Aufstand in Oaxaca
Mal kurz den Gouverneur abgesetzt


Du kommst gerade aus Oaxaca. Was ist Dein Eindruck?

Ich war insgesamt knapp drei Wochen in Oaxaca. Von außen wird es fast nicht wahrgenommen, aber es ist wirklich sehr spannend, was dort geschieht. Nach dem 14. Juni, als die Räumung der Lehrerblockaden in der Innenstadt scheiterte, hat eigentlich das ganze Volk oder ein sehr großer Teil der Bevölkerung mit den Lehrern sympathisiert. Sie hat sich in der Volksversammlung der Bevölkerung Oaxacas (APPO) zusammen geschlossen. Die APPO ist eine Koalition von sozialen und politischen Organisationen und Gemeindevertretern. Sie hat eine Stärke und Mobilisierungskraft entwickelt, die es wohl noch nie gab in dem Bundesstaat. Konkret: Die Hauptstadt Oaxaca ist in den Händen der APPO, die Regierung agiert nur noch aus "Sicherheitshäusern" heraus, aus dem Untergrund. Wenn etwas geschieht, dann ist eine Viertelstunde später eine Pressekonferenz am Ort der Geschehnisse mit den Leuten der APPO, nicht mit Vertertern der Regierung.
Der Gouverneur Ulises Ruiz selber sitzt in einem Luxushotel ganz in der Nähe des Flughafens. Er versucht, noch irgendwie zu regieren. Das gelingt ihm aber nicht mehr. 22 öffentliche Gebäude sind besetzt. Besonders spannend war in diesen Wochen die Übernahme der Medien, die Frage der Kommunikation. Ich würde das wirklich als Kulturrevolution bezeichnen, was da geschah. Diese Medien der APPO werden von der ganzen Bevölkerung gehört. Jeder Straßenhändler hat neben dem Plakat gegen Ulises Ruiz ein eingeschaltetes Radio stehen und hört, was passiert in der Stadt. In diesen Radios kommt es gar nicht dazu, Musik abzuspielen. Ständig gibt es Anrufe von allen möglichen Menschen aus der Stadt und dem Umland. In diesen Medien wird alles offen diskutiert, auch die Widersprüche. Wenn z.B. Lehrersektionen eher dafür sind, wieder die Schule aufzunehmen, dann wird das offen diskutiert. Wenn Kritik an APPO-Führern laut wird, die die Dinge zu dominieren beginnen, dann wird das einen ganzen Abend lang Thema in diesen Medien.
Natürlich ist es eine Moblisierungsgeschichte. Auf den blockierten Plätzen sind nicht Zehntausende von Leuten. Es gibt eine Präsenz von einigen Dutzend bis einigen Hundert Personen. Wenn ein Angriff geschieht, sind über die Radios innerhalb weniger Minuten ganz viele Leute aus den Vierteln selbst auf der Straße. Das hat sich leider in der letzten Zeit zusätzlich bewähren müssen. Die Attacken fingen nachts mit Schießereien in die Luft an, dann fanden sie auch tagsüber und gezielt statt. Leider gibt es inzwischen sechs Tote. Abgesehen davon ist nicht klar, ob die Räumung am 14. Juni auch Todesopfer gefordert hat. Es gibt da keine bestätigenden Meldungen. Die APPO selber sagt, die Angehörigen hätten zu sehr Angst, ihre Toten bei den Behörden, die sie ja nicht mehr anerkennen, zu melden. Das kann man so zur Kenntnis nehmen, aber ich weiss auch nicht mehr.


Gibt es Vermutungen, wer hinter diesen Attacken steckt? Direkt die Regierung, paramilitärische Gruppen?

Zum Teil gibt nicht nur Vermutungen, sondern Beweise für gezielte Angriffe. So im Falle eines Hilfspolizisten, der früher im Militär war und wegen krummer Geschäfte entlassen wurde. Er schoss vor drei Wochen auf eine Demonstration und wurde anschließend von der Bevölkerung verhaftet. Das geschieht durchaus häufiger. Es gibt eine Art Sicherheitseinheit der Lehrer, die sich der Sache annimmt. Der erwähnte Polizist war in früheren Jahren in die Verfolgung und falschen Anklagen gegen die sozialen Bewegungen involviert. Auch an der Verhaftung der Brüder Cerezo war er beteiligt. Das sind Leute für's dreckige Geschäft. Sie werden angestellt, sei es direkt von der Regierung, sei es von einzelnen Exponenten aus der PRI. Letzteres ist natürlich schwieriger zu beweisen. Es ist nicht gesagt, dass hinter jeder Aktion Ulises Ruiz selbst steckt. Dass solche Aktionen geschehen, ist ein klarer Hinweis dafür, dass dieser Ulises Ruiz den Staat nicht mehr in der Hand hat. Es existiert diese Unregierbarkeit, die das erklärte Ziel der Protestbewegung ist und mit der sie seinen Abgang erzwingen will.


