Soziale Kämpfe in Oaxaca Auf meinem Weg durch die Stadt, wenige Stunden später, treffe ich auf eine Demonstration von LehrerInnen, die für eine Anhebung ihrer Löhne (die zur Zeit bei 35 Pesos, entsprechend etwa 4 DM täglich liegen), eine bessere Ausstattung der Schulen, Stipendien für ärmere SchülerInnen und kostenloses Schulessen kämpfen. Wie mir eine Lehrerin kommentiert, ist dieser letzte Punkt besonders wichtig, da Kinder in die Schule kommen, die dem Unterricht nicht folgen können, weil sie Hunger haben. Viele andere kommen erst gar nicht, weil sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen. Zehn Jahre dauere dieser Kampf nun an, und in der aktuellen Phase etwa zwei Wochen. Diese Demonstration ist mit etwa tausend TeilnehmerInnen relativ klein, und gehört zu den alltäglichen Aktionen der LehrerInnen. Wenige Tage später werden es etwa 15.000 sein, die mit den gleichen Forderungen auf die Straße gehen. Ich gehe weiter Richtung Innenstadt und passiere die juristische Fakultät der Universität. Hier beschallen Lautsprecher die Straße und Wandzeitungen informieren darüber, daß sich die StudentInnen im Streik befinden, ihre Fakultät und den unieigenen Radiosender besetzt haben. Es geht ihnen darum, ihre korrupte Rektorin loszuwerden und die Macht der "Porros" zu brechen, studentische Schlägertrupps, die gegen die Opposition an den Unis eingesetzt werden. Die Rektorin gehört laut den StudentInnen inzwischen zu den reichsten Frauen Mexicos, während in der Uni nicht einmal genug Stühle vorhanden sind. Und die Porros werden einige Nächte später, der Streik ist gerade für beendet erklärt worden, versuchen, den Radiosender zurückzuerobern. Dabei greifen sie die StudentInnen, die in dem Gebäude Wache halten, mit Stöcken, Steinen, Molotovcocktails und scharfen Waffen an. Ein Student wird durch einen Bauchschuß schwer verletzt, befindet sich jedoch zum Glück Stunden später außer Lebensgefahr. Die BesetzerInnen verteidigen sich ebenfalls mit Steinwürfen und verhindern, daß die Angreifer in das Gebäude eindringen. Als die Porros bemerken, daß sie ihr Ziel nicht erreichen, ziehen sie sich zurück, aber setzen dabei noch mehrere Hörsäle in Brand und zerstören sie so völlig. Etwa zweihundert Meter von dem Unigebäude entfernt, am Rand der Fußgängerzone, treffe ich auf die ersten Ausläufer des "Plantons" der LehrerInnen, ein Wort, das sich am ehesten mit "Mahnwache" übersetzen läßt. In diesem Fall sind es allerdings mehrere Tausend Menschen, Delegierte aus den verschiedenen Regionen Oaxacas, die hier unter Plastikplanen ausharren, auf Wellpappe oder dünnen Decken schlafen und auf Transparenten und Pappschildern ihre Forderungen publik machen. Alle drei Tage sei eine andere Region an der Reihe, wird mir erklärt, und mehr als zwei Wochen sei man schon in der Stadt auf diese Weise präsent. Zu den schuleigenen Forderungen gesellen sich auf den Transparenten die Kürzel der verschiedenen Schulen des Landes, von der Vorschule bis zum Gymnasium, und gesamtgesellschaftliche Forderungen. Etwa die Ablehnung der geplanten Einführung einer Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Bücher oder massive Kritik an dem kürzlich beschlossenen "Ley Indígena" und Unterstützung für die ZapatistInnen in Chiapas. Inmitten dieses riesigen Plantons, direkt vor dem Rathaus,
befindet sich ein weiterer, kleinerer. Etwa 30, 40 Frauen und Kinder sind
es, Indígenas, Zapotecas der Region Loxitas, die hier seit vier
Jahren gegen die Verhaftung ihrer Angehörigen protestieren. Etwa
150 BewohnerInnen der Region sind seit 1996 in den Gefängnissen verschwunden,
nachdem sie sich für die Verteidigung ihrer Rechte organisiert hatten.
Immerhin 90 von ihnen sind, wohl auch aufgrund des hartnäckigen Protests
der Frauen, vor einigen Monaten freigelassen worden. 250 weitere Haftbefehle
bleiben jedoch offen, mit der brutalen Konsequenz, daß viele Männer
der Region sich nicht mehr in ihre Hütten zu ihren Familien trauen
und unter freiem Himmel in der Nähe ihrer Felder übernachten.
Die Behörden werfen ihnen pauschal Mitgliedschaft in der Guerillagruppe
EPR vor, die Frauen vor dem Rathaus, wie auch Menschenrechtsorganisationen
sprechen von politischer Verfolgung. Landesweit hatten nach dem Marsch der EZLN offensichtlich viele indigene Organisationen und Gemeinschaften große Hoffnungen darin gesetzt, daß diese Vereinbarungen, die die EZLN 1996 ausgehandelt hatte, endlich umgesetzt werden. Nun sind "Verrat" und "Rassismus" haufig gehörte Worte in diesem Zusammenhang. Es mehren sich die Anzeichen, daß eben diese Wut und Enttäuschung dazu führt, daß sich die Indígenas Mexicos in einem bisher nicht gekannten Ausmaß organisieren. Daher könnte sich diese Entscheidung des Parlaments als ein Bumerang erweisen. Fest steht jedenfalls, daß die Regierung mit deser Entscheidung einen Konfrontationskurs eingeschlagen hat, der für die weitere Entwicklung nicht viel Gutes erhoffen läßt. Was wohl aus diesen kurzen Beschreibungen deutlich wird, ist, daß es wichtig ist und wichtiger wird, daß sich die internationale Aufmerksamkeit auch den anderen Regionen Mexikos zuwendet. Im Fall von Chiapas hat diese Aufmerksamkeit eine rein militärische Bereinigung des Konfliktes bisher verhindern können. Im Fall von Oaxaca sind die Frontlinien weniger eindeutig. Wesentlich mehr Gruppierungen und Organisationen sind darin verwickelt. Dennoch ist meiner Meinung nach ein internationales Interesse daran, was hier vor sich geht, wichtig und könnte den Terror, den die Zivilbevölkerung erlebt, zumindest eindämmen. Dies gilt besonders, da der mexikanischen Regierung sehr an einem positiven Bild der Situation in México gelegen ist. Jan Klein |