Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas
San Cristóbal de Las Casas, Chiapas

12. Februar 2010

Bewaffneter Angriff auf das zapatistische Dorf Bolón Ajaw durch PRI-affilierte Dorfbewohner von Agua Azul

- Die Staatsregierung versucht sich ihrer Verantwortung für den Konflikt zu entziehen, der seit 2007 besteht und denunziert wird, und beabsichtigt die Zapatistischen Unterstützungsbasen für den bewaffneten Angriff gegen das zapatistische Dorf von Bolón Ajaw zu beschuldigen.

- Die Bundesregierung drängt auf eine militärische Intervention gegen zivile Zapatistische Unterstützungsbasen, und intensiviert Erkundungsmissionen gemischter militärischer und ziviler Kräfte.

- Der Rat der Guten Regierung hat bereits Maßnahmen für ein Entspannungsabkommen ergriffen, auf Grundlage der Prozeduren der autonomen indigenen Gerichtsbarkeit.

- Der mangelnde Wille der Staatsregierung verschließt den Weg für ein mögliches Entspannungsabkommen

Am 6. Februar 2010, gegen 9:00 Uhr vormittags wurde dieses Menschenrechtszentrum von der Junta der Guten Regierung "Herz des Regenbogens der Hoffnung" (JBG von Morelia), über die alarmierende Situation in der Zone informiert, hervorgerufen durch einen bewaffneten Angriff gegen das zapatistische Dorf Bolón Ajaw, Autonome Region San José en Rebeldía, Autonomer Zapatistischer Bezirk in Rebellion Comandanta Ramona, unter dem Caracol IV "Wirbelwind Unserer Worte".

Zur gleichen Zeit, gegen 9:39 Uhr, kontaktierten Beamte der Staatsregierung von Chiapas das Menschenrechtszentrum, um zu erfragen, ob wir Informationen über eine Auseinandersetzung in Bolón Ajaw hätten. Wir informierten sie über die Bitte um Intervention seitens der Junta der Guten Regierung, ohne zu dem Zeitpunkt weiterreichende Informationen zu der Angelegenheit zu haben.

Die Mitarbeiter dieses Menschenrechtszentrum begaben sich unverzüglich zum Sitz der Region San José in Rebellion, um die Autoritäten des Autonomen Zapatistischen Bezirks in Rebellion Comandanta Ramona zu befragen, und die Lage nach dem bewaffneten Angriff zu dokumentieren, der gegen die Zapatistischen Unterstützungsbasen von Dorfbewohnern von Agua Azul verübt wurde. Die letzteren wurden als Anhänger der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) identifiziert - die gleichen, die im Jahre 2007, laut offizieller Version [1], ihre Waffen übergeben haben, und aus den Reihen der Organisation für die Verteidigung der Indigenen und Campesino Rechte A.C. (OPDDIC) [2] ausgetreten sein sollen.

Die Situation von Aggressionen und Feindseligkeiten der Einwohner von Agua Azul, Mitglieder der OPDDIC, gegen die Zapatistischen Unterstützungsbasen des Dorfes von Bolón Ajaw, ist bereits wiederholte Male dokumentiert und denunziert worden, sowohl von der Junta der Guten Regierung, als auch von verschiedenen Zivilorganisationen, insbesondere ab 2007, angesichts der Verschärfung des gewalttätigen Klimas durch die OPDDIC.

Seit damals ist die Staatsregierung verantwortlich dafür gewesen, für aggressive Straftaten und Übergriffe seitens der OPDDIC Militanten Straflosigkeit zu sichern, den Konflikt sporadisch zu behandeln und eine endgültige Lösung zu versäumen. Diese Situation stellte die PRI-istische Gruppe unter einen Schutzmantel der Straflosigkeit, die ihre Aggression und die Eskalation des Klimas der Feindseligkeit gegen die Bewohner von Bolón Ajaw begünstigt.

In diesem Kontext überfielen und besetzten vor einigen Wochen vermeintliche Ex-Militante der OPDDIC das befreite Land der Einwohner von Bolón Ajaw, um in der Lage zu sein sich an der Vergabe der ökotouristischen Projekte zu beteiligen, die von der Bundes- und Staatsregierung für dieses Gebiet geplant sind. In Erwiderung darauf haben sich die Zapatistischen Unterstützungsbasen mobilisiert, um die Kontrolle über das Territorium zurückzuerlangen, auf dem die besagte Gruppe bewaffnete Angriffe gegen die Zapatistischen Unterstützungsbasen verübte.

