedoch warnen, daß ich ein Soldat bin, ein Soldat der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung. Ich warne Sie deshalb, weil man mir sagte, ich würde das Wort mit Intellektuellen und Anführern der Sozialpolitik teilen.
Deshalb klingt meine Stimme vielleicht ein wenig zittrig (von der schlechten Aufnahme mal abgesehen) und fehl am Platz. Oder auch nicht, vielleicht finden sich in dem, was ich sagen werde, Brücken und Gemeinsamkeiten. Ab und zu kommt es vor, daß die Feder und das Schwert übereinstimmen.
Unsere Gemeinsamkeit liegt vielleicht in der Ungeduld nach einer notwendigen Debatte, und nach einem Austausch von Ideen, die helfen sollen, diesen verworrenen und unordentlichen Horizont ein wenig zu klären, den einige als Zeitgeschichte bezeichnen. Manchmal erhebt er das Triviale und Groteske zum Gegenstand weltweiten Interesses und Skandals, zu anderen Zeiten verwandelt er das Schreckliche und Abweichende in ein monotones Hintergrundgeräusch, das nicht mehr wahrgenommen wird.

Ich werde einige kurze Anmerkungen über die Globalisierung und den Neoliberalismus machen, oder besser gesagt, darüber wie wir sie wahrnehmen (oder erleiden), und über Widerstand im allgemeinen und unseren insbesondere. Natürlich sind sie skizzenhaft und zurückhaltend, aber ich glaube, daß sie ausreichen, um eine oder viele Linien der Diskussion, des Dialoges und der Reflexion aufzuzeigen. Oder vielmehr, der Erinnerung und der Scham.
"Schämen solltest Du Dich, weil Du mich ausschließen wolltest", schimpft Durito, der gekommen ist, um Zuflucht vor dem Regen zu suchen. "Ich habe Dich nicht ausgeschlossen. Zufällig haben sie Dich nicht eingeladen, nur mich", sage ich ihm, während ich diskret meinen Tabak verstecke.
"Das ist das gleiche. In diesem Fall, eine gepanzerte Nase. Oder vielleicht, mein erkälteter Schildknappe, möchtest Du diese guten Leute des Vergnügens berauben, meinen gelehrten Worten zu lauschen, von meiner Weisheit erleuchtet zu werden und aus der Lethargie zu erwachen, in die Deine Worte sie gestoßen haben", fragt Durito, während er mir mit dem legendären Schwert Excalibur auf die Nase sticht.
"Dieses Schwert sieht verdächtig wie die Schreibfeder aus, die ich gestern verloren habe", bemerke ich, um das Thema zu wechseln. Erwartungsgemäß antwortet Durito: "Wechsle nicht das Thema! Du hast die Wahl: entweder Du machst Raum für meine weisen Ausführungen, oder Du erliegst meiner Schreibfeder, das heißt, meinem Schwert", sagt er in einem Ton, um den ihn jeder Funktionär des Internationalen Währungsfonds im Gespräch mit irgendeiner Lateinamerikanischen Regierung beneiden würde.
Und dem Beispiel dieser "nationalen" Regierungen folgend, gebe ich nach. Hier kommt nun der Teil, den Don Durito de La Lacandona, die Blüte des fahrenden Rittertums, für dieses Forum eingereicht hat. Er heißt:

