Drohende Eskalation in Chiapas


In einem aktuellen Kommuniqué vom 9. Februar warnt die Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) die paramilitärische Gruppierung "Organisation zur Verteidgung der Ureinwohner- und Bauernrechte" (OPDDIC) vor weiteren Aktivitäten in den zapatistisch kontrollierten Gebieten im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas.
Die OPDDIC hat in jüngster Vergangenheit Briefe verschickt, in denen sie ganzen Familien mit Vertreibungen oder Angriffen drohte, weil sich diese geweigert hatten, sich der bewaffneten Organisation anzuschließen.

Die Zapatistas werfen der OPDDIC vor, für die Ermordung von vier EinwohnerInnen des Dorfes Viejo Velasco am 13. November 2006 verantwortlich zu sein. Die Organisation ziele darauf ab, lokale Konflikte zur Eskalation zu bringen, um ein weiteres Eindringen der mexikanischen Armee in das Rebellengebiet zu rechtfertigen und so den Aufstand der Zapatistas zu zerschlagen. Des weiteren sei die OPDDIC für Landraub, die Plünderung des Lakandonischen Urwalds und für illegalen Fahrzeug- und Drogenhandel verantwortlich und erfahre direkte Unterstützung der Regierung.

Michael Chamberlin vom kirchlichen Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas aus San Cristóbal, Chiapas, erläuterte im Interview, dass die OPDDIC eine Organisation sei, die sich in den vergangenen Jahren besorgniserregend vergrössert habe: "Die OPDDIC hat ihre Wurzeln in den paramilitärischen Organisationen 'Revolutionäre Indigene Anti-Zapatistische Bewegung' (MIRA), 'Frieden und Gerechtigkeit' sowie 'Los Chinchulines'. Sie sind für Dutzende Morde verantwortlich".
Mit einem Versprechen auf Landzuteilung würden verzweifelte Kleinbauern und -bäuerinnen in die Gruppierung gelockt. Aktuell drohe die OPDDIC nicht nur mit der Vertreibung weiterer vier Gemeinden in der Region Montes Azules, sondern auch mit offenen Angriffen auf Unterstützungsgemeinden der EZLN.
"Sogar wir selbst, Aktivisten aus dem Menschenrechts- und Umweltschutzbereich, erhalten Todesdrohungen", so Chamberlin. In der mexikanischen Tageszeitung La Jornada vom 13. Februar wies der Chiapas-Experte Hermann Bellinghausen darauf hin, dass es direkte Verbindungen zwischen der OPDDIC und Regierungsbehörden gäbe. Der eigentliche Hintermann der Gruppe sei Pedro Chulín, einst Abgeordneter in Chiapas, heute Bundesabgeordneter für die noch immer mächtige Institutionelle Revolutionäre Partei (PRI). Chulín habe sowohl Kontakte zu lokalen Machthabern als auch zu nationalen und internationalen Unternehmen, die starkes Interesse an der territorialen Kontrolle und an der Ausbeutung des Naturressourcen der Region hätten.

Der aktuelle Gouverneur Juan Sabines von der sozialdemokratischen PRD war bis kurz vor seiner Wahl im vergangenen Jahr Mitglied der PRI und steht erklärtermassen dem aktuellen Präsidenten Mexikos, Felipe Calderón von der konservativ-neoliberalen PAN, nahe. Sabines hat bisher keinerlei Aktivität unternommen, um die Verbrechen der OPDDIC aufzuklären. Im Gegenteil, im Umfeld von Sabines und OPDDIC operieren die strikt antizapatistischen chiapanekischen Eliten, darunter auch die aggressiven Viehzüchter aus den Landkreisen Comitán, Altamirano und Ocosingo, denen er im Wahlkampf die Rückeroberung der von der EZLN besetzten Ländereien versprochen hatte.
Präsident Calderón wiederum ordnete in den vergangenen Wochen umfassende Militäroperationen in Südmexiko an, um unter dem Mantel der Drogenbekämpfung ein "sicheres Investitionsklima für ausländische Unternehmen zu garantieren", wie er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, Schweiz, erklärte. Nach Angaben der EZLN dient dies jedoch vor allem dazu, die Rebellengebiete weiter zu militarisieren. Auffällig sei auch, dass die OPDDIC aktuell vor allem in den bereits stark aufgerüsteten Gebieten operiere, was eine gemeinsame Strategie der Aufstandsbekämpfung belege.

Die soziale Situation in Chiapas ist aktuell so angespannt wie lange nicht mehr. Die Zapatisten ihrerseits zeigten sich entschlossen, notfalls auch bewaffneten Widerstand zu leisten: "Wir sagen der OPDDIC, dem Señor Pedro Chulín und den Regierungsbehörden, dass wir bereit und fähig sind, unsere Gemeinden zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass die indigenen Gesetze eingehalten werden, die dazu da sind, die Bäume und die Naturschätze der Selva Lacandona zu schützen und die Abholzung und den Handel mit Edelhölzerm sowie den Anbau, den Handel und den Konsum von Drogen zu untersagen. Wenn sie den Krieg von neuem aufnehmen moechten, - getarnt als "Auseinandersetzungen unter Indígenas" und unter dem Schutz der militaristischen Posen von Herrn Calderón - sind auch wir dazu in der Lage. Ganz gleich wie viele Soldaten, Polizisten oder Paramilitärs kommen, wir werden die Erde, die unsere Toten bewahrt, beschützen, auch wenn es uns die Freiheit und das Leben kostet".

Luz Kerlkeling
Gruppe B.A.S.T.A.