Angesichts der Ernsthaftigkeit der Lage erkennt dieses Menschenrechtszentrum das Einfühlungsvermögen und das verantwortungsvolle Handeln der Junta der Guten Regierung an, die in ihrer Eigenschaft als Autonome Autoritäten unverzüglich Maßnahmen für die Entspannung der Lage ergriffen hat. Auf diese Weise unterbreiteten sie diesem Zentrum den Vorschlag, als "Kommunikationsbrücke" tätig zu sein, eine Rolle, die wir akzeptiert haben. Das heißt, unsere Rolle besteht darin, die Vorschläge der Staatsregierung von Chiapas anzuhören, deren Wort die Interessen und die Stimme der PRIistischen Einwohner von Agua Azul zu vertreten scheint, und diese der Junta der Guten Regierung vorzulegen, um sie zu analysieren und neue Vorschläge zu erbringen.

In dieser Eigenschaft ist dieses Zentrum Zeuge der Prozeduren der autonomen indigenen Gerichtsbarkeit gewesen, in der die erbrachten Vorschläge gleichermaßen dazu tendierten, Aktionen auszuführen, die Bereitschaft demonstrieren eine gütliche Einigung zu erzielen, als auch die Anerkennung der zahlreichen Aggressionen zu fordern, denen die Gemeinde von Bolón Ajaw ausgesetzt gewesen ist, weil sie die Respektierung ihres Territoriums fordert.

Demgegenüber verkündete die Staatsregierung, der einzig annehmbare Weg für eine Lösung des Konflikts würde darin bestehen, eine Dialogsrunde im Regierungspalast zu eröffnen, bei der sich eine Vertretung der zapatistischen Gemeinde von Bolón Ajaw zu präsentieren habe, da die PRIistischen Anführer von Agua Azul bereits dort zugegen wären. Diese Dialogsrunde soll vom Gouverneur selbst geleitet werden, und im Falle der Nichtbefolgung, gäbe es keine andere Alternative als eine militärische Intervention. Dies ist die Position, die gegenwärtig von Tuxtla Gutiérrez aus aufrechterhalten wird, von den Repräsentanten der Bundesinstanzen (SEDENA, PGR, PF), sowie stellvertretend für die Staatsregierung von Chiapas, vom Gouverneur, vom Regierungsgeneralsekretär und vom Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Chiapas.

Während unter diesen schwierigen Umständen nach einer Lösung gesucht wird, wird die Anspannung in der Region durch die Durchführung eines gemischten Polizeieinsatzes von Bundes- und Staatskräften verschärft. In der Gemeinde von Bolón Ajaw werden Hubschrauber Überwachungsflüge durchgeführt, 6 Lastwagen für den Truppentransport mit Polizeikräften und fast 15 Autos der Präventiven Staatspolizei wurden ausgeschickt, die in der Gemeinde von Xanil (15 Minuten von der Kreuzung Agua Azul) Stellung bezogen haben.

Eine ständige Mobilisierung von Agenten der Nachrichtendienste von Chiapas konnte festgestellt werden, die sich als Journalisten und Touristen verkleideten, um sich in Agua Azul Einlass zu verschaffen. Desgleichen fungierten Einwohner der Region als Informanten für verschiedene Regierungsinstanzen. Zudem wurde dieses Menschenrechtszentrum über den Einfall einer Gruppe gemischter Streitkräfte der Mexikanischen Armee, der Bundesstaatsanwaltschaft und der Bundespolizei im Gebiet von Agua Azul informiert.

