Der Baum des Morgens

 

An German Dehesa,
Mexiko, DF

Don German,

Ich wollte Ihnen schon seit einiger Zeit schreiben. Ich habe Sie ziemlich lange aufmerksam und mit belustigter Ernsthaftigkeit (so etwas gibt es, oder?) gelesen (freilich immer in der Annahme, daß die Reforma den Lakandonischen Urwald erreicht). Jetzt beim Lesen Ihrer Kolumne vom Donnerstag, dem 16. März, sehe ich, daß Sie unseren Worten großzügigerweise ein aufmerksames Ohr zugewandt haben. Ich sollte versuchen, nicht zu langatmig zu werden. Also los.

Sie fragen zuerst: Was hat die zapatistische Armee der nationalen Befreiung getan, um den Lakandonischen Urwald zu schützen?
Ich antworte: Gesetze eingeführt und darauf geachtet, daß sie eingehalten werden. Wie Sie nicht wissen können (weil die Regierung die autonomen Gemeinden als sezessionistisch dargestellt hat), haben die autonomen Autoritäten der zapatistischen indigenen Gemeinschaften ein Gesetz verabschiedet, welches "das Beweiden, Niederschneiden und Niederbrennen der Berghöhen" verbietet (die Kameraden benutzen das Wort "Berghöhe" sich beziehend auf die bewaldeten Gebiete, um sie von den Feldern - den bebauten Gebieten - und von den "acahuales", Gebiete mit niederwüchsigem, unveränderlichem Dornengestrüpp, Disteln, und Lianen zu unterscheiden).

Die Gemeinden waren nicht zufrieden damit, das Gesetz zu etablieren und zu verbreiten. Sie haben zusätzlich die Verantwortung übernommen, auf seine Einhaltung zu achten und den Mangel an Einhaltung zu bestrafen. Die Strafen für dieses Vergehen sind: zusätzliche Arbeit in der Gemeinde und Geldstrafen. Und, es wird ausgeführt.

Auf diese Art haben sie nicht nur die Zerstörung der bewaldeten Gebiete des Lakandonischen Urwalds gestoppt, sondern sie haben es auch geschafft, die Anbauweisen in den Gemeinden teilweise zu verändern. Um den Bränden, die sich um diese Jahreszeit vermehren entgegenzuwirken, haben die Dörfer ein Kommunikationssystem und Signale, damit sie kommen können, um einander zu unterstützen, wenn ein Feuer sich ausbreitet. Das Ergebnis? Es gibt Zehntausende von erfahrenen Feuerbekämpfern in den zapatistischen Gebieten. Das und mehr ist, was die Indigenen tun, Herr Dehesa, um ihr Land zu schützen, welches, für sie, nicht nur eine Frage des Überlebens ist, sondern auch ein Ort der Erinnerung, der Kultur, der Geschichte.

Das ist, was diese Indigenen machen, die Rebellen gegen eine Regierung sind, die sich weigert ihre Worte zu würdigen und die - in Antwort auf ihre Forderungen nach Gerechtigkeit - Zehntausende von Soldaten geschickt hat, welche - glauben Sie mir, Herr Dehesa - nicht nach Chiapas kommen, um kleine Bäume, die sie in San Miguel de los Jaguéyes gesehen haben, zu setzen, sondern um diesen Terror zu pflanzen, den sie nur in den Gesichtern der Männer, Frauen, Kinder und Alten sehen werden, die das Unglück haben auf ihren Gebieten Soldatenbaracken, verschiedene Bars, mindestens ein Bordell und keine Achtung für zivile Autoritäten zu haben.
Ich erzähle Ihnen dies nicht, weil ich Sie in einen Zapatisten umwandeln will oder um sie zu rekrutieren. Ich tue es, weil Sie so intelligent sind, wie es Ihre Worte widerspiegeln (und darüber hinaus ist da eine Brillanz, die nicht einmal durch Worte enthüllt werden kann). Es ist offensichtlich, daß deren Einladung an Sie, nach San Miguel de los Jaguéyes (und nicht nach Acteal, oder Amador Hernandez, oder Amparo Aquatinta, oder Taniperla, oder Roberto Barrios, oder andere Orte der militärischen Aufforstung) nicht unschuldig geschehen ist und daß Sie dies verstehen.
Weil ich sicher bin, daß Sie aufgeschlossen und begierig sind, die verschiedenen Sichtweisen derselben Wirklichkeit zu erfahren, lade ich Sie ein, inkognito nach Chiapas zu kommen. Fahren Sie nach Comitan und nehmen Sie dort ein Lufttaxi zur Gemeinde von Amador Hernañdez. Von der Luft aus wird es Ihnen möglich sein, das brutale Fällen von Bäumen durch die dort stationierten Soldaten für die Hubschrauberlandeplätze zu erkennen, ebenso wie das Ausmaß der abgeholzten Wälder um die Schußfelderfür ihre Maschinengewehre zu räumen. Wenn Sie landen und es schaffen in die militärische Befestigungsanlage einzudringen, wird es Ihnen möglich sein, in ihren Geschäften die Container von Entlaubungsmitteln und die Flammenwerfer, welche, zusammen mit Granatwerfern und leichten Maschinengewehren, einen Teil ihres Arsenals bilden.

