Preguntando caminamos
Fragend schreiten wir voran


In Chiapas, im abgelegenen Südosten Mexikos, nahm ein mit Macheten und Jagdflinten bewaffnetes Heer von indigenen Kaffeebauern ganze Städte im Handstreich ein: Der Aufstand der Zapatistenguerilla EZLN vor zehn Jahren erschreckte die Mächtigen und entzückte die Linken. Woher kommt diese Rebellion der Habenichtse - und wo sind die Zapatisten heute?

Dieser Text ist eine Kurzfassung der unter dem selben Titel im September 2003 auf der Uni Zürich eingereichten Diplomarbeit. Der vollständige Text als pdf-Dokument: preguntando caminamos


Feudale Zustände - und deren Zusammenbruch

Auf einem ehemaligen Gutshof deutschstämmiger Kaffeebarone, mitten im chiapanekischen Hochland, sitzt mir der Dorfälteste namens Don Antonio gegenüber. Der 85jährige Tzotzil-Indígena mit dem schlohweißen Haar schmunzelt und erzählt mit leuchtenden Äuglein vom zapatistischen Aufstand am 1. Januar 1994: "Don Elmar Setzer war der Verwalter dieser Kaffeefinca. Doch 1994, als er Gouverneur von Chiapas war, nahmen ihn die Aufständischen, die aus dem Dschungel, ziemlich dran! Er antwortete mit Bomben, und ich glaube, die aus dem Dschungel machten ihn fertig." Don Antonio, ehemals "vaquero" (Cowboy) auf der Finca La Trinidad in der Region El Bosque, erlebte die feudalen Zustände der Finca-Zeit, die Unruhen der Landbesetzungen, die Zeit der großen Bauernorganisationen und ist heute immer noch, wie die meisten in seinem Dorf, überzeugter Zapatist. Die wechselhafte Geschichte dieser Kaffeebauern und deren Experimente der Gegenwart soll hier erzählt werden.

Lange Zeit funktionierte in der Region eine perfekt organisierte Kaffee-Wirtschaft, welche europäische Pflanzer Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Kapital der europäischen Großhändler aufgebaut hatten. Mit Hilfe von lokalen indigenen Eliten wurden ganze Heere von indigenen Tagelöhnern und auf den Höfen ansässige Bauernfamilien in der Kaffeeproduktion eingesetzt. Verstöße gegen die Hierarchie wurden im feudalen Arbeitssystem mit drakonischen Strafen gemaßregelt. Doch die allmächtigen mestizischen Patrons zeigten sich den "eigenen" Indianern gegenüber auch von ihrer fürsorglichen Seite.
Die chiapanekische Historikerin Sonja Toledo Tello untersuchte die geradezu habituelle Beständigkeit dieses "Finca-Systems". Die Reproduktion dieses Systems war laut Toledo nur durch ein Zusammenwirken aller Beteiligten möglich, die in Arbeitswelt, Behausung, ja gar an den Festen zu Ehren des "Santo Patrón" die krassen ökonomischen, politischen und sozialen Ungleichheiten weiter verbreiteten. Ein stabiles "Feld" im Sinne Bourdieus, in welchem die auf den Fincas ansässigen Indianer ihre Vorrechte gegenüber normalen Tagelöhnern verteidigten und ihr Schicksal ganz in die Hände des "ajwalil" (tzotzil für Herr) legten. Das habituell verinnerlichte, rassistische Machtverhältnis wurde als "natürlich" und unumstößlich empfunden.

