Volksaufstand in Oaxaca
Attacke der PFP


Während ich dies schreibe, findet in Oaxaca der lang erwartete Angriff der Bundespolizei (PFP) unter Befehl des mexikanischen Militärs statt. Ich selber befinde mich in einem Vorort, der vom Volk mit Barrikaden hermetisch abgeriegelt wurde. Hier sind die Menschen auf der Strasse, wütend, in Angst, aber entschlossen, ihr Bestes gegen die Angriffe zu tun.

Die Repressivkräfte haben die Stadt während der letzten zwei Tage umstellt. Das Volk hat sich heute Sonntag schon früh am Morgen zu mobilisieren begonnen. An allen wichtigen Punkten haben sich mehrere tausend Leute versammelt. Die Parole ist, die Stadt entschlossen, aber pazifistisch und unbewaffnet zu verteidigen. Das heisst, sich massenhaft vor die Polizei zu stellen, im Notfall einen Menschenteppich zu formen, mit Lastwagen den Weg zu versperren, überall Barrikaden zu errichten.

Über Radio Universidad wird der pazifistische Widerstand koordiniert. Die Söldner von Ulises haben sich teilweise in die Demonstrationen gemischt und versuchen überall, den Einsatz der PFP zu provozieren. Die Polizei hat mindestens 20 Wasserwerfer aufgefahren, mindestens ebenso viele Schaufelbagger und mehrere tausend schwerbewaffnete Polizisten, die von etwa 2.000 Soldaten unterstützt werden. Das Militär stellte zudem mehrere Puma-Militärhelikopter zur Verfügung die ständig über die Stadt kreisen, unterstützt von kleineren Helikoptern der Polizei.

Im Westen der Stadt, bei der Hauptstrasse in Richtung Mexiko-City, versammelten sich am Morgen mehrere Tausend Polizisten, mit einigen Wasserwerfern, Abschleppfahrzeugen (um die umgeworfenen Lastwagen, die als Barrikaden dienen, abzuschleppen), und Schaufelbaggern. In kurzer Zeit mobilisierten sich tausende Menschen und stellten sich vor die Polizei.
Um ca. 14 Uhr griff die Polizei an und versuchte mit den Wasserwerfern, die Leute zu vertreiben. Zuerst konnte sich die Polizei einige Meter vorwärtsbewegen, wurde dann aber durch die Menschen, die sich auf die Strasse legten, und vor allem durch die umgeworfenen 40 Tonnenlastwagen gestoppt und musste sich zurückziehen, um über eine Umfahrungsstrasse in Richtung Stadtzentrum vorzurücken. Im Moment wird versucht, der Polizei diesen Weg zu versperren.

Gleichzeitig formierte sich am anderen Ende der Stadt eine Demonstration und bewegt sich im Moment in Richtung Radio Universidad, das ständig von Helikoptern überflogen wird. Diese Helikopter fliegen sehr tief, und es sind Scharfschützen mit an Bord. Der Rektor der autonomen Universität, Professor Neri, hat sich an einer Pressekonferenz solidarisch mit den Studenten erklärt und forderte die Regierung Fox und Ulises auf, eine militärische Besetzung zu unterlassen und den autonomen Status der Uni zu respektieren.

Einige Einheiten der PFP konnten sich über Schleichwege an den Rand des Stadtzentrums verschieben und haben begonnen, den Zócalo anzugreifen. Im Moment wird versucht, diese Kräfte einzukreisen und zu verhindern, dass der Zócalo militärisch besetzt wird. Es gibt die ersten Verletzten, die von der PFP niedergeprügelt wurden, und mindestens vier Verhaftete.

Die Situation ist dramatisch, das Volk versucht, seine Stadt zu verteidigen, ohne Waffen gegen eine schwerbewaffnete, militärisch gut ausgebildete Macht, die aus allen Richtungen angreift. Die Chance, dass der Volkswiderstand diese Macht aufhalten kann, ist sehr gering.

Dennoch mobilisieren sich in allen Quartieren Menschen um zu versuchen, den vorrückenden Polizeikräften etwas entgegenzusetzen. In Mexiko-City demonstrieren im Moment unzählige Menschen (wahrscheinlich mehrere hunderttausend), um sich mit dem Widerstand zu solidarisieren. Im Moment befindet sich diese Demonstration vor einem Luxushotel, von wo aus der Gouverneur von Oaxaca Ulises Ruiz Ortiz den Polizeieinsatz in aller Sicherheit verfolgt. In Puebla haben sich ebenfalls Demonstrationen formiert und an verschiedenen Orten auf dem Land in Oaxaca wurden Hauptverkehrsrouten mit Barrikaden versperrt. Das ist der Kurzüberblick der Ereignisse, die bis um 15:30 (22:30 Uhr MEZ) geschehen sind.


Nachtrag am Abend:

Die Demokratie in Mexiko hat nie existiert, jetzt ist auch die demokratische Fassade, die Präsidenten Fox der internationalen Öffentlichkeit sechs Jahre lang vorgaukelte, definitiv zusammengebrochen. Seine Repressivkräfte sind daran, das unbewaffnete Volk von Oaxaca nieder zu prügeln, niederzuschießen und mit Tränengas auszuräuchern.

