Nach der Transformation wird es keine Landschaft mehr geben

25. Mai 2022

Teil 1 von 3: Layú bee

Unsere Großmütter und Großväter waren die ersten, die auf diesem Land gingen, die seine Wege, seine Bäume und seine Pflanzen kannten, die Pfade anlegten und sich zwischen verschiedenen Pueblos (1) begegneten, mal verfeindet, mal gemeinsam bei ihrem Tun im Territorium, mal als Geschwister oder Familie; von ihnen haben wir gelernt, dass das, was es hier gibt, nicht nur Natur ist und dass Layú bee voll von anderen Wesen ist, denen man von Zeit zu Zeit auf den Wegen, in den Maisfeldern, in den Höhlen, im Wasser oder im Meer begegnet, wo sie ihre Stimme hörbar machen, und so haben wir gelernt, zuzuhören und dass man sie kennenlernt, indem man sie zu Fuß durchquert, auf diese Weise entdeckt man die so enge Form, in der wir verbunden sind, auch wenn sich unsere Pueblos unterscheiden, denn was an einem Ort geschieht, wird unweigerlich auch andere betreffen.

Layú bee (schmales Land) – so wird diese als Isthmus von Tehuantepec bekannte Region in Diidxazá genannt. Sie liegt am östlichen Ende des Bundesstaates Oaxaca und südlich des Bundesstaates Veracruz und umfasst im Osten Teile von Chiapas und Tabasco. Layú bee ist, wie es der Name sagt, die schmalste Stelle zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik, die hier durch eine nur 300 Kilometer breite Landenge voneinander getrennt sind.

In Layú bee ist die natürliche Vielfalt immens, in ihren Wäldern und Dschungeln gibt es zehn verschiedene Ökosysteme, in denen zehn Prozent der gesamten Biodiversität des Planeten vertreten sind. Ihre bewaldeten Massive regulieren die Vielfalt der vorhandenen Klimata. Hier kommen Millionen von Pflanzen und Tieren zusammen. Es ist die Verbindung der nördlichen und südlichen Hemisphäre mit der Flora und Fauna der trockenen Tropen des Pazifik und der feuchten Tropen des Atlantik.

Im nördlichen Teil von Layú bee, in der Sierra de Santa Marta oder dem Tuxtla-Gebirge, gibt es 940 Pflanzenarten, 80 Farne, mehr als 1200 Insektenarten, 122 Reptilien- und Amphibienarten, mehr als 440 Vogelarten und 115 Säugetierarten – und das sind nur die Arten, die bislang entdeckt wurden. In diesem Gebiet fließt der Fluss Papaloapan, dessen Flussnetz in die Flüsse Coatzacoalcos, Uxpanapa und einen Teil des Grijalva-Usumacita-Systems mündet. Dabei entstehen Flussmündungen, Mäander, Mangroven, Sümpfe und Moore, die von den Pueblos der Tannundajïïyi und Nahua geschützt werden.
Im zentralen Teil von Layú bee liegt der Chimalapas-Regenwald, der einen immensen Reichtum an Flora und Fauna beherbergt, was ihn zu einer anerkannten Ökoregion macht. Hier leben 454 Tagfalterarten und 149 Säugetierarten, was 32 Prozent der landesweiten Gesamtzahl dieser Arten entspricht. Darüber hinaus gibt es hier 464 Vogelarten, was ein Drittel der landesweiten Gesamtzahl ist, 54 Amphibienarten und 105 Reptilienarten. Allein dieser Regenwald beherbergt fast ein Drittel der gesamten biologischen Vielfalt des Landes. Außerdem findet mit den hier vorhandenen Flüssen und Bächen 40 Prozent des gesamten natürlichen Oberflächenwasserabflusses von Mexiko statt.
Der Chimalapas-Regenwald, die Sierra de Santa Marta und der gesamte Uxpanapa-Fluss sind durch Ökosystemarten gekennzeichnet, die von gemäßigten Wäldern über Nebelwälder bis hin zu tropischen Regenwäldern reichen und zu den letzten gut erhaltenen Waldrelikten Mesoamerikas zählen. Die verschiedenen Ökoregionen in Layú bee sind Teil des Gebiets mit der höchsten Pflanzenvielfalt in Mexiko und eines der großen Zentren einheimischer Pflanzen innerhalb des als mesoamerikanisch bezeichneten Kulturraums.
Der Verlauf der Gewässer endet in den Küstenebenen des Golfs von Tehuantepec, wo die Pueblos der Binnizá, Angpón, Ayuuk und Slijuala Xanuc’ leben. Ganz im Süden von Layú bee liegen fruchtbare Böden, die die Entwicklung der Vegetation des südlichen Isthmus begünstigen und schließlich in die Lagunensysteme der Küste übergehen – die größten der südlichen Pazifikregion von Mexiko. Hier sind besonders die Laguna Superior und die Laguna Inferior sowie das Mar de Tileme zu nennen, die das Territorium dieses letzten Küstenabschnitts prägen.