In den Siebzigerjahren brach dieses scheinbar auf Dauer gestellte Finca-System innert weniger Jahre völlig zusammen: Mit der Intensivierung der Fleisch- und Milchwirtschaft und der Technisierung des Kaffeeanbaus wurde die Arbeit rar. Viele Indigene blieben ohne Einkommen. Die asymmetrische Beziehung zwischen der indigenen Bevölkerung und den mestizischen Herrschaften wurde in Frage gestellt. Grosse Teile der indigenen Bevölkerung von Simojovel, Huitiupán und El Bosque organisierten sich in unabhängigen Bauernbewegungen, besetzten in der Folge alle Fincas der Region und lehrten die dünne mestizische Oberschicht das Fürchten. In diesem mit harten Bandagen geführten Landkampf lernten die Indigenen ihre eigene Stärke kennen. Anfang der Achtzigerjahre wurden die neuen Besitzverhältnisse legalisiert. Aus unterwürfigen Indianern in der Halbsklaverei wurden auf diese Weise selbstständige Bauern, welche ihre neu gegründeten Dörfer selber aufbauten und teilweise gemeinsam Land zu bewirtschaften begannen. Neben der alten Kulturpflanze Mais begannen die Kleinbauern nun auch, die Pflanze der Großgrundbesitzer, die Kaffeestaude "Arabica", selber zu anzubauen. Ein fremdes Produkt wurde so in die eigene Kultur und Symbolwelt übernommen.



Maoistische Experimente

Don Antonio und seine Gemeinde Las Delicias, die schon lange auf La Trinidad beschäftigt und dort ansässig waren, bekamen die Finca von Elmar Setzer zugesprochen, als dieser erfuhr, daß das große Anwesen im Zuge des Landkampfes kurz vor einer Besetzung durch die unabhängige Bauernbewegung stand. Las Delicias war in der Bauernorganisation CNC (Confederación Nacional Campesina) organisiert, einer Affiliation der damaligen Staatspartei PRI. Einige Nachbargemeinden gingen den anderen Weg: Sie organisierten sich in der maoistischen Organisation "Unión de Uniones". Ihnen gelang es, von Elmar Setzer ein anderes Anwesen namens Cucalvitz zu kaufen. Dort gründeten sie mit Hilfe der maoistisch geschulten Berater die Gemeinde Unión Progreso und schufen auf der ehemaligen Finca eine Bauern-Universität namens Kipaltik (maya-tzotzil für "Eigene Kraft"). Laut dem französischstämmigen Anthropologen Andrés Aubry war das Projekt Kipaltik zur Anfangszeit sehr erfolgreich. Aus der ganzen Region kamen die Bauern nach Unión Progreso und lernten hier die Techniken der Mischkultur und experimentierten mit biologischem Landbau.

Die maoistischen Berater - darunter Adolfo Orive und Raúl Salinas, der Bruder des späteren mexikanischen Präsidenten Carlos Salinas - berieten die Indigenen in der bäuerlichen Organisierung und propagierten den kollektiven Kaffee-Anbau. Nach wenigen Ernten wurde jedoch die Kollektivproduktion wieder fallen gelassen - das Problem des Trittbrettfahrens und die Korruption sowohl unter den indigenen Anführern als auch unter den externen Beratern entmutigten die beteiligten Familien.
Einige Jahre konnten die Kaffeebauern der Unión ihre Produktion zu einem guten Preis über das staatliche Kaffee-Institut Inmecafé absetzen. Doch nach dem rapiden Zerfall des Kaffeepreises Ende der Achtzigerjahre und der daraus resultierenden Zahlungsunfähigkeit vieler Mitglieder war die Unión finanziell ausgeblutet: Land und Vieh wurden privatisiert. Als der neoliberale Carlos Salinas 1988 an die Macht kam, spannte sein ehemals maoistisch gesinnter Bruder Raúl die Mitglieder der Unión gar als Vorzeigebauern für seine Kampagne der Privatisierung von Gemeindeland ein. Der 93jährige Don Salvadór aus der Gemeinde San Miguel, ehemals Präsident der Unión, meinte resigniert: "Die Unión de Uniones wurde ebenfalls von der Regierung manipuliert, erst im Nachhinein merkten wir das. Ab und zu scheinen wir Bauern blind zu sein – aber nun haben wir den Betrug durchschaut."

