Sie haben die Wahl zwischen Krieg und Frieden

an Señor Vicente Fox.
Los Pinos, Mexico, D.F.

Señor Fox,

Vor sechs Jahren schrieben wir einen Brief an Ernesto Zedillo Ponce de León, Ihren Vorgänger. Jetzt, da Sie das neue Oberhaupt der Exekutive sind, ist es meine Pflicht, Sie darüber zu informieren, daß sie im mexikanischen Südosten einen Krieg geerbt haben: den, den die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung am 1. Januar 1994 der Bundesregierung erklärt hat, in Forderung nach Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Mexikaner.
Seit dem Beginn unseres Aufstandes haben wir alle Bundestruppen im Einklang mit militärischer Ehre und den Kriegsgesetzen konfrontiert. Seitdem hat uns die Armee ohne jegliche militärische Ehre und in Verletzung aller internationalen Konventionen angegriffen. Mehr als 70.000 Bundestruppen (einschließlich etwa 20.000 sogenannter "Sondertruppen zur Aufstandsbekämpfung") umzingeln und verfolgen die Zapatistas seit 2.525 Tagen. Während 2.000 dieser Tage haben sie das "Gesetz für Dialog, Verhandlung und Würdigen Frieden in Chiapas" verletzt, das vom Bundeskongreß am 10. März 1995 ratifiziert wurde.
Während dieser fast sieben Jahre Krieg, haben die Zapatistas widerstanden, und wir trafen auf zwei Oberhäupter der Exekutive, (selbsternannte "Präsidenten"), zwei Sekretäre der Nationalverteidigung, sechs Regierungssekretäre, fünf "Friedensbeauftragte", fünf "Gouverneure" von Chiapas und eine Vielzahl Beamter der mittleren Ebenen. Alle von ihnen sind bereits weg. Gegen einige von ihnen wird wegen Verbindungen zum organisierten Verbrechen ermittelt, einige befinden sich im Exil oder sind auf dem Weg dorthin, andere sind arbeitslos.

Während dieser sieben Jahre bestanden die Zapatistas wieder und wieder auf dem Pfad des Dialoges. Wir taten dies, weil wir der Zivilgesellschaft gegenüber verpflichtet sind, die forderte, daß wir unsere Waffen zum Schweigen bringen und eine friedliche Beilegung anstreben. Nun, da Sie den Oberbefehl über die Exekutivgewalt übernehmen, sollten Sie wissen, daß Sie zusätzlich zum Krieg im Mexikanischen Südosten, auch die Möglichkeit erben, wählen zu können, wie Sie ihm begegnen wollen.
Während Ihrer Wahlkampagne und seit dem 2. Juli, haben Sie, Señor Fox, wiederholt gesagt, daß sie den Dialog wählen würden, um unseren Forderungen zu begegnen. Zedillo sagte bis zu seiner Amtseinsetzung dasselbe und ordnete zwei Monate später eine große militärische Offensive gegen uns an.

Sie können sicher verstehen, daß unser Denken und Handeln unauslöschbar vom Mißtrauen gegenüber allem, was mit der Regierung zu tun hat, geprägt ist, ungeachtet dessen, welcher politischen Partei es angehört.

Wenn wir dazu die Reihe schlecht durchdachter Widersprüche und Frivolitäten, die von Ihnen und Ihren Begleitern verbreitet wurden, zu unserem verständlichen Mißtrauen gegen Worte der Macht hinzufügen, wäre es ebenfalls meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, daß soweit dies die Zapatistas betrifft (und ich glaube nicht nur die Zapatistas), Sie in Bezug auf Ihre Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit ganz von vorne beginnen.

Wir können niemandem vertrauen, der Oberflächlichkeit und Ignoranz zur Schau stellte, indem er anmerkte, daß die indigenen Forderungen durch " 'vocho', TV und kleine Einkaufsläden." erledigt werden könnten. Wir können niemandem glauben, der versucht Hunderte von Verbrechen, die von Paramilitärs und ihren Bossen verübt wurden, zu ignorieren (d.h. ihnen "Amnestie zu gewähren") und ihnen Immunität zuzusichern. Wir fühlen uns nicht inspiriert, jemandem zu vertrauen der mit der Kurzsichtigkeit der Logik eines Managers einen Regierungsplan hat, um die Indígenas in Mini-Mikro-Geschäftsleute oder Bedienstete der Geschäftsleute dieser Administration zu verwandeln. Letzten Endes ist dieser Plan nichts anderes als der Versuch, den Ethnozid fortzuführen, der vom Neoliberalismus in Mexiko auf verschiedene Arten vorangetrieben wird.

