Nationale und internationale Versammlung des Congreso Nacional Indígena (CNI) (1) / Indigener Regierungsrat (CIG), Netzwerke des Widerstands und der Rebellion, Organisationen und Kollektive "Der Isthmus ist unser", Juchitan, Isthmus von Tehuantepec, Oaxaca
Finale Erklärung: Wir bekräftigen unseren Widerstand

6., 7. und 8. September 2019


Wir haben uns in der Binnizá-Stadt Juchitán (2) im Isthmus von Tehuantepec, Oaxaca, in Anwesenheit der Deligierten und Ratsmitglieder des Indigenen Regierungsrat CIG-CNI und unserer Sprecherin Marichuy versammelt; mehr als 500 Repräsentanten der indigenen Pueblos (3) ikoots, binnizá, ayuuk, chatinos, chontal, cuicateco, mixteco, chinanteco, mazateco, nahua, maya, tzotzil, tzeltal, zoque, totonaco, purépecha, ñañhú aus den Bundesstaaten Baja California, Chiapas, Chihuahua, Ciudad de México, Coahuila, Estado de México, Guanajuato, Guerrero , Jalisco, Michoacán, Morelos, Nuevo León, Oaxaca, Puebla, Querétaro, Sinaloa, Tabasco, Tlaxcala, Veracruz, Yucatán und Zacatecas – plus Teilnehmende aus Deutschland, Argentinien, Österreich, Belgien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Dänemark, Spanien, Schottland, USA, Frankreich, Italien, Norwegen, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und Uruguay; Mitglieder von 107 Organisationen und Kollektiven, 10 Bildungseinrichtungen und 22 freien Medien.

Der Vereinbarung der Nationalen Versammlung des CNI und den Netzwerken des Widerstands und der Rebellion vom 9. April 2019 in Amilcingo, Morelos, folgend, haben wir uns heute versammelt, um den Schlag des kapitalistischen patriarchalen Systems und seiner landesweiten Megaprojekte zu analysieren und um im besonderen die Widerstandskämpfe der Pueblos des Isthmus und Südmexikos gegen den interozeanischen Korridor des Isthmus von Tehuantepec zu stärken. Dieser beabsichtigt die Region in einen immensen Industriepark des transnationalen Kapitals und in die von Trump angeordnete Mauer gegen die Migranten aus Zentralamerika zu verwandeln.

Wir verbrüdern uns, um die Strategien auszuarbeiten, wir wir als Pueblos und Organisationen – mit unserer Identität, mit der Kraft unserer Vorfahren, mit der Wurzel unseres kollektiven Gedächtnis, mit unserer Sprache und Kultur – es schaffen, unseren Boden, unsere Territorium, unser Wasser, unser Leben und unsere Autonomie zu verteidigen. Es geht um die Verteidigung der Existenz unserer Pueblos gegen die Vierte Invasion (4) der Ausplünderung, der Beraubung, der Gewalt und des Todes.

Wir klagen die Gefräßigkeit derjenigen an, die sich als Besitzer und Befehlshaber unserer Territorien fühlen; diejenigen, die das große Kapital lenken, die die Regierungen aller Parteien auf Landkreis- und Bundeslandebene als Wegbereiter nutzen und durch die Bundesregierung Umfragen simulieren. Mit ihren Tentakeln dringen sie in unsere Gemeinden ein und betrügen die Gemeindevorsteher und versuchen so, die Privatisierung des Bodens und des Wassers durchzusetzen. Sie offerieren uns die Idee einer falschen "Entwicklung", die in Wahrheit beabsichtigt, die Kraft unserer Versammlungen und unserer gemeinschaftlichen Organisation zu zerstören und so unsere Widerstände zu zerschlagen.

Sie kriminalisieren den Kampf unserer Organisationen, während sie die Repression legitimieren und gar legalisieren – mittels des Garrote-Gesetzes in Tabasco (5) und dem Aufmarsch der Nationalgarde im gesamten Süden des Landes. Gleichzeitig steigt die strukturelle Gewalt gegenüber den bäuerlichen, indigenen und afro-mexikanischen Gemeinden, gegenüber den Arbeitern, den Frauen, den Jugendlichen, den Migranten und gegenüber allen Personen, die das System für "Abfall" hält.