Aber wir wissen – und das ist eine Tatsache –, dass Layú bee keine unberührte und paradiesische Region ist. Wir haben bereits die großen Verteidiger des Messias gehört und gelesen, die schreiben und schwafeln: "Wo seht ihr all diese Vegetation?" "Ihr seid doch solche Umweltschützer*innen, die von der Mafia der Macht bezahlt werden." "Wo wart ihr, als Obrador in der PRI war?" (ah nein, letzteres nicht) – und ein endloses Etcetera. Deshalb antworten wir mit den Worten unserer zapatistischen Schwestern und Brüder: "Es gibt keine Diskussion mehr." Wir wissen, dass dieses Territorium eine Landschaft ist, die infolge der verschiedenen Vorhaben für "Fortschritt und Entwicklung" der Finqueros (2) der Vergangenheit im Sterben liegt.
Die Landschaft von Layú bee mit ihrem enormen natürlichen Reichtum hat sich verändert: Durch die Ausbeutung von Erdöl- und Schwefelvorkommen, den Ausbau der Erdölraffineriekapazitäten an beiden Küsten, die Errichtung großer petrochemischer
Komplexe, den Bau und Betrieb eines komplexen Transportsystems, von Gas- und Erdölpipelines, das Wachstum städtischer Gebiete und des Industriekorridors Coatzacoalcos-Minatitlán.
Hinzu kommen Systeme für Schwerlasttransporte auf dem Land und Wasser, um die Ölregionen von Coatzacoalcos bis Salina Cruz zu verbinden, die wiederum mit den Ölregionen im Norden von Chiapas, Tabasco und Campeche verbunden sind. Außerdem haben die extensive Viehzucht im Süden von Veracruz und in großen Teilen von Tabasco, die Ausdehnung der intensiven, technisierten Landwirtschaft und von kommerziellen Forstplantagen, der wahllose Einsatz von Agrochemikalien und synthetischen Düngemitteln und der Holzeinschlag ihre Spuren an den Wäldern und Urwäldern hinterlassen. Zehntausende Hektar tropischer Regenwälder und mehr als 80 Prozent der Feuchtökosysteme im Flussdelta des Coatzacoalcos wurden bereits zerstört. Hinzu kommt die Verschmutzung der Luft, des Bodens und vor allem der Gewässer durch Raffinerien und industrielle Landnutzung. Auch betroffen sind der Fluss Tonalá, die Lagune von Ostión und die Gewässer der nördlichen Isthmusküste, die wegen der Abwässer durch den menschlichen Gebrauch stark bakteriell und mikrobakteriell belastet sind, ebenso wie durch Kohlenstoffwasserstoff und Schwermetalle.

All das wissen wir und haben es schon immer angeprangert und uns dagegen gewehrt, ebenso wie gegen die Finqueros, die für die Umsetzung dieser Strategie von "Fortschritt und Entwicklung" verantwortlich sind, die heute in ganz Layú bee ihre Folgen zeigt. Deshalb treten wir heute angesichts des neuen Finqueros, der demselben Vorarbeiter (3) unterstellt ist wie seine Vorgänger, auch weiter in Erscheinung und benennen diese biologische Vielfalt, die unser Territorium ausmacht und erneut in Gefahr ist.
Unsere vielfältigen Ökoregionen sind nicht nur Teil einer sterbenden Landschaft, nein. Layú bee ist auch Leben, es sind Geschichten, Märchen, Mythen und Legenden, die sprechen. Wir sind Großeltern, Mütter, Väter, Kinder und Enkelkinder. Wir sind Gewebe, die von der Vergangenheit erzählen, um weiter die Gegenwart zu leben; es sind die Feste, die uns daran erinnern, dass das Zusammenkommen, das Zusammenleben und das Teilen trotz aller Widrigkeiten auch weiter ein grundlegender Bestandteil unseres Lebens ist; es sind die Passionen (Pilgerreisen) zu unseren Bergen und zum Meer, die für uns, die wir hier leben, heilig sind; es sind die Blumen auf dem Friedhof und auf unseren Altaren, die uns mit unseren
Vorfahren verbinden; es sind die Hüter der Berge, die im Dschungel wandeln; es sind die Umherziehenden, die die Feuchtgebiete der Küste durchschwimmen, und Arme, die die Flussnetze durchziehen.

In Layú bee haben wir tiefe historische Wurzeln, wir sind die Mokaya (Menschen aus Mais), die vor 3600 Jahren hier lebten, und heute sind wir die Angpøn (Zoques), Ayuujk (Mixes) und Tannundajïïyi (Popolucas). Wir Binizaá (Zapotecas), Ikoots Huaves), Slijuala Xanuc’ (Chontales), O’ de püt (Zoques aus Chiapas) und Yokot’an (Chontales aus Tabasco) haben hier Wurzeln geschlagen und Geschichte gelebt. Das afroamerikanische Pueblo ist hier präsent und es begleiten uns auch unsere Geschwister Tsa ju jmí’ (Chinantecos), Ha shuta enim (Mazatecos), Ñuu dau (Mixtecos) und Bats’i k’ op (Tsotsiles). Pueblos, die von den Finqueros der Vergangenheit von ihrem Territorium vertrieben wurden, die von ihrem Land weggeholt wurden, um als Arbeitskräfte eingesetzt zu werden, und die ihr Land den Vorarbeitern überließen, die sich uns heute als Freunde vorstellen.

Die ersten Schritte und die ersten Stimmen, die in diesem Territorium unterwegs waren, gehen weiter, sie sind vertreten in den Pluriversen, an die wir uns heute erinnern, die wir in unseren Erzählungen bewahren, die uns unsere Vorfahren hinterlassen haben. Wir sind die Pueblos, die wissen, dass unsere Existenz eine "Verflechtung mehrerer Körper" ist, Körper, die es verstanden haben, diese immense biologische Vielfalt zu erhalten und zu schützen, die inmitten der Klima- und Umweltkrise noch immer unser Land repräsentiert. Wir sind die Alternativen und wir sind am Leben.

Auch heute müssen Layú bee und wir, die wir ein organischer Teil von ihr sind, wieder wachsam sein, denn der neue Finquero, der auf dem Präsidentenstuhl sitzt, will unser Territorium zerstückeln, um es den Vorarbeitern zu übergeben, die er in Wirklichkeit vertritt.
Denn wenn wir sie vordringen lassen, werden sie kommen und uns unser Land und unser Gedächtnis nehmen, unsere Ohren und unser Herz verschließen, damit wir nicht die Stimmen hören, die uns wie eine Vorahnung warnen: "Es ist Zeit, sehr vorsichtig zu gehen."