Von Kugeln und Läden
Die Welt ist wie eine aufgeblasene Kugel. Das heißt, wie ein aufgeblasener Ballon. Das heißt, wenn von der Globalisierung die Rede ist, geht es um die Globalisierung der Weltteile. Aber es gibt, wie man sagt, eine Globalisierung der Reichen. Und dann gibt es noch, wie man auch sagt, die Globalisierung des Kampfes, das heißt, des Widerstandes.
In der Globalisierung des Geldes, das heißt, der Globalisierung der Mächtigen, gibt es viel Schlechtes, aber es ist nicht mehr die stille Schlechtigkeit innerhalb eines Landes, sondern sie dringt in alle Länder ein. Und diese Schlechtigkeit dringt in andere Länder mal durch Krieg ein, mal durch Geld, mal durch Ideen und mal durch Politik. Das heißt, in der Globalisierung der Schlechtigkeit sind die Reichen nicht mehr damit zufrieden, reiche Ausbeuter eines einzigen Landes zu sein, also ihres eigenen Volkes. Sie wollen noch mehr Geld, und sie dringen in andere Länder, um mehr Geld zu verdienen, und sie haben vor nichts mehr Respekt, denn sie haben nichts anderes im Sinn als ihr ausbeuterisches Geschick und sie wollen nur Geld zu verdienen; auch wenn sie bereits viel davon haben, aber das reicht ihnen nicht, sie wollen mehr.
Und dann dringt das Geld in ein anderes Land ein und respektiert dieses Land nicht, wegen der Globalisierung des Geldes, das weder Länder noch Menschen achtet. Das heißt, jedes Land ist wie eine platzende Kugel, aus der alles austritt, was es besonders machte, seine Bräuche, seine Sprache, seine Kultur, seine Wirtschaft, seine Politik, seine Menschen, seine Lebensart. Und dann zerbricht das Land, und die ganze Welt dringt in dieses Land ein, und dieses Land ist kein Land mehr, sondern es ist die ganze Welt.
Aber nicht die Welt der Menschen, sondern die Welt des Geldes, in der Menschen nicht zählen. Das ist, wie wenn eine Person zerbricht, und keine Person mehr ist, sondern alle Schlechtigkeiten dringen in diese Person ein und verzehren sie, und es gibt keine Person mehr, sondern nur das, was diese Person verzehrt hat.
Und deshalb sagen wir, daß die Globalisierung der Mächtigen, das heißt, des Geldes, die Länder verzehrt, und die Menschen, die in diesen Länder leben. Denn ein Land ist wie ein Haus, in dem die Menschen dieses Landes wohnen. Und das globale Geld zerstört dieses Haus, das heißt, das Land, und die Menschen bleiben ohne Haus und ohne Seele, denn sie kennen sich nicht mehr gegenseitig, und sie sind sich fremd, mit Argwohn in den Augen und in den Worten, wirklich traurig.
Und wenn ein Land ohne Seele bleibt, dringt die Seele des Geldes ein. Und dieses Land, daß kaputtgegangen ist, ist nicht länger ein Haus, in dem die Menschen dieses Landes leben, sondern ein Laden, in dem Häuser und Menschen verkauft und gekauft werden. Denn die Globalisierung des Geldes stellt Läden auf, wo vorher Länder waren.
Und dann, wenn das Land kein Land mehr ist, sondern nur ein Laden, sind die Menschen auch keine Menschen mehr, sondern nur Käufer und Verkäufer. Und die Menschen besitzen den Laden nicht, der Laden gehört dem globalen Geld. Das heißt, die Menschen haben in ihrem eigenen Land nichts mehr zu sagen, nur das globale Geld.
Die befehlende Denkweise, wie wir das sagen, ist dann die Denkweise des Geldes. Wenn zum Beispiel eine Person an eine Wolke denkt und diesen Gedanken an die Wolke zum Beispiel blau anmalt und mit ihrem Gedanken von einer blauen Wolke herumläuft und mit diesem Gedanken von einer blauen Wolke glücklich ist und sich einen Ballon besorgt, ihn aufbläst, blau anmalt und ihn einem kleinen Jungen oder Mädchen schenkt, dann spielt das Mädchen oder der Junge mit dem blauen Ballon, der mal der Gedanke einer Wolke gewesen ist.
Denn wenn die Menschen wie Menschen denken, denken sie Gedanken für Menschen. Aber das Geld denkt nicht an Menschen, sondern an mehr Geld.