Die Vorbedingung für Verhandlungen ist der Rücktritt des von der APPO bereits für abgesetzt erklärten Gouverneurs. Käme es dazu, wäre danach ein Stillstand der Protestbewegung zu erwarten oder geht es inzwischen um viel mehr?

Das ist die Frage, wie es nach einem Rücktritt weiterginge. Man kann es von zwei Seiten betrachten. Dieses lange am Amt kleben des Gouverneurs hat der Bewegung einerseits zusätzliche Dynamik gegeben. Dieser Prozess läuft jetzt schon drei Monate. Da wurde eine ganze Generation in sehr kurzer Zeit politisiert und aktiviert. Die Leute sind stark involviert und machen spannende Entwicklungen durch. Die Bewegung ist sicher auch gereift in diesen drei Monaten. Es gab beispielsweise das Forum zu Demokratie und Regierbarkeit. Da ging es darum, wie es nach dem Sturz des Gouverneurs weiter geht. Das waren interessante Debatten. Die andere Seite ist natürlich die Kräfte raubende Moblisierung über Monate, nicht mehr schlafen in der Nacht, usw. Da ist die Frage, ob dann nicht das große Aufatmen kommt, wenn Ruiz geht und sich alles mehr oder weniger verläuft. Das lässt sich jetzt noch nicht abschätzen. Ich denke aber, es wäre ein großer Sieg für diese Bewegung, wenn sie diesen repressiven und korrupten Gouverneur loswerden und sich dieser Sieg ummünzen würde in eine zukünftige weitere Zusammenarbeit der Organisationen. Vielleicht als ein Kontrollorgan gegenüber der Regierung. Irgendwer wird neuer Gouverneur werden, irgendjemand von einer Partei, wahrscheinlich sogar von der PRI. Im besten Fall wird diese Person von einer konsolidierten Volksbewegung scharf kontrolliert werden.
Vielleicht ein, zwei Worte noch zu Ruiz. Das ist sehr wenig bekannt, aber in den 18 Monaten seiner Regierung gab es nicht nur 35, 36 politische Morde sowie 70 politische Gefangene und auch Verschwundene. Der Gouverneur versprach dieses Jahr dem PRI-Kandidaten Madrazo eine Million Stimmen für die Präsidentschaftswahlen vom 2. Juli. Seit Jahresbeginn hat er praktisch nur noch in der Kampagne von Madrazo gearbeitet. Das heißt, die gesamte Verwaltung, alle Regierungsstellen befanden sich im Wahlkampf. Sie haben im Gesundheitsbereich beispielsweise nicht mehr das Dengue-Fieber, ein großes von den Behörden verschwiegenes Problem an der Küste, bekämpft. Jetzt nach Ablauf des Wahlkampfes und nach dem Reinfall - die PRI hat nur noch 350 000 Stimmen bekommen - haben die Ämter kein Geld mehr. Es wurde für diese politische Kampagne ausgegeben und ist weg. Das ist ebenfalls ein Ausdruck der Art und Weise, wie Ruiz regiert hat.


Bei Neuwahlen wäre die PRI angesichts dieser Stimmenverteilung wahrscheinlich weg vom Fenster. Es ist viel über den Einfluss der PRD, aber auch der "anderen Kampagne der Zapatisten" auf die Protestbewegung spekuliert worden. Inwieweit handelt es sich um eine authentische Bewegung der Bevölkerung?