Aus der Region des Isthmus von Tehuantepec,

Asamblea de Pueblos Indígenas del Istmo en Defensa de la Tierra y el Territorio – APIIDTT
(Versammlung der indigenen Pueblos des Isthmus zur Verteidigung von Land und Territorium)

Klarstellung:
Der Titel dieses dreiteiligen Textes nimmt Bezug auf das von Sup Moi und Sup Galeano am 3. März 2022 veröffentlichte Kommuniqué Warum? Genauso wie es im Kommuniqué der EZLN steht, wird es nach der Invasion niemanden mehr geben, der von der Landschaft erzählt. Der Krieg, auf den sich die zapatistischen Compas in ihrem Kommuniqué beziehen, hat mit der
Transformation gemeinsam, was der interozeanische Korridor für den Isthmus, also auch hier in Layú Bee, vorsieht: "Auf beiden Seiten sind Interessen des großen Kapitals im Spiel", es gibt "gute und schlechte Interventionen–Invasionen–Zerstörungen. Die guten sind die, die ihnen Nahestehende umsetzen", und die Gewinner "sind die großen Waffen-Konzerne und die großen Kapitale, die die Gelegenheit sehen, um Gebiete zu erobern, zu erstören/wieder
aufzubauen. Das heißt: neue Waren- und Konsument*innen-Märkte zu schaffen". Das ist der Grund: Nach der Transformation wird es keine Landschaft mehr geben.

Anm. d. Übers.:

(1) Pueblos verbleibt im Original, da Selbstbezeichnungen; wörtlich: »Völker« oder »Stämme«.
(2) Im Text werden Begriffe verwendet, die auch die Zapatistas zur Beschreibung des herrschenden Systems verwenden (s. EZLN: »300er-Papier« von 2018): Der herrschende Patrón, der Herr, ist das kapitalistisch-patriarchale System; es teilt die Welt auf in Fincas, in örtlichen Großgrundbesitz (Staaten); und erteilt dem Finquero, dem Großgrundbesitzer vor Ort, seine Befehle, die dieser weitergibt an den Capataz, den Vorarbeiter der Finca. Die jeweilig Regierenden werden als die Capataces, die Vorarbeiter, benannt.


1. Juni 2022

Teil 2 von 3: Der Wettlauf um den Isthmus von Tehuantepec
Nationale Sicherheit, nationale Inspiration und Amerika für die Amerikaner


"Das neoliberale Modell wird abgeschafft", heißt es in einem Kommuniqué, dass der Vorarbeiter (1) am 17. März 2019 veröffentlichte. Aus seinen Trümmern wird der Liberalismus des 19. Jahrhunderts wiedergeboren, jener, der durch eine Mischung aus religiösen Ideen und Ideologien mit dem, was Humanismus genannt wird, charakterisiert ist.
Ein Modell, in dem die Verfeindeten von gestern heute befreundet sind, in dem die hauptsächlichen Nutznießer der Plünderung ehrbare Leute sind, in dem die Milliardäre des Landes ihren Reichtum weiter vermehren – also eigentlich genau wie gestern.
In diesem neuen politischen Panorama, das Layú Nabe bedroht, kursiert eine Aussage, die die Verteidiger*innen des Vorarbeiters im Palast leidenschaftlich verteidigen – ob begründet oder unbegründet, das spielt in Zeiten der Transformation keine Rolle mehr: "Endlich hat sich die Regierung dem mexikanischen Südosten zugewandt". Und so fragen wir uns: Was passiert eigentlich im Südosten?

Jenseits der Versprechungen von Entwicklung und Fortschritt, Unternehmertum und kooperativen Partnerschaften mit mächtigen weißen Männern wie Larrea und Hank sind das der nachhaltige Extraktivismus und die freundliche Enteignung, wie sie der Vorarbeiter Morgen für Morgen im Fernsehen für das ganze Land verkündet. Um etwas besser zu verstehen, was für ein Monster da eigentlich auf uns zukommt, sollten wir uns die Worte von Woodrow Wilson in Erinnerung rufen, die Galeano 1970 zitierte: "Ein Land wird von dem Kapital besessen und beherrscht, das in ihm investiert wurde." Die Handelsrouten rund um den Globus sind eine Konstante in der langen Geschichte der kapitalistischen Akkumulation und zeugen von Wilsons Prämisse.

Schon ein Blick über unseren Tellerrand zeigt, wie sich Panama zu einer Republik entwickelt, die durch die Expansion des US-amerikanischen Imperialismus katapultiert wurde. Und blicken wir noch etwas weiter, dann sehen wir das Verschwinden der ägyptischen Fellache (bäuerlichen Gemeinschaften) mit dem Bau des Suezkanals, mit dem Ägypten seinen Kopf in die Schlinge des europäischen Kapitals steckte. Jetzt sehen wir die Ukraine als Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen dem US-amerikanischen, russischen und chinesischen Imperialismus, die in ihrem Streben nach Vorherrschaft über alles und alle hinweg Territorien, die ihnen nicht gehören, zerstören und für ihre Zwecke gestalten. Jede geopolitische Expansion geht mit einer enormen militärischen Präsenz einher, die zu einem notwendigen Faktor für die wirtschaftliche und politische Kontrolle des Kapitals in dem bestimmten Territorium wird. So sehen wir es auch hier und so sehen es auch unsere Schwestern und
Brüder der Maya auf der Halbinsel Yucatan.