Mit der Lüge, die Armut im Süden Mexikos ausrotten zu wollen, nimmt die Regierung von López Obrador – in völliger Verbundenheit mit der Unternehmermafia, dem organisierten Verbrechen und den politischen Parteien jeglicher Couleur – den alten Traum von Porfirio Díaz (6) und die Pläne aller neoliberalen Regierungen seit Salinas de Gortari (7) wieder auf und bietet das nationale Territorium dem globalen Kapital an. Dies geschieht mit der Umsetzung von Megaprojekten – wie dem falsch benannten Maya-Zug, der Raffinerie Dos Bocas, dem interozeanischen Korridor des Isthmus, dem Integralprojekt von Morelos, dem neuen Flughafen und seiner dazugehörigen Projekte wie die Autobahn von Mexiko Stadt nach Tuxpan – genauso wie mit dem monströsen Zusammenschluss von Projekten der Umwelt-, territorialen und sozialen Plünderung durch Bergbau, Wasserkraftwerke, Agrarindustrie, Industriekorridore, Erdgas- und Erdölpipelines, Fracking, Windparks, großflächige Sonnenkollektoren der Unternehmen etc.. Diese sind Teil der Infrastruktur, welche zum Ziel hat, die Plünderung der natürlichen Ressourcen (Erdöl, Mineralien, Wälder, Urwälder, Wind, Flüsse, Seen und Meere) und die Überausbeutung der Arbeitskraft unserer Pueblos von Mexiko und Lateinamerika durchzusetzen, um unsere Territorien dem transnationalen Großkapital auszuliefern und so die Biodiversität zu zerstören und die globale Klimakatastrophe zu verschärfen.

Um den alten Traum des Transisthmus-Projekts zu realisieren, nutzen die MORENA-Regierung von Präsident López Obrador und seine verbündeten Unternehmer Taktiken der Aufstandsbekämpfung: individualisierte Wohlfahrtsprogramme, gefälschte Befragungen des falsch benannten Nationalen Instituts der Indigenen Pueblos (INPI) mit kooptierten Leitern, Schmutzkampagnen gegen soziale Bewegungen, Verletzungen des Grundrechts auf Vereinigungs- und Demonstrationsfreiheit sowie Methoden der autoritären Konditionierung im schlechten PRI-Stil (8). Aus den Stipendiaten des "Construyendo el Futuro"-Programms (9) werden wirkmächtige Vorarbeiter von Gemeinden, die am "Sembrando Vida"-Programm (10) teilhaben. Unter dem Mantel von MORENA tauchen so auf dem Land alte und neue Kaziken (wieder) auf, die von der populistischen Politik der Regierung – die rein gar nichts mit "links" zu tun hat – profitieren. Wenn diese Strategien nicht funktionieren, kommen Terror-Taktiken – wie paramilitärische Angriffe, organisiertes Verbrechen und die Militarisierung unserer Territorien, Ermordungen von Verteidigern und Verteidigerinnen unserer Rechte und Territorien sowie ein wirkungsvoller Krieg gegen unsere Frauen mittels tausender Feminizide – zum Einsatz.

Auf der anderen Seite wird in den Städten der Boden an die Mafia der Immobilienspekulation übergeben, wodurch der Klasse der Armen die Möglichkeit genommen wird, eine würdevolle Behausung zu haben und die sozialen Netze der Stadt zerstört werden. Gleichzeitig wird das öffentliche Gesundheitssystem im ganzen Land demontiert und es wird das Versprechen, die Bildungsreform grundsätzlich rückgängig zu machen, gebrochen.

Dies ist das Panorama, mit dem wir uns nach Jahrzehnten des Neoliberalismus und nach acht Monaten dieser Vierten Zerstörung (11) konfrontiert sehen. Aber wir geben in unseren Kämpfen nicht auf und werden durch unsere Diversität damit fortfahren, unsere antikapitalistischen und antipatriarchalen Widerstände und Rebellionen zu stärken. Wir werden andere mögliche Welten erschaffen, militärische Belagerungen durchbrechen – wie unsere zapatistischen Brüder und Schwestern – und die sieben Prinzipien des CNI und der EZLN (12) befolgen.