Es gibt natürlich die verschiedensten Einflüsse, auch die Spekulation, dass die Lehrer immer noch mit Elber Esther Gordillo zusammen hängen, usw. Natürlich versuchen die verschiedenen Kräfte, mit dieser Bewegung ihr politisches Süppchen zu kochen . Es gibt diese Führer, die teilweise Pakte schließen mit Parteien, aber im Moment ist wirklich die Basis am Zug. Die Führer haben es schwer, ihre taktischen Spiele mit der Bewegung zu machen. Das hat wie gesagt viel zu tun mit dieser medialen Geschichte.
Was ich vorher vergessen habe und natürlich ein zentraler Teil dieser Kulturrevolution ist, das sind die Frauen, die den Sender 9 besetzt haben und drei Wochen lang sowohl Radio wie Fernsehen gemacht haben. Die Frauen aus Oaxaco sind ja eh schon berühmt für ihre Power, das hat sich da noch potenziert. Es war eine ganz spannende und ergreifende Geschichte, wie sie die Medien in ihre Hände nahmen und Tag für Tag versuch(t)en, strukturiertes Fernsehen zu produzieren. Am 21. August wurde dann mit dem bewaffneten Angriff auf die von den Leuten bewachte Fernsehantenne dem Experiment vorläufig ein abruptes Ende bereitet.


Nachfrage: Wie sieht es mit dem direkten und indirekten Einfluss der Zapatisten aus?

Den Einfluss von zapatistischen Gemeinden aus Chiapas sehe ich als klein bzw. nicht vorhanden an. Auch der Einfluss der bisher von Subcomandante Marcos angeführten "anderen Kampagne" in Oaxaca ist relativ klein. Die Leute sind hier in einer anderen organisatorischen Dynamik. Zum Teil sind sie auch relativ skeptisch gegenüber der anderen Kampagne. Aber deren Philosophie, sich zusammen zu schließen von unten, Gemeinsamkeiten zu suchen und zu finden, die hat durchaus eingeschlagen, auch in Oaxaca. Die APPO ist auf gewisse Art sicher auch Resultat der anderen Kampagne, hat aber direkt nicht groß damit zu tun. Es gibt Gruppen in der APPO, die sich der "otra" angeschlossen haben, aber die APPO an sich ist ein viel, viel breiteres Bündnis. Und umgekehrt hat sich die "otra" auch noch nicht zu dieser Bewegung in Oaxaca geäußert. Das mag taktische Gründe haben.


Kann man noch von einer Bewegung sprechen, die im Kern eine Lehrerbewegung ist? Oder ist die Lehrerbewegung nur noch ein Teil, eventuell ein kleiner Teil der APPO?

Sie hat schon ihre Autonomie, aber die APPO hat in den letzten Wochen das Heft ein bisschen in die Hand genommen. Denn die Lehrerschaft ging ja Anfang Juli, nach den Wahlen, auf Beschluss der Gewerkschaftsführung zurück in die Gemeinden und beendete das Schuljahr. Seitens der APPO bzw. verschiedener Gruppen in der APPO wurde dies als Rückschritt betrachtet. Die Lehrbasis ist ganz klar für weitere Proteste. Die Führung der Lehrergewerkschaft muss sich diesem Druck auch beugen. Ihr bleibt nichts anderes übrig. Heute wird in der Lehrergewerkschaft der Aktionsplan der APPO besprochen und nicht umgekehrt. Andererseits ist es, denke ich, auch gut, wenn die Lehrerschaft und ihre Gewerkschaft ein Stück Autonomie als eigenständiger Akteur behalten. Dabei gibt es eine Abstimmung zwischen Lehrern und APPO in Angelegenheit wie jetzt das Verhandlungsangebot. Die APPO sagt, ja, wir treten in Verhandlungen mit dem Innenministerium ein, wenn die Lehrerschaft auch mit macht. Ich finde das eine gute, respektvolle Art und Weise, miteinander umzugehen. Du weißt aber, das ist eine Einheitsgewerkschaft. Da gibt es zwar einerseits diese Befragung an der Basis, aber andererseits ist es auch eine sehr stark hierachisch strukturierte Geschichte. Und ich denke mir, in diesen Wochen hat die Gewerkschaftsführung das Heft ein bischen aus der Hand gegeben. Die Lehrer, die weiter gestreikt haben, haben angefangen, sich Sektion für Sektion selbstständig zu organisieren bei den Besetzungen und bei den Aktionen in Oaxaca.


Was kannst Du über die angebliche Guerilla-Präsenz auch in Oaxaca- Stadt sagen, über die in den letzten Tagen diskutiert wurde?

