Soziale Kämpfe in Oaxaca
Ein Reisebericht


Eine Woche in Oaxaca, der Haupstadt des gleichnamigen Bundesstaates westlich von Chiapas. Ich bin hier, um mir ein grobes Bild der Lage zu machen und mit VertreterInnen verschiedener sozialer und Menschenrechtsorganisationen Gespräche zu führen. Oaxaca ist der Bundesstaat mit dem höchsten Bevölkerungsanteil an Indígenas und gleichzeitig eine der ärmsten Regionen Mexicos.
Mir wurde dies gleich bei meiner Ankunft am Busbahnhof eindrücklich illustriert, als ich neben Bettlern und ambulanten Händlern beinahe über Straßenkinder gestolpert wäre, die am frühen Morgen auf dem Fußweg schliefen. Entsprechend der katastrophalen ökonomischen Situation großer Teile der Bevölkerung werden die sozialen Kämpfe mit einer beeindruckenden Hartnäckigkeit geführt, sehen sich aber auch einer brutalen Repression ausgesetzt. Kaum eine der Organisationen, die ich besucht habe, die nicht ihre Toten zu beklagen hätte, drei oder vier die einen, über zwanzig die anderen. Von massenhaften Verhaftungen ganz zu schweigen...

Auf meinem Weg durch die Stadt, wenige Stunden später, treffe ich auf eine Demonstration von LehrerInnen, die für eine Anhebung ihrer Löhne (die zur Zeit bei 35 Pesos, entsprechend etwa 4 DM täglich liegen), eine bessere Ausstattung der Schulen, Stipendien für ärmere SchülerInnen und kostenloses Schulessen kämpfen. Wie mir eine Lehrerin kommentiert, ist dieser letzte Punkt besonders wichtig, da Kinder in die Schule kommen, die dem Unterricht nicht folgen können, weil sie Hunger haben. Viele andere kommen erst gar nicht, weil sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen. Zehn Jahre dauere dieser Kampf nun an, und in der aktuellen Phase etwa zwei Wochen. Diese Demonstration ist mit etwa tausend TeilnehmerInnen relativ klein, und gehört zu den alltäglichen Aktionen der LehrerInnen. Wenige Tage später werden es etwa 15.000 sein, die mit den gleichen Forderungen auf die Straße gehen.

Ich gehe weiter Richtung Innenstadt und passiere die juristische Fakultät der Universität. Hier beschallen Lautsprecher die Straße und Wandzeitungen informieren darüber, daß sich die StudentInnen im Streik befinden, ihre Fakultät und den unieigenen Radiosender besetzt haben. Es geht ihnen darum, ihre korrupte Rektorin loszuwerden und die Macht der "Porros" zu brechen, studentische Schlägertrupps, die gegen die Opposition an den Unis eingesetzt werden. Die Rektorin gehört laut den StudentInnen inzwischen zu den reichsten Frauen Mexicos, während in der Uni nicht einmal genug Stühle vorhanden sind. Und die Porros werden einige Nächte später, der Streik ist gerade für beendet erklärt worden, versuchen, den Radiosender zurückzuerobern. Dabei greifen sie die StudentInnen, die in dem Gebäude Wache halten, mit Stöcken, Steinen, Molotovcocktails und scharfen Waffen an. Ein Student wird durch einen Bauchschuß schwer verletzt, befindet sich jedoch zum Glück Stunden später außer Lebensgefahr. Die BesetzerInnen verteidigen sich ebenfalls mit Steinwürfen und verhindern, daß die Angreifer in das Gebäude eindringen. Als die Porros bemerken, daß sie ihr Ziel nicht erreichen, ziehen sie sich zurück, aber setzen dabei noch mehrere Hörsäle in Brand und zerstören sie so völlig.

Etwa zweihundert Meter von dem Unigebäude entfernt, am Rand der Fußgängerzone, treffe ich auf die ersten Ausläufer des "Plantons" der LehrerInnen, ein Wort, das sich am ehesten mit "Mahnwache" übersetzen läßt.