Die "asesores kaxlán" (nicht-indigene Berater auf Tzotzil) hatten die Bauernbewegung in die Irre geführt. Die Indígenas besaßen nun zwar eigenes Land, waren jedoch beim Verkauf ihrer Produkte auf Gedeih und Verderb den Schwankungen der Marktpreise und den coyotes, den lokalen Zwischenhändlern, ausgeliefert. Die große Hoffnung der gemeinsamen Vermarktung scheiterte. Vom Staat mußten sie Almosen in Form von Zuschüssen und Sozialprogrammen annehmen, welche mit Stimmenkauf anläßlich der Wahlen einhergingen.
In diesen Jahren hatten die Zapatisten einen starken Zulauf, den ihr Sprecher Subcomandante Marcos direkt mit dem Scheitern der Unión und anderen assistenzialistischen, von der Staatspartei PRI kontrollierten, Organisationen begründete: "Das Mißlingen der ökonomischen oder ökonomistischen Linie [der Maoisten, a. d. Verf.] brachte die Leute dazu, der EZLN beizutreten. Die Mittel der Maoisten waren eine bloße Optimierung der Armut, aber kein Ausweg daraus."


Das Feuer und das Wort

Nach zehn Jahren der klandestinen Organisierung erhoben sich die Indigenen der Regionen Selva, Altos und der Zona Norte in einem bewaffneten Aufstand. Die auslösenden Faktoren für die Rebellion waren die Privatisierung der Landwirtschaft - am selben Tag, dem 1. Januar 1994 trat Mexiko der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA bei - sowie die Preiskrise der "cash crops", mit der auch Projekte wie Kipaltik in den privaten und kollektiven Schulden untergingen.
Die EZLN stellte eine Hoffnung auf ein Ende der Marginalisierung dar. Im Krieg gegen das Establishment sollte eine grundlegende Veränderung der interethnischen Beziehungen zwischen der mestizischen und der indigenen Bevölkerung Mexikos erreicht werden. Angestrebt wurde ein grundsätzlicher Wandel des ganzen politischen Systems.

In der indigenen Selbstverwaltung probieren die Zapatistas seither neue Wege jenseits von staatlich gelenktem Korporativismus aus, ganz im Sinne eines "Rechts auf die Konstruktion einer eigenen Modernität". Es wird jedoch keine Separation vom mexikanischen Nationalstaat angestrebt. In den Äußerungen der EZLN findet man weder millenaristische noch essentialistische Argumentationen, die auf einen Ethnizismus oder ein separatistisches Projekt schließen ließen. Im Gegenteil wurde die plurikulturelle mexikanische Nation – häufig mit patriotischer Inbrunst – beschworen.
Die rebellischen Indigenen wollen darin ein anerkannter Teil sein und pochen sowohl auf das "Recht auf Gleichheit", das heißt die Nicht-Diskriminierung, wie auch das "Recht auf Differenz", also Respekt gegenüber ihrer indigenen Kultur. Die indigene Bewegung fordert damit den nach liberalen Grundsätzen funktionierenden Nationalstaat heraus und setzt in ihrer Praxis der Autonomie einen Gegenentwurf zum assimilatorischen Modell des Nationalstaates um.