Das heißt, das Geld ist niemals satt, und verleibt sich alles ein, um es zu mehr Geld zu machen. Das heißt, das Geld denkt nicht an eine Wolke, sondern an eine Ware, die es verkaufen will, um mehr Geld zu machen. Das heißt, die Globalisierung des Geldes globalisiert auch die Denkweise des Geldes. Und diese Denkweise des Geldes ist wie eine Religion, die die Götter des Geldes anbetet, und die Tempeln dieser Religion sind die Banken und die Läden. Die Gebete des Geldes sind die Konten, die Verkäufe und die Einnahmen. Und die Religion des Geldes heißt "Neoliberalismus", was bedeuten soll, daß es eine neue Freiheit für das Geld gibt. Das heißt, das Geld hat die Freiheit, alles zu tun, was ihm Gewinne einbringt.
Die Menschen haben keine Freiheit mehr, aber das Geld schon. Und in der Globalisierung des Geldes wird die globale Welt zerstört, das heißt, die Weltkugel zerbricht, das heißt, der globale Luftballon wird zum Platzen gebracht, und dann kann das Geld dort einen Laden hinstellen, wo vorher ein Land war: das heißt, wo vorher ein Haus stand, in dem Menschen lebten, und das nun ein Laden ist.
So zerstört die Globalisierung der Macht die Länder, um Läden hinzustellen. Und die Läden sind fürs Kaufen und Verkaufen. Und wenn jemand zum Beispiel nicht zahlen kann oder nicht kaufen will, dann zählt das nicht, das heißt, er muß vernichtet werden.
Und wenn jemand zum Beispiel nichts zum Verkaufen hat oder nichts verkaufen will oder sich nicht verkaufen lassen will, dann hilft alles nichts, das heißt, er muß vernichtet werden.
Die Globalisierung der Macht ist wie ein Krieg gegen die Menschen und ihre Häuser, das heißt, wie ein Krieg gegen die Menschlichkeit. Die Globalisierung der Macht vernichtet die Häuser der Menschen, das heißt, die Länder, und manchmal dringt sie ein, um sie mit Krieg zu vernichten. Und manchmal dringt sie ein, weil jemand von drinnen ihr die Tür öffnet, damit sie eintreten kann, um zu zerstören.
Jene, die die Tür öffnen, sind die Politiker, das heißt, die Befehlshaber der Länder, das heißt, der Häuser der Menschen. Und dann können die Politiker nicht mehr befehlen, denn dann befehlen sie nicht mehr selbst, sondern das globale Geld befiehlt. Und deshalb werden die Politiker zu Ladenverkäufern oder zu Verwaltern des Ladens, das vorher ein Land gewesen ist, das heißt, ein Haus für Menschen.
Die Politiker von früher können den Laden nicht mehr verwalten, also ist es besser, sich andere zu holen, die das studiert haben und sich darauf verstehen, die Läden zu verwalten. Das sind die neuen Politiker, oder die Verkäufer.
Und es spielt dann keine Rolle, daß sie vom Regieren nichts verstehen, es ist nur wichtig, daß sie sich darauf verstehen, den Laden zu verwalten und ihrem Chef, also dem globalen Geld, gute Einnahmen zu liefern.
Deshalb haben die Regierungen der Länder, die von der Globalisierung der Macht zerstört worden sind, keine Politiker mehr, sondern nur noch Verkäufer. Und in den Läden, die früher Länder waren, sollen die Wahlen keine Regierung wählen, sondern einen Verkäufer. Und dann fangen sie an, miteinander zu konkurrieren, das heißt, sich miteinander zu prügeln, die Dicken, die Dürren, die Kurzen, die Verschiedenfarbigen, die anfangen zu reden und zu reden und nur reden, aber das wichtigste nie sagen, nämlich, daß sie zwar alle verschiedene Gesichter haben, aber sich alle darin gleich sind, Verkäufer zu sein.
Deshalb ist es für die Globalisierung der Macht nicht wichtig, ob der Verkäufer grün, blau, rot oder gelb ist. Das einzige, was zählt, ist daß der Laden gute Gewinne einbringt. Deshalb tauschen sie die Verkäufer zwar aus, haben aber weiterhin Verkäufer. Deshalb ist in der Globalisierung der Macht die Welt nicht mehr rund wie ein aufgeblasener Ballon, sondern sie ist aufgeplatzt, und an ihrer Stelle bleibt nur ein riesiger Laden.
Und wie jeder weiß sind Läden quadratisch, nicht rund. Und so, mehr oder weniger, funktioniert die Globalisierung, die wir als "Ballonisierung" bezeichnen.
(Ende von Duritos Rede).

