11. Juni 2008

Pressebulletin 13

- Immer mehr Einsätze zur Aufstandsbekämpfung gegen indigene Gemeinden in Widerstand.

- Soldaten und Polizisten begleitet von Zivilpersonen fallen in indigene Gemeinden in Chiapas und Guerrero ein.

- Bei den Einfällen werden Übergriffe gegen Dorfbewohner und die Verfolgung von Mitgliedern sozialer Organisationen gemeldet.


Im bisherigen Verlauf dieses Jahres hat das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas Denuncias über militärische und polizeiliche Überfälle auf verschiedene Gemeinden von Chiapas und Guerrero erhalten, die einer Logik der Aufstandsbekämpfung folgen. Dies wird daraus ersichtlich, dass die betreffenden Einsätze unter gemischter Mitwirkung von Militär, Polizei und Zivilpersonen aus den betroffenen Gemeinden erfolgen, und sich taktisch über Gebiete entfalten, deren Zivilbevölkerung sich organisiert hat, um für gerechte soziale Forderungen einzutreten. Die Zeugenaussagen der angegriffenen Dorfbewohner sind eindeutig und dokumentieren Aktionen der Feindseligkeit gegen die Zivilbevölkerung, durch Hausdurchsuchungen, physische und verbale Aggressionen, sowie das Filmen und Fotografieren von Personen und Orte in den angegriffenen Gemeinden.

Die Mexikanische Armee versucht ihre Einsätze unter dem Vorwand des "Aufspürens von Marihuanapflanzungen, Waffen und geheimen Landebahnen" zu rechtfertigen. Dessen ungeachtet lassen die bereits schon zahlreich dokumentierten Einsätze vielmehr eine Verschärfung des Aufstandsbekämpfungsplans erkennen, durch die Kompromittierung der Gemeinden und Organisationen in den Augen der Öffentlichkeit um "die Unterstützung der Zivilbevölkerung für die Regierung zu gewinnen", und durch die Erzeugung eines Klimas der psychologischen Aufreibung durch Truppenbewegungen und das Auskundschaften von Gebieten, die auch dazu dienen die Reaktion der Zivilbevölkerung auf solche Einsätze zu beobachten.

Es ist hervorzuheben, dass diese militärischen Überfälle von verschiedenen Bundes-, Staats- und Lokalbehörden unterstützt werden, wie zum Beispiel dem Bundesamt für Ermittlungen (AFI), den Bundes- und Staatlichen Generalstaatsanwaltschaften, der Präventive Staatspolizei (PEP) sowie Zivilpersonen der Region.


Diese Reihe von Ereignissen sind unserer Meinung nach nicht isoliert zu betrachten, sondern folgen einer Logik der Offensive gegen indigene Gemeinden, besonders jener, die sich in Widerstand befinden. Dieses Menschenrechtszentrum hat über die folgenden Vorfälle Informationen erhalten:

-- Am Sonntag, den 27. April 2008 früh morgens, fand nach Aussage der Einwohner der Gemeinde Cruztón, Bezirk Venustiano Carranza, Chiapas, ein Polizeieinsatz statt, an dem ungefähr 500 Polizeielemente beteiligt waren, die von sieben bewaffneten Zivilisten aus dem Bezirk Teopisca und dem Ejido Nuevo León, Bezirk Venustiano Carranza geführt wurden; scheinbar um Haftbefehle auszuführen, die sich gegen die Dorfbewohner von Cruztón richteten.

-- Am 19. und 20. Mai 2008 fielen Elemente der Bundesarmee in Begleitung verschiedener Polizeiabteilungen in die Gemeinde von San Jerónimo Tulijá ein, offizieller Bezirk Chilón und Autonomer Zapatistischer Bezirk in Rebellion Ricardo Flores Magón, wo die Einwohner Zeugen von drei Hausdurchsuchungen waren.
Der Militäreinsatz bestand aus einer Kolonne von mindestens 11 Fahrzeugen, darunter wurde die Präsenz von Elementen des 18. Infanteriebataillons der Mexikanischen Armee, der Präventiven Staatspolizei (PEP) und des Bundesamts für Ermittlungen (AFI) dokumentiert, die alle von einem Einwohner der Gemeinde geführt wurden. Die taktische Bewegung verfolgte offensichtlich den Zweck, die zapatistischen Gemeindeeinrichtungen zu umzingeln, wo sich die Versammlungsorte und das Gemeindekrankenhaus befinden, sowie die Wohnorte der zapatistischen autonomen Autoritäten der betroffenen Gemeinde festzustellen.

-- Am 22. Mai 2008 beklagten Mitglieder der Campesino Organisation Emiliano Zapata der Region Carranza (OCEZ-RC) aus den Gemeinden 28 de Junio und San José, Bezirk Venustiano Carranza, die Präsenz und Aufstellung von Wachposten der Mexikanischen Armee in der Umgebung ihrer Gemeinden.
Unseren Information zufolge führten Angehörige der bewaffneten Streitkräfte an diesem Morgen Patrouillen in 11 Gemeinden durch, in denen die OCEZ-RC eine Präsenz unterhält. Die Gemeinden um die es sich dabei handelt sind: Santa Rufina Las Perlas, 28 de Junio, Nuevo San José La Grandeza, San José La Grandeza 3ra Ampliación, Guadalupe La Cuchilla, Mesa El Porvernir, Las Delicias, El Puerto, Nuevo Paraíso, Laguna Verde und San Caralampio Chavín.