Die mestizischen Berater von einst, denen mit dem bewaffneten Aufstand der EZLN die Kontrolle über die ehemals von ihr organisierten indigenen Bevölkerung entglitten war, übernahmen nun Ende der Neunzigerjahre eine wichtige Rolle in der Aufstandsbekämpfung. Die Basis der Aufständischen sollte in einem "Krieg niederer Intensität" durch paramilitärischen Terror und Repression einerseits sowie durch Regierungsprogramme zur Armutsbekämpfung andererseits ausgedünnt werden.
Der ehemalige maoistische Berater Adolfo Orive ist ein Beispiel für diesen Verrat der "kaxlanes", den die Indigenen der Region nicht vergessen haben: Präsident Zedillos neuer Innenminister ernannte nach dem Massaker in der Nachbarregion Acteal an Weihnachten 1997 einen Kenner der lokalen Verhältnisse zu seinem Chefberater in Sachen Aufstandsbekämpfung: Adolfo Orive! Dieser machte sich nun einen Namen als Verfechter einer Linie der "harten Hand" gegen die EZLN.
Gezielt wurden die wichtigsten autonomen Bezirke der Zapatistas in polizeilich-militärischen Überfällen angegriffen, so auch der Bezirk El Bosque (autonom umbenannt in San Juan de la Libertad) am 10. Juni 1998. Dabei wurden in Unión Progreso fünf unbewaffnete Dorfbewohner ermordet, die Schule, die Bibliothek, zahlreiche Felder und Häuser wurden zerstört und alle Tiere getötet.
Adolfo Orive spielte bei der Koordination des Angriffs eine wichtige Rolle, da er aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Berater in der Region genauestens Bescheid wußte über die Innenwelt und die geheime Geografie der aufständischen Indigenen. "Er zerstörte also, was er selber in Unión Progreso aufgebaut hatte. Unión Progreso war sein Werk", meint Aubry, der selber an der Bauern-Universität unterrichtete.
Dabei sieht Aubry in der Zerstörung von Unión Progreso und anderer sogenannter "Operationen zur staatlichen Befriedung" die Absicht, die autonomen Projekte der Indigenen zu zerstören, um ihrem Widerstand die ökonomische Basis zu entziehen.
Doch den Zapatistas war weder mit dem Zuckerbrot noch mit der Peitsche beizukommen. Die indigene Autonomie funktionierte nach den Angriffen von 1998 klandestin weiter, so auch der Bezirk San Juan de la Libertad. Und auf der Asche von Kipaltik entstand eine neue, zapatistische Kaffee-Kooperative: Mut Vitz.


Zapatistischer Kaffee

Mut Vitz heißt in der Maya-Sprache Tzotzil "Berg der Vögel". Die Kooperative ist heute für die zapatistischen Bauern der Region der praktische Ausdruck ihrer Identität als Rebellen. Doch anfangs kam die Idee, nach den negativen Erfahrungen in der Unión erneut eine Kooperative zu gründen, nicht bei allen gut an. Wichtige zapatistische Gemeinden wie Unión Progreso traten anfangs nicht bei. Andere entschieden sich, nach längeren Diskussionen, das Experiment zu wagen.
Heute sind rund 750 Bauernfamilien involviert, welche zusammen 250 Tonnen Rohkaffee zu einem fairen Preis mit Bio-Zuschlag direkt exportieren. Dieser ist, nach Abzug der Unkosten der Kooperative, gut doppelt so hoch wie der Marktpreis, welcher weit unter den mexikanischen Produktionskosten liegt.

Im Winter 2002 / 2003, als ich die Kooperative bei ihrer Arbeit begleitete, wurden jedoch auch zahlreiche Probleme diskutiert und teilweise profunde Krisen durchlebt.
Eine der Schlüsselfragen ist der für Außenstehende fast unvorstellbare Anspruch, die Geschäfte der Kooperative alleine und ohne professionelle Unterstützung zu betreiben, ganz im Sinne des berühmten indianischen "cargo" (Last, unentgeltliche Bürde der Gemeinde).
Andere Kooperativen beschäftigen mindestens einen externen Berater oder beauftragen ein ganzes Gremium mit der Kommerzialisierung. Nicht so bei Mut Vitz, wo im Rotationsprinzip immer neue Bauern auch die anstrengenden cargos des Vorstandes übernehmen müssen. Die Annahme, die Erfüllung eines solchen cargos bringe dem Träger ein hohes symbolisches Kapital ein, bestätigte sich leider nicht:
Viele einfache Mitglieder sehen nur, daß der Vorstand ständig und auf Kosten der Kooperative in die Stadt reist und sich dabei im Vergleich zur Arbeit auf dem Feld die Hände nicht schmutzig macht.
Eine Reise in die Stadt können sich die Bauern höchst selten leisten. Und da die Vorstandsmitglieder bei ihrer Tätigkeit nicht schwitzen, nicht den Rücken krumm machen, ist das in den Augen der Bauern auch keine "richtige Arbeit". Wertschätzung der "cargos", Know-how-Transfer, Ausgleichsleistungen und Feldarbeiten - im Sinne von "gegenseitiger Hilfe" für schwer belastete "cargo"-Träger - sind die wichtigsten Diskussionspunkte unter den Bauern. Doch es gibt trotz aller Hürden auch gewichtige Erfolge zu verzeichnen.


