Zwei Jahre nach der gewaltsamen Niederschlagung des Protests
Oaxaca: "No pasa nada - es geschieht nichts"?!


Der auch im Rückblick unglaublich intensive Mobilisierungszyklus von 2006 ist heute noch in aller Munde: Der neu gewählte Generalsekretär der LehrerInnenewerkschaft spricht an der Schlusskundgebung einer Megamarcha vom "Volk der Barrikaden", das trotz der Repression seine Würde behalten habe. NGO-Chefs frotzeln beim Feierabendbier darüber, ob die APPO tatsächlich noch lebe oder doch eher nur noch ein Zombie sei. Beamtinnen und Professoren rätseln über die nächsten Mobilisierung der LehrerInnen und schimpfen sie einen korrupten Haufen. Geschäftsinhaber und Taxifahrer fluchen über die ökonomische Krise, an der natürlich die APPO Schuld hat.

Die Mobilisierung von 2006 mit ihrer Aktionsvielfalt, mit Dialog und Barrikaden, mit den Besetzungen und der Beschlagnahmung von Staatseigentum, mit den gewonnenen Auseinandersetzungen mit der Polizei am 14. Juni und am 2. November, mit den Bewegungsradios, dem Volksfernsehen und den Fiestas hat die Gesellschaft Oaxacas geprägt und polarisiert. Aber der Mobilisierungszyklus hat auch unglaublich an Kraft gekostet. Dies zeigte sich nach der Niederlage vom 25. November 2006, als nach verlorener Strassenschlacht 143 Leute verhaftet, gefoltert und in ein Hochsicherheitsgefängnis im Norden des Landes deportiert wurden. Die sichtbaren Köpfe der APPO gingen entweder ins Exil oder landeten im Gefängnis. Seit zwei Jahren versucht die Bewegung, sich von dieser Repression zu erholen und die internen Streitigkeiten beiseite zu legen, um wieder an Aktionsfähigkeit zu gewinnen. Dies gelingt nur stückweise und ist immer wieder von Rückschlägen geprägt.


LehrerInnen mit neuem Schwung

Während die APPO momentan mehr in den Köpfen und Herzen der Leute existiert als in Form einer realen Arbeits- und Aktionseinheit, hat es die LehrerInnengewerkschaft, die Sektion 22, mit ihrem Streik vom Frühsommer 2008 geschafft, der korrupten Gewerkschaftszentrale die Erfüllung ihrer zentralen Forderung abzuringen: Die Einberufung eines Kongresses zur Benennung einer neuen Gewerkschaftsführung. Dies wurde nötig, weil der Gewerkschaftssekretär Rueda Pacheco, welcher 2006 die Sektion 22 dirigierte und einen in vielen Augen getürkten vorzeitigen Streikabbruch Ende Oktober 2006 erzwang, seit Januar 2007 verschwunden ist. Seither führte eine intern nicht über alle Zweifel erhabene Interimskommission die Einheitsgewerkschaft der 70'000 BildungsarbeiterInnen an, was die Gewerkschaft erheblich schwächte.

Ende September 2008 wählten die über tausend Delegierten eine neue Gewerkschaftsspitze. Erstaunlicherweise gewann die Wahl zum Generalsekretär nicht ein Repräsentant einer politischen Gruppierung innerhalb der Gewerkschaft, sondern ein unabhängiges Basismitglied. Die mächtige UTE (Unión de Trabajadores de Educación), die den Arm der leninistisch-stalinistischen FPR (Frente Popular Revolucionario) innerhalb der Gewerkschaft repräsentiert, unterlag im letzten Wahlgang klar dem Landschullehrer (Telesecundaria) Azael Santiago Chepi, ein Indigener aus der Region Mixe. Erstmals gewann ein gruppierungsunabhängiger Lehrer die Wahl in das höchste Amt, erstmals ein Indigener, der mit seinem klaren, von den indigenen Werten geprägten Diskurs überzeugte. Diese Wahl ist wohl auch ein Resultat der Rebellion von 2006.