-- Am 23. Mai 2008 brachten Einwohner der Gemeinden Cruz Palenque, Usipá, Retorno Miguel Alemán und Nuevo Limar, Bezirk Tila, ihre Sorge über einen möglichen bewaffneten Überfall der Mexikanischen Armee zum Ausdruck, da sie am Nachmittag herausgefunden hatten, dass die Bundesarmee in der Zone Wachposten aufgestellt und Positionen bezogen hatte, die die Bevölkerung alarmierten.

-- Am 23. Mai 2008 informierten uns Einwohner der Gemeinden Carrizal und Río Florido, Bezirk Ocosingo, über Erkundungsflüge durch Flugzeuge der Mexikanischen Armee. Am 26. Mai wurden erneut Erkundungsflüge über diesen Gemeinden gesichtet, und darüber hinaus in der Gemeinde Chalam del Carmen. In diesen drei Gemeinden leben Angehörige der Organisation OCEZ-FNLS.

-- Am 27. Mai 2008 wurde in der Umgebung des Ejido Nuevo Chamizal, Bezirk Ocosingo, die Präsenz von Elementen der Mexikanischen Armee, Agenten der Generalstaatsanwaltschaft (PGR), der Präventiven Staatspolizei (PEP) und Zivilisten gemeldet. Diese hatten angeblich die Aufgabe, Marihuanafelder zu vernichten, die auf zapatistischen Gebiet angebaut worden sein sollten. Den Informationen dieses Menschenrechtszentrums zufolge leben in der Zone, in der dieser Einsatz stattgefunden hat, jedoch keine Angehörigen der EZLN.

-- Am gleichen 27. Mai 2008 informierte eine Pressemitteilung, die in der La Jornada des darauf folgenden Tages publiziert wurde, über die gewaltsame Räumung der Dörfer El Semental und Nuevo Salvador Allende, im Biosphärenreservat Montes Azules. Der Information zufolge erfolgte dieser Einsatz unter Beteiligung der Bundesbehörde für Umweltschutz (PROFEPA), mit Unterstützung der Bundespolizei, der Mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft (PGR) und Elementen der Mexikanischen Marine. Der Einsatz wurde im Rahmen des Programms "Null Toleranz für Illegales Baumfällen" rechtfertigt.

-- Am 29. Mai 2008 wurde dieses Zentrum von Einwohnern der Gemeinde El Carrizal, Bezirk Ocosingo darüber informiert, dass eine Kolonne aus 9 Lastwagen der Bundesarmee und 3 Fahrzeugen der Präventiven Staatspolizei (PEP), begleitet von Bezirkspolizisten aus Ocosingo, versuchte, sich Einlass in ihre Gemeinde zu verschaffen. Sobald sie gesichtet wurden, bildeten jedoch die Frauen der Campesino Organisation Emiliano Zapata (OCEZ) und der Nationalen Kampffront für den Sozialismus (FNLS) einen Menschenkreis, der ihre Weiterfahrt verhinderte.
Die Armeeangehörigen rechtfertigten sich damit, zu den Gebieten des benachbarten Bezirkes von Oxchuc unterwegs gewesen zu sein, wo sie angeblich Marihuanafelder ausfindig gemacht hatten. Sie bestanden darauf, dass der Einsatz von Angehörigen der Staatsanwaltschaft, der Regierung von Ocosingo und der Staatlichen Kommission für Menschenrechte (CEDH) begleitet gewesen sei, niemand von ihnen war jedoch bereit, sich vor der Bevölkerung zu identifizieren.

-- Am 4. Juni 2008 klagte der Rat der Guten Regierung "Pfad der Zukunft" mit Sitz im Caracol von La Garrucha, Bezirk Ocosingo, den Überfall einer Militärkolonne an, die sich in Begleitung von Angehörigen der Bezirkspolizei, der Staatlichen Öffentlichen Sicherheit und des Bundesamts für Ermittlungen (AFI) befand und die Gemeinden von La Garrucha, Rancho Alegre (auch bekannt als Chapuyil), Hermenegildo Galeana und San Alejandro betraf.
An dieser Handlung, die als Provokation gegenüber der EZLN gewertet wurde, waren Soldaten der Garnisonen von Toniná, Patiwiz und San Quintín beteiligt. Nach Verhinderung des militärischen Einfalls warnten die Soldaten der Mexikanischen Armee, dass sie in 15 Tagen zurückkehren würden, um sich in die Gemeinden Einlass zu verschaffen, die sich widersetzt hatten.
Dieser Militäreinfall, der gleichzeitig in mehreren Gemeinden stattfand, die dem Caracol III"Widerstand Für Einen Neuen Morgen" unterstehen, erscheint uns besonders schwerwiegend, da er eine schwere Gefährdung des Friedens darstellt. Es handelt sich um eine Provokation des Mexikanischen Staates gegen die EZLN, mit der die Regierung vorgibt einen Waffenstillstand aufrechtzuerhalten, bei dem sie sich verpflichtet hat, keine militärischen Aktionen gegen die Rebellenorganisation zu führen. Die Gemeinde von La Garrucha ist Sitz des Rates der Guten Regierung "Pfad der Zukunft", sowie ein Ort der symbolischen Bedeutung für den zapatistischen Kampf. All dies deutet für uns noch einmal darauf hin, dass die besagten militärischen Einsätze im Rahmen der Aufstandsbekämpfung geführt werden.