Aus diesem Grund beschließen wir, unsere Kämpfe auf die folgende Art und Weise zu intensivieren.
In unserer täglichen Aufgabe als soziale Kämpfer verpflichten wir uns dazu:

- als indigene Pueblos unsere Kulturen, unsere eigene Organisation, unsere gemeinschaftlichen Versammlungen, unsere Sprachen, unsere Spiritualität, unser Wissen und unsere kollektive Erinnerung als indigene Pueblos zu stärken;

- als Nicht-Indigene aus der tausendjährigen Erfahrung unserer Brüder und Schwestern der Pueblos originarios (13) zu lernen;

- uns wieder mit der Natur und ihrer Spiritualität zu verbinden, um uns so in unseren Kämpfen zu stärken;

- eine kontinuierliche Informations- und Verbreitungskampagne gegen die Megaprojekte auf nationaler und internationaler Ebene voranzutreiben;

- unser kapitalistisches und patriarchales Denken und Handeln in jedem einzelnen Raum unseres Lebens und unseres Kampfes zu überprüfen, uns weiterzubilden und dieses zu transformieren;

- Kerne und kollektive Prozesse in Richtung einer antikapitalistischen und antipatriarchalen Autonomie von unten miteinander zu verflechten und unsere Erfahrungen zu verbreiten, um in der mexikanischen Vorstellung ein anderes mögliches Lebenssystem zu säen;

- Räume für die Organisierung der Frauen zu ermöglichen und den Kampf gegen Frauenmorde und geschlechtsspezifische Gewalt als ein Hauptthema des CNI zu setzen;

- Brücken zwischen den Kämpfen der Arbeiter und den Kämpfen der Indigenen zu bauen;

- unsere Kämpfe mit den kreativen Beiträgen der Künste zu beleben und Räume für den Austausch und das gemeinschaftliche und diverse Lernen zu generieren und so das Zuhören und den Dialog zu ermöglichen – bereichert durch die Teilnahme der Jugendlichen.

Angesichts der schrecklichen Bedrohung des Lebens erklären wir uns im Ausnahmezustand und richten einen dringenden Appell an alle Pueblos, Organisationen, Kollektive, Nachbarschaften und alle Menschen, die sich bewusst sind über die große Gefahr, mit der wir uns konfrontiert sehen. Wir beschließen die folgenden kollektiven Aktionen:

- Durchführung eines GLOBALEN TAG des Kampfes IN VERTEIDIGUNG DES LEBENS UND UNSERER TERRITORIEN "SAMIR FLORES LEBT" am 12. Oktober;

- Teilnahme an der globalen Aktion für die Herausgabe der gewaltsam Verschwundengemachten, gegen die Gewalt an der mexikanische Bevölkerung und gegen die Militarisierung, am 26. September;

- Teilnahme an der Demonstration "Den 2. Oktober vergessen wir nicht" (14), am 2. Oktober;

- Teilnahme an den lateinamerikanischen Aktionen gegen jegliche Formen der Gewalt gegen Frauen und im Besonderen gegen Feminizide, am 25. November;

- Unterzeichnen der GLOBALEN KAMPAGNE "Der Isthmus ist unser", um die Nachricht der Bedrohung durch den "Interozeanischen Korridor" weit zu verbreiten.

Wir fordern:

- an allen Tagen des Kampfes und nationaler Aktionen Gerechtigkeit für den Mord an unserem compañero Samir Flores Soberanes und allen ermordeten compañeros und compañeras des sozialen Kampfes;

- die bedingungslose und sofortige Freilassung unseres compañero Miguel Angel Peralta Betanzos und aller politischen Gefangenen des Landes;

- die lebendige Herausgabe der 43 Lehramtsstudenten von Ayotzinapa und aller gewaltsam Verschwundengemachten des Landes;

- den Stopp der Feminizide in unserem Land;

- die Befreiung der toten Körper der Mine Pasta de Conchos und Bestrafung von German Lorrea, Besitzer des mordenden Unternehmens Grupo México;

- den Stopp der Bedrohungen gegen die Gewerkschaft der Elektriker, gegen die Widerstandsbewegung gegen die hohen Stromtarife und für die Anerkennung des Zugangs zu Elektrizität als ein Menschenrecht;

- den Stopp der Höhlenerkundungen in der Sierra Mazateca und Nein zum "Festival der Höhlen", welches die Regierung des Landkreises und ausländische Forscher ohne Zustimmung der dortigen Gemeinden durchführen wollen.

