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Selbst hinter Gittern lebt die Würde
Oktober 1999
An Leonard Peltier
Leonard,
durch das NCDM und Cecilia Rodriguez sprechen wir Dir Grüße
von den Männern, Frauen, Kindern und Alten der zapatistischen Armee
der Nationalen Befreiung aus. Cecilia hat uns von der schweren Ungerechtigkeit
erzählt, die das Nordamerikanische Gerichtssystem gegen Dich begangen
hat. Uns ist klar, daß die Mächtigen Deinen Geist der Rebellion
und Deinen starken Kampf für die Rechte der indigenen Menschen in
Nordamerika bestrafen.
Dumm wie es ist, glauben die Mächtigen, durch Demütigung, Arroganz
und Isolation die Würde derjenigen brechen zu können, die Gedanken,
Gefühle, Leben und Anleitung zum Kampf für die Anerkennung und
den Respekt für die ersten Bewohner des Landes geben, über die
sich die eitlen Vereinigten Staaten erhoben haben. Der heroischen Widerstand,
den Du im Gefängnis aufrechterhalten hast, genauso wie die breite
Solidaritätsbewegung, die Deinen Fall und Deine Sache in den USA
und in der Welt hervorgerufen haben, enthüllt ihren Fehler.
Mit dem Wissen um Deine Existenz und Geschichte kann keine Frau oder Mann,
wenn sie anständig und bewußt sind, bei einer so großen
Ungerechtigkeit still bleiben. Noch können sie vor einem Kampf still
bleiben, der wie alles, was von unten hervorgebracht und gewachsen ist,
notwendig, möglich und wahr ist.
Die Lakota, ein Volk, das die Ehre und das Glück hat, Dich unter
seinem Blut zu haben, hat eine Ethik, die den Platz aller Menschen und
Dinge anerkennt und würdigt, welche die Verbindungen respektiert,
die Mutter Erde mit sich selbst und anderen lebenden Dingen, die in und
außerhalb von ihr leben und sterben. Eine Ethik, die Großzügigkeit
als Maßstab für menschlichen Wert anerkennt, den Marsch unserer
Vorfahren und Toten entlang der Pfade von Heute und Morgen, Frauen und
Männer als Teil des Universums, welche die Kraft des freien Willens
haben, sich Pfade und Jahreszeiten auszusuchen, die Suche nach Harmonie
und den Kampf gegen das, was es bricht und stört. All dies und mehr,
das sich entzieht, weil wir so weit weg sind, hat der "westlichen"
Kultur eine Menge zu lehren, die in Nordamerika und im Rest der Welt gegen
die Menschlichkeit und gegen die Natur ansteuert.
Möglicherweise ist der entschlossene Widerstand von Leonard Peltier
den Mächtigen in Nordamerika und der Welt unverständlich. Niemals
aufzugeben, zu widerstehen, die Mächtigen nennen dies "Torheit".
Aber die Narren sind in jeder Ecke dieser Welt, und in allen von ihnen
gedeiht der Widerstand im fruchtbaren Boden der ältesten Geschichte.
Zusammengefaßt: Was die Mächtigen nicht verstehen können,
ist nicht nur Peltiers Widerstand, sondern auch jener der gesamten Welten,
und so versuchen sie den Planeten in den Sarg, den das System darstellt,
mit Kriegen, Gefängnissen und Offizieren einzupassen.
Möglicherweise glauben die Mächtigen in Nordamerika, daß,
wenn sie Leonard Peltier einsperren und quälen, sie einen Mann einsperren
und quälen. Und so verstehen sie nicht, wie ein Gefangener weiterhin
frei bleiben kann, während er im Gefängnis ist.
Sie verstehen nicht, wie er, eingesperrt, mit so Vielen spricht, und so
Viele zuhören.
Sie verstehen nicht, wie er, durch den Versuch ihn zu töten, mehr
Leben hat.
Sie verstehen nicht, wie ein Mann, allein, fähig sein kann so viel
Widerstand zu leisten, so viel zu repräsentieren, so groß zu
sein.