Es ist ebenfalls von großer Wichtigkeit die Denuncias verschiedener Organisationen und Gemeinden des Bundesstaates von Guerrero zu beobachten und ihnen nachzugehen, die Einfälle der Mexikanischen Armee beklagen, mit ähnlichen Vorgehensweisen wie jenen, die wir in Chiapas registriert haben.

In dieser Hinsicht klagte das Menschenrechtszentrum von La Montaña "Tlachinollan" im August 2007 an, dass Soldaten der Mexikanischen Armee, vermutliche Agenten des Bundesamts für Ermittlungen (AFI) und die Polizei der Staatsanwaltschaft (PIM), in den indigenen Nahua Gemeinden von Temalacatzingo und Tlaquilcingo, Region La Montaña, aktiv sind, und der Bevölkerung mit Hausdurchsuchungen drohen.

Am 11. August 2007 drangen zehn Fahrzeuge der PIM in Tlaquilcingo ein, und am 16. August installierten etwa 100 Militärs einen Wachposten in unmittelbarer Nähe von Temalacatzingo; später, gegen 11:00 Uhr vormittags, trafen ihre Fahrzeuge in der Gemeinde ein und errichteten ohne die Gemeindeautoritäten zu konsultieren am Rande des Dorfes ein Lager auf dem Gemeindegrundstück. Hier blieben sie drei Tage lang, und kontrollierten und befragten die Einwohner an einem Wachposten, den sie an dem Weg errichtet hatten, der Temalacatzingo mit Ixcamilpa verbindet.

Am 28. April 2008, forderte die Regionale Koordination der Gemeindeautoritäten (CRAC) die mexikanische Armee, das Bundesamt für Ermittlungen (AFI) und die Polizei der Staatsanwaltschaft (PIM) auf, sich aus den Gemeinden zurückzuziehen, und ersuchten um den Abzug der Armee und der Polizei, die bereits seit Wochen Wachposten an den Eingängen zu den Gemeinden von El Limón, El Camalote, Té Cruz, Lomotepec und Barrance de Guadalupe, in Ayutla installiert hatten.

In diesem Sinne kündigten verschiedene Regionalkommandanten der Gemeindepolizei (von Costa Chica und Montaña der Guerrero) an, die Angehörigen des me'phaa Volkes zu unterstützen und die Bewegung der Armee und des AFI sorgfältig zu verfolgen, da beide Körperschaften auch in Colombia de Guadalupe, Bezirk Malinaltepec, Einsätze durchgeführt hatten, angeblich auf der Suche nach vermeintlichen Entführern.

Im bisherigen Verlauf von 2008 wurden fortwährend militärische Überfalle in der Sierra de Guerrero denunziert. Das Klima der Polarisation, das in den südöstlichen Bundesstaaten Mexikos vorherrscht, erinnert an vergangene Jahrzehnte, in denen die Verfolgung von Organisationen und Gemeinden im Widerstand so weit ging, Konfrontationen zu provozieren um einen erneuten Ausbruch des ungelösten internen bewaffneten Konfliktes zu bewirken.


Dieses Menschenrechtszentrum erklärt sich äußerst besorgt über die offensichtliche Intensivierung der Aufstandsbekämpfung gegen indigene Gemeinden, ganz besonders jener in denen Militante von Campesino- und Indígena-Organisationen leben, die sich organisiert haben, um für gerechte Forderungen einzutreten. Dieses Vorgehen stellt eine schwere Gefährdung der sozialen Stabilität und der Achtung der Menschen- und Völkerrechte dar.

Als Menschenrechtszentrum rufen wir dem Mexikanischen Staat in Erinnerung, dass die Demokratie den vollen Respekt der allgemeinen Menschenrechte, sowie in diesem Fall der Rechte der Indigenen Völker erfordert. Dies ist nicht damit zu vereinbaren, dass die Forderungen der Bevölkerung, offensichtlich mit der Implementierung militärischer Großeinsätze beantwortet werden, die ihren Willen brechen sollen, für soziale Gerechtigkeit einzutreten.

Wie es sich seit 1994 immer wieder gezeigt hat, ist die Mobilisierung der Zivilgesellschaft für die Verteidigung der Gemeinden vor Militärinvasionen ausschlaggebend gewesen. Aus diesem Grund rufen wir angesichts der Verschärfung der Aufstandsbekämpfung gegen die organisierten indigenen Gemeinden, zur Bereitschaft auf.

Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas A.C.