Stolze "Biobauern im Widerstand"

Die Umstellung von - wie die Bauern sagen - "natürlicher" (aus purer Geldnot chemiefreier) Produktion auf kontrolliert biologische Landwirtschaft soll eine rentable Alternative zur Subventions- und Kreditabhängigkeit bieten. Der Biolandbau ist eine Bedingung für einen lukrativen Marktzugang und erfordert Mehrarbeit auf dem Feld: Erste ökonomische Resultate wurden bereits erreicht.
Für das Selbstbild der Bauern und Bäuerinnen scheint diese neue Produktionstechnik von identitärer Bedeutung zu sein: Nicht nur eine Protest- und Verweigerungshaltung wird eingenommen, nein, man produziert eine bessere Kaffeequalität, die gemeinsam zu einem höheren Preis absetzt werden kann. Angesichts der sinkenden Kaffeepreise, der Korruption und der Regierungs-Programme erweist sich diese Art der Landwirtschaft für diejenigen als tragbar, die keine künstlichen Düngemittel erhalten und eröffnet ihnen eine wirtschaftliche Alternative zu den neoliberalen Strukturanpassungen.


Neues indigenes Selbstbewußtsein

Der Wandel in der Produktion veränderte sowohl die Eigen- als auch die Fremdperzeption. Mit der biologischen Landwirtschaft kommt ein neues Instrument der Differenzierung ins Spiel. Dies auch gegenüber den ebenfalls indigenen Nachbarn "an der Seite der Regierung", die nicht denselben "indigenen Kampf" vertreten und die laut den Mitgliedern von Mut Vitz nicht unter großen Schwierigkeiten begonnen hatten, auf biologische Produktion umzusteigen.
Die legale Struktur der Kaffeekooperative ist für die Unterstützungsbasen der EZLN ein Netzwerk der regionalen Solidarität, das inzwischen, obwohl es in erster Linie für den Export ihrer Produkte entwickelt wurde, eine große Bedeutung für die Kohäsion der Familien und die Konsolidierung der indigenen Autonomie erreichte.

Die Erfahrungen der autonomen Organisierung im Landkampf und insbesondere die Experimente der Unión de Uniones waren wichtige Voraussetzungen für die Bereitschaft, ein Projekt der Kommerzialisierung dieser Größenordnung anzugehen. In den Sitzungen auf Gemeinde- und Kooperativenebene wird eine neue Kollektividentität geformt, eine regionale zapatistische Identität.
Daß diese Identität auch ihre Brüche hat, wird am Beispiel der "Status-Inkonsistenz" der "cargos zapatistas" klar: Eine Überlastung von einzelnen Personen sowie eine geringe Wertschätzung der sehr aufwendigen "cargos" führen zur "cargo"-Flucht oder zur ökonomischen Ausnutzung der Ämter.
Doch allen Unkenrufen ihrer Neider zum Trotz: Der Zusammenhalt der Mitglieder der Kooperative zeigt sich alltäglich und in vielen Facetten. Sie verteidigen sich nicht nur gemeinsam gegen die Privatisierung des Gemeindelandes und widersetzen sich den Kontrollen der Bundesarmee, sie sind auch in biologischen Anbautechniken ausgebildet und schaffen es, ihren Kaffee direkt nach Europa und in die USA zu exportieren.