Deshalb ist es gut für Sie zu wissen, daß nichts davon auf zapatistischem Gebiet fruchten wird. Ihr Programm, "den Indígena verschwinden zu lassen und eine Geschäftsperson zu schaffen" wird auf unserem Land nicht zugelassen werden. Hier und unter anderen mexikanischen Himmeln hat das indigene Selbst nicht nur etwas mit Blut und Herkunft zu tun, sondern auch mit der Vision über Leben, Tod, Kultur, Land, Geschichte und Zukunft.
Jene, die versucht haben, sie mit Waffen zu vernichten haben versagt. Jene, die versuchen sie zu eliminieren indem sie sie in "Geschäftsleute" verwandeln, werden auch versagen.

Sie können daher jenen Recht geben, die überzeugt sind, daß Ihre Regierung den Alptraum der PRI für alle Mexikaner, insbesondere der Zapatistas, wiederholen wird. Oder Sie können, indem Sie von vorne beginnen, anfangen durch Taten das aufzubauen, was jede Regierung für ihre Arbeit benötigt: Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Die Demilitarisierung, die Sie fortwährend angekündigt haben (obwohl die sich von "totalem Rückzug", "Umpositionierung" und "Neuanpassung" unterscheidet, die alle nicht dasselbe sind, etwas das Sie, Ihre Soldaten und wir wissen), ist ein Anfang, nicht ausreichend, aber ohne Frage notwendig. Nicht nur in Chiapas, aber vor allem in Chiapas, können Sie jenen Recht geben, die Ihr Versagen erhoffen, oder jenen die bereit sind, Ihnen die Gunst des Zweifelns zu schenken, oder die einfach das, was "Hoffnung" genannt wird, in Sie setzen.

Señor Fox: Anders als Ihr Vorgänger Zedillo (der durch Mord und mit Hilfe jenes korrupten Monsters der Staatspartei an die Macht kam), haben Sie die Exekutive dank der Ablehnung, die von der PRI sorgfältig unter den Menschen kultiviert wurde, erreicht. Sie wissen es gut, Señor Fox: Sie haben die Wahl gewonnen, aber Sie haben nicht die PRI besiegt. Das haben die Bürger getan. Und nicht nur jene die gegen die Staatspartei gestimmt haben, sondern auch jene aus den vergangenen und gegenwärtigen Generationen, die auf die eine oder andere Weise gegen die Kultur des Autoritarismus, der Straffreiheit und der Verbrechen, die von den PRI-Regierungen der letzten 71 Jahren erbaut wurde, gekämpft und Widerstand geleistet haben.
Obwohl die Art in der Sie an die Macht kamen sich davon radikal unterscheidet, ist Ihr politisches, soziales und wirtschaftliches Programm dasselbe, das wir unter der letzten Administration erlitten haben. Ein Programm für das Land, das die Vernichtung Mexikos als Nation und seine Verwandlung in ein Einkaufszentrum bedeutet, so was wie ein Mega-"Kleinladen", der menschliche Wesen und natürliche Ressourcen zu vom Weltmarkt diktierten Preisen verkauft. Die verschleierten Privatisierungsprojekte der elektrischen Industrie, des Erdöls und der Bildung, und die Steuer, die man auf die Arznei- und Nahrungsmittel zu verhängen versucht, sind nur ein kleiner Teil des großen Plans zur "Restrukturierung", den die Neoliberalisten für Mexiko haben.
Nicht nur das. Mit Ihnen erwarten wir die Rückkehr der Sittlichkeitspositionen, deren Merkmale die Intoleranz und der Autoritarismus sind. Es war nicht ohne Bedeutung, daß mit den Ergebnissen vom 2. Juli die konfessionelle Rechte eine Offensive von Verfolgung und Zerstörung entfesselte. Diese wurde von Frauen erlitten (vergewaltigt oder nicht), jungen Leuten, Künstlern und Bühnenschriftstellern, Homosexuellen und Lesben. Zusammen mit den Rentnern, zusammen mit den Behinderten, zusammen mit den Indígenas und zusammen mit den 70 Millionen armen Mexikanern werden diese Gruppen "Minoritäten" genannt. In "Ihrem" Mexiko, Señor Fox, ist für diese "Minoritäten" kein Platz.