In diesem Fall sind es allerdings mehrere Tausend Menschen, Delegierte aus den verschiedenen Regionen Oaxacas, die hier unter Plastikplanen ausharren, auf Wellpappe oder dünnen Decken schlafen und auf Transparenten und Pappschildern ihre Forderungen publik machen. Alle drei Tage sei eine andere Region an der Reihe, wird mir erklärt, und mehr als zwei Wochen sei man schon in der Stadt auf diese Weise präsent. Zu den schuleigenen Forderungen gesellen sich auf den Transparenten die Kürzel der verschiedenen Schulen des Landes, von der Vorschule bis zum Gymnasium, und gesamtgesellschaftliche Forderungen. Etwa die Ablehnung der geplanten Einführung einer Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Bücher oder massive Kritik an dem kürzlich beschlossenen "Ley Indígena" und Unterstützung für die ZapatistInnen in Chiapas.

Inmitten dieses riesigen Plantons, direkt vor dem Rathaus, befindet sich ein weiterer, kleinerer. Etwa 30, 40 Frauen und Kinder sind es, Indígenas, Zapotecas der Region Loxitas, die hier seit vier Jahren gegen die Verhaftung ihrer Angehörigen protestieren. Etwa 150 BewohnerInnen der Region sind seit 1996 in den Gefängnissen verschwunden, nachdem sie sich für die Verteidigung ihrer Rechte organisiert hatten. Immerhin 90 von ihnen sind, wohl auch aufgrund des hartnäckigen Protests der Frauen, vor einigen Monaten freigelassen worden. 250 weitere Haftbefehle bleiben jedoch offen, mit der brutalen Konsequenz, daß viele Männer der Region sich nicht mehr in ihre Hütten zu ihren Familien trauen und unter freiem Himmel in der Nähe ihrer Felder übernachten. Die Behörden werfen ihnen pauschal Mitgliedschaft in der Guerillagruppe EPR vor, die Frauen vor dem Rathaus, wie auch Menschenrechtsorganisationen sprechen von politischer Verfolgung.
In den Gesprächen mit Vertretern verschiedener Organisationen vor Ort zeichnet sich ein düsteres Bild der Lage insbesondere in den ländlichen Regionen Oaxacas ab: In weiten Regionen ist die Mehrheit der Bevölkerung weitgehend recht- und schutzlos. Lokale Machthaber, über jahrzehntelange Verflechtungen durch die Staatspartei PRI mit nahezu sämtlichen Ebenen des Staates eng verbunden, verfolgen häufig jeden Versuch einer demokratischen Organisation mit äußerster Härte. Nicht selten wird dabei nicht einmal der Schein der Rechtsstaatlichkeit gewahrt. Vielmehr sind es paramilitärische Gruppen, die häufig im Zusammenspiel mit der Polizei reinen Terror ausüben. Zu den bisherigen Spannungen in den Gemeinden kommt zudem eine große Wut über die Verabschiedung des "Ley Indígena", das die Vereinbarungen von San Andres in mehreren Punkten konterkariert.

Landesweit hatten nach dem Marsch der EZLN offensichtlich viele indigene Organisationen und Gemeinschaften große Hoffnungen darin gesetzt, daß diese Vereinbarungen, die die EZLN 1996 ausgehandelt hatte, endlich umgesetzt werden. Nun sind "Verrat" und "Rassismus" haufig gehörte Worte in diesem Zusammenhang. Es mehren sich die Anzeichen, daß eben diese Wut und Enttäuschung dazu führt, daß sich die Indígenas Mexicos in einem bisher nicht gekannten Ausmaß organisieren. Daher könnte sich diese Entscheidung des Parlaments als ein Bumerang erweisen. Fest steht jedenfalls, daß die Regierung mit deser Entscheidung einen Konfrontationskurs eingeschlagen hat, der für die weitere Entwicklung nicht viel Gutes erhoffen läßt. Was wohl aus diesen kurzen Beschreibungen deutlich wird, ist, daß es wichtig ist und wichtiger wird, daß sich die internationale Aufmerksamkeit auch den anderen Regionen Mexikos zuwendet. Im Fall von Chiapas hat diese Aufmerksamkeit eine rein militärische Bereinigung des Konfliktes bisher verhindern können. Im Fall von Oaxaca sind die Frontlinien weniger eindeutig. Wesentlich mehr Gruppierungen und Organisationen sind darin verwickelt. Dennoch ist meiner Meinung nach ein internationales Interesse daran, was hier vor sich geht, wichtig und könnte den Terror, den die Zivilbevölkerung erlebt, zumindest eindämmen. Dies gilt besonders, da der mexikanischen Regierung sehr an einem positiven Bild der Situation in México gelegen ist.

Jan Klein
1. Juni 2001