Das ist natürlich ein konstruierter Vorwurf der Regierung von Oaxacadie behauptet, es sei hier eine Stadtguerilla aktiv. Wie gesagt, wenn Alarm ist, wie nach den letzten tödlichen Übergriffen, gehen die Leute auf die Straßen und machen die Straßen zu. Das ist nicht Guerilla-Taktik, das ist Selbstverteidigung. Die versprengten Guerilla-Gruppen, die es wahrscheinlich in Oaxaca noch gibt, sind bisher nicht in Erscheinung getreten. Die APPO erklärt sich ganz deutlich als friedliche, zivile Bewegung. Auch Leute, die vor zehn Jahren vielleicht mit der EPR sympathisiert haben, sagen: Heute geht es nicht um den bewaffneten Kampf, heute geht es darum, dass wir diese zivile Bewegung zum Sieg führen. Die Frage ist, was geschehen würde, wenn die PFP und das Militär, d.h. die Sicherheitskräfte des Bundes, den sogenannten Rechtsstaat wieder herstellen würden. Die Truppenverschiebungen nach Oaxaca, welche Tobias Pflüger von der Linksfraktion des EU-Parlaments denunzierte, sind da ein Warnsignal.
Vor ein paar Wochen war Oaxaca noch ein lokales Problem. Mit dem Nationalen Forum wurde es landesweit als Bewegung wahr genommen und mit den letzten Angriffen auch als nationales Sicherheitsproblem. In den Morgenstunden von Montag auf Dienstag (21./22.8.) fuhr eine Polizeikolonne mit 34 Fahrzeugen und 400 Polizisten einfach schießend durch die Stadt, begleitet vom Fernsehsender TV Azteca. Diese Art von Todesschwadronen in einem sogenannten modernen Mexiko, das geht natürlich nicht. Das sprengt dann den Rahmen des Tolerierbaren auch von Seiten der PAN-Regierung denke ich mir.
Es hat auch eine Internationalisierung der Wahrnehmung gegeben. Amerigo Incalcaterra, der Repräsentant des UNO-Menschenrechts- Hochkommissariats in Mexiko hat sich gestern (24.8.) dazu geäußert und das Menschenrechtsnetzwerk von Oaxaca hat international Alarm geschlagen und verlangt, dass internationale Organisationen Stellung nehmen. Es wird eine internationale Beobachterdelegation vom 4. bis 8. September vor Ort sein und den Konflikt analysieren. Diese internationale Präsenz, dieses internationale Auge der Öffentlichkeit kann dazu beitragen, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt.


Die Zusammensetzung der Delegation?

Organisationen wie Peace Watch, nationale und internationale Menschrechtsorganisationen werden angefragt und werden daran teilnehmen.


Ist eine Verhandlungslösung denkbar?

Die Verhandlungslösung ist die einzig mögliche, vernünftige Lösung. Sie ist bisher mehrere Male gescheitert. Jetzt gibt es einen dritten Anlauf mit dem Innenministerium und den Versuch einer Vermittlung durch Bischof Samuel Ruiz und zwei weiteren Personen. Sie könnten einen Kommunikationskanal bilden zwischen den verschiedenen Akteuren. Das ist von zentraler Bedeutung für eine Verhandlung. Vorbedingung der APPO ist, dass die Gefangenen freigelassen werden, das sind vier Personen, davon eine im Hochsicherheitsgefängnis La Palma. Und dass Ulises Ruiz zurück tritt. Die APPO und die Lehrer möchten nicht mehr darüber verhandeln, ob Ruiz noch bleibt und wie lange. Ob es für ihn einen sogenannten goldenen Fallschirm gibt, das er vielleicht Diplomat werden kann irgendwo in New York oder im Libanon, wie die Leute in Oaxaca scherzhaft meinten, oder wo auch immer. Sie wollen ihn vor Gericht sehen, seine Absetzung und ein Verfahren über seine Regierungszeit, zumindest eine Untersuchungskommission. Das ist natürlich eine harte Vorbedingung für die PRI. Und ob die PAN-Regierung, bzw. die Fox-Regierung wirklich Lust hat, auf diese Forderung einzugehen, das ist die große Frage. Denn hier möchte eine Volksbewegung wirklich die Regierung ihres Bundesstaates für abgesetzt erklären. Real ist die Regierung nicht mehr an der Macht. Aber dies tatsächlich von Seiten der Regierung Fox zu akzeptieren, ist eine schwierige, zukunftsweisende Frage. Die Gefahr von Oaxaca aus Sicht der PAN ist, dass dieses Beispiel Schule macht. Dies angesichts des Problems mit Calderón auf Bundesebene, der sein Amt auch nicht mit viel Legitimität antreten wird. Dies ist eine gefährliche Situation. Das Negativszenarium, der worst case, könnte sein, das sich die Rechtsregierung in den nächsten Monaten mit einem Repressivschlag gegen Oaxaca, der zehnmal schlimmer wäre als Atenco, in den Sattel hievt. Und sagt: Obacht, wenn ihr weiterhin zivilen Widerstand aufbaut gegen unsere Regierung, dann wird es euch so ergehen wie den Lehrern und der APPO in Oaxaca.