Mit diesen Handlungen untergräbt die Staatsregierung die Entspannung und die Lösung des Konfliktes. Sie beweist eine mangelnde Bereitschaft, den Maßnahmen nachzukommen, die von der Junta der Guten Regierung zur Entspannung der Lage ergriffen wurden. Sie hat ihre Haltung hinsichtlich der Schritte, die für die Erzielung einer soliden Einigung unternommen werden sollen, ständig modifiziert und radikalisiert. Auf diese Weise hat sie ihre "Win-win" Strategie demonstriert, die in der institutionalisierten Politik ihre Logik hat, aber wenig sinnvoll ist angesichts der Größe des Problems und der Handlungsträger die intervenieren, und einen Mangel an Respekt für das Gemeinschaftsleben der Indigenen Völker signalisiert.

Desgleichen, während die Regierung ihre Bereitschaft zum Ausdruck brachte, Einigungen zu erzielen, setzte sie die Massenmedien ein, um Tatsachen zu verdrehen und eine Version zu fabrizieren, die die Zapatistischen Unterstützungsbasen von Bolón Ajaw als Schuldige hinstellt. Gleichfalls versuchte sie die Bewohner und Anhänger der Anderen Kampagne aus dem Ejido San Sebastián Bachajón zu kriminalisieren, um sie dadurch unter Druck zu setzen, an der Dialogrunde teilzunehmen, und sie dazu zu bringen, das Einlasshäuschen [* für das Eintrittsgeld der Badegäste von Agua Azul] zu übergeben.

Angesichts der Haltung der Staatsregierung, hat die Junta der Guten Regierung die Kommunikationsbrücke, und damit die Rolle, die bis dahin vom Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas ausgeübt wurde für beendet erklärt. Dieses Zentrum möchte hiermit anmerken, dass wir aus Gründen der Erfüllung unserer Verantwortung als Vermittler, die wir eingegangen sind, um die Kommunikation zwischen den Parteien für die Erzielung von Einigungen zur Lösung dieses Konflikts zu erleichtern, keine Informationen an die Öffentlichkeit weitergeleitet haben.

Angesichts all dessen, erklärt dieses Menschenrechtszentrum:

1. Tiefe Besorgnis angesichts der Vorfälle im Dorf Bolón Ajaw, die eine Folge des schlechten Vorgehens und der Unterlassung der Staatsregierung sind, ein Problem zu lösen, angesichts des Klimas der Gewalt gegen die Zapatistischen Unterstützungsbasen seitens der Einwohner von Agua Azul, die Mitglieder der PRI sind und vermeintliche Ex-Militanten der OPDDIC.

2. Wir weisen die Absicht der Staatsregierung zurück, die Schuld für den bewaffneten Angriff gegen das zapatistische Dorf von Bolón Ajaw, den Zapatistischen Unterstützungsbasen und den Anhängern der Anderen Kampagne aus dem Ejido San Sebastián Bachajon zuzuweisen, und so die Voraussetzungen für eine militärische Intervention gegen die Zivilbevölkerung auf Anordnung der Bundesregierung zu schaffen, eine Situation, die die Bedingungen des ungelösten internen bewaffneten Konflikts verschärfen würde.

3. Wir machen die Bundes- und Staatsregierungen dafür verantwortlich, gegen den Frieden zu handeln, auf den wir als souveräne mexikanische Bevölkerung ein Anrecht haben.

4. Wir richten einen DRINGENDEN Aufruf an die nationale und internationale Zivilgesellschaft, die sich der Verteidigung und Ausübung der Menschenrechte befasst, sich gegen die klare Verschärfung der Gewalttaten zu artikulieren, die gegen den zivilen und friedlichen Autonomieprozess der Zapatistischen Unterstützungsbasen und ihrer Juntas der Guten Regierung als Zivilinstanzen verübt werden.

Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas A.C.


[1] Kommunique der Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Chiapas, vom 20. Dezember 2007.

[2] Soziale Organisation paramilitärischem Zuschnitts, charakterisiert durch ihre hohe Gewaltbereitschaft und ihre Rolle als Handlungsträger in der integralen Strategie zur Aufstandsbekämpfung, die von der mexikanischen Regierung gegen die EZLN, ihrer zivilen Basis und ihren Sympathisanten implementiert wird.

Anmerkung: in Kürze wird dieses Menschenrechtszentrum einen Bericht veröffentlichen, mit dem die in der Zone gesammelte Dokumentation, und die Zeugnisse für den bewaffneten Angriff gegen die zapatistische Zivilbevölkerung von Bolón Ajaw vorgelegt werden.