31. August 2006

Aktueller Bericht aus Oaxaca


Verhandlungen zwischen Bundesregierung und APPO in Mexiko-Stadt

Unternehmerstreik in Oaxaca

Vorbereitungen für neue Mega-Demo

1. Verhandlungsrunde

Vorgestern fand die erste Verhandlungsrunde zwischen der "Secretaria de Gobernación, dem Innenministerium der Bundesregierung und insgesamt 25 Vertretern der APPO und der Sektion 22 der CNTE (Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación) statt. Über die Verhandlungen gibt es nicht viele Informationen, weil beide Seiten vereinbart haben keine detaillierten Informationen an die Öffentlichkeit zu tragen. Am Donnerstag 30. August wurden die Verhandlungen weitergeführt. Wie vereinbart fand dieses Treffen ohne direkte Kontakte mit den Regierungsvertretern aus Oaxaca statt. Als Verhandlungsmethode wurde von Seiten des Innenministeriums vorgeschlagen, dass sie mit zwei getrennten Verhandlungstischen arbeiten. Einer mit der APPO und in ein zweiter mit der Regierung aus Oaxaca, die sich aus diesem Grund im zweiten Stock des Verhandlungsortes installierte. Es scheint so, als wurde dieser Verhandlungstisch auch von Ulises besucht. Wie zu erwarten war, hat diese erste Rund e keine Ergebnisse gebracht. Von Seiten des Innenministeriums wurden Vorschläge unterbreitet, die aber bisher nicht veröffentlicht sind.

Die APPO und die Leitung der Sektion 22 der CNTE haben diese Vorschläge heute in den Subdelegationen zur Konsultation vorgelegt und wollen mit einer Urabstimmung grünes Licht bekommen, um die Verhandlungen weiterzuführen. Die APPO-Vertreter haben die drei wichtigsten Punkte in die Verhandlung eingebracht. Das sind: Sofortiger Rücktritt von Ulises, Freilassung der politischen Gefangenen und Rückzug der bestehenden Haftbefehle. Der Innenminister Abascal hat bestätigt, dass der Rücktritt von Ulises ein Punkt am Verhandlungstisch sei, hat aber gleichzeitig klargestellt, dass die Regierung Fox keine Regierungsvertreter aus Bundesstaaten absetzen werde.

Das bedeutet, dass das Innenministerium keine Handlungsbefugnis hat und darum besteht ein weiteres Mal die Gefahr, dass sich ein sog. Phantomdialog entwickelt.


Die Mittel- und Oberschicht und die Unternehmer werden aktiv

Während in Mexiko Verhandlungen stattfinden, wächst in Oaxaca der Druck auf Ulises. Immer mehr Menschen der Mittel- und Oberschicht fordern eine sofortige Intervention der Bundesregierung. Eine wachsende Minderheit unter ihnen fordert Ulises auf, sein Amt niederzulegen. Der Streik der Unternehmer und Kleingewerbler war ein Erfolg. Vorgestern war die große Mehrheit der Geschäfte geschlossen, Banken und Supermarktketten miteingeschlossen. Ein Grossteil des öffentlichen Verkehrs stand still. Es ist offensichtlich, dass die Unternehmer unter sich gespalten sind. Öffentliche Erklärungen fordern ein entschiedenes Eingreifen der Föderation und machen klar, dass für sie die APPO das Problem darstellt und nicht Ulises. Andere Sprecher des Unternehmerstreiks wiederum, haben in ihren Medienerklärungen klargemacht, dass sie auf keinen Fall ein weiteres Mal den Einsatz von "Ordnungskräften" wollen. Ihr Minimalkonsens scheint zu sein, dass eine Lösung schnell kommen muss. In den Medien häufen sich Meldungen über die ökonomischen Verluste die Oaxaca wegen dem Streik erlitten hat. Die Unternehmer drohen jetzt die Zahlung der Steuern einzustellen. Analysen die über Radio APPO und Radio Universität verbreitet werden, zweifeln alle diese Zahlen an. Bisher sind rund 1500 Arbeitsplätze verloren gegangen, Arbeitsplätze die mit durchschnittlich monatlich 2000 Pesos (ca. SFr 9/ Tag) sehr schlecht bezahlt wurden, und deren Verlust wirklich niemand beweint.