Die Medien konzentrieren sich sehr stark auf das, was in Oaxaca-Stadt geschieht. Wie sieht die Situation auf dem Land aus?

Die Proteste auf dem Land sind nicht gleich sichtbar. Beispielsweise wurden drei Leute um auf dem Weg nach Oaxaca-Stadt, wo sie an den Protesten teilnehmen wollten, ermordet, das waren Indigene von der Ethnie Triqui. Das wurde fast nicht von der Öffentlichkeit registriert, weder in Oaxaca-Stadt noch in den nationalen und schon gar nicht in den internationalen Medien. Die Situation auf dem Land ist sehr polarisiert zwischen den Kaziken, die hinter Ruiz Ulises stehen und der Bevölkerung, die sich zum Teil - wenn auch in langsameren Prozessen - in die APPO einzuklinken beginnt. Das sind dann Gemeindebeschlüsse in Versammlungen. Mit den Gemeindeautoritäten wird entschieden: Ja, wir machen hier mit und wir übernehmen jetzt unseren Landkreis, wir gründen einen autonomen Landkreis oder Volkslandkreis, wie hier eher gesagt wird. Das hat weitgreifende Konsequenzen, denn es handelt sich nicht um spontane Mobilisierungen für eine kurze Zeit, sondern das sind Beschlüsse in diesen Gemeinden, die dann auch einzuhalten sind. Die Gemeindeautoritäten reisen in die Hauptstadt und verkünden dann in der Versammlung stolz, dass ihre Gemeinde sich jetzt auch angeschlossen habe. Viele Gemeinden können der PRI gar nicht entrissen werden, da sie sowieso nach Sitten und Gebräuchen regiert werden. Die Parteien haben dort gar keine Präsenz. Da ist schleichend, ohne dass dies wahrgenommen wird, eine Indigenisierung der Bewegung im Gange. Auf dem Forum gab es per Handerhebung eine kurze Umfrage, von wo die Leute herkamen. 70 Prozent der Leute waren aus den Armenvierteln von Oaxaca-Stadt und den Gemeinden. Das ist für mich eine dritte Phase. Die erste Phase der Bewegung war die Lehrergewerkschaft mit einer sektorialen Forderung nach mehr Lohn und gerechteren Arbeitsbedingungen, Schulfrühstück für die Kinder, usw.. Dann gab es die Ausweitung mit der APPO auf die städtischen Bewegungen, auf die sozialen und politischen Bewegungen im ganzen Bundesstaat. Die dritte Phase wäre eine Indigenisierung der Bewegung. Das scheint mir eine spannende Komponente. Im Moment ist noch nicht abzusehen, wie weit das greift. Es gibt natürlich viele soziale Bewegungen, die eher einen marxistischen Diskurs fahren und die ethnische Frage ausblenden. Das ist die Frage, wie das intern weiter geht. Ich denke, dieser ganze Prozess ist eine sehr starke Volksbewegung, die uns noch einige Überraschungen bereiten kann und die wohl in die Geschichte eingehen wird.  

Philipp Gerber


Philipp Gerber ist Koordinator von Peace Watch Switzerland für die Projekte Mexiko und Guatemala. 2006 realisierte Peace Watch im Rahmen der anstehenden Wahlen in Mexiko eine intensive Menschenrechtsbeobachtung. Die Idee: keine Wahlbeobachtung am Tag der Wahlen, sondern eine Menschenrechtsbeobachtung einschließlich der zivilen und politischen Rechte in den Monaten vorher. Philipp hielt sich zudem im August längere Zeit im Bundesstaat Oaxaca auf.