Gehen Sie nach Amador Hernañdez, Sie werden nicht von irgendeinem Staatssekretär oder von irgendeinem "hohen Kommando" der zapatistischen Guerillaarmee empfangen werden, noch werden Sie durch irgendeinen Public-Relations-Direktor betreut werden. Indigene Tzeltal Männer und Frauen werden Sie empfangen, sie werden Ihnen ihre zerstörten Felder, ihre vergifteten Wasserquellen, die Fallen mit geschärften Pfählen innen, die Mauern aus Zweigen und gefällten Bäumen, hinter denen die Soldaten sich verstecken, um nicht die Worte sehen zu müssen, die ihnen die indigenen Männer und Frauen jeden Tag zeigen, ihren Rückzug fordernd. Kommen Sie, Herr Dehesa, Sie haben nichts zu verlieren und vielleicht viel zu verstehen. Sie könnten (dies ist ein Vorschlag) Frau Loeza (die diesen Ausflug ebenfalls machen will) mitbringen. Ich bin sicher, daß sie sich eine gute Verkleidung ausdenken würde, die es Ihnen beiden erlauben würde, unerkannt passieren zu können, und Sie könnten auf diese Art die "andere" Wirklichkeit der Bundessoldaten im Lakandonischen Urwald bestätigen.
Denn diese Soldaten, welche Herr Aquilar Zinser sieht (und ihnen Beifall spendet), während sie für die Wälder des Lakandonischen Urwalds "sorgen", sind die Komplizen der talamontes (die großen Laster mit illegalem Holz haben bei den militärischen Kontrollstationen in den Canadas freie Durchfahrt).
Sie sind dieselben, welche indigene Frauen in der Gemeinde von Morelia vergewaltigt haben. Dieselben, welche die Paramilitärs trainieren (deren größte "Wald"-Aufgabe das Massaker von Kindern, Frauen, Männern und Alten in Acteal ist), welche Schulen und Kirchen in Baracken umwandeln (besuchen Sie den Norden von Chiapas), welche die indigenen Frauen prostituieren (sprechen Sie mit den Frauen der PRI in San Quintin), welche Neugeborene im "brandneuen" Spital von Guadalupe Tepeyac stehlen, um sie (vollständig oder in Teilen) auf dem Schwarzmarkt in den Vereinigten Staaten zu verkaufen.
Welche Drogen pflanzen, mit ihnen handeln und konsumieren (lassen Sie sich die Areale um die Baracken von Guadalupe Tepeyac, San Quintin, Taniperla, Ibarra oder La Soledad, um einige wenige zu nennen, zeigen). Welche die Drogenhändler auf Ihren Routen in die USA schützen (nach 1995, dem Jahr der "Wiederentdeckung der nationalen Souveränität", entdeckten die Südamerikanischen Kartelle das Sprungbrett wieder, das sie durch den Aufstand der EZLN verloren hatten).
Welche Alkohol in die Gemeinden eingeführt haben (Sie können Militärkonvois beobachten, die Laster mit alkoholischen Getränken eskortieren). Dieselben welche die mexikanischen Indigenen verfolgen, bedrohen, schlagen, einsperren, vergewaltigen und töten (in jeder Gemeinde, die das Pech hat, eine Militärbaracke in ihrer Nähe zu haben), die, soweit ich verstehe, soviel (oder weniger) wert sind wie irgendein kleiner Baum.