"Ballonisierung"? Kurzum, ich kehre zurück zur Ernsthaftigkeit und zum Formellen. Zusätzlich zu dem, was Durito auf so eigentümliche Weise zum Ausdruck gebracht hat, haben wir uns nämlich folgendes überlegt:

ERSTENS. Wenn in der "alten" Politik (das heißt, vom antiken Griechenland bis hin zu den modernen Republiken) der Staat die "Mutter" des Individuums gewesen ist und der Schoß, in dem die Gesellschaft sich formte, wuchs und sich reproduzierte, kann der Staat in der globalisierten Welt diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Das Individuum kann sich nicht mehr auf eine Heimat, eine Kultur, eine Rasse oder eine Sprache beziehen. Der mütterliche Schoß ist nun die Megasphäre, die einige noch immer als "Planet Erde" bezeichnen. Der "Bürger" ist nicht mehr Mitglied der Polis, sondern der Navigator der Megapolis, deshalb braucht er "andere" Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Nationalstaat nicht bieten kann.

ZWEITENS. Auf gleiche Weise existieren die "Staatsmänner" - diese übermenschlichen Autoren von klassischen Zitaten, Kriegen, Kaiserreichen, Gesetzen und Repressionen - nicht mehr als solche. Diese alte interne "Ausbildung" innerhalb der politischen Klassen, um ihre Mitglieder darauf vorzubereiten einander abzulösen, ist obsolet. Die Fähigkeiten der politischen Klasse (Rhetorik, Führungsstärke, Vernunft, Sensibilität, Mäßigung, Geschichtskenntnisse, Philosophie, Rechtssprechung, richtige Beziehungen) wirken heute eher wie Zirkusnostalgie. Das Protokoll der Macht, diese komplexe Mischung von Signale und Haltungen, wird im Staat nicht länger gelernt oder ausgeübt.

DRITTENS. Der Nationalstaat befaßt sich nicht mehr mit der Reproduktion der Menschen ("Reproduktion" im weitesten Sinne, das heißt, die wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Bedingungen für ihre soziale Reproduktion), sondern wirkt nur noch als Verwalter / Behälter der Unordnung dieser Reproduktion. Die Megamacht, dieses so unbekannte Wesen, setzt heute eine viel wichtigere Reproduktion durch: die des Geldes.

VIERTENS. Der Kampf gegen die Globalisierung der Macht (und gegen ihre ideologische Basis: den Neoliberalismus) gehört nicht ausschließlich einer Denkweise, oder einer politischen Fahne oder einem geographischen Gebiet an, er ist eine Frage des menschlichen Überlebens. So wie während des Zweiten Weltkriegs eine Masse von Kräften gegen den Faschismus Widerstand leistete und ihn bekämpfte, gibt es heute viele Kräfte, die gegen den Neoliberalismus Widerstand leisten und ihn bekämpfen.

FÜNFTENS. In den Nationalstaaten ruft der Prozeß des Paares Globalisierung / Neoliberalismus ein Phänomen des Widerstandes hervor, der immer stärker breite Sektoren der Bevölkerung einbezieht, UNGEACHTET IHRER SOZIALEN KLASSE ODER DES STELLENWERTES, DEN SIE IM REPRODUKTIONSPROZESS DES KAPITALS EINNEHMEN.

SECHSTENS. Es erscheinen zum Beispiel unzufriedene Gruppen (also solche, deren Verschwinden oder "Absorbierung" durch die Oberen in der Theorie verkündet wurde): einerseits Indígenas, die unverständliche Sprachen sprechen (also nutzlos für den Austausch von Waren), und die mit Holzgewehren bewaffnet Hubschraubern, Panzern, Flugzeugen, Maschinengewehren und Bomben trotzen; andererseits arbeitslose Jugendliche (die "Lumpen", die der Theorie zufolge die Reihen der repressiven Apparate des Staates auffüllen sollten), die sich gegen die Regierung mobilisieren und Respekt für ihre Lebensart fordern; oder mehr noch, Lesbierinnen und Transsexuelle, die die Anerkennung ihrer Andersartigkeit fordern.

SIEBTENS. Diese Phänomene des Widerstandes (wir nennen sie "Taschen des Widerstandes", um sie von den "anderen" Taschen des Geldes zu unterscheiden) versuchen mit ähnlichen Phänomenen in anderen Teilen der Welt zu kommunizieren. Die Superautobahnen der Information, konzipiert um den Fluß von Waren und Geld zu erleichtern, erkennen allmählich (nicht ohne Entsetzen), daß sie von alten Karren, Lasttieren und Fußgängern befahren werden, die keine Waren oder Kapital austauschen, sondern etwas viel Gefährlicheres: Erfahrungen, gegenseitige Unterstützung, GESCHICHTEN.
Klar, meine ich das naheliegende: unseren Krieg, unsere Waffen, unsere Geschichte. Aber es gibt andere Beispiele, die uns von einem neuen Vorkommnis erzählen, von etwas Neuem, das hier und dort ausbricht, und das wir weder lenken noch begreifen können, teils weil wir selbst ein Fragment dieser Phänomene sind, teils weil sich die Ereignisse überstürzen, teils weil die Gegenwart der schlechteste Ort ist, um über das Heute nachzudenken, und teils, weil viele Fragen noch immer definiert werden müssen. Aber es zeichnet sich immer klarer ab: es steht nicht fest, daß wir verlieren werden, und vor allem steht es nicht fest, daß sie gewinnen werden.
Die Geschichte, die zählt, die von uns Männern und Frauen gemacht wird, hat immer noch viele Fäden zu spinnen, und man kann noch nicht mal ansatzweise das Muster oder die Farbe dieses gigantischen Teppichs erraten, der die Menschheit ist. Wir und viele, die so sind wie wir, wissen jedenfalls, daß die Farbe nicht grau sein wird, und das Muster nicht nur Tod und Schmerz beinhalten wird. Es gibt noch viele andere Farben. Und es gibt viel Hoffnung. Wir werden die offenen und blutenden Wunden, die dieser Planet in seiner runden Geographie trägt, sicher nicht heilen können, indem wir sie benennen, aber wir machen damit eine Geste der Menschlichkeit, die manchmal verloren scheint.