Nach der Neubestückung aller Posten innerhalb der Administration der Gewerkschaft und einer Einarbeitungsphase beginnt sich nun abzuzeichnen, wohin der Zug fährt: Die Sektion 22 mobilisiert national mit gegen die neoliberale Reform ACE. Sie brach die Verhandlungen mit der Regierung ab und stellt Ulises Ruiz ein Ultimatum bis Mitte Dezember zur Erfüllung ihrer Forderungen: Die Freilassung der drei politischen Gefangenen der Bewegung, die Löschung aller Haftbefehle und die Übergabe der 80 Schulen (von insgesamt 14'000), welche sich in der Hand der Sektion 59 befinden, einer Art Streikbrechergewerkschaft, welche die korrupte Führung der nationalen Lehrergewerkschaft 2006 aus PRI-LehrerInnen rekrutierte, um die Sektion 22 zu schwächen.

Sollten die Forderungen nicht erfüllt werden, wollen die LehrerInnen spätestens im Februar in einen unbefristeten Streik treten. Und die Sektion 22 setzt weiter auf die APPO, versteht sich als deren organisatorisches Rückgrad. Tatsächlich ist die Gewerkschaft bei aller Kritik die einzige politische Kraft mit der Legitimität, alle zerstrittenen APPO-Sektionen zu mobilisieren. So ruft sie zum zweiten bundesstaatlichen Kongress der APPO auf, den zu organisieren im November nicht gelang und der nun von der Gewerkschaft auf den nächsten Februar angesetzt wurde.


Die APPO ist tot .

Dass die APPO heute dahinvegetiert und kaum mehr Artikulationsfähigkeit besitzt, das ist nicht nur der Repression zu verdanken, sondern durchaus auch der eigenen Unfähigkeit der Bewegung, aus der Anti-Repressions-Arbeit herauszukommen und wieder in die Offensive zu gehen. Aber nach dem Scheitern der vereinenden Hauptforderung "Weg mit dem Mörder Ulises Ruiz" und dem darin aufblitzenden anti-systemischen Ansatz war die Enttäuschung gross. Die Fraktionen der traditionell zersplitterten politischen Organisationen Oaxacas konzentrierten sich wieder auf ihre Intimfeinde - und auf die Kapitalisierung der Bewegung auf die eigenen Mühlen. Da ist beispielsweise die COMO, die Coordinadora de las Mujeres de Oaxaca, welche am 1. August 2006 den staatlichen Fernsehsender Canal 9 besetzte und auf Sendung ging (die männlichen Anführer der APPO beklagten sich bitter, dass ihnen die Kontrolle über die Frauen entglitten sei!). Inzwischen ging die COMO in den Streitigkeiten um die Hegemonie innerhalb der Organisation (in welchem die poder-popular-Frauen der CODEP eine unrühmliche Rolle spielten) unter.

Die Männer ihrerseits stritten sich um den Führungsanspruch innerhalb der APPO und um die Frage, wer APPO ist und wer nicht, was sich insbesondere an der Frage der Beteiligung an der formalen Demokratie zeigt. Während sich Zenen Bravo von der FPR gar ins Lokalparlament wählen liess, scharwenzeln andere "animales políticos", wie der erst dieses Jahr aus dem Knast entlassene Flavio Sosa, zwischen Parteilogik und APPO hin und her. Fazit: Wie vor dem politischen Erdbeben von 2006 haben die meisten Organisationen die kostspielige Fundamentalopposition aufgegeben und verhandeln mit den Machthabern über ihre Quoten an ökonomischer und politischer Partizipation, über Posten und Reformen, über Ressourcen und Taxilizenzen und lassen sich dementsprechend wieder in den politischen Alltag einbinden. Zurück zur "alten Art, Politik zu machen", in zapatistischen Worten.