Kommen Sie, Herr Dehesa, kommen Sie und sehen und sprechen Sie und bitten Sie darum, daß Ihnen gezeigt wird, was sie in der Gemeinde San Quintin (vor der Türe des Bioreservates Montes Azules) innerhalb der Militärbaracken haben. Dort wird es Ihnen möglich sein, die effizienten modernen Verliese zu sehen, entworfen um Indigene zu foltern, die Tunnels um Personen "verschwinden" zu lassen, ohne Spuren für Menschenrechtsbeobachter zu hinterlassen. Kommen Sie, sehen und hören Sie.
Kommen Sie und Sie werden sehen, daß es zwei Programme für die Zukunft gibt: das der Regierung und das indigene. Unseres versucht "die Bedingungen für unsere guten Leute vom Land zu erschaffen, um ihre Stärke, ihre Geschichte, ihre Art zu denken, ihre Würde, ihre Respektabilität, ihre Initiative wiederzuerlangen" (Dehesa, Reforma, 17. 3. 2000), und das was in der Wahlkampagne nicht vorhanden ist.
Glauben Sie mir nicht, Herr Dehesa - glauben Sie, was Ihre Augen sehen und Ihre Ohren hören! Falls Ihre Reise nicht möglich ist, schenken Sie dem, was ich hier schreibe, keine Aufmerksamkeit. Sehen Sie indessen in Hunderte von Berichten von Nicht-Regierungs-Organisationen, von Wissenschaftlern und Forschern, vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. Alle von ihnen empfehlen den Abzug der Armee von Chiapas. Und es ist nicht, weil sie die Wälder nicht zerstört sehen wollen. Es ist, weil sie die Soldaten keine Bäume pflanzen sehen, sondern die Menschenrechte verletzen.
Gut, Herr Dehesa, ich hoffe ich habe mich auf die Zahl von Zeilen beschränkt, die, wie ich annehme, Ihre Kolumne beansprucht. Wie beim Rest, glauben Sie dies nicht über das Email. Die einzige effektive Art mit der Generalkommandantur der EZLN zu sprechen, wird noch immer durch ein paar Schuhe geboten, irgendwie ausgetreten, natürlich, aber noch immer dienlich. Ich weiß nicht, ob Sie dies veröffentlichen werden oder wie der Ton Ihrer Antwort sein wird. Was auch immer es sein mag, Sie sollen wissen, daß Sie in den Bergen des mexikanischen Südostens mindestens zwei Leser haben (inklusive La Mar), die, wenngleich sie nicht viele Ihrer Meinungen und Worte teilen, recht glücklich über Ihren Witz lachen, Ihre Prägnanz und Ihre Freude.

Leben Sie wohl. Salud, und der Baum, der von Bedeutung ist, ist der des Morgens.

aus den Bergen des mexikanischen Südostens
Subcomandante Insurgente Marcos

Freches PS: Ich vergaß, Sie fragten auch: Wie viele Bäume hat Marcos gepflanzt? Ich antworte Ihnen: Ohne den kleinen Orangenbaum zu zählen, der die Türen der Generalkommandantur der EZLN ziert, könnte jemand sagen, daß ich einen anderen Baum gepflanzt habe.
Es ist ein sehr seltsamer Baum. Nicht nur, weil sein Pflanzen die Unterstützung von Tausenden von Frauen und Männern mehrerer Generationen benötigt hat. Nicht nur, weil seine Pflege viel Schmerz mit sich bringt und, es ist nur fair dies zu sagen, viel Lächeln. Nein, Herr Dehesa, der Baum, den wir hier pflanzen ist seltsam, weil es ein Baum für jeden ist, für die, die noch nicht geboren sind, für diejenigen, die wir nicht kennen, und für diejenigen, die da sein werden, wenn wir hinter der Ecke jedes Kalenders verlorengegangen sein werden.
Wenn unser Baum wächst, werden unter seinem Schatten die Großen und die Kleinen sitzen, Weiße und Schwarze und Rote und die Roten und die Blauen, Indigene und Mestizen, Männer und Frauen, die Hochgewachsenen und die Kleinwüchsigen, ohne daß diese Unterschiede etwas ausmachen, und vor allem, ohne daß sich irgendwelche von ihnen als weniger oder schlechter empfinden oder sich schämen, so zu sein wie sie sind. Unter diesem Baum werden die Achtung des Anderen, Würde (was nicht Arroganz bedeutet) Gerechtigkeit und Freiheit sein. Wenn ich dazu getrieben würde, diesen Baum kurz zu beschreiben, würde ich Ihnen sagen, daß es ein Baum der Hoffnung ist.
Aber wenn eines Morgens auf der Landkarte von Chiapas, anstelle eines riesigen grünen Areals, das von blauen Strömen durchbrochen wird, Zeichen von Ölquellen und Uranminen, Kasinos, exklusiven Wohngegenden und Militärbasen gesehen werden, dann wird dies heißen, daß diese Soldaten gewonnen haben, welche, wie Sie sagen, auf den Lakandonischen Urwald acht geben.
Es wird nicht heißen, daß wir verloren haben, nur daß es länger dauert zu gewinnen, als wir gedacht haben.