Der Zócalo im Stadtzentrum wurde mit Tränengas angegriffen und die Barrikaden wurden teilweise mit Schaufelbaggern weggeräumt. An allen wichtigen Orten des Volkswiderstandes greift die Polizei mit massiver Gewalt an. Von Helikoptern aus werden unzählige Tränengaspetarden auf die Massenmobilisierungen geworfen. Es gibt viele Verletzte. Wie schon die Tage zuvor weigern sich einige Spitäler, allen voran das Rote-Kreuz-Spital, die Verletzten aufzunehmen und zu behandeln. Krankenwagen liefern die Verletzten teilweise der Polizei aus, statt diese in die Spitäler zu fahren.

In diesen Momenten ist Radio Universidad angegriffen und abgeschaltet worden. Damit verliert die Bewegung ein sehr wichtiges Koordinations- und Kommunikationsmittel und der Desinformation der Medien wird damit wider Tür und Tor geöffnet. Jetzt ist es wichtig sich über Internet zu informieren.
Die PFP hat angefangen, gezielt und massiv Hausdurchsuchungen zu machen und Leute zu verhaften. Diese werden mit Helikoptern verschleppt. Das Volk versucht nach wie vor gegen die Polizei Widerstand zu leisten. Internationaler Druck auf allen Ebenen ist dringend notwendig!


Nachtrag vom 30. Oktober:

Während dem gewaltsamen Räumungsversuch der PFP von gestern starben laut der Presse-Erklärung der APPO von heute 11h mindestens 4 Personen.

Der mexikanische Präsident gab sich an einer Pressekonferenz zufrieden mit dem Resultat: Die Stadt sei seit fünf Monaten endlich wieder für die Öffentlichkeit zugänglich und es hätte weder Verletzte noch Tote gegeben. Sein Regierungssprecher doppelte mit dem gleichen Inhalt nach. Die Zahl der Verhafteten wir von der Regierung mit 27 angegeben, während es in Wirklichkeit zwischen 50 und 100 sind.

Viele Augenzeugen haben bestätigt, dass ca. 40 Männer und Frauen der APPO auf dem "Parque de Amor" in Helikopter verladen und weggeflogen wurden. Von vielen weiß bisher niemand, wo sie sich aufhalten. Dabei sind die Leute nicht eingerechnet, die heute um ca. 10 Uhr in Nochixtlan, in fünf Bussen von Tlaxiaco (Mixteca) kommend, von der PFP verhaftet und abgeführt wurden. Mindestens 30 Personen gelten als Verschwundene.

Die nationalen Fernsehketten vermitteln alle Regierungserklärungen unhinterfragt. Allen voran Tele Azteca, die in schon fast unverschämter Art und Weise Lügen und die Realität vertuschen. Vor wenigen Minuten schaltete diese Fernsehkette einen sog. Livebericht vom Stadtzentrum, um zu zeigen, dass Ruhe im Zentrum herrscht. Der Livebericht wurde aber vor ca. drei Stunden aufgezeichnet (als gerade relative Ruhe herrschte) und gerade dann als Livebericht ausgestrahlt, als in Wirklichkeit eine Demonstration mit mehreren tausend Leute im Stadtzentrum ankam und versuchte zum Zócalo vorzudringen. Dabei entwickelte sich eine Konfrontation mit der PFP, und es wurden Barrikaden angezündet.

Sowohl die Fernsehketten wie die Regierung versuchen ein Bild zu transportieren, welches suggeriert, dass Ruhe herrscht und die Operation ein Erfolg war.
Eigener Augenschein: In einem mehrstündigen Rundgang durch Innenstadt und Aussenquartiere habe ich mir heute ein Bild der Situation verschafft, und ich muss sagen, ich habe so etwas noch nie gesehen. Die Realität ist, dass alles andere als Ruhe herrscht und es ist offensichtlich, dass die PFP weit davon entfernt ist, die Stadt zu kontrollieren. Der Zócalo ist von der PFP abgeriegelt und die Zugänge mit Wasserwerfern versperrt. Die Strassen im Stadtzentrum sind von unzähligen umgekippten Bussen versperrt, die Barrikaden sind nach wie vor nicht weggeräumt. Nicht anders ist die Situation am Stadtrand. Die wichtige Strasse zum Flughafen ist von mehreren Barrikaden, jede bestehend aus mindestens vier umgekippten Bussen oder Lastwagen, abgeriegelt. Die wichtige Zufahrt aus Mexiko ist ebenfalls nach wie vor mit großen Barrikaden versehen. Der öffentliche Verkehr im Zentrum ist außer Betrieb und in der Peripherie extrem eingeschränkt.

Radio Universidad, das wichtigste Koordinationsmittel der Bewegung, ist großräumig verbarrikadiert. Und das Allerwichtigste: An allen Ecken und Enden sammeln sich kleine Gruppen und greifen da und dort die PFP an. Zudem hat es drei Demos, mit einigen tausend Leuten gegeben, die bis ins Stadtzentrum gelangten. Gerade in diesen Momenten brennen im Zentrum wieder Barrikaden, und die PFP sieht sich mit Widerstand konfrontiert. Mit anderen Worten: Alles andere als Ruhe, Frieden und Kontrolle.

Vieles deutet darauf hin, dass der Einsatz der PFP in Oaxaca ein großer Fehler der Regierung Fox war und einen Flächenbrand verursachen könnte.

Die internationale Solidarität hat sich ausgeweitet: In Brasilien, Caracas Venezuela, Barcelona, Los Angeles, in Kanada, in der Schweiz und in Italien kam es zu Demonstrationen und Kundgebungen. In Italien wurden die Botschaft in Roma und auch ein Konsulat in Milano besetzt. In Mexiko selber kam es zu vielen Solidaritätskundgebungen und Aktionen in verschiedenen Bundesstaaten.