Und dann gibt es noch die ganz Radikalen, die sich um VOCAL (Voces Oaxaqueñas construyendo Autonomía y Libertad) organisiert haben, einem Kollektiv von Jugendlichen, das vom charismatischen ehemaligen politischen Gefangenen David Venegas angeführt wird. VOCAL hat sich nie als Teil der APPO verstanden, sondern als Kollektiv der nicht eingebundenen Jungs und Mädels von den Barrikaden. Problematisch ist, dass sie in ihrem glühenden Antiautoritarismus (mit Anführer) oft das Kind mit dem Bade ausschütten. So wurden auf den Demorouten nicht nur Institutionen von Staat und Kapital angegriffen (was die Sicherheitskräfte der Lehrergewerkschaft hilflos zu verhindern suchten). Die letzten APPO-Manifestationen wurden meist auch durch Schlägereien überschattet, welche die Leute um VOCAL provozierten. Insbesondere die FPR ist das Ziel der unzimperlichen Angriffe, auch deren Genosse Germán Mendoza Nube wurde verprügelt, der im Rollstuhl sitzt, seit ihn das Militär wegen angeblicher oder tatsächlicher Guerillaaktivitäten niedergeschossen hat. Das Gros der Leute, die in keinem der beiden Lager aktiv sind, gehen dann jeweils frustriert aus solchen Kundgebungen nach Hause. Zurück bleiben die gegenseitigen Anschuldigungen von VOCAL und FPR, die jeweils anderen seien agents provocateurs und von der Regierung gekauft. Ein Dialog, ein Suchen von Gemeinsamkeiten im Kampf verbieten die ideologischen Scheuklappen. Ein politischer und buchstäblicher Scherbenhaufen. Die Regierung freut's.


. es lebe die APPO

Dennoch steht im Widerspruch dazu: Die Mobilisierungen gehen weiter, wöchentlich gibt es Demos mit ein paar dutzend bis ein paar tausend TeilnehmerInnen zu diversen Anliegen, beispielsweise gegen die selektive Repression gegen Bewegungsmitglieder (wie Morddrohungen, Verhaftungen und Verhaftungsversuche, Entführungen, Folter). Und die Megamarcha vom 25. November 2008 in Gedenken an die Repression von 2006 vermochte je nach Schätzung zwischen 100'000 und 150'000 Leute zu mobilisieren, die den 10 km langen Weg von den "colonias" bis in die Altstadt von Oaxaca Stadt zu Fuss zurücklegten. Natürlich dominierten das Bild die LehrerInnen, die übrigens nicht immer ganz freiwillig mitmarschieren - wer den demokratischen Beschlüssen der Vollversammlungen zur Teilnahme an einer Mobilisierung nicht Folge leistet, der oder die bekommt Strafpunkte in Sachen "Gewerkschaftsbeteiligung", was früher oder später eine Busse nach sich zieht, die vom über die Gewerkschaft ausbezahlten Lohn abgezogen wird. Wobei diese für europäische Begriffe streng anmutende Gewerkschaftsdisziplin (zum Glück?) auch ihre Grenzen hat; wenn's zuviel wird, dann stimmen die LehrerInnen dann doch mit den Füssen ab. Aber am Jahrestag der Repression reisten die LehrerInnen in grossen Scharen aus dem ganzen weitläufigen Bundesstaat zur Demo an.

Ausserdem fiel am 25. November auf, dass zehntausende nicht in politischen Gruppen organisierte Leute aus den Vororten mitdemonstrierten. Sie bildeten die Basis der Bewegung im Jahr 2006, sie waren von August bis November Nacht für Nacht auf den Barrikaden und kontrollierten so barrio für barrio in der weitläufigen Stadt. Die Präsenz der Gruppierungen, die sich in der APPO profilierten, wie CODEP, VOCAL, FPR, Cipo-RFM oder COMO war hingegen zahlenmässig gering bis kaum wahrzunehmen. Mit anderen Worten: "El pueblo" wäre nach wie vor da, protestiert weiter und würde für eine radikale Änderung der Verhältnisse wohl auch wieder Kopf und Kragen riskieren. Was fehlt, ist eine gemeinsame organisatorische Plattform, um dieses Potential wieder in politische Aktionsfähigkeit umzusetzen.