Auch in unseren Territorien ist diese Dringlichkeit und diese geopolitische Neuordnung zu beobachten, wie sie auf internationaler Ebene in diesem Moment auf dem Schachbrett namens Ukraine ausgetragen wird, das zuvor Panama, Suez, Malakka, Irak, Hormus usw. hieß. Und wir wissen, dass an dieser Stelle die Klassiker kommen: "Welche Neuordnung? Welche
ausländische Präsenz? Sie werden von Claudio X González bezahlt, Slim ist ehrenwerter Patriot, die 100.000 Verschwundenen sind eine Erfindung der Opposition ..."

Fahren wir fort. Erstens hat Ken Salazar, der Sondergesandte der Finqueros des Landes im Norden, in den letzten Monaten angekündigt, dass die Vereinigten Staaten (USA) 250 Millionen USD in die strategischen Bundesstaaten investieren werden, die den Interozeanischen Korridor und den Maya-Zug (Tren Maya) umfassen, und zwar über die US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) – ja, genau jene USAID, die die NGO Mexicanos contra la Corrupción y la Impunidad ("Mexikaner gegen Korruption und Straflosigkeit") finanziert, von der schon so oft behauptet wurde, sie zöge die Fäden der "Opposition".

Zweitens fanden vom 7. bis 21. Mai zum ersten Mal auf mexikanischem Territorium – Überraschung: im Süden/Südosten – die militärischen Übungen "Tradewinds 2022" statt, ausgeführt und unter der Schirmherrschaft des Südlichen Kommandos der USA – jenem Kommando, das für die Verankerung der Monroe-Doktrin auf dem gesamten Kontinent verantwortlich ist. An den Tradewinds-Übungen waren 1.500 Militärs aus 23 Ländern beteiligt. Ziel ist es, die Reaktionsfähigkeit in der Region zu stärken und neue operative Standardverfahren zu entwickeln, und es wird auch die Bekämpfung von Protesten oder städtischen Unruhen und die Abwehr von Molotowcocktails trainiert.

Drittens wurden in den vergangenen Monaten insgesamt 4.362 Militärangehörige für die Sicherheit des Interozeanischen Korridors des Isthmus von Tehuantepec entsandt und mobilisiert. Diese erste Mobilisierung erfolgte, nachdem das Sekretariat der Marine (SEMAR) verkündet hatte, die Unsicherheit und die Verzögerungen beim Megaprojekt seien auf die Anwesenheit von Gruppen des organisierten Verbrechens und antagonistischen Gruppen – organisierte indigene Gemeinschaften – zurückzuführen, denn natürlich werden, wenn es um die "nationale Sicherheit" geht, indigene Pueblos und Narco-Gruppen
gleichgesetzt.

Und zum Schluss noch das i-Tüpfelchen: Wieder einmal verkündete der Herr der wichtigen Nachrichten – nicht der Morgennachrichten, sondern der Nachrichten, die von außerhalb kommen, der Nachrichten, die für die Finqueros wirklich von Bedeutung sind, nämlich Ken Salazar – vor etwas mehr als zehn Tagen, die Lösung des Migrationsproblems – einer Folge
der vorherrschenden Produktionsweise – bestehe darin, die Nordgrenze Mexikos implizit an die Gürtellinie des Landes zu verlegen, den Isthmus von Tehuantepec. Denn natürlich ist es einfacher, eine 80 Meilen lange Grenze militärisch, politisch und wirtschaftlich zu kontrollieren, als eine Grenze, die sich über 2000 Meilen erstreckt.
Und so zeigen die USAID, das Südliche Kommando und das SEMAR in diesem Wettlauf um die südliche Region des Landes Präsenz, während wir in aller Ruhe zusehen, wie die USA mit ihrem offiziellen Sprecher im Nationalpalast ein- und ausgehen und die Spielregeln verkünden und diktieren, ohne tagelang und kilometerweit laufen zu müssen und ohne an Türen klopfen zu müssen, wie es unsere Schwestern und Brüder der Wixarika erst kürzlich getan haben oder die von paramilitärischen Gruppen vertriebenen Pueblos oder die unterdrückten Studierenden und Lehrkräfte oder die Angehörigen, die ihre Verschwundenen suchen. Und so machen sich der Vorarbeiter, der Sprecher und die Finqueros gemeinsam auf den Weg, um (militärische) "Sicherheit" und (wirtschaftliche) "Stabilität" in diese strategische Region zu bringen, die so aufgewühlt, so rebellisch, so unbeugsam ist.

Von "Die Sección 22 der Lehrer*innengewerkschaft ist das schlimmste soziale Übel in Oaxaca" zu "Operativos Agave Azul": Jetzt sind wir alle soziale Kämpfer*innen

Die repräsentative Demokratie ist auf die Straßen und in die Gemeinden zurückgekehrt, mit all ihrem Müll und ihrem Wahlzirkus. Was wäre die repräsentative Demokratie ohne die Clowns, die diese Saison zum Zirkus machen? Da sind zuerst die Pausenclowns, die uns glauben machen, dass es einen harten und mühsamen Wettbewerb um unser Wohlergehen
gibt, und dann sind da noch die anderen, die um "Beliebtheitspunkte" kämpfen und dir einzureden versuchen, dass der Wahlkampf eine ernste Angelegenheit sei. Aber natürlich zählt deine Stimme! Natürlich bist du Teil der Veränderung!

Ohne jeden Unterschied ist klar, dass der Kandidat, der im Bundesstaat Oaxaca das Amt des Gouverneurs gewinnt, die Politik der Enteignung/Transformation verfolgt, die die privaten Interessen der mexikanischen und internationalen Unternehmen und das organisierte Verbrechen privilegiert.