Die Kooperative und der
zapatistische "Rat der guten Regierung"


Die junge Kooperative Mut Vitz ist sehr stolz auf das bisher Erreichte, beispielsweise den erfolgreichen Bio-Anbau und den Ausbau des Absatzes über solidarische Netzwerke. Dabei funktioniert Mut Vitz seit vier Jahren ohne technische Berater von außen: "Wir gehen alleine", wie sie voller Stolz sagen.
Ganz alleine können die jungen Vorstandsmitglieder jedoch nicht entscheiden, begann doch, als Mängel in der Geschäftsführung der Kooperative bekannt wurden, die politische Führung der Zapatistas die Autonomie der Kooperative zu beschneiden. Neu müssen alle Geschäftstätigkeiten der seit einem Jahr bestehenden regionalen zapatistischen Verwaltung rapportiert werden. Diese stärkere Anbindung an die Ziele der gesamten Bewegung wurde von der Kooperative akzeptiert. Doch ein gewisses Unbehagen gegenüber der neuen Kontrollinstanz ist geblieben.

Die "Junta de Buen Gobierno", der regionale zapatistische "Rat der guten Regierung" (bestehend aus je zwei Vertretern der Bezirke) spricht ganz offen von einer autonomen Verwaltung ihres Territoriums. Alle anderen Kräfte in den Gemeinden sind dazu eingeladen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Dieses neue Selbstbewußtsein der Indigenen fordert die staatlichen Institutionen heraus. Unter dem chiapanekischen Gouverneur Pablo Salazar werden die zapatistischen Strukturen toleriert. Auch der rechtspopulistische Präsident Mexikos, Vicente Fox, scheint sich nicht weiter um die Widerständigen kümmern zu wollen und will das politisch ungelöste Problem des Zapatistenaufstandes wohl aussitzen.
Denn eine verfassungsrechtliche Legalisierung dieser indigenen "de facto"-Autonomie ist kaum im Interesse der Regierung, welche nach neoliberaler Logik an einer Entwicklung der Region festhält, in der eigenständige und somit widerständige Lokalkulturen keinen Platz haben. Damit laufen die zapatistischen Strukturen bei jedem Wechsel der politischen Großwetterlage Gefahr, erneut das Ziel von Repression zu werden.

Meine Feldforschung legt den Schluß nahe, daß die Kooperative das zentrale Bezugskollektiv für die Identität der daran teilnehmenden Bauernfamilien ist. Ihr Bauernsein, ihre politische Rebellion, ihre Organisierung orientiert sich heute primär an der Zugehörigkeit zur Kooperative.
Das regional organisierte Referenzkollektiv Mut Vitz scheint mir auch deshalb von großer Bedeutung, weil damit die "traditionelle indianische Gemeinde" - welche Generationen von Ethnologen als Lebenshorizont der Maya-Indianer ansahen - in den Hintergrund rückt und damit eine regionale Identitätsstrategie wichtig wird.
Die neuen, regionalen Verwaltungsstrukturen der zapatistischen Autonomie sind das Resultat der Organisierungsprozesse, die ich in der Zeit meiner Feldforschung analysieren konnte. Dabei ist die Schaffung einer ökonomischen Basis für die Autonomiebewegung von vitalem Interesse.
Der Historiker Andrés Aubry erklärte, die Zapatistas bauten "inmitten des Krieges den Frieden auf. Ökologische Landwirtschaft, Schulbildung und ärztliche Versorgung, daß ist kein Krieg. Und das gilt auch für die Vermarktung ihrer Produkte".
Der Kreisläufe der Unterwürfigkeit, der Hilflosigkeit und der Landflucht können durch die Eigeninitiative und mit Hilfe der Nischen des Fairen Handels durchbrochen werden. So gelangt der Kaffee dieser Bauernfamilien ganz ohne Zwischenhandel und zu einem fairen Preis für die Produzenten [nicht nur] in die Schweiz, wo er unter dem Namen "Café RebelDía" unter dem Slogan "Für deinen täglichen Aufstand" Furore macht.


Philipp Gerber


Bibliographie:

Giménez, Gilberto: 1994. Comunidades primordiales y modernización en México; in: Giménez, Gilberto u. Ricardo Pozas: Modernización e identidaes sociales; México ,UNAM-IIS

Le Bot, Yvon: Subcomandante Marcos. 1997. El sueño zapatista; Mexiko, Plaza y Janés

Toledo Tello, Sonja: Fincas, poder y cultura en Simojovel, Chiapas; 2002; San Cristóbal, UNAM-PROIMMSE