Höhepunkt der Marcha war die Rückkehr der Doctora Bertha. Die Ärztin und Aktivistin, welche den Sanitätsdienst für die Barrikaden aufbaute und anschliessend als "Stimme des Widerstands" im besetzten Radio Universidad bekannt und beliebt wurde, musste aufgrund der massiven Drohungen gegen sie und ihre Kinder das Land Hals über Kopf verlassen. Zwei Jahre später kam sie zurück und erklärte in einer ergreifenden Rede, dass sie aus einem einfachen Grund, und zwar aus Angst geflohen sei: "Am 25. November 2006 drang die Angst unter den Türen hindurch in die Häuser, filtrierte durch die Kleider hindurch, war in der Luft, die wir atmeten, im Wasser, das wir tranken, in allem war die Angst". Ein ehrliches Bekenntnis zur Angst von der doch so vorbildhaft mutigen "Doctora Escopeta", welche am 2. November 2006 beim Angriff der Bundespolizei im Radiostudio sitzen blieb und die Bevölkerung erfolgreich dazu aufrief, die Universität militant zu verteidigen, während im Hintergrund die Tränengasgranaten immer lauter zu hören waren. Eine Rede, die allen Anwesenden unter die Haut ging. Und Bertha schloss damit, dass sie nun, obwohl sie keinerlei Garantien habe, zurückkehre, da sie die Angst satt habe, und wieder ihr Recht einnehmen wolle, frei durch die Strassen ihrer Stadt zu gehen.

Das Beispiel der Doctora Bertha steht vielleicht für viele, die sich zurückgezogen haben, aber langsam wieder auftauchen. So zogen sich viele aktiven Frauen aus der COMO zurück und gründeten ein neues Kollektiv, "Mujer Nueva", mit dem sie Basisaktivitäten wie beispielsweise einen monatlichen Markt in den Colonias organisieren. Viele dieser kleineren Initiativen, wie beispielsweise die Graffitisprayerkollektive, werden kaum wahrgenommen, sind aber Zeichen der Kontinuität oder des Wiedererstarkens. Auch in den Gemeinden auf dem Lande hat die APPO ihre Samen gestreut, so schiessen dieses Jahr die Comunity-Radios wie Pilze aus dem Boden. Teilweise wurden diese Piratenradios auf Druck der indigenen Organisationen durch das staatliche Indígena-Institut finanziert, gleichzeitig haben sie aber keine Lizenz und sind jederzeit von Räumung bedroht - eine für Oaxaca typischer Widerspruch.


Suche nach Gerechtigkeit

Ein weiterer wichtiger Strang in der Arbeit der Bewegung ist der Kampf gegen die Straflosigkeit. So haben 29 ehemalige politische Gefangene eine Sammelklage gegen die politischen Verantwortlichen der Repression und Folter vom 25. November eingereicht. Ein mutiger Schritt gegen aktuelle Machthaber, der vom "Komitee 25. November" juristisch und mit einer politischen Kampagne begleitet wird, die Unterstützung aus 17 Ländern fand. Der Klage voraus ging eine monatelange Arbeit in der medizinischen, psychologischen und juristischen Dokumentation der Folter, beispielsweise sexueller Gewalt oder der Drohung, aus dem Helikopter geworfen zu werden, und der weiteren Delikte. Sowie der Beginn einer Betreuung der Folteropfer, die nach beinahe zwei Jahren erstmals Röntgenbilder und andere medizinische Abklärungen der Folterspuren tätigen konnten. Die Einschränkungen und Folgen der Folter gehen von Depressionen und Arbeitslosigkeit bis hin zu Drogenabhängigkeit und Zerrüttung von Familien.

Besonders hart haben die Frauen unter den Folgen der Folter zu leiden. Einigen Männern verschaffte der Gefängnisaufenthalt gar Renommé und einen Aufstieg im Beruf; die Frauen hingegen werden gemieden, von den eigenen Familienmitgliedern angeklagt, der Vorwurf: "Was hatte sie denn auf der Mobilisierung zu suchen, sie gehört doch ins Haus", liegt in der Luft. Die mutige Befreiung und Beteiligung der Frauen 2006, des "radikalsten Teils der APPO", wie Flavio Sosa in einem Interview im Gefängnis anerkennend sagte, kostet heute einige ehemalige Gefangene einen hohen Preis.


Ulises Ruiz: moralisch delegitimiert, aber politisch fest im Sattel

"Y cuando desperté, el dinosaurio seguía allí." (Augusto Monteroso, La Oreja Negra) "Und als ich aufwachte, war der Dinosaurier immer noch da". In diesem Einzeilen-Gedicht hat Augusto Monteroso die 70-jährige Einparteienherrschaft der PRI auf den Punkt gebracht. Während auf nationaler Ebene ein anderer Teil der Oligarchie das Land mehr schlecht als recht zu regieren versucht, ist in Oaxaca der Dinosaurier PRI immer noch omnipräsent und seit den Zwanziger Jahren ununterbrochen an den Töpfen der Macht. Und das Szenario der nahen Zukunft verheisst nichts gutes: 2009 finden auf föderaler Ebene Parlamentswahlen statt. Dafür wird Ulises Ruiz wieder alle Ressourcen mobilisieren bzw. zweckentfremden, denn die PRI will auch auf nationaler Ebene wieder zur dominanten Partei werden, und die Chancen stehen nicht schlecht.