Es ist auch klar, dass derjenige gewinnen wird, der in diesem Rennen um die Macht die besten Verbündeten hat, und es wird bereits gemunkelt, wer dieser Kandidat ist. Heute sieht es so aus, dass das Dekret, das dem Neoliberalismus ein Ende setzte, auch dem historischen Gedächtnis des Kampfes der Bevölkerung von Oaxaca ein Ende gesetzt hat. Deshalb präsentieren sich die Kriminellen von gestern heute als die Auserwählten und als soziale Kämpfer*innen und behaupten, schon immer an der Seite der Bevölkerung gestanden zu haben.
Terror und Straflosigkeit warten bereits um die Ecke, sie haben Namen und Parteien, und es heißt, was nicht benannt wird, existiert nicht. Als Plattform gibt es MORENA mit dem Motto "Endlich kommt die Transformation nach Oaxaca", mit einer Liste von hochkarätigen Akteur*innen:
Salomón Jara Cruz, erklärter Gegner der Lehrer*innengewerkschaft von Oaxaca, der wie durch Zauberei – und in einem Zirkus gibt es schließlich auch Zauberer – eine Milliarde Pesos aus dem Sekretariat für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Fischerei (SEDAPA) verschwinden ließ; Beatriz Rodríguez Casanovas, ehemalige Tourismusministerin, und Jorge Franco Vargas, ehemaliger Generalsekretär der Regierung, beide während der Zeit von Ulises Ruiz Ortiz (URO) und alle verantwortlich für das Verschwindenlassen, die Ermordungen und die Karawanen des Todes im Jahr 2006; Arturo García Velázquez, der des gewaltsamen Verschwindenlassens und des Tragens von Waffen, die für den ausschließlichen Gebrauch
durch die Armee bestimmt sind, beschuldigt und 2019 auf einer Weihnachtsfeier in Jalapa de Díaz ermordet wurde – mit einer Narco-Nachricht –, als er Bürgermeister war, nachdem er das Amt von seiner Frau Fernanda Barbosa Sosa übernommen hatte; Lizbeth Victoria Huerta, die in ihrem Amt als Präsidentin von Nochixtlán 8.795.285 Pesos verschwinden lassen konnte; und die Aktivistin Claudia Uruchurtu.

Und dann gibt es noch die Jongleur*innen. Nino – so wird er genannt – Anführer der aus Morena hervorgegangenen Gemeindepräsidenten im Isthmus von Tehuantepec und seit mindestens sechs Jahren der wichtigste Finanzdienstleister von Salomón Jara Cruz: Gegen Antonino Morales Toledo wurde vom Amt für Finanzkontrolle im Rahmen einer internationalen Untersuchung namens "Agave Azul" ermittelt, die ein riesiges illegales Geldwäschenetz aufdeckte. Als Landesvorsitzender der Organisation FUCO gründete Antonino nach den Ermittlungen wegen seiner Verbindungen zum organisierten Verbrechen durch die Operation "Agave Azul" die Fundación Antonino Morales Toledo A.C., die heute im Wahlkampf von Salomón Jara als Kandidat für das Gouverneursamt von Oaxaca eine wichtige Rolle spielt.
Auf halbem Wege haben wir noch die Akrobat*innen, die Verbrecher*innen von gestern, die heute als Engel der Demokratie und Gerechtigkeit auftreten. In diesem Wettlauf der Clowns um die Eroberung der Macht spielt es keine Rolle, dass in diesen fünf Monaten im Bundesstaat 50 Frauen Opfer von Femizid geworden sind, was den Isthmus zur gewalttätigsten Region für Frauen macht. Und es spielt auch keine Rolle, dass in dieser Region (nach offiziellen Angaben) insgesamt 69 Menschen ermordet wurden oder dass Dutzende von Journalist*innen wegen ihrer Arbeit ermordet werden, einer davon in Salina
Cruz.

Irrelevant ist es auch, dass im Land mehr als 100.000 Menschen verschwunden sind – mehr als in den Diktaturen wie auf dem Cono Sur (Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay). Nichts davon zählt, denn seit Beginn der vierten Transformation sind die Einzigen, die angegriffen, kriminalisiert, verfolgt, herausgegriffen und bedroht werden, diese neuen sozialen Kämpfer*innen. Alle anderen Daten sind Legenden des neoliberalen Modells, und die einzige Geschichte, die zählt, ist der Zirkus, der Streit zwischen Clowns, die sich in der einen oder anderen politischen Partei zusammengefunden haben. Der Rest ist nur eine Erfindung der nicht-sozialen Kämpfer*innen.

Die Verteilung von Layú Nabe
In dieser schmalen Region, die von Wasser und Wind geformt wurde, soll eine große Infrastruktur errichtet werden: 300 Kilometer Bahngleise, die Layú Nabe zweiteilen werden. Zu dieser Strecke kommen noch zwei weitere Eisenbahnstrecken mit einer Länge von 328 Kilometer und 459 Kilometer; eine Gaspipeline, die von Tuxpan nach Salina Cruz verlaufen soll, wo die nordamerikanischen Unternehmen Mirage Energy und Northern Hemisphere Logistics bereits Stellung bezogen haben; zu den zehn ersten Industrieclustern sollen noch etwa 18 weitere hinzukommen; die erweiterten Häfen von Salina Cruz und Coatzacoalcos; und die bereits in der Region vorhandenen Windparks und Bergbaukonzessionen.

Die ersten, die zu dieser Umstrukturierung kamen, sind jene, die sich der Modernisierung der Eisenbahnstrecke von Salina Cruz nach Coatzacoalcos widmen: Grupo Azvi aus Spanien, einem historischen Verbündeten der Familie Salinas de Gortari; Grupo Industrial Hermes, Eigentum von Carlos Hank Rhon, einem strategischen Verbündeten von Oderbrecht; COPASA aus Spanien; Concorcio FERROMAZ, dessen Hauptpartner Grupo México im Besitz von German Larrea ist; Grupo SACMAG, dessen Hauptkunden Industria Peñoles, Nestlé und FEMSA sind; COMSA Corporación aus Spanien und Construcción y Maquinaria SEF, dessen Hauptkunde Grupo México ist. Aber wir wissen es und haben sie schon sagen hören: "Sie werden die Gleise nur modernisieren und dann wieder weggehen, denn diese Gleise sind für die Nutzung der Menschen bestimmt, die hier leben", natürlich, denn German Larrea ist ein ehrlicher Mensch.

