Zapatistische Alarmstufe Rot


Weihnachtskrippen gibt es viele in San Cristóbal de las Casas, eine Kolonialstadt im Hochland von Chiapas, Mexiko. Aber die eine, die Besucher am Eingang zum Kulturzentrum TierrAdentro begrüßt, überrascht mit einem lokalen Zusatz: Figuren auf Esel tragen Miniaturskimasken und Holzgewehre.

Es herrscht Hochsaison für den "Zapatourismus", die Industrie mit internationalen Reisenden, die hier rund um den indigenen Aufstand entstanden ist, und TierrAdentro gilt als Ground Zero. Zapatistische handgewebte Stoffe, Poster und Schmuck verkaufen sich lebhaft. In der Hofgaststätte, in der gegen 22 Uhr eine festliche Stimmung herrscht, die langsam ins Benebelte umzuschlagen droht, trinken Hochschulstudenten Sol-Bier. Ein junger Mann hält ein Foto von Subcomandante Marcos hoch, wie immer mit Skimaske und Pfeife versehen, und küsst es. Sein Freund knipst ein weiteres Bild von dieser meistdokumentierten Bewegung.

Ich werde zwischen den Feiernden hindurch zu einem Raum im hinteren Teil des Zentrums geführt, der für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Die düstere Stimmung hier scheint einer anderen Welt anzugehören. Ernesto Ledesma Arronte, ein 40-jähriger Forscher mit Pferdeschwanz, sitzt gebeugt über militärischen Landkarten und Berichten von Menschenrechtsverstößen. "Hast du verstanden, was Marcos gesagt hat?" fragt er mich. "Es war sehr hart. Etwas Derartiges hat er schon seit Jahren nicht mehr gesagt".

Arronte bezieht sich auf eine Rede, die Marcos am Abend zuvor gehalten hat, anlässlich einer Konferenz außerhalb von San Cristóbal. Die Rede führte den Titel "Rot Fühlen: Der Kalender und die Geografie des Krieges." Weil es Marcos ist, war sie poetisch und leicht elliptisch. Aber für Arronte hatte es wie ein roter Alarm geklungen. "Jene von uns, die im Krieg gekämpft haben, können die Pfade deuten, auf denen er vorbereitet und vorangebracht wird", sagte Marcos. "Die Zeichen des Krieges am Horizont sind klar. Krieg, wie Furcht, hat einen Geruch. Und sein übel riechender Gestank ist auf unserem Land bereits zu verspüren".

Marcos' Feststellung unterstützt das, was Arronte und seine Kollegen am Zentrum für Politische Analyse und Soziale und Wirtschaftliche Untersuchungen (Capise) mit ihren Landkarten und Diagrammen mitverfolgt haben. Im Umfeld der 56 ständigen Militärbasen, die der mexikanische Staat auf indigenem Gebiet in Chiapas unterhält, ist eine merkliche Steigerung von Aktivität zu verspüren. Waffen und Ausrüstung werden mordernisiert, neue Bataillone rücken ein, einschließlich Sonderstreitkräfte - alles Anzeichen einer militärischen Eskalation.

Als die Zapatistas weltweit zu einem Symbol für ein neues Modell des Widerstandes wurden, konnte man vergessen, dass der Krieg in Chiapas nie wirklich geendet hatte. Marcos selbst hat - trotz seiner geheimen Identität - eine herausfordernd offene Rolle in der mexikanischen Politik gespielt, die sich am stärksten während der heiß umkämpften Präsidentschaftswahlen von 2006 bemerkbar machte. Anstatt den Mitte-Links Kandidaten Andrés Manuel López Obrador zu unterstützen, führte er eine parallele "Andere Kampagne" an und hielt Kundgebungen, die die Aufmerksamkeit auf jene Missstände richteten, die von den Kandidaten der großen Parteien ignoriert wurden.

In dieser Zeit schien Marcos' Rolle als militärischer Anführer der Zapatistischen Armee der nationalen Befreiung (EZLN) in den Hintergrund zu treten. Er war der Delegierte Null - der Anti-Kandidat. Letzte Nacht kündigte Marcos an, dass diese Konferenz für längere Zeit seine letzte öffentliche Erscheinung dieser Art darstellen würde. "Sehen Sie, die EZLN ist eine Armee," erinnerte er seine Zuhörer, und er ist ihr "militärischer Anführer."