Die konservative PAN ist durch das Debakel der Regierung Calderón geschwächt, die sozialdemokratische PRD ist intern tief gespalten zwischen dem Flügel der mit dem PAN und dem PRI kooperierenden "Chuchos", welche die Parteipräsidentschaft per zweifelhaftem Wahlgerichtsentscheid errungen haben, und dem Flügel um Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, der sich als Gewissen der Linken verkauft, aber dessen Basis der eigenen Partei immer weniger über den Weg traut. Tausende treten in den letzten Tagen aus der PRD aus, viele laufen zur "neuen Hoffnung" Convergencia über, eine relativ neuen Partei mit nicht wirklich klarem Profil, aber momentan links von der PRD. Das Resultat dieser Zersplitterung der Kräfte hat sich im Oktober auf lokaler Ebene im Bundesstaat Guerrero gezeigt: Vereint hätten "die Linken" Städte und Parlament dominiert, vereinzelt aber konnte die PRI alles ungestört abräumen.

In Oaxaca positionieren sich auch schon die potentiellen Nachfolger für Ulises Ruiz, also für die Gouverneurswahlen von 2010. Hoch im Kurs steht der PRI-Hardliner Jorge Franco alias "El Chuky", früherer Schlägertruppführer an der Universität, der als Innenminister Oaxacas 2006 die Repression organisierte und u.a. bei den Unternehmern der Stadt das Geld eintrieb, um die paramilitärische "Brigada Blanca" zu bezahlen: Gedungene Mörder aus den Reihen der Mafias, welche die Barrikaden der APPO angriffen. Mit Ruiz, El Chuky und ihrer Art, Politik zu machen, wächst auch der direkte Einfluss der Strukturen der organisierten Kriminalität innerhalb des Staatsapparates, sofern sie nicht schon immer Teil der Politik waren. Ob allerdings bis 2010 nicht noch doch neue Konflikte in der Grösse von 2006 ausbrechen, ist offen. 47 der 100 ärmsten Bezirke Mexikos befinden sich in Oaxaca; in den Studien zur Leistungsfähigkeit der lokalen Verwaltung belegt Oaxaca regelmässig den letzten Platz. Zement soll den sozialen Antagonismus zuschütten: sündhaft teure Altstadtrenovationen, Strassenbau allerorten von der Asphaltierung der marginalisierten Gemeinden bis hin zu Schnellstrassen, Dutzende von Landspitälern werden schnell hochgezogen, grösstenteils wohl sogenannte "weisse Elefanten" ohne medizinisches Personal, die als Monumente der Regierung Ruiz stehen bleiben werden.

"En Oaxaca no pasa nada", also alles ruhig, das ist der symbolträchtige Ausspruch von Ulises Ruiz, der damit die soziale Unruhe ungesehen machen möchte. Die Meldungen aus dem ganzen Bundesstaat sprechen eine andere Sprache: 60 Municipios, also 12% der Bezirke Oaxacas haben so starke interne Konflikte, dass eine Konfliktpartei formell die Absetzung des jeweiligen Gemeindepräsidenten beantragt hat. Die Antwort der Regierung Ruiz ist immer dieselbe: "Niet". So schwelen politische Auseinandersetzungen und Landkonflikte weiter ohne Lösung vor sich hin. Wobei Waffen gerade in indigenen Regionen oft in grosser Zahl vorhanden sind. So ist momentan in der Region Mixteca der Gemeinde namens Santo Domingo Ixcatlán seit mehreren Tagen in den Händen einer schwer bewaffneten, uniformierten Bande, welche ultimativ die Freilassung ihres im Knast schmorenden Gemeindepräsidenten Freddy Eucario Morales Arias verlangt und mit der Ermordung von Gemeindemitgliedern droht. Dieser Gemeindepräsident von der PRI sitzt im Gefängnis, weil er am 30. April 2008 von seiner Gemeindepolizei drei nicht genehme Gemeindemitglieder auf sadistische Weise ermorden liess (einer wurde bei lebendigem Leib verbrannt, einer gehäutet und das dritte Opfer erschossen). Letzter Stand der Dinge bei Redaktionsschluss: Die paramilitärische Gruppe kontrolliert mit ihrem Helikopter die Zone, die Polizei wurde vertrieben und hat sich auch aus dem Umfeld zurückgezogen . ¿En Oaxaca no pasa nada?