Auf der Zielgeraden dieses Wettlaufs trafen sich am vergangenen 22. April dieses Jahres in San Juan de Ulua, Veracruz, der Vorarbeiter aus dem Palast mit dem Sondergesandten aus dem Land im Norden, Ken Salazar, als Gesprächspartner für die Finqueros, die an der Verteilung der Region Isthmus von Tehuantepec beteiligt sein wollen. An dem Treffen nahmen 22 transnationale Unternehmen teil, die daran interessiert sind, den Isthmus zu ihrer Transitroute zu machen. Da waren: der Ausbeutung von Arbeitskräften und der Ablehnung von gewerkschaftlicher Organisierung Beschuldigte wie Accenture Ltd. und General Motors; an der Windenergieproduktion Interessierte wie Applied Energy Services (AES Corporation) und EDP Renewables; die Magnaten der Agrar-, Bio- und Pharmaindustrie, CARGILL; außerdem die an der Wassergewinnung Interessierten Constellation Brands; die Automobilindustrie mit Daimler Truck North America LLC und Navistar (Volkswagen Group) – neben dem bereits erwähnten Unternehmen. Da waren außerdem Interessenten aus den Bereichen Gastransport und -förderung und der chemischen Industrie wie Pacific Limited, Sempra Infrastructure & TC Energy sowie Kansas City Southern, AECOM, INDEX, AT&T, INVENERGY, CUMMINS, FEDEX, Progress Rail, Rassini, UPS &VISTEON.

"Wenn über das neoliberale Modell gesprochen wird, bin ich zu dem Standpunkt gelangt, dass es gar nicht so schlecht wäre, wenn das neoliberale Modell ohne Korruption angewendet würde. Es handelt sich um das Wirtschaftsmodell, dass der Perfektion vielleicht am nächsten kommt", war der Vorarbeiter in der Morgenshow zu hören. Drei Jahre, nachdem das
neoliberale Modell für ausgestorben erklärt wurde, fiel nun die Entscheidung, dass dieses ökonomische und politische System auch gesegnet werden soll ... Der Vorhang schließt sich, die Vorstellung ist zu Ende.

Fakt ist: Sie alle kommen, um ein Stück Layú Nabe zu erhaschen, das wissen wir, aber auch wenn sie es sich noch so sehr wünschen: DER ISTHMUS IST UNSER.

Aus Layú Nabe,

Asamblea de Pueblos Indígenas del Istmo en Defensa de la Tierra y el Territorio – APIIDTT
(Versammlung der indigenen Pueblos des Isthmus zur Verteidigung von Land und Territorium)


Anm. d. Übers.:

(1) Im Text werden Begriffe verwendet, die auch die Zapatistas zur Beschreibung des herrschenden Systems verwenden (s. EZLN: »300er-Papier« von 2018): Der herrschende Patrón, der Herr, ist das kapitalistisch-patriarchale System; es teilt die Welt auf in Fincas, in örtlichen Großgrundbesitz (Staaten); und erteilt dem Finquero, dem Finqueros vor Ort, seine Befehle, die dieser weitergibt an den Capataz, den Vorarbeiter der Finca. Die jeweilig Regierenden werden als die Capataces, die Vorarbeiter, benannt.
(2) Pueblos verbleibt im Original, da Selbstbezeichnungen; wörtlich: »Völker« oder »Stämme«.

 

15. Juni 2022

Teil 3: Guidxi Rucaalú

»Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst«, besagt die XII. These des Essays »Über den Begriff der Geschichte« von Walter Benjamin. Ja sicherlich, was wäre diese in die geopolitischen Interessen der Finqueros eingefügte Region ohne jene Frauen und Männer, die nicht erwartet haben, dass unsere Generation ihnen danken würde für ihre Aktionen – sondern dass sie im Gedächtnis die Erinnerung zurückließen: Sie, Frauen und Männer, wurden niedergeworfen, verfolgt und bedroht, weil sie Layú Nabee verteidigt haben.

In der Sierra Santa Marta hält sich die Erinnerung an die Rebellion von Acayucan (1906). Ein Aufstand, in dem sich Nahuas zusammen mit den Frauen und Männern des Pueblo Tannundajïïyi (Popolucas) einer territorialen Neuordnung entgegenstellten, die Spekulation und Raub von mehr als 80 Hektar Land für den Bau von Eisenbahnstrecken innerhalb ihres Gebietes mit sich brachte.
Im Gegensatz zu dem, was die offizielle Geschichte erzählt, haben unsere Nahua- und Tannundajïïyi-Geschwister gemeinsam mit den Mitgliedern des Partido Liberal Mexicano [Liberale Partei Mexikos] ihr Gebiet verteidigt. Und sie wussten, die Verteidigung des Lands geht nicht getrennt vom historischen Moment vor sich: dem Anstoß und Sieg der politisch-ökonomischen Revolution, die der PLM bis zur letzten Konsequenz ausgerufen hatte.
Unterdessen geht in der Küstenebene von einer Generation zur nächsten ein Flüstern um – über eine der wichtigsten Rebellionen des 19. Jahrhunderts. Eine Rebellion, die sich dem Bau einer inter-ozeanischen Eisenbahnverbindung widersetzte, die den Raub von Ländereien, die den Pueblos der Region gehören, beinhaltete – wie auch die Privatisierung der Salzwerke für die Rückzahlung der Anleihen, mit denen der Krieg gegen Frankreich finanziert wurde. Diese Rebellion wird nicht in die offizielle Geschichte miteingefügt, jedoch mittels mündlich vermittelter Geschichte und Gedächtnis wird jene eingetragen in die Erinnerung an einen Kampf, der durch Che Gorio Meledre angeführt wurde.