Wir protestieren gegen dieses Mexiko, und werden das auf eine radikale Weise tun.

Es mag für Sie von Belang sein oder nicht, ob eine Gruppe Mexikaner, dazu noch hauptsächlich indigene, mit Ihren merkantilen Plänen und der Kriegsführung der Rechten nicht einverstanden ist. Aber Sie sollten nicht vergessen, daß wenn die PRI ihre Macht verloren hat, dies geschah, weil die Mehrheit der Mexikaner rebellierte und es schaffte, sie rauszuschmeißen. Diese Rebellion ist nicht vorbei. Sie und Ihr Team haben seit dem 2. Juli nichts anderes getan als darauf zu bestehen, daß die Bürger zu Konformität und Immobilität zurückkehren sollten. Aber so wird es nicht laufen, Ihr neoliberales Programm wird auf den Widerstand von Millionen stoßen.
Einige Mitglieder ihres Kabinetts und jene die ihm nahestehen sagen, daß die EZLN verstehen sollte daß das Land sich geändert habe, daß ihnen (den Zapatistas) nichts anderes übrigbleibt als dies zu akzeptieren, sich zu ergeben, ihre Skimasken abzunehmen, einen Kredit aufzunehmen, um einen kleinen Laden zu eröffnen, einen Fernseher zu kaufen und Ratenzahlungen für einen Kleinwagen zu leisten.

Sie irren sich. Wir kämpfen für Veränderung, uns für uns bedeutet "Veränderung" "Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit." Die Niederlage der PRI war eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung, um das Land zu verändern. Viele Dinge fehlen noch, Sie und die kleinen Politiker ihres Kabinetts wissen das. Viele Dinge fehlen, und, was am wichtigsten ist, Millionen mexikanischer Männer und Frauen wissen dies ebenfalls.

Die Indígenas zum Beispiel fehlen. Was fehlt, ist die Anerkennung ihrer Rechte und Kultur die, glauben Sie mir, nichts mit Angeboten zur Förderung der Geschäfte zu tun hat. Was fehlt, ist die Demilitarisierung und die Deparamilitarisierung der indigenen Gemeinden. Was fehlt, ist die Freilassung der politischen Gefangenen. Was fehlt, sind die politischen Verschwundenen. Was fehlt, ist die Rekonstruktion und die Verteidigung der nationalen Souveränität. Was fehlt, ist ein wirtschaftliches Programm, das die Bedürfnisse der Ärmsten befriedigen würde. Was fehlt, sind wie immer die Bürger. Was fehlt, sind Politiker, die zur Verantwortung gezogen werden. Aber auch Frieden fehlt.

Señor Fox: für mehr als sechs Jahre täuschte Ihr Vorgänger Zedillo eine Bereitschaft zum Dialog vor und führte Krieg gegen uns. Er wählte die Konfrontation und verlor. Nun haben Sie die Möglichkeit zu wählen.
Wenn Sie den Pfad des ehrlichen, ernsthaften und respektvollen Dialoges wählen, werden Sie Ihre Bereitschaft mit Taten beweisen. Seien Sie versichert, daß Sie von den Zapatistas eine positive Antwort erhalten werden. So ist der Weg, den Dialog wieder aufzunehmen und bald zu beginnen, einen echten Frieden zu errichten. In den offenen Kommuniqués die wir anfügen, verkündet die EZLN ihre Forderungen nach einer Reihe minimaler Signale seitens der Exekutive. Wenn diese erfüllt sind, wird alles für die Rückkehr zum Dialog bereit sein.

Was auf dem Spiel stehen wird, ist nicht, ob wir gegen das sind, was Sie repräsentieren und was Sie für unser Land bedeuten. Es sollte kein Zweifel darüber bestehen: Wir sind Ihre Gegner. Was auf dem Spiel stehen wird, ist ob diese Opposition durch zivile und friedliche Mittel geführt werden wird oder ob wir bewaffnet und mit verhüllten Gesichtern fortfahren müssen, bis wir das erreichen, was wir suchen, was nichts anderes ist, Señor Fox, als Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Mexikaner.

Vale. Salud, und lassen Sie uns hoffen, daß es für Mexiko und Chiapas einen neuen Morgen geben wird.

aus den Bergen des mexikanischen Südostens
für das CCRI-CG der EZLN
Subcomandante Marcos