Wir (be)grüßen:

- die Errichtung der neuen Caracoles und autonomen Landkreise unserer zapatistischen Brüder und Schwestern;

- die Benennung des Zoque Ratsmitglied in Boston, Massachusetts, USA.

Compañeras und Compañeros,
was uns eint, ist der Kampf für das Leben. Verteidigen wir es!

DER ISTHMUS IST UNSER!
FÜR DIE VERTEIDIGUNG UNSERER TERRITORIEN, KULTUREN UND RECHTE!
SAMIR LEBT!
NIEMALS WIEDER EIN MEXIKO OHNE UNS!

 

Anmerkungen der Übersetzer*in:

1 dt.: Nationaler Indigener Kongress; Zusammenschluss aller sich autonom organisierenden indigenen Pueblos.

2 Binnizá ist ein indigenes Pueblo.

3 verbleibt im Original; wörtlich: Völker/Gemeinden/Dörfer/Gemeinschaften.

4 Anspielung auf die Vierte Transformation, wie Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador (AMLO) seine Politik bezeichnet.

5 Dieses Gesetz beinhaltet, dass auf das Durchführen von Kundgebungen, Demonstrationen und Blockaden zwischen 10 und 20 Jahren Haft stehen.

6 Präsident von Mexiko in neun Regierungsperioden, von 1876/77 bis 1880 und von 1884 bis 1911. Seine Regierungszeit wird auch als Porfiriat bezeichnet und zeichnete sich durch einen autoritären Regierungsstil aus. Seine Regierungszeit wurde mit der mexikansichen Revolution beendet.

7 Mexikanischer Präsident von 1988 bis 1994. Er hat – im Zuge der NAFTA-Verhandlungen – den Art. 27 der mexikanischen Verfassung abgeschafft, welcher den Grundbesitz an Boden regelte. Sich in Kommunaleigentum befindlicher Boden (sog. Ejido) kann seitdem verkauft werden.

8 PRI: Partei der Institutionalisierten Revolution; stellte über 70 Jahre lang in einer Quasi-Diktatur den Präsidenten Mexikos; auch der aktuelle Präsident AMLO war zunächst PRI-Mitglied, wechselte dann zur PRD und später zu MORENA.

9 Stipendien für Jugendliche zwischen 18 und 29 Jahren, die für den Zeitraum von einem Jahr durch Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und sog. soziale Organisationen ausgebildet werden.

10 Programm zur Förderung der Anpflanzung von Bäumen zur Gewinnung der Waren Obst und Holz; richtet sich an Ältere; diese erhalten monatlich 5000,- mexikanische Pesos, wovon 450,- mex. Pesos auf einem Bankkonto gespart werden müssen.

11 Anspielung auf die Vierte Transformation von Präsident Lopez Obrador.

12 Gemeint sind die sieben Prinzipien des guten Regierens: 1. gehorchen und nicht befehlen, 2. repräsentieren und nicht ersetzen, 3. nach unten gehen und nicht nach oben steigen, 4. dienen und nicht sich bedienen, 5. überzeugen und nicht besiegen, 6. aufbauen und nicht zerstören, 7. vorschlagen und nicht bestimmen.

13 verbleibt im Original; wörtlich: ursprüngliche Völker / Gemeinden / Dörfer / Gemeinschaften.

14 Am 2. Oktober 1968 wurden im Stadtteil Tlatelolco in Mexiko Stadt während einer Demonstration 200 – 300 friedlich demonstrierende Studierende vom mexikanischen Militär und anderen Sicherheitskräften ermordet.