"Warum?' fragen sich die Mächtigen und die Antwort erreicht
nie ihre Ohren:
Weil Leonard Peltier ein Volk ist, die Lakota, und es unmöglich ist
ein Volk einzusperren.
Weil Leonard Peltier durch die Männer und Frauen der Lakota spricht,
die in sich selbst und in ihrer Natur das Beste von Mutter Erde sind.
Weil die Stärke, die dieser Mann und sein Volk haben, nicht von modernen
Waffen kommt, eher kommt es von ihrer Geschichte, ihren Wurzeln, ihren
Toten.
Weil die Lakota wissen, daß niemand lebendiger
ist als die Toten.
Weil die Lakota, und viele andere nordamerikanische Indianervölker
wissen, daß das Widerstehen ohne aufzugeben nicht nur ihr Leben
und ihre Freiheit schützt, sondern auch ihre Geschichte und die
Natur, die ihnen Herkunft, Heim und Schicksal gibt. |
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Weil die Großen für jene, welche die Geschichte
nicht sehen können, die jeder in sich birgt, immer so klein zu sein
scheinen.
Weil der Rassismus, der jetzt regiert, sich das Andere und das Verschiedene
nur im Gefängnis vorstellen kann - oder im Mülleimer, wo zwei
eingeborene Lakotas im letzten Monat gefunden wurden, ermordet, in der
Gemeinde von Pine Ridge. Das ist die Gerechtigkeit in Noramerika: Diejenigen,
die für ihr Volk kämpfen, sind im Gefängnis, jene, die
geringschätzen und morden, gehen unbestraft.
Wessen ist Leonard Peltier angeklagt?
Nicht eines Verbrechens, daß er nicht begangen hat. Nein. Er ist
angeklagt anders zu sein, verschieden zu sein, stolz darauf zu sein anders
und verschieden zu sein.
Aber für die Mächtigen ist Leonard Peltiers schwerwiegendstes
"Verbrechen", daß er Befreiung in der Vergangenheit sucht,
in seiner Kultur, in seinen Wurzeln, in der Geschichte seines Volkes,
den Lakota. Und für die Mächtigen ist dies ein Verbrechen, denn
sich selbst in der Geschichte zu kennen, hindert einen, von dieser absurden
Maschine, die das System darstellt, herumgeworfen zu werden.
Wenn Leonard Peltier schuldig ist, dann sind wir alle schuldig, weil wir
unsere Geschichte suchen, und auf ihren Schultern kämpfen wir, um
einen Platz in der Welt zu haben, einen Ort der Würde und der Achtung,
einen Ort für uns, genauso wie wir sind, was zu einem großen
Teil ebenso ist, wie wir waren.
Die indianischen Völker des Nordens und Mexikos wissen ebenso wie
die indianischen Völker des gesamten Kontinents, daß wir unseren
eigenen Platz haben (so zu sein wie wir sind, nicht vorzutäuschen,
eine andere Hautfarbe zu haben, eine andere Zunge, eine andere Kultur).
So wissen es auch andere Farben, welche die gesamte Welt bewohnen. Und
so wissen es auch die Mächtigen. Aber damit sie es wissen und die
Lektion so gut lernen, daß sie es nicht vergessen, sind viele Pfade
und Brücken nötig, die von unten gegangen werden müssen.
Auf diesen Pfaden und Brücken hast Du, Leonard Peltier, einen besonderen
Platz, den Besten, in unserer Nähe, die wir wie Du sind.
Salud, Leonard Peltier, empfange eine Umarmung von einem, der Dich bewundert
und achtet, und der hofft, daß Du ihn irgendwann "Bruder"
nennen wirst.
Mach's gut, und Gesundheit für Dich, und ich hoffe, daß die
Ungerechtigkeit morgen verschwindet, mit dem Gestern als Waffe und dem
Heute als eine Straße.
aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcommandante Insurgente Marcos
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