In Juchitán wird erzählend immer noch jener Bewegung gedacht, die für die Wiedererlangung kommunaler Ländereien kämpfte, die in Händen von Großgrundbesitzern waren. Im Gedächtnis bewahrt wird die bleibende Zurückgewinnung der Salzwerke und der historische Kampf um die Ernennung [eigener] Agrar-Verantwortlicher – der durch die hartnäckige Mobilisierung der Bevölkerung zur Übernahme der politischen Macht auf Landkreisebene führte. Darin zeigte sich vor allem der Wille der Leute, ihre Gemeinschaft selbst zu regieren. Wie könnten diese 70er Jahre [des 20. Jahrhunderts] vergessen werden, die das Leben der Männer und Frauen des Pueblo Binnizá geprägt haben und heutzutage von Generation zu Generation als Wissen weitergegeben werden.

Hier erneut eine Geschichte, die die Macht versucht zu negieren: Wir können das Treffen in der Gemeinde Matías Romero nicht vergessen – ein Treffen von mehr als 30 Gemeinschaften, Ejido-Ländereien und Pueblos aus Oaxaca, hauptsächlich vom Isthmus: Ayuujk (Mixe), Tannundajïïyi, Binnizá, Ikoots und Angpon (Zoque). Dort versammelten sich jene Subjekte, die Teile der Geschichte – unserer Geschichte – bilden. Sie trafen sich, um das damalige Projekt »Integrales Programm zur ökonomischen Entwicklung des Isthmus von Tehuantepec« der Regierung Zedillo zu analysieren, und um nach Formen und Weisen zu suchen, es zu bekämpfen – ein Projekt, welches heute unter neuem Namen und neuem Vorarbeiter wiederaufgelegt wird. Seit jenem Jahr 1997 haben die in Matías Romero sich vereinigenden Pueblos erklärt: »Der Isthmus ist unser« – und gehört weder Regierungen noch Unternehmen.

Vielleicht ist die Geschichtsvergessenheit eine Qualität des neuen Capataz, des Vorarbeiters und seiner Gefolgschaft. Was wären jedoch wir, Frauen und Männer, ohne dieses Gedächtnis, welches uns erinnern soll, dass wir Pueblos mit Geschichte sind? Was wäre unsere Gegenwart ohne jenen geführten Kampf unserer Schwestern und Brüder der Pueblos Ikoots und Binnizá? 2012 war das Jahr, in dem unsere Pueblos gegen das kämpften, was der damals größte Windkraftanlagen-Park
Lateinamerikas werden sollte – ein Projekt, welches vorangetrieben wurde von den Regierungen Calderón und Peña Nieto, zusammen mit dem multinationalen Unternehmen Mareña Renovables (unter Beteiligung spanischen, niederländischen und japanischen Kapitals). Was wäre heute mit den großen und kleinen Lagunen, die denjenigen, die an den Küsten leben, heilig sind – was wäre damit ohne diesen zähen Kampf der Pueblos von Wind und Meer – gegen eines der größten Unternehmungen des grünen Kapitalismus.

Dies ist nicht die ganze Geschichte derer, die eine Spur hinterließen für das historischen Wissen von Layú Nabee. Es sind lediglich Fragmente unterschiedlicher Erinnerung und Gedenken, die wir als Frauen, Männer und AnderE von Generation zu Generation bewahrt haben. Die Vergangenheit zu der unseren zu machen, bedeutet nicht, zu wissen, wie es eigentlich gewesen ist. Sie zu der unseren zu machen, »heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr
aufblitzt.« [Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte – These VI] Heute liegt die Gefahr im Gehör der Gefolgschaft des neuen Vorarbeiters, ein Gehör, was taub ist gegenüber dem Flüstern derjenigen, die sich gestern bereits dem gleichen Ungeheuer gegenüberstellten, welches sich heute unter neuem Namen und anderer [Partei-]Farbe präsentiert.

Heute kleidet sich die Gefahr als Links – und von ihrem Podium herab überzeugt sie ihre Anhänger*innen, wir indigenen Pueblos seien unter den vergangenen Regimen keine Subjekte der Geschichte gewesen. Heute hat der Vorabeiter seinen Anhänger*innen glauben gemacht, unsere Geschichte als Pueblos beginne mit ihm. Er hat ausradieren wollen, dass wir als indigene Pueblos die ersten gewesen sind, die sich der Beraubung entgegenstellten. Der Vorarbeiter hat seine Getreuen überzeugt, die Verteidigung der Ländereien beginne mit ihm an der Spitze und würde von seinen Klientel-Institutionen garantiert. Heute droht dem Bestand und Verlauf der Erinnerung, wie auch deren Empfänger*innen, Gefahr. Dies hat bei vielen dazu geführt, sich dem Vorarbeiter als nachplapperndes Werkzeug anzudienen.

Heute, mehr als zuvor, ist es wichtig, den Händen des Konformismus die Erinnerung zu entreißen, denn die Erinnerung wird Morgen für Morgen von einem Podium herab unterjocht. Der Vorarbeiter kommt jedoch nicht nur als Retter und Messias daher, er hat vor, als Sieger zu enden. Die Vergangenheit zu der unseren zu machen, ist ein Funke der Hoffnung, den einzig wir Pueblos zu nutzen wissen. Denn wenn der Vorabeiter siegt, werden auch unsere Toten nicht vor ihm sicher sein. Der Funke der Hoffnung, den unsere Erinnerung uns bringt, zeigt sich heute erneut, denn das Bewusstsein, das Kontinuum jeder Epoche aufzusprengen, ist den Pueblos im Augenblick ihrer Aktion zu eigen.