Diese Armee steht einer schweren neuen Bedrohung gegenüber - eine, die bis an das Herz des zapatistischen Kampfes reicht. Während des Aufstandes von 1994 besetzte die EZLN große Landflächen und kollektivierte sie - der konkreteste Erfolg, den sie errungen haben. In den Verträgen von San Andrés wurde das Recht auf Landgebiete anerkannt, aber die mexikanische Regierung weigerte sich, die Verträge vollständig zu ratifizieren. Nachdem es misslungen war, diese Rechte gesetzlich zu verankern, entschieden die Zapatistas, sie de facto umzusetzen. Sie bildeten ihre eigenen Regierungsstrukturen - genannt Räte der Guten Regierung - und verdoppelten ihre Anstrengungen, um autonome Schulen und Kliniken aufzubauen. Je mehr die Zapatistas ihre Rolle als De-facto-Regierung über weite Gebiete von Chiapas ausweiteten, hat sich die Entschlossenheit der Bundes- und Staatsregierungen, dies zu untergraben, intensiviert.

"Jetzt," sagt Arronte, "haben sie ihre Methode gefunden". Diese Methode besteht darin, den tiefen Wunsch nach Grund und Boden, den alle Campesinos in Chiapas hegen, gegen die Zapatistas einzusetzen. Arrontes Organisation hat dokumentiert, dass die Regierung allein in einer einzigen Region etwa 16 Millionen Pesos investiert hat, um Land zu enteignen und es an viele Familien zu verteilen, die mit der für ihre Korruption berüchtigten Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) in Verbindung stehen. Dieses Land ist oftmals bereits von zapatistischen Familien besiedelt. Am ominösesten scheint, dass viele der neuen "Eigentümer" mit gewalttätigen paramilitärischen Gruppen liiert sind, die versuchen, die Zapatistas von ihrem frisch bescheinigten Land zu vertreiben. Seit September hat eine spürbare Eskalation der Gewalt stattgefunden: in die Luft gefeuerte Schüsse, brutales Zusammenschlagen, Berichte zapatistischer Familien, denen mit dem Tod, Vergewaltigung und Zerstückelung gedroht wird. Die Soldaten in den Kasernen könnten bald den Vorwand erhalten, den sie benötigen, um auszurücken: die Wiederherstellung des "Friedens" unter verfeindeten indigenen Gruppen. Seit Monaten haben die Zapatistas der Gewalt zu trotzen gewusst und versuchen, diese Provokationen bloßzustellen. Aber durch ihre Entscheidung, sich bei den Wahlen von 2006 nicht hinter Obrador zu stellen, hat sich die Bewegung mächtige Feinde geschaffen. Und nun, sagt Marcos, treffen ihre Hilferufe auf eisiges Schweigen.

Vor genau 10 Jahren, am 22. Dezember 1997, fand das Massaker von Acteal statt. In Rahmen der antizapatistischen Kampagne eröffnete eine paramilitärische Bande das Feuer in einer kleinen Kirche im Dorf Acteal und ermordete 45 Indígenas, darunter 16 Kinder und Jugendliche. Einige Leichen wurden mit Macheten zerstückelt. Die staatliche Polizei hörte die Schüsse und tat nichts. Schon seit Wochen sind die Zeitungen in Mexiko nun mit Artikeln gefüllt, die an den 10. Jahrestag des Massakers erinnern.

In Chiapas jedoch weisen viele Menschen darauf hin, dass die heutigen Zustände seltsam vertraut anmuten: die Paramilitärs, die steigenden Spannungen, die mysteriösen Aktivitäten der Soldaten, die erneute Isolierung vom Rest des Landes. Und sie richten eine Bitte an jene, die sie in der Vergangenheit unterstützt haben: blickt nicht nur zurück. Blickt nach vorne, und verhindert ein weiteres Acteal-Massaker, bevor es stattfindet!

Naomi Klein