Wir benennen deshalb Palästina, und die Scham, die uns ergreift. Wir benennen den Balkan, um die Erinnerung zu aktualisieren. Wir benennen Euskal Herria und bewundern den stillen und unverstandenen Widerstand eines Volkes, das sich seit Jahrhunderten weigert, unterworfen zu werden. Dort, auf der anderen Seite des Atlantiks, wird ein Volk von einer klassischen Zangenbewegung umklammert: auf der einen Seite die Arroganz der Macht, die sich hinter pressegeilen Richtern verschanzt und einen wahren Vernichtungskrieg anordnet; auf der anderen Seite die Feigheit eines Sektors, der sich als progressiv bezeichnet und mehr um "Political Correctness" besorgt als um alles andere sein komplizenhaftes Schweigen bewahrt, während die baskische Kultur als "terroristisch" hingestellt wird.
Wir benennen Kuba, und daß das lateinamerikanische Blut die Brücken sucht, zwischen dem, wo wir gestern waren, und dem, wo wir morgen sein werden. In der Karibik trotzt ein Volk einer Belagerung, die keine offizielle Bezeichnung hat. Dieses Volk hat es erreicht, daß sein Name allein eine Geschichte des Kampfes und des Widerstandes, der Großzügigkeit, der Tapferkeit, des Adels und der Brüderlichkeit ins Gedächtnis ruft. Kuba zu sagen, heißt "Würde" zu sagen.
Wir benennen Bolivien, und grüßen den heldenhaften Marsch der Aymara und Quechua in Verteidigung ihres Landes. Wir grüßen jene, die uns stolz machen, Indígenas zu sein, und die mit ihrer Rebellion die Ladenverkäufer ganz Amerikas erzittern lassen.
Wir benennen Chiapas und entdecken am Anbruch des kleinsten aller Morgen, das "Für Alle Alles". Wir benennen jede Ecke des Planeten, und werden mit den Homosexuellen, Lesbierinnen und Transsexuellen verfolgt; wir leisten Widerstand mit den Frauen gegen das aufgezwungene Dasein als geistlose Dekorationen; wir leisten Widerstand mit den Jugendlichen gegen die Maschinerie, die Ablehnung und Rebellionen zermalmt; wir leisten Widerstand mit den Arbeitern und Campesinos gegen den Aderlaß, mit dem die neoliberale Alchimie Tod in Dollars verwandelt; wir beschreiten den Pfad der Indígenas Lateinamerikas, und mit ihren Füßen machen wir die Erde rund, damit sie rollen kann.
Wir benennen jene, die keinen Namen haben. Wir erblicken die, die kein Gesicht haben. Wir benennen und erblicken die Welt, die noch nicht existiert, die aber in unseren Worte und in unseren Blicke anfängt zu existieren.
Wir benennen letztendlich die Schmerzen der Menschheit. Nicht nur, weil sie auch unsere Schmerzen sind. Sondern auch weil sie zu benennen uns ein wenig menschlicher macht.
Denn angesichts dieser Wunden heißt Schweigen Resignation, Kapitulation, Aufgeben, Tod.

Wenn jemand aus einer Schreibfeder ein Schwert macht, das die Luft mit seinem Glanz zum Funkeln bringt, das geadelt wird, indem es unsere Wunden aufzeigt, das uns als Teil eines Puzzles benennt, das morgen eine Welt sein wird, fehlt es weder an Erinnerung noch an Scham. Den beide, die Erinnerung und die Scham, sind es, die uns menschlich machen.
Wir sind nicht die Petzer unserer Geschichte, unseres Gewissens, die Verräter der Worte, die wir gestern erhoben haben und die uns heute zusammenrufen, um sich in der Erinnerung und der Scham einzureihen und vereint zu stehen.

Vale. Salud, und auf daß die Feder auch ein Schwert sein wird, deren Klinge die dunkle Mauer durchschneidet, durch den der Morgen durchscheint.

aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko, Oktober 2003