Seit dem 17. Oktober 2008 sitzt Juan Manuel Martínez Moreno in Haft. Juan Manuel, APPO-Aktivist aus dem Vorort St. Lucia del Camino, soll bei den Auseinandersetzungen am 26. Oktober 2006 den US-amerikanischen indymedia-Aktivisten Brad Will umgebracht haben. Eine absurde, völlig konstruierte Anklage, die die gut dokumentierte Wahrheit mit den Videos und Bildern der Täter (schiessende PRI-Funktionäre) auf den Kopf stellt. Der Hintergrund dazu ist, dass die US-Regierung von Mexiko die "Lösung" des Falls Brad Will forderte, und zwar innerhalb von 120 Tagen, sonst werden die Hunderten von Millionen Dollars für die "Bekämpfung" der Drogenmafias im Rahmen der "Initiative Merida" nicht ausbezahlt. 88 Tage nach dieser Forderung verhaftete die Polizei Oaxacas Juan Manuel und schrieb neun weitere Aktivisten zur Verhaftung aus, welche zur "Verdunkelung" des Verbrechens beigetragen hätten. Dies, nachdem zwei Jahre lang in Sachen Aufarbeitung des Verbrechens (und der anderen über 20 Morde) genau nichts geschah. Anfang Dezember wurden dann die ersten 197 Mio. US-Dollar an US-Unterstützung losgeeist. Es scheint, dass diese absurde Anklage in den Augen der US-Behörden einer "rigurosen, glaubhaften und transparenten Untersuchung" enspricht, wie dies der Anex H.R. 2642 der Initiative Merida fordert. Das "Komitee 25.November" verteidigt Juan Manuel und ruft zu internationaler Unterstützung auf, genauere Infos siehe: http://comite25denoviembre.org

Wie im letzten Correos berichtet, wird die neoliberale Reform ACE (Alianca por la Calidad de la Educación) von der Basis der Gewerkschaft massiv bekämpft. In Morelos erreichte die LehrerInnengewerkschaft nach drei Monaten ein Gesprächsangebot des PAN-Gouverneurs, worauf der Streik vorerst ausgesetzt wurde, bisher aber verweigert die Regierung weiter jedes Gespräch, weitere Kampfmassnahmen werden diskutiert. In Guerrreo sagte der PRD-Gouverneur nach fast 90 Streiktagen die Sistierung der ACE zu, um Alternativen zu diskutieren, worauf der Streik abgebrochen wurde. Zehn Tage später verriet er sein Versprechen und provoziert nun neue Mobilisierungen. In Oaxaca wurde die ACE vom Gouverneur Ulises Ruiz gar nicht erst unterzeichnet, aus Angst vor Protesten.

Eine Zeitbombe tickt weiterhin im Konflikt um die "Normales", die Ausbildungsstätten für LandschullehrerInnen. Die Regierung Calderón hat angekündigt, dass diese Brutstätten der Rebellion (aus der auch verschiedene Guerilleros wie Lucio Cabañas hervorgingen) aufgelöst werden sollen. Die jungen Normalistas wehren sich massiv dagegen. Immer wieder kommt es zu militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei, so am 28. November in einer "Escuela Normal" im Bundesstaat Michoacán, wobei 20 Personen verletzt und 138 verhaftet wurden. Die Verhafteten wurden dann im Austausch gegen einen entführten Polizisten freigelassen. Ausserdem wurde ein Bus mit UnterstützerInnen aus Oaxaca gerazzt und alle Insassen verprügelt. In verschiedenen Bundesstaaten kam es daraufhin zu Solidaritätskundgebungen.