Hat der Vorarbeiter etwa gedacht, während seiner Regentschaft würde das Stillschweigen der Unterdrückten herrschen? Zweifellos ist Gewalt die Waffe seiner Antwort auf jene kollektiven Forderungen, die er versprochen hatte zu lösen und die er nun vergessen hat. Wir Pueblos, die wir in der Vergangenheit gekämpft haben, sind dieselben, die wir die Kämpfe für die Gegenwart und Zukunft aufrechterhalten. So widerstehen wir, widerstanden wir und werden weiterhin mit Entschiedenheit widerstehen, ohne dass der Austausch eines Vorarbeiters von Bedeutung wäre. Denn wir wissen, dass die Parteien das Unrecht, was wir historisch erleiden mussten, nicht auflösen werden. Ohne Furcht uns zu irren, sagen wir: Es gab weder das Ende einer politischen Ära noch der Beginn einer neuen Ära, sondern die Weiterfortführung eines plündernden Kapitalismus.

Heute handelt, spricht und denkt der Funke der Hoffnung in Ayuujk. Mit der Machete in der Hand warf er mehr als dreißig mal das Unternehmen La Peninsular der Grupo Hermes hinaus. Dieses besitzt den Zuschlag für die »Modernisierung« einer 50 km langen Bahntrasse der FIT [Eisenbahngesellschaft des Isthmus von Tehuantepec] – welche das Gebiet derjenigen durchquert, die in der nördlichen Zone von Layú Nabee leben. Der gleiche Funke [der Hoffnung] zeigt sich im Süden, wo Frauen des Pueblo Binnizá mit ihrer Aktion und Reflexion in Diidxazá ihr Gebiet verteidigen – im Namen des Totopo, der Mais-Pflanze und des Windes – gegen einen Cluster der Agro-, Textil- und Metallindustrie von mehr als 400 Hektar Ausdehnung, der auf ihrem Berge Pitayal errichtet werden soll.

Um das Kontinuum dieser Epoche jedoch aufsprengen zu können, brauchen wir die Solidarität aller, die wir dieses Gebiet bewohnen und derjenigen, die von anderen Geographien aus unser Geflüster hören. Denn obzwar wir geographisch verstreut leben, trifft – in einer durch Kapitalismus, Staat und Patriarchat verketteten Welt – all das, was ein geostrategisches Gebiet angeht, auch andere Regionen der Erdkugel.
Wenn sie die Welt für Beraubung und Kapital-Akkumulation mit einander verketten, müssen wir unsere Welten für den Widerstand verknüpfen.

In diesem »IV. Transformation« genannten Zug, mit seinen Waggons mit Namen »Interozeanischer Industrie-Korridor des Isthmus von Tehuantepec« und »Tren Maya« liegt der Moment, uns zu treffen. Nicht um in diesem Zug die Notbremse zu ziehen, sondern um die Bedingungen zu schaffen, seine Haltestationen niederzureißen. Und in diesem Sinne werden die indigenen Pueblos – zusammen mit der Solidarität unserer Geschwister der vielen Welten, die in diese Welt passen – die
Protagonist*innen der Lokomotive der Geschichte sein.

Deshalb RUFEN WIR die Naciones, Tribus, Pueblos, Comunidades und indigene, soziale Basis-Organisationen und Kollektive – und die Kollektive der Freien Medien oder wie auch immer sie heißen mögen – und alle, die kämpfen und Widerstand leisten in Oaxaca, Mexiko und der Welt – DAZU AUF, zusammenzuarbeiten, zu unterstützen und teilzunehmen an der Karawane und dem internationalen Treffen »Der SÜDEN WIDERSTEHT«. Diese werden im Frühjahr 2023 in den von
den Mega-Projekten »Interozeanischer Industrie-Korridor« und »Tren Maya« bedrohten Gebieten durchgeführt – mit dem Ziel, uns nach drei Jahren Pandemie wieder zu treffen und unsere Erfahrungen, unser Fühlen, unsere Formen des Kampfes und des Widerstands mit einander zu verbinden. Dieser Aufruf ist unzeitgemäß und dringlich – angesichts der Verwüstung, Beraubung und Plünderung, die in diesem Augenblick geschehen – während die Uhr abläuft hin zum Jüngsten Gericht und die Verheerungen unsere Gebiete treffen.

Dazu werden wir Vorbereitungs-, Organisierungs- und Verknüpfungstreffen in verschiedenen Gebieten Mexikos und der Welt durchführen und dazu einladen. Somit laden wir ein, aufmerksam zu sein – für die nächsten Aufrufe, Einflüsterungen und die unter allen zu machenden Schritte. Zweifellos gibt es mehr Adern, die uns verbinden, als Risse, die uns trennen.

Aus Layú Nabee kommend – ist dies unser Wort.

Asamblea de los Pueblos Indígenas del Istmo en Defensa de la Tierra y el Territorio – APIIDTT
[Vollversammlung der Indigenen Pueblos des Isthmus in Verteidigung von Land und Gebiet – APIIDTT]


PS: Mehr als 60% Wahlenthaltung bei den Gouverneur-Wahlen in Oaxaca. Hört Ihr? Es ist das Getöse ihrer Welt, die zusammenbricht. (4) Es ist die unsere, die wieder auflebt und erblüht. Indem wir die Wahlurnen zurückziehen, bauen wir Widerstand auf.


Anmerkungen der_die Übersetzer_in:

(*) Denken und Begriffe, die sich im Text auf »Geschichte« beziehen, referieren auf die Begrifflichkeiten in Walter Benjamins Essay »Über die Geschichte«.

Teil 1 und 2 wurden von Katja übersetzt; Teil 3 von lisa-colectivo malíntzin.