Nimmt Mann und Frau die Arbeitslosenziffern als Basis, muss der Verlust von 1500 Arbeitsplätzen in Bruchteilen von Promillen angegeben werden. Der Steuerboykott ist ebenfalls lächerlich, weil hier alle wissen, dass dies über legalisierte Steuerhinterziehung faktisch schon immer der Fall war. Es gibt Klagen über Investitionen, die eingefroren wurden. Radio Universidad hat einige dieser Fälle angeschaut und herausgefunden, dass es sich vor allem um Fünfsternhotels an der Pazifikküste handelt, Investitionen also, die für die lokale Ökonomie mittelfristig kein Geld abwerfen und nur instabile, schlecht bezahlte Arbeitsplätze schaffen.

Radio Universidad und Radio APPO bezweifeln wahrscheinlich zu Recht, dass die Blockaden die Ökonomie stark geschädigt haben, weil das Ausbleiben von TouristInneen kein Indikator dafür ist, der etwas über die ökonomischen Verhältnisse der Unterschichten aussagt. Was Oaxaca braucht sind Investitionen, die der Mehrheit zugute kommen, die solide und gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und Gelder abwerfen, die in der regionalen Ökonomie zirkulieren und nicht auf Schweizer Banken deponiert oder in Europa investiert werden. Eine ihrer vielbeachteten Sendungen widmete Radio Universidad dem Thema ökonomische Ungleichheit in Mexiko und nahm unter anderem den HDI (Human Development Index oder Index der menschlichen Entwicklung) der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD) herausgegeben wird, unter die Lupe. Der HDI Index ist zwar limitiert, wiederspiegelt aber viel besser als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, in denen eine Bevölkerung lebt. Er berechnet sich aus Faktoren wie Gesundheit, Bildung, und Einkommen, wobei jeder dieser Faktoren wiederum Subfaktoren mit einschließt. Die Faktoren gehen von 0 bis 1, wobei 1 das Maximum an Entwicklung darstellt. Im Bericht der PNUD über Mexiko im Jahre 2004, werden die gravierenden sozialen und ökonomischen Unterschiede, die in Mexiko vorherrschen, deutlich. Für Oaxaca zeigt sich ein Durchschnittsfaktor von etwas unterhalb 0,7 wobei das Minimum aber bei ungefähr bei 0,4 liegt, ungefähr da wo auch Ruanda angesiedelt ist. Oaxaca reiht sich damit mit einem Durchschnittsfaktor von 0,7 mit Ländern wie den Palästinensischen Autonomiegebieten (0,729), Algerien (0,722), El Salvador (0,722), Kap Verde (0,721), Syrien (0,721), Guyana (0,720) oder Vietnam (0,704) ein. Der Maximumwert von Oaxaca ist aber ungefähr 0,9 und damit auf dem gleichen Niveau wie Deutschland. Das will nichts anderes verdeutlichen, als dass es in Oaxaca ein paar wenige gibt, die extrem viel besit zen, während die große Mehrheit in Armut lebt. Radio Universidad und Radio APPO machen also mit Recht darauf aufmerksam, dass die Unternehmer in der bestehenden ökonomischen Struktur in Oaxaca mit Sicherheit nichts zur Lösung der Basisprobleme der Bevölkerung beisteuern können.


Die fünfte Megademo

Unabhängig von den Verhandlungen in Mexiko City sind die Vorbereitungen zur fünften "Megademo" in vollem Gange. Vorgestern wurde die Ausfahrt nach Mexiko (die grösste und wichtigste Strasse in Oaxaca) während Stunden blockiert, damit Großplakatwände mit spektakulären Graffitis, die für die Demo werben, besprayt werden konnten. Gleichzeitig läuft die Mobilisierung in den Gemeinden und in anderen Bundesstaaten auf Hochtouren. Bisher haben Organisationen aus Guerrero und Michoacan ihre Beteiligung zugesagt. Die Mega-Demo wird in San Felipe beginnen und im Stadtzentrum enden. San Felipe ist das bevorzugte Wohnquartier der Oberschicht, wo unter anderen auch Ulises lebt. Es wird nicht allerdings nicht einfach sein, die Leute für die Demo zu mobilisieren, da nach wie vor grosse Angst vor bewaffneten Angriffen herrscht.